ostern

Osterbrief 2016

Auferstehen mitten im Tag

 

Auferstehung mitten
im Dunkel unserer Zweifel
im Umherirren
in der Empörung
DICH
den Auferstandenen
in den Wundmalen der Zeit erkennen

Auferstehung mitten
in unserem Aufgerichtetsein
im lustvollen Feiern
im solidarischen Aufbruch
DICH
den Auferstandenen
im Brechen des Brotes erkennen

Auferstehung mitten
in der Befreiung von Zwängen
im Aufstand für zärtliche Gerechtigkeit
im versöhnenden Händereichen
DICH
den Auferstandenen
in den Friedensinitiativen weltweit erkennen.

Pierre Stutz, Auferstehen mitten im Tag,
Freiburg im Breisgau, 2002, Herder-Verlag, Seite 30

Der Grazer Theologe Peter Trummer schreibt: „Die Meditation der Leiden Christi ist angesichts der viel größeren und milliardenfachen Leiden von heute ein wichtiger Akt der Solidarität, erkennt sie doch in jedem menschlichen Leid das Leiden Christi real wieder, nicht nur in jenen, die für den Glauben Verfolgung leiden (Mt 5,11). Wenn aber die Meditation nicht auch zum Aufstand gegen alle Leiden verursachenden Zustände führt, bleibt sie eine Alibiaktion. So prächtig unsere barocken Kalvarienberge auch sind, ihre Stifterinnen und Stifter wollten vielleicht die Menschen eher dazu anhalten, im Leiden zu verharren und auf das Jenseits zu warten, als den Aufstand gegen den Tod und die herrschenden Zustände schon jetzt zu wagen. Es liegt an uns, das zu ändern.“ (Peter Trummer, Auferstehung jetzt – Ostern als Aufstand, Freiburg im Breisgau 2016, Herder Verlag, Seite 114)

„Wenn unsere Welt eine Zukunft haben soll, dann ist es daher notwendig, es sich mit den neoliberalen Wirtschaftsstrukturen anzulegen, weil die Strukturen dieses Wirtschaftssystems nur von der Habgier getrieben sind. Wenn es zu keiner Änderung dieses Wirtschaftssystems kommt, dann können wir die Gerechtigkeit auf unserer Welt vergessen, dann kann es auch sein, dass weltweit nicht nur Millionen, sondern Milliarden auf der Flucht sind, weil sie in ihrer Heimat keine Zukunft mehr haben. (…) Gott wirkt dann mit uns mit, wenn wir uns mit ihm engagieren, diese Welt menschlicher, gerechter und friedlicher zu machen.“ (Kaplan Franz Sieder, Predigt beim Friedensgottesdienst am 3. Jänner 2016 im Wiener Stephansdom)

Ich wünsche uns allen auch heuer wieder mehr Kraft und Hoffnung für unser Engagement für Solidarität sowie eine gerechtere und friedlichere Welt!

Frohe und gesegnete Ostern

Alois Reisenbichler

Die Sendung "Am Schauplatz" hat am Gründonnerstag, 24. März 2016  unter dem Motto "Ein bisschen Frieden" auch über die Arbeit der Friedensbewegung berichtet:

„Die Welt ist schlecht, aber was kann ich schon ändern?“ - diesen Satz hört man oft, wenn es um Politik geht. Und dennoch gibt es immer noch Menschen, die glauben, dass sich der Kampf für das Gute lohnt. Und dass es keine verlorene Zeit ist, für den Frieden, für Frauenrechte, gegen Atomkraft oder für offene Grenzen auf die Straße zu gehen.

OSTERBRIEF 2013

Inmitten der Menschen

Inmitten der Menschen,
die sich gegen Unrecht wehren
und niedergeschossen werden,
steht unser Gott auf.

Inmitten der Menschen,
die sich für die Bewahrung der Schöpfung anketten
und nieder geprügelt werden,
steht unser Gott auf.

Inmitten der Menschen,
die ihre Heimat verlassen
und dort, wo sie Zuflucht suchten,
eingesperrt und abgeschoben werden,
steht unser Gott auf.

Mitten unter den der Willkür Ausgelieferten,
den Missbrauchten und Unterdrückten,
mitten unter den der Menschenrechte Beraubten,
den Gefolterten und Ermordeten,
da steht unser Gott auf.

Feiern wir – inmitten – ein Fest der Auferstehung!

Karl Helmreich
Benediktiner im Stift Melk, aus seinem heurigen Osterbrief

Schon 1979 formulierte Dorothee Sölle: „Erlösung wird verstanden als Befreiung, Christus ist der Befreier; der Aufbau einer Welt, in der Gerechtigkeit und darum auch Frieden möglich sein wird, ist die unvollendbare, aber auch unverzichtbare Arbeit am Reich Gottes.“ (D. Sölle, Wählt das Leben, Stuttgart 1980, S. 71) „Der einzig mögliche Beweis von Christi und unserer Auferstehung wäre eine veränderte Welt, die dem Reich Gottes etwas näher wäre.“ (S. 123)

Und so kann ich jedes Jahr nur wiederholen (und mich bemühen, meinen bescheidenen Beitrag zu leisten): Der Glauben an ein Leben nach dem Tod verpflichtet uns als Christinnen und Christen zum Einsatz für ein menschenwürdiges Leben für alle Menschen.

Frater Karl schreibt: „An der Seite aller Menschen guten Willens an allen Orten der Erde und in allen Religionen dürfen wir immer wieder ein Fest der Auferstehung feiern, den Aufstand des Lebens über den Tod, über alle Erstarrung.“

In diesem Sinne:

Gesegnete und frohe Ostern

Alois

 

 

Ostern 2012

Aber ist wirklich Ostern?

 Es ist Ostern: Das Leben hat den Tod besiegt! Die Gnade ist stärker als die Sünde. Die Liebe und der Frieden triumphieren über Hass und Krieg, machen der Gewalt und den Ungerechtigkeiten ein Ende.

