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Alois Reisenbichler

Nach dieser Krise muss dieses System ein anderes sein

Rede auf dem 42. Ordentlichen Bundesparteitag der SPÖ
als Vertreter der Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialdemokratie (ACUS)
am 13. Oktober 2012 in St. Pölten

Liebe Genossinnen! Liebe Genossen!

Das zentrale Thema unseres Bundeskongresses als Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialdemokratie, als ACUS, war „Werte haben einen Namen“ und ein ganz zentraler Wert war dabei die Gerechtigkeit.

Aber es ist uns damals – und darum haben wir auch diese Werte diskutiert – etwas aufgefallen: Es ist gut, darüber zu reden – es ist gut und schön, alle sind für das Gute und Schöne und niemand ist für das Schlechte und Böse.

Das alleine ist zu wenig. Man und frau muss sich auch fragen: Wie ist es dazu gekommen?

Diese Wirtschaftskrise ist die Folge einer Akkumulationskrise, ist die Folge, dass eine ganz kleine Minderheit einer Minderheit einer Minderheit Wege gesucht hat, noch reicher zu werden, und sich Spielwiesen zur Spekulation, eine Art DKT geschaffen hat, und da haben einige von den ganz wenigen sehr viel gewonnen, und ein paar wenige haben viel verloren und jetzt soll die Allgemeinheit  dafür bezahlen. Jetzt müssen die Spekulanten gerettet werden. Man muss ich zuerst einmal fragen: Wieso brauchen wir eigentlich Ratingagenturen?

Und dann muss man sich auch fragen – haben nicht leider auch Politiker und vielleicht auch Politikerinnen aus unseren Reihen Schritt um Schritt das mitgetragen? Ich bin freier Dienstnehmer, ohne einen einzigen bezahlten Urlaubstag. Natürlich kommt das hauptsächlich von den Schwarzen, aber auch die SPÖ hat mitgestimmt. Wir müssen uns das auch fragen, wenn wir es ernst nehmen, mit der Gerechtigkeit, dann muss es als Erstes zu einem Bruch mit neoliberalem Denken und mit neoliberalem Handeln in der Sozialdemokratie kommen. Ganz klar und deutlich!

Es ist ganz deutlich erwähnt worden, wie es den Griechinnen und Griechen und den anderen Menschen in den südlichen Ländern geht.  Die EU hat ihnen das aufgezwungen, in Verband mit der Weltbank, mit dem Währungsfonds, wie man es den Dritte-Welt-Ländern schon seit Jahrzehnten aufzwingt. Man hat den armen Leuten die „Gurgel zugedreht“ und den Reichen ist nix passiert. Griechenland zahlt zum Beispiel die Schulden zurück für die enormen Rüstungsausgaben bei den französischen und deutschen Banken für die französischen und deutschen Rüstungskonzerne.

Und daher ist es auch höchste Zeit, dass wir ganz klar sagen – und die EU ist jetzt sogar noch Friedensnobelpreisträger – da muss es doch einen ganz klaren Bruch in der EU-Politik geben: Es darf für neoliberale Politik in der EU kein Platz sein!

Und eines muss man auch ganz klar aufzeigen: es gibt immer wieder unbemerkt Militarisierungsbestrebungen in der EU. Ja, ich persönlich habe Zivildienst gemacht, bei mir könnte man sich das ganze Bundesheer sparen – da soll man aufzeigen, die hohen Summen, die wir dafür brauchen, wer bedroht uns – aber egal, wie die Volksbefragung über die Wehrpflicht ausgeht, wir müssen an der Neutralität festhalten, dass nie mehr österreichische Soldaten oder eventuell auch Soldatinnen für die US-amerikanischen, für die EU- oder andere Konzerninteressen in irgendwelchen anderen Ländern Krieg führen. Wir brauchen die Neutralität, egal, wie das Bundesheer organisiert wird, wir brauchen ein Nein zur Militarisierung der EU und Nein, dass die EU ein Militärblock wird.

