Kühlschlangen sollen das Skispringen retten

Mit einer Weltneuheit wollen Tüftler aus dem Allgäu für optimale Anlaufverhältnisse sorgen, doch im Dauerregen erweist sich Keramik als einzig sinnvolle Alternative

Von Jürgen Fischer

Oberstdorf. Schnee oder Keramik - das ist die philosophische Grundfrage des Skispringens im mitteleuropäischen Winter mit Frühlingstemperaturen und Dauerregen. In Oberstdorf trat sie am Samstag bei Training und Qualifikation vor dem Eröffnungssprunglauf der 51. Vierschanzentournee wieder mit Wucht in den Mittelpunkt.

Und das, obwohl Tüftler aus dem Allgäu mit einer Weltneuheit Abhilfe schaffen wollen. Auf dem Anlaufturm der Schattenbergschanze wurde - bereits mit Blick auf die nordischen Skiweltmeisterschaften 2005 - ein Kühlsystem installiert. Durch schlangenartig verlegte Rohre zirkuliert Kühlflüssigkeit. Die 10 bis 15 Zentimeter starke Schneeschicht auf den Kühlmatten soll stabile Temperaturen von minus vier bis fünf Grad halten. Mit dem patentierten System "ist nun gewährleistet, dass wirklich alle Springer innerhalb eines Durchgangs die gleichen Anlaufbedingungen vorfinden", versprach Ralf Morent, einer der Tüftler, die inzwischen die "SnowKeeper GmbH" gründeten und auf weltweiten Einsatz ihrer Lösung hoffen.

"Oben ist es nass, unten vor dem Tisch fährt man über Eis. Das zieht im Radius vor dem Schanzentisch die Ski weg", erklärte Weltcup-Spitzenreiter Martin Höllwarth seine Empfindungen nach dem ersten Trainingssprung. Insgesamt fand der Österreicher die gekühlte Spur aber gut. Gleiche Urteile gaben zunächst Doppelolympiasieger Simon Ammann und der Deutsche Michael Uhrmann ab.

Doch die Witterung spielte den Tüftlern um Ralf Morent übel mit. Beim zweiten Trainingssprung fuhren die letzten Athleten vor dem Schanzentisch in eine Wasserlache. "Wie Aquaplaning war das", sagte Höllwarth jetzt. Michael Uhrmann meinte: "Es stockt, und das gleich mehrmals." Janne Ahonen musste heftig mit den Armen rudern und entging nur knapp einem Sturz kurz vor dem Schanzentisch. Das neue Kühlsystem war im Dauerregen überfordert.

Die einzige Lösung, die wirklich allen gleiche Anlaufbedingngen garantiert, stellt die Keramikspur dar. Im Sommer ist sie längst üblich. "Bis zu 80 Prozent aller Sprünge eines Sportlers finden auf künstlichen Belägen statt", sagt Walter Hofer, Weltcup-Direktor des internationalen Skiverbandes (Fis). Das Reglement des Weltverbandes lässt schon jetzt den Anlauf auf Keramikspuren auch im Winter zu. "Die Jury kann so entscheiden", so Hofer. "Aber die Fis lässt nicht zu, dass wir im Weltcup damit planen."

Nicht oder noch nicht? Die sächsische Firma Reluma warb im Herbst mit den Vorzügen einer neu entwickelten Glaskeramik-Beschichtung. Rostfrei, mit hoch abriebfester Noppenstruktur, beheizbar, so das sich bei Schneefall keine Eisablagerungen bilden können, dazu extrem wartungsarm und vor allem allwettertauglich - "die Spur weist immer gleiche Eigenschaften auf", schwört Joachim Winterlich. Der einstige Trainer des mehrmaligen Olympiasiegrs und Tournee-Gewinners Jens Weißflog ist Fachberater der Firma. Beim Continental-Cup in Braunlage erhielt die Neuerung beste Kritiken von den Sportlern. "Weißes Gold" nennt Winterlich die Glaskeramik und ist angesichts der immer weniger kalkulierbaren Witterung überzeugt, dass sich dieser Anlaufbelag durchsetzt. "Es wird noch ein paar Jahre brauchen, wie seinerzeit beim V-Stil, ehe er die parallele Skiführung ablöste", so Winterlich.

"Wir wollen noch ein bisschen mehr wissen über diese Keramikspur", gibt sich Walter Hofer offen. "Zum Beispiel: Wie reagiert sie bei extremem Frost? Beim Weltcup darf nichts Unvorhersehbares geschehen." Doch genau das passierte jetzt mit der Oberstdorfer Kühlanlage. Andererseits sagte Hofer: "Ohne sie wäre der Anlauf womöglich schon weggeschwommen." Und der allererste Ausfall eines Springens in der Tourneegeschichte würde über den Organisatoren schweben.

Auszuschließen ist eine Absage aufgrund des Föhns und des Regens ohnehin nicht mehr. "In Innsbruck ist der Anlauf noch gar nicht mit Schnee belegt", sagte Ernst Vettori. Der Olympiasieger, der jetzt das Marketing für den nordischen Bereich im österreichischen Skiverband managt, berichtete von Überlegungen, am Bergisel Anlauf und Aufsprunghang mit Kühlsystemen zu versehen.

"Im Winter muss man alles versuchen, um auf Schnee zu springen", gab Vettori die grundsätzliche Ansicht der nordischen Skisportler wider. Doch dann legte er die Stirn in Falten und sagte: "Aber bei solchem Wetter wie in Oberstdorf muss man schon überlegen, ob Keramik nicht doch besser ist. Da hätten es wirklich alle gleich im Anlauf."

Hofers vorläufiges Schlusswort zu diesem Thema: "Die Initiative wird von den Veranstaltern ausgehen, nicht von der Fis."

 

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