 Aber ist wirklich Ostern? Ist wirklich das Morgenrot jenes Tages angebrochen, der den Sieg bringt, die Befreiung aus dem Sklavenhaus? Ist das Ostern, das wir feiern, nicht nur eine Utopie, die wir hegen, ein Traum, den wir träumen? Ist die Welt nicht nach wie vor voller Kreuze? Stehen sie nicht an jeder Ecke, an allen Straßen, am Ufer eines jeden Stromes, Sees oder Flüsschen unseres Brasiliens? Sind an ihnen nicht Millionen von Männer und Frauen angenagelt, die als „überflüssig“ und „wegwerfbar“ angesehen werden, weil sie nicht ins System passen, das nur auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist? Sind nicht nach wie vor die indigenen Völker ans Kreuz genagelt – Opfer von Mord und Gewalt, von Vertreibung und Betrug, des Landes ihrer Ahnen beraubt, zu Parias der Gesellschaft herabgewürdigt, mit Fußtritten vertrieben wie Tiere, wie Vagabunden am Straßenrand behandelt oder in wahren Menschenpferchen zusammengedrängt, ohne die minimalsten Voraussetzungen für das physische und kulturelle Überleben? (…) Was für ein Ostern feiern wir, wenn wir unseren Planeten immer mehr von der Zerstörung bedroht sehen, verursacht von der gegenwärtigen Generation mit katastrophalen Folgen für das Leben ihrer Kinder und Enkel?

 Schwestern und Brüder! Ostern ist noch nicht das Fest unserer Ankunft im endgültigen Reich der Herrlichkeit. Ostern ist die Feier des „Durchzugs“, und ein Durchgang ist kein Zeitpunkt, sondern ist ein Weg. Wir sind unterwegs und denken daran, dass Jesus uns vorangeht. Er ist der Weg. Deshalb verlieren wir nie die Hoffnung auf eine andere Welt, eine gerechte und geschwisterliche Welt, auf die Welt des Guten Lebens. Als Gott Jesus auferweckte, sagte er sein unwiderrufliches Ja zum Leben. Ostern feiern bedeutet bereit sein, „Werke Gottes zu vollbringen“ (Joh 6,28). Und „das Werk Gottes ist, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat.“ (Joh 6,29) An den glauben, den der Vater gesandt hat, ist Verpflichtung auf das Leben, ist Verkündigung des Lebens, wo andere Tod säen. Glauben heißt die Gerechtigkeit und die Liebe Gottes verteidigen, wo die Gewalt und der Hass die Menschenwürde und die Menschenrechte verletzen. Glauben heißt dankbar das Heim bewundern, das Gott für uns alle geschaffen hat, für es sorgen und es liebevoll bewahren für die Generationen, die nach uns kommen.

 Bischof Dom Erwin Kräutler

Predigt bei der 49. Versammlung der Brasilianischen Bischofskonferenz, Aparecida, 9. Mai 2011
In: Erwin Kräutler, Kämpfen, glauben, hoffen. Mein Leben als Bischof am Amazonas,
 Münsterschwarzach 2011 (Vier-Türme-Verlag), Seite 205 – 209.

 Der Glauben an ein Leben nach dem Tod verpflichtet uns als Christinnen und Christen zum Einsatz für ein menschenwürdiges Leben für alle Menschen. Schon in den 1930er Jahren schrieb Dietrich Bonhoeffer: „Das Christentum steht und fällt mit seinem revolutionären Protest gegen Gewalt, Willkür und Machtstolz und mit seiner Verteidigung der Schwachen.“ Dabei sind wir solidarisch mit allen Menschen guten Willens.

 In diesem Sinne:

Gesegnete und frohe Ostern

Alois Reisenbichler

 

 

Osterbrief 2011

 

Ermutigung zum Widerstand

Christus liegt im Todeskampf
bis zum Ende der Zeiten. (Pascal)
- in den zum Tod Verurteilten in den USA und in China
- in den Flüchtlingen auf den Weltmeeren
- in den Atom-Verstrahlten in Japan
- in den durch Hunger ermordeten Kindern in Afrika

 

Kaplan Franz Sieder
Plakat, Bahnhof Amstetten, April 2011

 Durch die ganze Welt hallen die Schreie der Opfer von Machtmissbrauch, allzu oft werden sie nicht gehört. Aber wenn sie gehört werden, entsteht für manche die Ermutigung zum aktiven, gewaltfreien Widerstand.   Die wenigen, die so widerstehen, gegen das Unrecht antreten und die Mächtigen konfrontieren wie Jesus, sie sind leuchtende Vorbilder, die die Hoffnung aufrechterhalten: Gerechtigkeit wird siegen.

 

Margot Käßmann
Gesät ist die Hoffnung, 14 Begegnungen auf dem Weg nach Ostern, 
Freiburg – Kassel – Wien, Seite 51

 

 „Mir geht der Atem aus“ – mir geht es da so wie vielen von uns. Am Beginn der Fastenzeit habe ich einigen FreundInnen ein Mail geschickt: Ich könnte schreien und schreien: der Wahnsinn in Japan und unsere eigene Ohnmacht“, die Befürchtung, dass alles so weitergehen wird wie bisher. 

„Passion spüren und erleben die Menschen allerorten“, schreibt Margot Käßmann in ihrem neuen Buch über Ostern. „Und doch haben viele erfahren, wie ihnen gerade in Situationen, in denen sie fast an Gott verzagen, Kraft und Mut zuwächst. Weil Hoffnung gesät ist …“ 

Als Christinnen und Christen sind wir überzeugt  – wie Veronika Prüller-Jagenteufel die Osternacht in „Den Weg zur Auferstehung weitergehen“ (Münsterschwarzach 2010, Seite 100) beschreibt: „Der Glanz dieser Nacht taucht alles in neues Licht: (…) Menschen reichen einander die Hände und schauen einander in die Augen. Was immer sie klein macht, einengt, unterdrückt, vom Leben wegführt, es muss sich dem Lebendigen beugen.“ (Dieser Text aus dem Vorjahr ist heuer und für alle Zukunft aktuell.) 