Man muss auch mal sagen bei aller Freude, dass die EU Friedensnobelpreisträger wird: ein Friedensnobelpreisträger mit Atomwaffen? Dankenswerterweise haben sehr viele Genossinnen und Genossen die Hiroshima-Aktion mit Grußadressen unterstützt, schon jahrelang sehr viele und da bin ich sehr dankbar, aber man muss endlich einmal sagen, was ist das für ein Friedensnobelpreisträger, es ist höchste Zeit, dass die Europäische Union Schluss macht mit Atomwaffen und mit Atomkraftwerken. Die kann man sich sparen!

Was ist das für eine humane Politik und neoliberal? Das neoliberale kann man sich sparen. Ich bin sehr stolz, dass wir nicht mit der FPÖ, dem BZÖ und dem ganzen „rechten Gsindl“ koalieren. Ich finde das super. Aber: wir brauchen auch keine Schubhaft in Österreich. Wir brauchen auch keine Abschiebungen von Kindern, von Familien, überhaupt keine Abschiebungen von Menschen, die bei uns Hilfe suchen. Es ist genug für alle da, wenn wir es uns von den Reichen holen. Daher können wir uns die Abschiebungen und die Schubhaft sparen.

Und wir können uns bei einem Friedensnobelpreisträger sparen die Frontex. Kollege Bierdel vom Friedensforschungsinstitut Schlaining, der war angeklagt, warum? Weil er Leute im Mittelmeer ertränkt hat? Nein, weil er vor dem Ertränken, vor der Frontex gerettet hat! Weil er ihnen geholfen hat, dass sie nicht im Mittelmeer ertrinken! Wenn wir das ernst nehmen, wenn wir ein Mindestmass an Humanität und Gerechtigkeit ernst nehmen, dann müssen wir uns einsetzen, dass die Frontex sofort aufgelöst wird. Das nehmen wir uns vor, das brauchen wir nicht!

Zum Schluss noch, es gibt einige Punkte, die wichtig wären und die ich nicht mehr erwähnen kann, aber eines ist besonders wichtig: Der Grundsatz der Christlichen Soziallehre ist Arbeit vor dem Kapital. Und nicht die Parität Arbeit und Kapital. Die Arbeiterinnen und Arbeiter sollen endlich die Bestimmenden der Wirtschaft sein. Und eine wichtige Position der Christlichen Soziallehre ist „Option für die Armen“. Da gibt es zahlreiche Papstzitate und Zitate des Weltkirchenrates und so weiter. Es geht darum, dass wir endlich damit ernst machen! Und da werden sich auch Christinnen und Christen und Sozialistinnen und Sozialisten finden.

Aber: Es wird nur ein Mehr an Gerechtigkeit geben, wenn wir das neoliberale kapitalistische Wirtschaftssystem zerschlagen! Nach dieser Krise muss dieses System ein anderes sein!

Wir müssen mehr kämpfen. Wir müssen mehr am Tisch hauen. Es ist gut, wenn wir schön reden, aber kämpfen und konkret umsetzen ist noch besser. Freundschaft und FreundInnenschaft!

(nur wenig bearbeitete Tonbandabschrift)

 

FALTER 3/2007 vom 17.1.2007

Harte Jahre, schöne Worte

Ein Duo wie aus dem Lehrbuch der großen Koalition: Nun führen ein rotes Proletarierkind und ein schwarzer Bauernsohn das Land an. Es gibt einiges, was Kanzler Alfred Gusenbauer und seinen Vize Willi Molterer verbindet – und noch viel mehr, was die beiden trennt.
 
