Im April 2004 erschien unter meinem Pseudonym "Helena Hallström" die Lovestory  "Erstens kommt es anders" in der Zeitschrift "Ratgeber Frau und Familie"

 

Erstens kommt es anders ...

Baron Friedrich von Lüttritz war der Inbegriff von Disziplin und Verlässlichkeit. Er verbrachte die meiste Zeit seines Lebens damit, die Angestellten seines Bauunternehmens auf Trab zu halten. Das weibliche Geschlecht spielte in Friedrichs Leben bislang eine eher untergeordnete Rolle.

Claudia Hengstenberg, die Chefsekretärin und Mädchen für alles, war eine der wenigen Frauen, die er akzeptierte. Sie erwartete Friedrich am Montagmorgen bereits mit der Unterschriftenmappe.

"Morgen, Herr Baron, nichts Besonderes", sagte sie zur Begrüßung, die knapp ausfiel wie gewohnt. Friedrich schien unnütze Plaudereien zu hassen. Tatsächlich war seine kühle Perfektion nur ein Panzer, der ihn unverwundbar machen sollte.

"Sehr schön, Claudia. Ich möchte im Übrigen nicht gestört werden. Wir haben heute Abend ein Konzert, auf das ich mich vorbereiten muss", wies er seine rechte Hand an.

Zweimal im Jahr lud die Familie von Lüttritz enge Freunde zu einem Musikabend und er war der Star der Truppe. Er spielte hervorragend Fagott, obwohl er im Laufe der Jahre immer eine größere Abneigung zu diesem Instrument entwickelt hatte und sich mehr zu den südamerikanischen Rhythmen hingezogen fühlte. An diesem Tag blieb Baron von Lüttritz ungestört. Er konnte in aller Ruhe die klassische Partitur studieren und er war schon gespannt, welche Langweiler seine Mutter wohl diesmal eingeladen hatte.

"Chef, 18 Uhr, Bonholzer wartet", hörte er Claudias Stimme durch die Sprechanlage.

Hubert Bonholzer, der zuverlässige Firmen-Chauffeur, verzog trotz des einsetzenden Regens keine Miene. Er wusste, was er seinem Job und dem Baron schuldig war. Bonholzer lenkte den Luxusschlitten souverän durch die Straßen der Vorstadt. Sie fuhren die Parkstraße entlang und erreichten schließlich den Friedrich-Jahn-Platz. Mittlerweile goss es wie aus Eimern und die Sicht wurde immer schlechter. Am Friedrich-Jahn-Platz wollte Bonholzer rechts in die Kastanienallee abbiegen, dabei übersah er den Radfahrer, der weiter geradeaus fuhr.

"Vorsicht!" schrie von Lüttritz noch, aber der Warnruf kam zu spät. Der Radfahrer konnte ebenfalls nicht mehr bremsen und flog in hohem Bogen über die Kühlerhaube des Bentleys, ehe er auf der gegenüberliegenden Seite wieder auf der Straße landete. Bonholzer bremste abrupt und die beiden Männer stürzten aus dem Wagen ins Freie, um nach dem Verletzten zu sehen. Als sie sich über den Fremden beugten, bemerkte Friedrich, dass es eine Frau war.

"Warten Sie, ich helfe Ihnen. Um Gottes willen, warten Sie."

"Schon gut, ich glaube mir ist nichts passiert", sagte das offenbar glimpflich davon gekommene Opfer. Die Unbekannte hob ihren Kopf und sah von Lüttritz in die Augen. Sie mochte vielleicht Anfang dreißig sein, hatte rotblonde Haare, ein schmales, zerbrechlich wirkendes Gesicht, das im Regen noch zarter wirkte.

"Wo wohnen Sie denn?" fragte Friedrich verwirrt, von dessen sonstiger Souveränität nichts mehr übrig geblieben war.

"Nicht weit von hier. In der Katharinengasse", antwortete sie. Friedrich half ihr ungelenk auf die Beine und die beiden setzten sich in die wohlige Wärme der Limousine, während Bonholzer das was von Tanjas Fahrrad noch übrig war, im Kofferraum verstaute.

"Ich heiße übrigens Tanja Suhrkamp", sagte die Frau, die sich langsam aus dem Poncho schälte.

"Verzeihung. Natürlich. Mein Name ist Friedrich, äh Friedrich von Lüttritz." Tanja hatte ihn tatsächlich völlig aus der Fassung gebracht.

"So, da wären wir, das ist mein Reich: Tanjas Tanzschule", klärte die sportliche Rotblonde den mit offenem Mund dasitzenden von Lüttritz auf, als Bonholzer vor dem weißgetünchten Haus mit der durchgehenden Glasfront im ersten Stock angehalten hatte.