Diese Hoffnung, die Power, die eigenen Probleme zu lösen, sowie die Kraft zum Engagement für eine gerechtere und friedlichere Welt wünsche ich uns allen zu Ostern:

 

Frohe und gesegnete Ostern

 

Alois Reisenbichler

 

Osterbrief 2010

 

Ein Sohn des Lebens

 

Ich glaube an Jesus Christus,

Sohn des Lebens, Bruder der Menschen,

Erstgeborener aller Schöpfung,

der uns an unsere Geschwister erinnert,

die Bäume und die Vögel des Himmels,

Schwester Wasser und Bruder Feuer.

Er verbindet uns mit allem, was lebt

auf unserem kleinen Planeten Erde.

 

Ich glaube an Jesus,

den Sohn des Lebens,

das uns geschenkt wird,

damit wir es weiter verschenken.

Er hat die Kranken geheilt und die Traurigen,

er hat die Hungrigen gespeist und die Verzweifelten,

ein Mitarbeiter der Schöpfung,

Die weitergeht an jedem Tag

in unserer Arbeit,

wenn wir unsere Heimat vor der Plünderung schützen,

unseren kleinen Planeten Erde.

 

Ich glaube an Jesus,

Sohn des Lebens und einer armen Muter,

politischer Gefangener unter Pontius Pilatus,

zu Tode gefoltert auch heute in den Polizeikellern,

Lagern und Kriegen,

die wir noch immer dulden

auf unserem kleinen Planeten Erde.

 

Ich glaube an Jesus,

den Erstgeborenen aus dem Tode.

Sie konnten ihn nicht fertigmachen,

er ist von den Toten auferstanden,

er verbindet uns mit den Toten vor uns,

um die wir trauern,

und den Toten neben uns,

die wir nicht gerettet haben.

Sie sind alle unsere Schwestern und Brüder

auf dem kleinen Planeten Erde.

 

Ich glaube an Jesus Christus,

Kind des Lebens,

eine Schwester für alle Menschen,

die Wahrheit, die uns frei machen wird,

von dem Zwang, auszubeuten

und aus dem Tode Profit zu schlagen.

 

In Christus spüren wir den Geist des Lebens

in einer todessüchtigen Welt.

Wir stehen auf, mit ihm zu kämpfen,

zu leiden und unser Leben zu geben,

bis Gott sei alles in allem

auf unserem kleinen Planeten Erde.

Amen

 

 

Dorothee Sölle

Aus: Dorothee Sölle, Mut – Kämpfe und liebe das Leben, Freiburg im Breisgau 2008, Seite 151 / 152

 

 

„Marie-Angie verkauft Schlammkuchen. Mit ein wenig Salz und Gemüseabfällen als Fettlieferanten vermischt, bildet der Schlamm eine glatte Masse. An der Sonne getrocknet, wird sie hart. Marie-Ange schneidet sie zum Verkauf in Scheiben. Der Schlamm wird wegen seines Kalziumgehaltes geschätzt. Er liegt wie ein Stein im Magen und lindert den Hunger (…) Für Hunderttausende von Familien ist der Schlammkuchen die Hauptmahlzeit des Tages.“ So beschreibt Jean Ziegler in „Der Hass auf den Westen – Wie sich die armen Völker gegen den wirtschaftlichen Weltkrieg wehren“ (München 2009, S. 254) den Alltag in Haiti (VOR dem Erdbeben). Alltag – nein, eigentlich alle Tage Karfreitag.

 

Als Christinnen und Christen sind wir überzeugt  – wie Veronika Prüller-Jagenteufel die Osternacht in „Den Weg zur Auferstehung weitergehen“ (Münsterschwarzach 2010, Seite 100) beschreibt: „Der Glanz dieser Nacht taucht alles in neues Licht: (…) Menschen reichen einander die Hände und schauen einander in die Augen. Was immer sie klein macht, einengt, unterdrückt, vom Leben wegführt, es muss sich dem Lebendigen beugen.“

 

Frohe und gesegnete Ostern

 

Alois Reisenbichler

 

 

 

Osterbrief 2009

 

Der Preis der Gerechtigkeit

 

Die Nachfolge Jesu fängt mit der Erkenntnis an, dass die Menschen dieser Welt Schwestern und Brüder sind, keine „unglücklichen Artgenossen“ oder – wenn man dem euphemistischen und eigentlichen makabren Sprachgebrauch folgt – „Entwicklungsmenschen“ in den „Entwicklungsländern“.

 

Wir haben zu wählen zwischen Erbarmen und Gleichgültigkeit, zwischen Gerechtigkeit und Unterdrückung. Grundlegende Aufgabe jedes Menschen ist nach Jesus die Humanisierung der Wirklichkeit, ausgehend von Wahrheit und Erbarmen mit dem Leiden der Opfer. (…)

 

Wir haben zu wählen, ob wir das Kreuz der Opfer tragen oder ob wir uns von ihnen distanzieren. Nach Jesus gilt: Wer sich von der Wirklichkeit distanziert, beginnt, das Menschliche und das Göttliche zu negieren. Angesichts der Veränderungen müssen wir entschieden voranschreiten, angesichts der Kreuze mit Festigkeit und mit der Bereitschaft, sie auf uns zu nehmen – und das in einer Welt, in der Pilatus, der zum Tod verurteilt, viel gegenwärtiger ist als Simon von Kyrene, der das Kreuz zu tragen und zu vermeiden hilft. Jesus fordert die Bereitschaft, das Kreuz der Armen und Unterdrückten auf sich zu nehmen. Es ist die Folge der Ungerechtigkeit und wird auch über den / die kommen, der / die dagegen kämpft.

 

Diesen Vorschlag wird man als absurd und masochistisch zurückweisen, obwohl andere Kreuze ohne mit der Wimper zu zucken angenommen oder sogar glorifiziert werden: die „notwendigen Opfer“, um sich des Erdöls, des Coltans und der strategischen Gebiete zu bemächtigen.