 
In den tiefen Sechzigern, als sich Pädagogen noch nicht die Köpfe darüber zerbrachen, ob der Besuch von Krampus und Nikolaus auf die Psyche eines Kindes drückt, wurde am Enzelsdorfergut im oberösterreichischen Sierning eine folgenschwere Entscheidung gefällt. Der Bauer und ÖVP-Gemeinderat Josef Molterer offerierte seiner Schwägerin, die mit Mann, Kind und Kegel vor einem Umzug in ein anderes Dorf stand, Kost und Logis am Hof für ihren Zehnjährigen, den Willi. So bräuchte sein Neffe nicht die Schule zu wechseln, außerdem hätten er und seine Frau eine Freud mit dem Kleinen. Gesagt, getan. Vier Jahre zogen ins Land, der Willi besuchte mittlerweile die Landwirtschaftsschule im benachbarten St. Florian, da adoptierte das kinderlose Ehepaar Molterer den Buben von der kinderreichen Familie Kletzmayr endgültig. Damit hatte der Hof einen rechtmäßigen Erben, noch dazu einen tüchtigen. „Kaum kam der Willi heim“, erzählt Adoptivvater Josef Molterer heute, „ist er auch schon in die Arbeitskleidung und hat mitangepackt.“
Eine Autostunde weiter östlich wuchs der Arbeitersohn Alfred auf, auch er lernte früh, auf eigenen Beinen zu stehen. Der Vater, ein Baupolier, genehmigte dem „vifen und festen Bürscherl“ (Volksschullehrerin Gerlinde Karas) nur dann Taschengeld, wenn dieses gute Noten nach Hause brachte. Ein paar Schilling verdiente sich der „Freddy“ als verlässlichster Ministrant von Ybbs und Umgebung, der bei Begräbnissen Wind und Wetter trotzte, dazu – und später auch mit Nachhilfe. Zwar griff der Gymnasiast Mitschülern, so erzählt er zumindest heute, im Pfarrheim mitunter gratis unter die Arme. In der Regel stellte der geschäftstüchtige Teenager aber Wucherpreise in Rechnung, inklusive Erfolgsprämie. Weil er halt „der Beste“ war.
Der Fleiß hat sich ausgezahlt. Heute, nach all den harten Jahren, führen die beiden Aufsteiger vom flachen Land die Republik an. Der Mostviertler Alfred Gusenbauer, 46, ist seit einer Woche Kanzler, der um fünf Jahre ältere Traunviertler Wilhelm Molterer gibt den Vize. Roter Proletarier, schwarzer Bauer – ein Duo wie aus einem Lehrbuch der großen Koalition, verbunden durch manche biografische Erfahrung. Aber auch durch vieles getrennt.
Mit viel Trara zog Wilhelm Molterer, gleichzeitig Finanzminister und ÖVP-Chef, vor ein paar Tagen in sein neues Büro in der Himmelpfortgasse ein. Die Blaskapelle aus Sierning war extra „auf Wearn gfoahrn“, um dem großen Sohn des Dorfes ein Ständchen zu spielen. Schließlich nimmt sich „der Willi“ ja auch immer wieder Zeit für Ausflüge in seine alte Heimat. Dann schaut er beim Stammtisch im Forsthof, dem ersten Wirten am Platz, vorbei. „Diskutiert hat er schon als Kind gerne“, erzählt Ziehvater Molterer, „über alle möglichen Themen.“ Ab 18, Molterer hat sich für Sozialwissenschaften inskribiert, nutzt der Jungbauer sein Redetalent an der fortschrittlichen Uni Linz. In der bürgerlichen, aber durchaus aufmüpfigen Österreichischen Studentenunion (ÖSU) kämpft er gegen die verzopften Riten der Cartellverbandsbrüder. Gemeinsam mit Mitstreitern wie dem späteren Innenminister Ernst Strasser verfasst Molterer ein dreißigseitiges Grundsatzpapier, „in dem wir versuchten, die Welt zu erklären“, wie Weggefährte Ernst Gamsinger erzählt, heute Redakteur bei der Linzer Kirchenzeitung. Die Erklärungsversuche kommen in Wien, bei der Mutterpartei ÖVP, nicht gut an. Zu oft ist darin von „Selbstbestimmung“ die Rede, und mancher Wortlaut hört sich – Gott behüte! – „fast marxistisch an“ (Gamsinger). Als die ÖSUler, Molterer ist zum ÖH-Vorsitzenden der Kepler-Uni aufgestiegen, auch noch gegen die Wehrpflicht und für die Gesamtschule agitieren, dreht die Volkspartei den Geldhahn zu. Viele Studentenvertreter, auch Gamsinger, kehren der Partei enttäuscht den Rücken zu. Nicht so Molterer: „Er war einer der wenigen, die auch nach dem Streit mit beiden Seiten konnten.“

