Hermann Hesse - Unterm Rad

 

Die Erzählung Unterm Rad zeigt das Schicksal eines begabten Kindes, dem der Ehrgeiz seines Vaters und der Lokalpatriotismus seiner Heimatstadt eine Rolle aufnötigen, die ihm nicht entspricht, die ihn "unters Rade" drängt.

"Dem Rektor war es ein inniges Vergnügen gewesen, diesen von ihm geweckten, schönen Ehrgeiz zu leiten und wachsen zu sehen. Man sage nicht, Schulmeister haben kein Herz und seien verknöcherte und entseelte Pedanten! O nein, wenn ein Lehrer sieht, wie eines Kindes lange erfolglos gereiztes Talent hervorbricht, wie ein Knabe Holzsäbel und Schleuder und Bogen und die andere kindischen Spielereien ablegt, wie er vorwärts zu streben beginnt, wie der Ernst der Arbeit aus einem rauhen Pausbacken einen feinen, ernsten und fast asketischen Knaben macht, wie sein Gesicht älter und weißer und stiller wird, dann lacht ihm die Seele vor Freude und Stolz. Seine Pflicht und sein ihm vom Staat überantworteter Beruf ist es, in dem jungen Knaben die rohen Kräfte und Begierden der Natur zu bändigen und auszurotten und an ihre Stelle stille, mäßige und staatlich anerkannte Ideale zu pflanzen. Wie mancher, der jetzt ein zufriedener Bürger und strebsamer Beamter ist, wäre ohne diese Bemühungen der Schule zu einem haltlos stürmenden Neuerer oder unfruchtbar sinnenden Träumer geworden! Es war etwas in ihm, etwas Wildes, Regelloses, Kulturloses, das mußte erst zerbrochen werden, eine gefährliche Flamme, die mußte erst gelöscht und ausgetreten werden. Der Mensch, wie ihn die Natur erschafft, ist etwas Unberechenbares, Undurchsichtiges, Gefährliches. Er ist ein von unbekannten Bergen herbrechender Strom und ist ein Urwald ohne Weg und Ordnung. Und wie ein Urwald gelichtet und gereingigt und gewaltsam eingeschränkt werden muß, so muß die Schule den natürlichen Menschen zerbrechen, besiegen und gewaltsam einschränken; ihre Aufgabe ist es, ihn nach obrigkeitlicherseits gebildeten Grundsätzen zu einem nützlichen Gliede der Gesellschaft zu machen und die Eigenschaften in ihm zu wecken, deren völlige Ausbildung alsdann die sorgfältige Zucht der Kaserne krönend beendigt."

 

Meine Gedanken

 

Dieses Buch ist eines der Besten von Hesse, das ich kenne. Es zeigt sehr gut, wie man ein Kind mit falschem Ehrgeiz (mein Kind soll es einst besser haben als ich) brechen und ruinieren kann. Hermann Hesse hat einmal mehr in einer wunderschönen Sprache geschrieben, die einem nicht mehr losläßt. Wieder einmal konnte ich nicht aufhören zu lesen und war richtiggehend enttäuscht, wenn mir die Augen bei der Lektüre vor Müdigkeit zufielen.

"Schreibend der Jugend die Würde zu geben, die ihr im Leben verweigert wurde", notiert Peter Handke nach der Lektüre in seinem Tagebuch, während Arthur Eloesser 1906 die Erstausgabe mit den Worten begrüßte: "Der Roman enthält ungefähr eine Anleitung für Eltern, Vormünder und Lehrer, wie man einen begabten jungen Menschen am zweckmäßigsten zugrunde richtet."

Neben Robert Musils Die Verwirrungen des Zöglings Törless ist Unterm Rad die nachhaltigste Anklage gegen das starre Erziehungsritual jener Jahre.

Ich kann diese Erzählung nur jedem empfehlen.

 

Über den Autor

 

Hermann Hesse wurde am 2.Juli 1877 in Calw geboren und starb am 9. August 1962 in Montagnola bei Lugano. 1946 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.

 

Buchdaten

 

Hermann Hesse, Unterm Rad

Erstausgabe: Berlin 1906

Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1994

ISBN: 3-518-06696-x

 

 


   

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