 

Jon Sobrino

Aus: Der Preis der Gerechtigkeit, Echter-Verlag, Würzburg 2007, Seiten 99 / 100

 

 

Am 16. November 1989 wurden in El Salvador sechs Jesuiten und zwei Frauen von einem Spezialkommando der Armee ermordet. Der Theologe Jon Sobrino, der im Ausland war und so dem Überfall entging, schreibt am Gedenktag jedes Jahr einem dieser Ermordeten, seinem Freund Ignacio Ellacuria SJ, dem Rektor der Universidad Centroamericana, einen Brief. Diese wurden im Buch „Der Preis der Gerechtigkeit“ veröffentlicht.

 

Heuer haben viele Menschen im reichen Norden Angst um ihre wirtschaftliche Existenz. Nicht wenige Kolleginnen und Kollegen leben schon jetzt am Rande der Gesellschaft. Im Süden hungert eine Milliarde Menschen. Die Lasten der Wirtschafts- und Finanzkrise werden nun den Armen aufgeladen.

 

„Wir Christinnen und Christen verbinden unseren Glauben an Gott, die die Liebe ist, und an die Auferstehung mit unserem solidarischen Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“, steht auf dem Patezettel meines Vaters (2003). „Nur auf utopische und hoffnungsvolle Weise kann man glauben und den Mut haben für den Versuch, zusammen mit den Armen und Unterdrückten der Welt die Geschichte umzukehren, sie umzustürzen und in eine andere Richtung zu stoßen. (…) Es ist eben so, dass die Hoffnung letztlich nicht von Berechnungen lebt, sondern von der Kraft der Liebe“, schreibt Sobrino (Seite 71).

 

Frohe und gesegnete Ostern

 

 

Osterbrief 2008

von gottes frieden will ich singen

 

Wie lange gehen wir auf den strassen

die uns der tod zurechtgemacht

wie lange atmen wir die gase

die unsre herrn uns zugedacht

wie lange geben wir nur waffen

wenn uns ein kind nach brot gefragt

wie lange beten wir gewalt an

wenn sie von oben angesagt

von gottes frieden will ich singen

der neuen stadt jerusalem

in deinen strassen werd ich sehen

die armen lachend gehen

 

Wie lange marschiern wir auf den strassen

die uns der tod zurechtgebaut

wie lange müssen wir noch hassen

wenn sich ein volk die freiheit traut

wie lange führen wir die kriege

gegen bauern / bäuerinnen ohne land

wie lange plündern wir die erde

wie lang vergiften wir den wald

von gottes frieden will ich singen

der neuen stadt jerusalem

in deinen toren werd ich freund / freundin sein

den bäumen neben mir

 

Wie lang gehorchen wir den mächtigen

und legen tod auf tod bereit

wie lang betrügen wir die ärmsten

um ihre kurze lebenszeit

wie lange stehlen wir das korn weg

wie lange saugen wir das blut

wie lange hassen wir uns selber

und wissen nicht wie liebe tut

von gottes frieden will ich singen

der neuen stadt jerusalem

von deinen brunnen will ich trinken

o gott gerechtigkeit

 

Dorothee Sölle

aus: zivil und ungehorsam, gedichte, Berlin, Fietkau 1990,
Originaltitel: ein lied gegen den terror S. 99

 

Wir Christinnen und Christen verbinden unseren Glauben an ein Leben nach dem Tod mit unserem Engagement für ein „Leben in Fülle“ (Joh 10,10) für alle Menschen heute, hier und überall auf der Welt. In diesem Sinne:

 

Frohe und gesegnete Ostern

 

 

 

 

Osterbrief 2007

 

Wir dürfen uns nicht von der Ohnmacht überwältigen lassen.

 

Zu denken, ich als einzelne kann sowieso nichts ändern, heißt, sich selber abschneiden von der Liebe Gottes.

 

Es ist ja nicht wahr, dass du allein bist.

Wir haben alle und an jedem Ort

viel mehr Schwestern und Brüder, als wir glauben.
Der Glaube an das Evangelium beginnt mit ihrer Entdeckung: Geschwister zu entdecken, die neuen Namen des Reiches Gottes durchzubuchstabieren und frei werden vom Zwang einer brutalen, Mensch und Tier vernichtenden Zeit.

 

Wir legen diese Zeit aus Eisen und Blut,

aus Kälte und Gleichgültigkeit in Gottes gute Hände,
Hände, die arbeiten an der Befreiung, ‚
Hände, die heilen, Hände, die teilen.

 

Die Zeit ist von Gott gefüllt,

und die Welt, in der niemand hungern muss,

liegt vor unseren Augen.

Kehrt um und vertraut der Botschaft,

die die Verlorenen rettet.

 

Dorothee Sölle

Den Rhythmus des Lebens spüren, Freiburg, Basel, Wien 2001, S. 107
Text bei der Sölle-Lesung am 19. April 2005 in der Betriebsseelsorge St. Pölten

 

„Jesus kam, um für die Armen zu sterben. Er kam, um den Armen zu helfen, sich zu befreien“, sagt Ernesto Cardenal beim Gespräch über die Kreuzigung im Buch „Das Evangelium der Bauern von Solentiname“ (Band 2, Wuppertal 1978, S. 406).

 

Österliche Menschen glauben an ein Leben nach dem Tod und sie engagieren sich für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, für ein menschenwürdiges Leben für möglichst alle Menschen vor dem Tod. Das ist unsere Herausforderung – zum Beispiel auftreten gegen einen drohenden Krieg gegen die Menschen im Iran, solidarisch mit den Ärmsten bei uns wie den Bettlerinnen und Bettlern sein.

 

Frohe und gesegnete Ostern

 

 

 

Osterbrief 2006

 

Die Realität wahrnehmen heißt,
die weitergehende Kreuzigung Jesu in unserer Welt sehen
.
Heute hören wir die Geschichte, die täglich vor sich geht.
Die Aufrüstung und der Hunger sind die beiden Arme des Kreuzes,
an dem die Armen hängen.