Er war ein unkonventioneller Typ, von dessen kumpelhafter Art man sich aber nicht täuschen lassen durfte“, erinnert sich der Zeitgenosse Peter Eichbauer, der Molterer sowohl als roter Studentenfunktionär wie auch später als Regierungsmitarbeiter gegenüberstand: „Hinter der Fassade verstecken sich viel Zähigkeit und Bauernschläue.“

So viel Geschick fällt nicht nur den Kommilitonen auf. Gleich nach bestandenem Magister darf Molterer im Büro von Landesrat Leopold Hofinger anheuern. Als der Beinahebauer eine „wissenschaftliche Analyse über die Situation von Österreichs Bäuerinnen“ verfasst, die nicht mit Kritik daran spart, dass viele Landwirtinnen keine Miteigentümerinnen der Höfe und damit ihren Ehegatten völlig ausgeliefert sind, wird ein noch mächtigerer ÖVPler auf Molterer aufmerksam: Josef Riegler. Der Landwirtschaftsminister holt den Oberösterreicher zu sich in die Bundeshauptstadt, wo ihm Molterer bei der Erarbeitung des umweltbewussten Konzepts einer „ökosozialen Marktwirtschaft“ zur Hand gehen wird. Vorher lehrt Riegler seinen ungestümen Neuling aber noch ein paar Verhaltensregeln, die am Wiener Parkett besser ankommen. Als SPÖ-Handelsminister Josef Staribacher eine saftige Erhöhung für Düngemittelpreise in Aussicht stellt, erachtet Molterer dies als bösen Affront gegen die Bauernschaft und setzt eine wütende Presseaussendung auf. „In der fanden sich ein paar heftige Ausdrücke“, erzählt der spätere Vizekanzler Riegler heute amüsiert, „daraufhin hab ich ihm erklärt: ,Weißt, man muss sich immer so verhalten, dass man zu jemandem noch ein zweites Mal hingehen kann.‘“
Auch der junge Gusenbauer liebt deftige Sager, redlich erwirbt er sich in der SPÖ den Ruf eines Dissidenten. „Dieser Linksradikale kommt mir nicht in den Bezirk“, schimpft ein lokaler SP-Chef namens Pospischil, als sich der pummelige Che-Guevara-Verschnitt in der Sozialistischen Jugend Niederösterreichs immer wichtiger macht. Unzählige Demos organisieren Gusenbauer und Konsorten gegen den Sozialabbau, den Bildungsstopp und die Aufrüstung, heimlich überkleben sie die Pro-Atomkraft-Plakate der Partei. Den Geschmack der werktätigen Massen treffen diese Aktionen selten. „Wir haben zwar einen Arbeiterkult gepflogen“, erzählt sein damaliger Kompagnon Alois Reisenbichler, „doch die reale Arbeiterschaft ging lieber zum Musikantenstadl als zu unseren Festln.“
Was im Rückblick wie eine Mordsgaudi klingt, war in Wahrheit harte Arbeit. Anders als der SJler und Lebemann Josef Cap, heute SP-Klubobmann im Parlament, turnt sich Gusenbauer nicht spielerisch nach oben. Der bildungshungrige Ehrgeizling fordert Disziplin, vor allem von sich selbst. Nächtelang brütet er nicht nur über Aufmarschplänen, Pamphleten und Flugblättern, er ackert die Wälzer von Marx & Co im Gegensatz zu so manchem Möchtegernrevoluzzer auch wirklich durch. Um mit Genossen aus aller Welt parlieren zu können, büffelt Gusenbauer Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch, nebenbei studiert er Politikwissenschaft. Am Totenbett raunt ihm der Großvater zu: „Wenn der Enkel eines einfachen Bürstenbinders Doktor werden kann, dann kann ich in Ruhe sterben.“ Gusenbauer hat seine Mission gefunden. In der Tradition seines großen Vorbildes Bruno Kreisky redet er davon, den Armen und Schwachen die Aufstiegshürden aus dem Weg zu räumen. Ihr Glück erarbeiten müssten sich die Leute dann aber schon selber.
Beherzigt Gusenbauer diese Philosophie nach seinem Marsch durch die roten Institutionen auch als Kanzler? Vor ein paar Tagen kamen seinem Jugendfreund Reisenbichler gewisse Zweifel – zum Beispiel wegen der nicht abgeschafften Studiengebühren. Während sich „Gusi“ längst in graue Dreiteiler zwängt, latschte Reisenbichler mit schulterlangen Federn, Rauschebart und ausgetretenen Schuhen zur Angelobung auf den Ballhausplatz – um gegen seinen Kumpel, den Kanzler, zu demonstrieren. „Das hat mir schon wehgetan“, sagt Reisenbichler, der mit anhören musste, wie Gusenbauer, kaum in Amt und Würden, wieder in den alten überheblichen Tonfall verfiel, den er im Wahljahr abgelegt zu haben schien. Als „gewaltbereit“ denunzierte er pauschal die jungen Protestierer, meist SPÖ-Sympathisanten, die allerorts ihrem Ärger Luft machen. „Ein Gespräch mit den Demonstranten wäre doch das Mindeste“, meint Reisenbichler.
„Mehr Toleranz“ gegenüber frechen Nachwuchsgenossen empfiehlt dem neuen Kanzler auch Ferdinand Lacina, „schließlich waren wir als Jugendfunktionäre zur Parteispitze genauso wenig nett“. Der ehemalige Finanzminister vermisst bei Gusenbauer vor allem eine Eigenschaft: „Ihm fehlt Fähigkeit zur Selbstkritik, er stellt seine Positionen nie infrage.“ Verfestigt hat sich dieser Charakterzug wohl in den harten Oppositionsjahren, als der SP-Chef von Kritikern tagaus, tagein abgewatscht wurde; angelegt ist er aber schon in jungen Jahren. Mit Aufstieg und Ansehen steigt auch das Selbstbewusstsein – mitunter in schwer erträgliche Höhen. Schon bei der SJ verdrehen Freunde die Augen, wenn ihr obergscheiter Kollege in der Pizzeria ums Eck wieder einmal demonstrativ auf Italienisch bestellt. „Er ist uns mit seiner Besserwisserei oft auf den Wecker gegangen“, erzählt Hannes Weninger, heute roter Klubobmann im niederösterreichischen Landtag: „Andererseits hat er uns damit angespornt, ihm nachzueifern.“ Ein anderer Weggefährte, der nicht genannt werden will, urteilt strenger: „Gusenbauer ist von sich eingenommen, duldet keine Kritik und umgibt sich nur mit Freunden – damals wie heute.“