"Ach ja, das ging aber schnell. Ich gebe Ihnen meine Karte, wegen der Schadensabwicklung. Und wenn ich sonst noch etwas für Sie tun kann, rufen Sie an. Jederzeit", Friedrich drückte Tanja geistesabwesend seine Visitenkarte in die Hand. Gleichzeitig starrte er auf die große weiße Tafel, die über dem ersten Stock des Hauses angebracht war und auf der weinrote Buchstaben in verspielter Schrift prangten: Tanjas Tanzschule. Er las es immer wieder und merkte nicht einmal wie sich Tanja von ihm verabschiedete. Die letzten dreißig Minuten hatten sein Leben verändert. Er wusste es nur noch nicht.

Tanja schlotterte am ganzen Körper. Der Dauerregen hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Daran ist nur dieser komische Baron schuld! dachte sie etwas verärgert. Aber irgendetwas gefiel ihr an diesem steifen von Lüttritz.

"Gut, dass du endlich kommst, Tanja. Ich habe schlechte Nachrichten." Ulrike, eine Freundin, die ihr beim Bürokram behilflich war, wartete schon auf sie.

"Heute kann mich nichts mehr erschüttern. Fahrrad kaputt, Klamotten im Eimer, Grippe im Anmarsch, was noch", fragte sie mit einem Anflug von Galgenhumor.

"Meyerbeer will dich rauswerfen, weil du schon drei Monate keine Miete mehr bezahlt hast."

"Entschuldige, Mama, ein Unfall. Wir mussten einen kleinen Umweg machen. Ich komme sofort", sagte er entschuldigend zu seiner Mutter, als er endlich in die herrschaftliche Villa kam. An das Hauskonzert hatte er bei dem Chaos nach dem Unglück überhaupt nicht mehr gedacht. An diesem Abend waren neben Konsul Dietrich Meyerbeer, einem einflussreichen Großgrundbesitzer, noch zwei Friedrich bekannte Bankmanager geladen. Das roch mal wieder nach einer verkappten Geschäftsbesprechung. Er wollte die Herren daher nicht mehr als nötig langweilen und beendete das Konzert bereits nach einer halben Stunde.

"Da warst du ja heute richtig gnädig mit mir, mein Junge", sagte der Konsul später im Kaminzimmer und klopfte Friedrich dabei jovial auf die Schulter, "aber du weißt ja, dass ich mir nichts aus diesem Klassikzeugs mache." Der alte Meyerbeer, der bereits mit seinem Vater Geschäfte gemacht hatte, war eine ehrliche Haut, deshalb kam er auch gleich ohne Umschweife zur Sache.

"Ach ja, da fällt mir ein, dass ich den Mietvertrag mit diesem Tanzstudio gekündigt habe. Ich werde jetzt wohl doch ein Objekt mit Eigentumswohnungen bauen. Was hältst du davon",fragte der Alte, ohne zu ahnen, in welches Wespennest er mit seiner Frage gestochen hatte. Friedrich hätte sich fast an seinem Cognac verschluckt.

"Meinst du das Studio in der Katharinengasse?" fragte er sicherheitshalber nach.

"Was, sag bloß, du kennst das?" Meyerbeer war ganz erstaunt.

"Reiner Zufall, mein Lieber, aber wegen der Eigentumswohnungen ... da hätte ich eine Idee", sagte Friedrich plötzlich und sah Meyerbeer dabei geheimnisvoll an.

Am nächsten Morgen stand Friedrich von Lüttritz, ganz gegen seine Gewohnheit, bereits um 6.55 Uhr am Treppenabsatz der Villa und wartete auf seinen Chauffeur. Zum ersten Mal in seinem Leben bestimmte nicht die Uhr seinen Tagesablauf und das gefiel ihm.

"Morgen, Hubert, ich habe einen Auftrag für Sie. Sie fahren heute mit Frau Hengstenberg in die Stadt und besorgen ein Fahrrad", sagte er mit einem Anflug von ungewohnter Heiterkeit. Auch Claudias Überfall mit der Unterschriftenmappe wehrte er in bisher nicht gekannter Lässigkeit ab: "Heute nicht, Claudia. Sie sind doch eine sportliche Frau. Können Sie mir ein Mountainbike besorgen. Geld spielt übrigens keine Rolle. Nehmen Sie Hubert mit, der kann Ihnen beim Tragen helfen."

Friedrich von Lüttritz war wie ausgewechselt. In Gestik und Sprache erinnerte er so gar nicht mehr an den arroganten und selbstverliebten Unternehmer. Die Sekretärin kam jedenfalls aus dem Staunen nicht mehr heraus. Und ihr hilfloser Versuch, Friedrich an seinen randvollen Terminkalender zu erinnern, prallte an ihm ab.