 

Wo kommen wir da vor? Wie spielen wir da mit?
Als ZuschauerInnen unter der johlenden, spottenden Menge?
Als die FreundInnen Jesu, die eingeschlafen sind?
Als Petrus, der alles ableugnet?
Als Judas, der bezahlt wird? (…)

Wo stehen wir denn? (…)

 

Die Passion Christi gibt wie jede ernsthafte Geschichte
eine Antwort auf die Frage, wer Gott ist. (…)

Jesus ist nicht reich, nicht aus gutem Hause,

nicht griechisch gebildet, nicht weise.

Er ist arm, er ist schmutzig,
er umgibt sich mit Frauen,

mit Krüppeln, Lahmen und Aussätzigen.

Er partizipiert nicht an der Macht, er leidet unter der Macht.

Er bleibt unwiderruflich auf der Seite der Armen.
Seine Liebe bleibt unwiderruflich gewaltfrei!

Die Mittel der Reichen – Geld und Gewalt,
Aktien und Militär – sind nicht seine Mittel.

Sein Gott ist nicht von „dieser“ Welt,

in der Geld und Gewalt alles sind.

 

Dorothee Sölle

Aus: Wer hat dich so geschlagen? Ein Passionsgottesdienst

Aus dem Buch : Dorothee Sölle, Das Fenster der Verwundbarkeit – Theologisch-politische Texte,
 Seite 338 – 344, Kreuz Verlag, Stuttgart 1987

 

 

Jean Ziegler schreibt in seinem neuen Buch „Das Imperium der Schande“: „Ungefähr 62 Millionen Menschen sterben pro Jahr auf der Erde an allen möglichen Todesursachen, das heißt 1 % der Menschheit. Im Jahr 2000 sind 36 Millionen Menschen an Hunger gestorben oder an Krankheiten, die durch einen Mangel an Mikronutrimenten (Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente) verursacht sind. Der Hunger ist folglich die hauptsächlichste Todesursache auf unserem Planeten. Und dieser Hunger ist von Menschenhand gemacht. Wer an Hunger stirbt, stirbt als Opfer eines Mordes.“ (Seite 101) Ein Beispiel für den Karfreitag, der für Millionen Menschen Alltag ist;  ein Beispiel, wie richtig, wichtig und aktuell der Text von Dorothee Sölle aus den 80er Jahren ist (den gesamten Text findet man / frau unter www.reisenbichler.at.tf) Dorothee Sölle hat trotz alledem Hoffnung: „Gott trennt sich nicht von der Liebe, auch wenn diese unterliegt. Gott trennt sich nicht von denen, die am Frieden bauen, auch wenn sie heute der versammelten Gewalt von Giftgas und Waffen gegenüber so ohnmächtig erscheinen, so ohnmächtig wie der Galiläer im imperium romanum.“

 

 

Frohe und gesegnete Ostern!

 

Dorothee Sölle
Wer hat dich so geschlagen?
Ein Passionsgottesdienst
Aus: Dorothee Sölle, Das Fenster der Verwundbarkeit – Theologisch-politische Texte,
 Seite 338 – 344, Kreuz Verlag, Stuttgart 1987

Wer hat dich so geschlagen,
mein Heil, und dich mit Plagen
so übel zugericht’?
Du bist ja nicht ein Sünder
Wie wir und unsre Kinder,
von Übeltaten weißt du nicht.

Da führten sie Jesum vom Kaiphas vor das Richthaus, und es war frühe. Und sie gingen nicht in das Richthaus, auf dass sie nicht unrein würden, sondern Ostern essen möchten. Da ging Pilatus zu ihnen hinaus und sprach:
„Was bringt ihr für Klage wider diesen Menschen?“
Sie antworteten und sprachen zu ihm:
“Wäre dieser nicht ein Übeltäter, wir hätten dir ihn nicht überantwortet.“
Da sprach Pilatus zu ihnen:
„So nehmt ihr ihn hin und richtet ihn nach eurem Gesetz!“

Es war Kaiphas, der geraten hatte: „Es wäre gut, dass ein Mensch würde umgebracht für das Volk.“
Es wäre gut, dass ein Mensch würde umgebracht für das Volk.
Es wäre gut, die Störenfriede, die Spinner und Spanner, die Spritzer und Sprayer einzusperren für das Volk.
Es wäre gut, die Gastarbeiter abzuschieben für das Volk.
Es wäre gut, die Aufrüstung durch die atemberaubende Schönheit der Probeflüge populär zu machen für das Volk.
Es wäre gut, die jetzt geborenen Babys in den Hungerländern nicht am Leben zu erhalten; sie vermehren sich ja doch nur wieder.
Es wäre gut, einen Feind auszudenken für das Volk, damit sie endlich wissen, wofür sie arbeiten und Steuern zahlen und erfinden und eine Zukunft planen.
Es wäre gut, ein anderes Volk, ein schwarzes in Südafrika oder ein kommunistisches in Zentralamerika, zu neutralisieren.

Da sprach Pilatus zu ihm:
„So du bist dennoch ein König?“
Jesus antwortete:
„Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit zeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.“
Spricht Pilatus zu ihm:
„Was ist Wahrheit?“
Und da er das gesagt, ging er wieder hinaus zu den Juden und spricht zu ihnen:
„Ich finde keine Schuld an ihm. Ihr habt aber die Gewohnheit, dass ich euch einen losgebe; wollt ihr nun, dass ich euch der Juden König losgebe?“
Da schrien sie wieder allesamt und sprachen:
“Nicht diesen, sondern Barrabas!“
Barrabas aber war ein Mörder. Da nahm Pilatus Jesus und geißelte ihn.

Wer hat dich so geschlagen?

Mit dem Schürhacken des Mannes, der sich eine Frau zum Prügeln hält? Mit der Umschuldung der verarmten Länder, denen die Banken verbieten, Brot und Bohnenpreise zu subventionieren?

Wer hat dich … mit Plagen so übel zugerichtet?