Molterer eilt ein ähnlicher Ruf voraus – allerdings erst seit dem Jahr 2000. „In den Neunzigern hätte ich Ihnen noch ein andere Antwort gegeben“, erzählt der SPÖ-Abgeordnete und ehemalige Ministerkollege Caspar Einem: „Damals war Molterer offen und undogmatisch.“ Doch dann kam die schwarz-blaue Wende, und „Molterer begann, uns teils frömmelnd, teils gehässig zu bekämpfen“. Auch im eigenen Klub im Hohen Haus führte er unerbittlich den eisernen Besen. Der Abgeordnete Ferry Maier umschrieb Molterers autoritären Stil unlängst mit dem flapsigen Spruch „Hände falten, Goschn halten“. Am Küniglberg erarbeitete sich Wolfgang Schüssels engster Vertrauter einen zweifelhaften Ruf als Intervenierer, unter linken ORF-Redakteuren galt er als schwarzer Gottseibeiuns mit Direktdraht in die Chefetage. Wie der schwarze Kanzler gab sich Molterer bei Interviews zugeknöpft und leicht reizbar. Wie Schüssel vertraute sich auch sein Adjutant kaum jemandem mehr an, Entscheidungen wurden nur mehr im kleinen Kreis gefällt. Ist Molterer im Laufe der Jahre, wie ein langjähriger Begleiter meint, „einfach verschüsselt“? „Manchmal hab ich ihn in den letzten Jahren nicht verstanden, manches von ihm hat mich sogar geärgert“, meint auch Jugendfreund Gamsinger. Wegen des harten Asylgesetzes etwa schrieb der Linzer dem zum Klubobmann aufgestiegenen Studienkollegen einen besorgten Brief. Den jüngsten Karriereschritt Molterers kommentiert Gamsinger so: „Ich hoffe, dass der Willi seine Eigenschaften, die er in der ÖSU gezeigt hat, jetzt wieder gut einsetzen kann: seine Offenheit, seine Diskussionsfreude, sein soziales Engagement.“
„Der Willi ist eigentlich viel aufgeschlossener“, behaupten auch andere, die ihm nahestehen: „Er ist halt so loyal, dass er jede Rolle spielt, die ein Chef von ihm verlangt.“ Dabei steckt Molterer persönlich oft zurück. Im Jahr 2000, erinnert sich ein Parteikollege, hatten eigentlich Molterer und sein Team das erste schwarz-blaue Budget erstellt, die Lorbeeren heimste freilich FPÖ-Finanzminister Karl-Heinz Grasser ein.
So viel Zurückhaltung ist Gusenbauer fremd. Und auch sonst unterscheidet ihn einiges mehr von seinem schwarzen Pendant. Molterer ist ein Pragmatiker, der Projekt für Projekt abarbeitet, Gusenbauer ein Weltverbesserer, der als Vizepräsident der sozialistischen Internationalen den globalen Raubritterkapitalismus bekämpfen will. Der bescheidene Schwarze wollte aus Parteiräson sogar einem Emporkömmling wie Karl-Heinz Grasser Platz machen, der eigensinnige Rote träumte angeblich schon in der Sandkiste vom Kanzleramt. Der eine verachtet Gefühlsduselei, der andere stilisiert sich gerne als Volkskanzler, mit Neigung zum Populismus. Über lukullische Genüsse werden die beiden ebenso wenig zusammenfinden: Würstel am Verhandlungstisch sind die Leibspeise des Asketen Molterer, der – seit ihm der Arzt Zigaretten und den kleinen Schwarzen verboten hat – unentwegt Tee schlürft. Der Connaisseur Gusenbauer hingegen trinkt nicht bloß gerne Wein, er macht daraus eine Wissenschaft.
Treffen könnten sich die beiden Kartenspieler Gusenbauer und Molterer am Tarocktisch – oder in der Kirche. Für einen Christdemokraten gehört Gottesfürchtigkeit ohnehin zum guten Ton, und auch die sozialdemokratische Hälfte des Regierungsduos sucht Trost & Rat beim Herrn. Den Slogan „Der Mensch zählt“ entlehnte Gusenbauer der katholischen Soziallehre, vor der Wahl vertraute er einem Kirchenmann an: „Werde ich Kanzler, pilgere ich zu Fuß nach Mariazell.“ Da kann ihm Molterer, der gemeinsam mit der ÖVP-Spitze in der dortigen Basilika dem Allmächtigen einst für die Aufhebung der EU-Sanktionen dankte, den Weg zeigen.
 