"Ganz ruhig, Claudia, Sie machen das schon. Ab heute wird sich überhaupt einiges ändern in diesem Haus", meinte er beinahe gelangweilt, dann stand er entschlossen auf und ging.

"Ich muss Blumen besorgen, meine Liebe", erklärte ihr Friedrich und steigerte damit die Ratlosigkeit bei der armen Frau Hengstenberg nur noch.

Eine Stunde später hatte er einen Strauß langstieliger roter Rosen in der Hand und mächtig gute Laune. Die wurde noch besser, als sein Chauffeur und die Chefsekretärin Vollzug meldeten in Sachen Mountainbike.

"Sehr schön, dann können wir ja fahren, Hubert. Und zwar in die Katharinengasse 5. Und passen Sie bitte auf das Rad auf, wenn Sie es im Kofferraum verstauen", meinte Friedrich aufgekratzt. Bonholzer wunderte sich allmählich über gar nichts mehr, aber dafür wurde er schließlich auch nicht bezahlt. Er machte hier nur seinen Job.

Im ersten Stock der Tanzschule stand Tanja am Fenster und blickte gedankenverloren über die Dächer der Stadt. Von ihrer Freundin Ulrike hatte sie sich schon verabschiedet, jetzt war sie ganz allein in dem riesigen Raum. Sie ging zur Theke, hinter der auch die Stereoanlage aufgebaut war, und legte eine Platte auf. Dann tänzelte sie in die Mitte des Saales, breitete ihre Arme aus, warf den Kopf kämpferisch in den Nacken und drehte sich mit geschlossenen Augen verträumt im Kreis. Dabei bemerkte sie nicht, wie sich die Pendeltür zum Studio öffnete und ein schlaksiger, gut aussehender Mann mit einem Mountainbike hereinkam. Friedrich schwang sich ungelenk auf den Sattel und fuhr auf Tanja zu. Bei Tageslicht und in trockenen Klamotten sah sie einfach umwerfend aus, wie er fand.

"Verzeihung, dass ich so unangemeldet hier hereinplatze", sagte Friedrich unvermittelt in die romantischen Mamboklänge hinein. Tanja erstarrte blitzartig, wusste nicht, ob sie schreien oder lachen sollte, als sie den Bauunternehmer mit seinen endlos langen Beinen auf dem viel zu kleinen Fahrrad

sitzen sah. Sie entschied sich dann doch für ein versöhnliches Lächeln.

"Ach, sieh mal einer an, der Herr Baron", erwiderte Tanja, eine Spur zu provokant. Dabei fand sie ihn ja ganz sympathisch, diesen von Lüttritz. Sogar sehr sympathisch.

"Ich kann es Ihnen nicht verdenken, wenn Sie wütend sind", begann Friedrich, "noch dazu, wo Ihnen Meyerbeer jetzt auch noch das Studio gekündigt hat. Deshalb bin ich übrigens auch gekommen, das mit dem Fahrrad war nur ein willkommener Anlass, die Eintrittskarte sozusagen", erzählte er umständlich.

Merkwürdigerweise hörte Tanja aber ganz interessiert zu und so weihte Friedrich sie in seinen Plan ein. Er informierte sie ausführlich über sein gestriges Gespräch mit Meyerbeer.

Den Neubau mit den Eigentumswohnungen hatte er ihm schnell ausgeredet.

"Die Tanzschule bleibt, aber als besonderer Clou lernen die Schüler nicht nach Musik aus der Konserve, sondern nach Livemusik. Ich kenne genügend Leute, die das mit Begeisterung machen. Außerdem bleiben die Gäste dann auch länger sitzen und trinken noch ein Gläschen. Und wenn Sie wollen, beteilige ich mich an dem Unternehmen ... auch privat", fügte Friedrich an.

Tanja hatte die ganze Zeit staunend zugehört. Am Ende wusste sie nicht mehr, ob es nur ein Traum oder Wirklichkeit war. Die Musik hatte schon vor Minuten aufgehört zu spielen, aber die beiden standen immer noch in der Mitte des Studios und lagen sich längst in den Armen. An diesem Tag würde Friedrich sicher wieder zu spät zum Dinner kommen, aber das war ihm egal. Daran, und an einiges andere, würde sich seine Mutter künftig gewöhnen müssen.

Happy End

 

Es müssen nicht immer Krimis sein, die uns unterhalten. Und niemand muss sich schämen, die scheinbar so inhaltslosen Lovestorys zu lesen. Haben wir nicht alle Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit? Außerdem befinden Sie sich mit dieser Lektüre in guter Gesellschaft. Die Zeitschriften der so genannten Yellow Press, die diese Geschichten drucken, haben zum Teil Millionenauflagen.
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