Das philippinische Mädchen, zugerichtet für den Tourismus, nach fünf Jahren verbraucht, verstört, geschlechtskrank, kann nicht in sein Dorf zurückkehren. Die Indianer Guatemalas werden mit Maschinengewehren und Brandbomben aus ihren Tälern vertrieben, damit die großen Gesellschaften dort endlich ihre Produktion aufbauen können.

Wer hat dich so geschlagen?

Manche sagen: Es ist der Weltkommunismus.
Manche sagen: Es ist die Überbevölkerung.
Manche sagen: Es ist die unkontrollierbare Technologie.
Manche sagen: Es kommt alles, wie es kommt, es spielt doch keine Rolle, wer dich so geschlagen hat.

Christen geben die Antwort:

Sie sagen wie Johann Sebastian Bach: ICH. Ich lebte mit der Welt in Lust und Freuden … und du musst leiden. Ich habe dich geschlagen, Jesus. Ich unterstützte das wirtschaftliche System, das Folter braucht, um zu funktionieren. Ich sorgte dafür, dass du frühzeitig ins Bordell kamst für die Touristen. Ich, ich und meine Sünden … die haben dir erregt das Elend, das dich schlägt.

Wer hat dich so geschlagen?

Die Realität wahrnehmen heißt, die weitergehende Kreuzigung Jesu in unserer Welt sehen. Heute hören wir die Geschichte, die täglich vor sich geht. Die Aufrüstung und der Hunger sind die beiden Arme des Kreuzes, an dem die Armen hängen.

Wo kommen wir da vor? Wie spielen wir da mit? Als Zuschauer unter der johlenden, spottenden Menge? Als die Freunde Jesu, die eingeschlafen sind? Als Petrus, der alles ableugnet? Als Judas, der bezahlt wird? Als die Soldaten, die das tun, was sie gelernt haben, foltern und töten? Als Vertreter der Justizbehörde, mit einer Ahnung für die Unschuld derer, die wir verurteilen, und einer größeren Angst vor der nächst höheren Behörde … bis hinaus nach Rom und zum Weißen Haus? Als die Religionsbeamten, die vor allem keinen Konflikt in der Gemeinde brauchen können?

Wo stehen wir denn?

Es gibt keinen Ort in der Welt, auf den der Schatten des Kreuzes nicht fiele. Auch an den schönsten Badestränden tauchen die Fragen auf, denen wir nicht entkommen. Wer hat dich so geschlagen?

Und dahinter die alte Frage Gottes an Kain, nachdem er seinen Bruder erschlagen hatte: Wo ist dein Bruder?

Und die andere Frage: Wo bist du, Adam?
Wer bist du?
Warst du dabei, als Christus gekreuzigt wurde?

Where you there when they crucified my Lord?
Wer hat dich so geschlagen?

Pilatus sprach zu ihnen:
„Nehmt ihr ihn hin und kreuzigt ihn; den ich finde keine Schuld an ihm!“
Die Juden antworteten ihm:
“Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz soll ersterben, denn er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht.“
Da Pilatus das Wort hörte, fürchtete er sich noch mehr und ging wieder in das Richthaus und sprach zu Jesus:
„Woher bist du?“
Aber Jesus gab ihm keine Antwort. Das sprach Pilatus zu ihm:
„Redest du nicht mit mir? Weißt du nicht, dass ich Macht habe, dich zu kreuzigen, und Macht habe, dich loszugeben?“
Jesus antwortete:
„Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht wäre von oben herab gegeben; darum, der mich dir überantwortet hat, der hat die größere Sünde.“
Von da an trachtete Pilatus, wie er ihn losließe.

Wer ist frei?

Ist es die freie Welt?

Christus vertritt eine größere Freiheit als die, die wir in den westlichen Demokratien haben. Unsere Ordnung braucht das Gefängnis und die Irrenanstalt, das Zuchthaus und die Kaserne, das stehende Heer und die permanente Bereitschaft, Krieg zu führen.

Christi Freiheit ist anders; er ist frei, obwohl zusammengeschlagen, er ist frei, obwohl er nichts zu seiner Verteidigung sagt, er ist auch frei im Gefängnis.

Wer ist frei?

Ist denn Pilatus, dieser Lakai der römischen Weltherrschaft, frei? Sind wir frei, solange wir uns mit der Zuschauerrolle abfinden? Die freiesten Menschen sind heute die, die ins Gefängnis gehen, weil sie die Sklaverei der Atomrüstung nicht mehr ertragen. An Weihnachten haben Frauen in Mutlangen bei den Massenverbrennungsanlagen Blockflöte, Bachs Instrument, gespielt. Weil sie die Anbetung der Macht und des Militarismus störten, darum kommen sie ins Gefängnis. Sie haben viele Brüder und Schwestern in der ganzen Welt: in Greenham Common, England und in der DDR, in den USA, wo die Pflugschargruppen aktiv und gewaltfrei die Vorbereitung des Massenmordes stören. In einem Unrechtsstaat, sagte Henry David Thoreau, ein großer Amerikaner des 19. Jahrhunderts, in einem Unrechtsstaat ist der einzige Ort eines freien Mannes das Gefängnis. Das Gefängnis ist der Ort Gottes in der Welt. Wir denken miteinander an die, die um der Gerechtigkeit und des Friedens willen, verfolgt werden. Wir schweigen für sie.

Die Juden aber schrien und sprachen:
„Lässt du diesen los, so bist du des Kaisers Freund nicht; denn wer sich zum König macht, der ist wider den Kaiser.“
Da Pilatus das Wort hörte, führte er Jesus heraus und setzte sich auf den Richtstuhl. Es war aber der Rüsttag für Ostern, um die sechste Stunde, und er spricht zu den Juden:
„Seht, das ist euer König!“
Sie schrien aber:
„Weg, weg mit dem, kreuzige ihn!“
Spricht Pilatus zu ihnen:
„Soll ich euren König kreuzigen?“
Die Hohenpriester antworteten:
„Wir haben keinen König denn den Kaiser.“
Da überantwortete er ihn, dass er gekreuzigt würde?