 
 
Quelle:

 


 

 

Die Armut hat das Zentrum der Gesellschaft erreicht.

Rede als Vertreter der Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialdemokratie (ACUS) beim Parteitag der SPÖ Wien am 29. Mai 2010

 

Liebe Genossinnen! Liebe Genossen!

 

Wir haben auch in den 70er Jahren keine Illusionen in den Kapitalismus gehabt. Aber wenn man so wie ich in der Kreisky-Ära in die Lohnabhängigkeit eingetreten ist und heute sieht, wie man und frau drei Jobs braucht – auch ich –, um halbwegs den Lebensunterhalt finanzieren zu können oder viele Arbeitskolleginnen oder Arbeitskollegen trotz drei oder mehr Jobs nicht wissen, wie sie ihre Miete, ihren Strom, ihr Gas bezahlen, wird einem sehr deutlich bewusst: Die Armen, das sind nicht mehr nur die am Rande, sondern das hat in vielen schon die Beschäftigten, das hat in vielen schon das Zentrum der Gesellschaft erreicht.

 

Und das ist eben eine Folge des Wirtschaftssystems und seiner Verschärfung durch Jahrzehnte neoliberaler Politik. Und dazu muss man jetzt einmal klar zu sagen, dass es so nicht weitergehen kann!