Was ist Wahrheit?

Pilatus ist ein ungebundener kritischer Intellektueller aus Rom. Er ist traurig, weil er viel weiß, auch, dass es keine Antwort auf seine Frage gibt. Was ist Wahrheit? Er ist gebildet, sensibel, störbar und beinah handlungsunfähig. Die Handlung wird von den anderen vorangetrieben. Er bremst, er zögert, er vermeidet – und dann funktioniert er doch und geißelt Jesus, ehe er ihn verurteilt. Weil er nicht weiß, was Wahrheit sein könnte, darum ersetzt er schließlich die Wahrheitsfrage durch die Unterwerfung unter die Macht. In der Ersten, der reichen, der triumphierenden Welt haben wir im Allgemeinen nur ein skeptisches Verhältnis zur Wahrheit und kein existentielles – genau wie Pilatus. Wir haben auf Wahrheit in unserem Leben verzichtet und unterwerfen uns dann der problemlosen Faktizität, die über uns herrscht, der Macht. Darum glauben so viele Jugendliche bei uns, ersticken zu müssen.

Pilatus ist ein liberaler Kolonialbeamter, er möchte das Leben der Unterworfenen nicht unnötig erschweren, er mag die Folter nicht, sie ist ekelhaft, er hofft, bald zurückversetzt zu werden, nach Griechenland oder nach Rom. Was soll er mit dem kleinen, abgemagerten, bleichen Galiläer anfangen? Am liebsten ließe er ihn laufen.

Jesus hat ein anderes Verständnis von Wahrheit als Pilatus. Wahrheit ist nichts, was man „wissen“ kann, man kann sie aber tun. Es kommt nicht darauf an, sie als seinen geistigen Besitz zu erkennen, sondern aus ihr zu sein.

Der jüdische Rabbi Nachman aus Bratzlav sagt: „Der Sieg kann die Wahrheit nicht ertragen, und selbst wenn das, was wahr ist, klar vor seinen Augen liegt, du wirst es zurückweisen, weil du ein Sieger bist.
Wer immer die Wahrheit selbst haben will, muss den Geist des Sieges austreiben; nur dann kann er sich rüsten, die Wahrheit zu bewahren.

In der Ersten Welt sind wir Sieger und sieggewohnt: technologisch, ökonomisch und militärisch. Etwas anderes als überlegene Technologie, Ökonomie und Militärwesen haben wir nicht anzubieten. Darum ist unser Verhältnis zur Wahrheit gestört: Wir müssen sie mit überlegenem und traurigem Lächeln in Frage stellen. Weil wir weltgeschichtlich die Sieger sind, das schlechthin überlegene System haben, darum kommen wir über die Frage des Pilatus „Was ist schon Wahrheit?“ nicht hinaus. Wir ahnen, dass etwas falsch ist, aber dann geben wir die Suche nach Wahrheit auf und richten uns ein im Machbaren. Unser Reich ist in der Tat von dieser Welt: Aktien, Banken, große Aufträge für die große Industrie und unser kleiner Anteil an diesem System von Profit und Tod.

Zwischen Wahrheit und Macht haben wir die Partizipation an der Macht gewählt, auch wenn diese Macht heute die Macht der Vernichtung allen Lebens auf Erden ist. „Wer immer die Wahrheit selbst haben will, muss den Geist des Sieges austreiben: nur dann kann er sich rüsten, die Wahrheit zu bewahren.“

Christus beweist nichts. Er schweigt stattdessen. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme. Der Sieger, der Erfolgreiche, der Machthaber kann die Wahrheit nicht ertragen, darum müssen wir uns, wenn wir aus der Wahrheit Christi leben wollen, auf die Seite der Armen stellen in allem, was wir tun.

Allda kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber mitten inne. Pilatus schrieb eine Überschrift und setzte sie auf das Kreuz, und war geschrieben: „Jesus von Nazareth, der Juden König!“ Diese Überschrift lasen viele Juden, denn die Stätte war nahe bei der Stadt, da Jesus gekreuzigt ist. Und es war geschrieben in hebräischer, griechischer und lateinischer Sprache.

Wer ist Gott?

Die Passion Christi gibt wie jede ernsthafte Geschichte eine Antwort auf die Frage, wer Gott ist. Gott hat viele Gesichter und viele Namen. Der tanzende Shiva und der lächelnde Buddha, das Yin und das Yang zusammengehörend und der Dollar, auf dem steht: In God we trust.

Christus ist ein Name Gottes, der sich von all diesen Namen unterscheidet. Jesus ist nicht reich, nicht aus gutem Hause, nicht griechisch gebildet, nicht weise.

Er ist arm, er ist schmutzig, er umgibt sich mit Frauen, mit Krüppeln, Lahmen und Aussätzigen. Er partizipiert nicht an der Macht, er leidet unter der Macht. Er bleibt unwiderruflich auf der Seite der Armen. Seine Liebe bleibt unwiderruflich gewaltfrei! Die Mittel der Reichen – Geld und Gewalt, Aktien und Militär – sind nicht seine Mittel. Sein Gott ist nicht von „dieser“ Welt, in der Geld und Gewalt alles sind. Mit „alles“ meine ich, sie stellen sich dar als unumgängliche Notwendigkeiten, um andere Ziele zu erreichen. Mit Geld glauben wir, Glück kaufen zu können, mit Gewalt glauben wir, Frieden kaufen zu können, auch in der Familie, auch in der Gemeinde. Aber diese Mittel, die wir vorläufig benutzen um höherer und besserer Ziele willen, verwandeln sich in unsere Herren, so dass wir die schönen Ziele nie erreichen. Diese Art von Glück wird uns nie bedürfnislos, selbstvergessen und frei machen wie die Kinder. Diese Art Frieden wird nie gewaltfrei und unblutig werden. Christus lebt aus der Wahrheit Gottes, in der unsere Unterscheidung von Weg und Ziel aufgehoben ist. Der Weg ist das Ziel: Gott steht nicht am Ende der Passion als Erlösung, sondern Gott ist der ganze Weg der Liebe in jedem Augenblick. Gott ist in jedem Augenblick der Passion da und steht hinter Jesus: wenn Freunde ihm wegschlafen, wenn sie ihn verleugnen, verraten oder vergessen; wenn die Feinde ihn verlachen, verhöhnen, foltern, verurteilen und töten – Gott trennt sich nicht von der Liebe, auch wenn diese unterliegt. Gott trennt sich nicht von denen, die am Frieden bauen, auch wenn sie heute der versammelten Gewalt von Giftgas und Waffen gegenüber so ohnmächtig erscheinen, so ohnmächtig wie der Galiläer im imperium romanum.

Es ist vollbracht, sagt der gewaltfreie Jesus unter der Folter. Gott ist jetzt ganz sichtbar geworden. Gott, das Geheimnis des Lebens, erscheint im Leiden, erscheint im Tod. Gott wird heutzutage gefoltert – ein weißes Licht, das über unsere Begriffe geht, weil es über unsere Liebe geht.

Gott fragt uns in Christi Tod: Wie weit wirst du dich auf mich einlassen? Wie weit wirst du mit mir gehen in die Liebe hinein, die Schmerz ist? Wie weit gehst du mit mir in die Freiheit, die in den Augen dieser  Welt Gefängnis heißt? Wie weit wirst du aus Wahrheit sein, die in den Augen der Welt unerkennbar und nicht lebbar ist?

Christus ist wie Feuer. Von ferne betrachtet, leuchtet es, kommt man näher, so wärmt es und tröstet, so wird man selbst das Feuer.

(Anmerkung: Der Text von Dorothee Sölle wird hier wortgetreu dargestellt. Es gibt keine Aktualisierungen und auch nicht die geschlechtsneutrale Schreibweise, die Dorothee Sölle in späteren Schriften verwendet hat.
Die erste Fassung dieses Textes war ein Passionsgottesdienst "Es ist vollbracht ..." im Münster Allerheiligen in Schaffhausen/Deutschland, erschienen in "Junge Kirche" 3/1985)

 

 

ACUS-Presseaussendung, 13. April 2006

 

Neoliberaler Kapitalismus:
Karfreitag ist für Millionen Menschen Alltag

 

62 Millionen Todesfälle pro Jahr - davon sterben 36 Millionen Menschen an Hunger oder an Krankheiten, die durch Unterernährung und den Mangel an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen verursacht sind. 841 Millionen Menschen sind aufgrund chronischer und schwerer Unterernährung invalid geworden.

"Diese Zahlen aus Jean Zieglers neuem Buch 'Das Imperium der Schande' zeigen deutlich, dass der Karfreitag für Millionen Menschen Alltag ist", sagt der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialdemokratie (ACUS) Richard Schadauer.

 

"Dieser Hunger ist kein Schicksal, sondern Folge der Verschuldung und  der ungerechten Verteilung zwischen Armen und Reichen auf Grund der Politik der
Weltwirtschaftsorganisation WTO, der Weltbank, des Währungsfonds sowie der multinationalen Konzerne und ihrer Handlanger(innen) in Politik und Medien", betont der ACUS-Bundesvorsitzende Richard Schadauer.

 

"Auch wenn Österreich international kein Machtfaktor ist, wird diese Politik von der österreichischen Bundesregierung ebenso unterstützt", stellt ACUS-Bundesvorsitzender Richard Schadauer fest.

 

"Wenn die Reden über Humanität nicht ein leeres Geschwätz sein sollen, dann müssen Politikerinnen und Politikern im Norden radikal ihre Programme ändern - in Richtung aktiver Friedenspolitik und Abrüstung  genauso wie in einer Änderung der derzeitigen mörderischen, an Kapitalinteressen orientierten Politik in eine, die dem  Interesse der Mehrheit der Menschen auf dem Planeten dient", fordert der ACUS-Bundesvorsitzende Richard Schadauer.

 

"Die Mechanismen der Weltwirtschaft müssen der Bekämpfung des Hungers und der Armut untergeordnet werden: Entschuldung des Südens, Stopp des Privatisierungswahnes und Kürzungswettlaufes bei den Ausgaben für Soziales, Gesundheit und Bildung, Kürzung der Rüstungsausgaben zu Gunsten der Entwicklungszusammenarbeit sind nur einige Beispiele", schloss der ACUS-Bundesvorsitzende Richard Schadauer

 

 

Osterbrief 2005

 

Und ist noch nicht erschienen was wir sein werden
o gott die du uns besser kennst als wir uns selber kennen
wann müssen wir unser gesicht

nicht mehr verstecken
vor den verhungernden
wann werden wir sichtbar
wann wird die wahrheit durch uns hindurchleuchten
wann wird man an unsern handelsbeziehungen sehen
hier wohnen die neuen menschen die schwesterlichen
wann wird die sonne der gerechtigkeit über uns aufgehen
und die ausplünderungsnacht zu ende gehen
wann werden wir sichtbar gott
söhne und töchter in deinem reich

 

Dorothee Sölle

Ein gebet nach dem ersten johannesbrief 3 vers 2
(aus: zivil und ungehorsam, 1990, zitiert in Ursula Baltz-Otto (Hg.), Dorothee Sölle, Das Lesebuch, 2003)

 

 

Gerade in meiner neuen Tätigkeit wird mir noch stärker bewusst, wie wichtig soziale Gerechtigkeit ist, wie schnell Menschen ausgegrenzt werden und wie schwer es ist, auch bei uns im reichen Norden menschenwürdig zu leben. „Der einzig mögliche Beweis von Christi und unserer Auferstehung wäre eine veränderte Welt, die dem Reich Gottes etwas näher wäre“, schreibt Dorothee Sölle (Wählt das Leben, S. 123).

 

Frohe und gesegnete Ostern

Alois Reisenbichler

 

 

 

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