 

Es kann so nicht weitergehen mit der Privatisierung. Vom Amstettner Betriebsseelsorger Franz Sieder, der Bundesvorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialdemokratie (ACUS) ist, stammt der Satz: „Alles, was dem Gesamtwohl des Volkes dient, gehört nicht in die Hände von profitgierigen Unternehmern und Unternehmerinnen.“ Es ist höchste Zeit, das zu sagen – und das auch in der EU: ein Stopp der Privatisierung! Und da ist die Stadt Wien vorbildlich, dass sie die Gemeindewohnungen nicht privatisiert. Es muss aufgehört werden mit dem Privatisieren.

 

Und ich unterschätze hier nicht die Machtverhältnisse. Wenn es um die Mindestsicherung geht, ist die Politik eine Schnecke, wenn es um die Banken geht, ist die Politik ein Wiesel und das geht flink.

 

Und man kann daher durchaus auch hier visionäre Forderungen haben: Man kann durchaus einmal fragen: Warum verbieten wir nicht die Spekulationen? Warum verbieten wir nicht diese ganz komischen Finanzprodukte, die nur dem Profit einer ganz kleinen Minderheit dienen? Und warum reden wir nicht auch einmal über die Verstaatlichung von Banken?!

 

Warum reden wir nicht von einem Stopp des Abbaus der Arbeitsrechte? Es hat mir Angst und Bang gemacht, dass man die Krise in Griechenland bei allen Missständen vor allem dem Sozialstaat angelastet hat. Aber auf die Spekulation und auf das Lohndumping durch das deutsche Kapital in der Analyse „vergessen“ hat.

 

Für uns als Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialdemokratie, für uns als ACUS gilt der Grundsatz der Gerechtigkeit von Dorothee Sölle, einer deutschen Theologin, den ich auch gestern in der Langen Nacht der Kirche zitiert habe: „Die unterste Klasse wird zum Maßstab des Wohlergehens aller gemacht.“

 

Und daher, lieber Michael, bin ich dir sehr dankbar, dass du heute klar den Schwachsinn der Sozialschmarotzerdebatte aufgezeigt hast. Es ist eine Schande, wenn arme Leute wegen ihrer Armut diskriminiert werden.

 

Das gilt für mich auch für die Bettlerinnen und Bettler – das muss ich dir auch dazu sagen.

 

Sie sind arm gemacht, weil sie in diesem System, in dem es schon in der Werbung heißt „Es ist verdammt hart, der Beste zu sein“, einfach keine Chance gehabt haben, es (auf Wienerisch formuliert) nicht  „dablosn“ haben.

 

Wir müssen der Spaltung der Menschen in Ethnien und Religionen entgegentreten. Es gibt schon viele Foren der Weltreligionen, wo viel im Dialog erreicht worden ist, noch nicht alles, aber sehr vieles. Es geht darum, dass wir solidarisch mit unseren Kolleginnen und Kollegen sind, unabhängig von ihrer StaatsbürgerInnenschaft, unabhängig von ihrer Religion. Es gibt nämlich keine Auseinandersetzung zwischen Religionen und Ethnien. Es ist eine Auseinandersetzung zwischen Reich und Arm.

 

Und als Sozialist sage, dass wir da sicherlich vieles von den Kirchen und von den anderen Religionen lernen – zum Beispiel vom Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen.

 

Aber als Christ, der in die ArbeiterInnenbewegung gekommen ist, sage ich ebenso, dass wir die Traditionen, den Marxismus und damit die Analyse des Kapitalismus wieder neu denken, neu formulieren und dieses System – es ist ja weltweit mörderisch – demaskieren müssen.

 

Dass wir uns der antimilitaristischen Friedenstraditionen erinnern müssen und zum Beispiel der drohenden Militarisierung, die jetzt schon Tag für Tag fortschreitet und die eine unheimliche Verschwendung darstellt, entgegentreten müssen.

 

Liebe Genossinnen und Genossen!

 

Es ist höchste Zeit für Gerechtigkeit – aber die wird es nur geben, wenn wir umverteilen von Oben nach Unten und nicht so wie es bei der Bankenkrise ein verkehrter Robin Hood, man schiebt es den Banken in den A… und will es sich dann von den Armen holen, sondern dass wir Mut haben zur Umverteilung, zur Analyse und auch zum Kämpfen. Freundschaft und FreundInnenschaft!

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