DAS WEISSE ZIMMER - Schreiben um zu bleiben

Beiträge für diese Seite gehen direkt ans WEISSE ZIMMER!

Ich werde dich nie vergessen!!!
Von einem Vater, der keiner sein konnte

Von Marcel

Ich habe dich nie gesehen, doch warst du da.
Ich konnte dich nur erahnen.
Du hast mein Leben komplett verändert.

Und nun?
Was soll ich bloß machen?
Ein Teil von mir fehlt.
Ich hoffe, es geht dir gut an dem Ort, an dem du jetzt bist.
Ich werde dich nie vergessen!

Dein dich trotz allem liebender „Vater“

 

Keiner profitiert von einem Schwangerschaftsabbruch - ein kleiner Versuch einer Rechtfertigung

Von "Komma-Punkt"

"Es ist deine Entscheidung, aber ich finde es gut und richtig, dass du mich gefragt hast. Egal, wofür du dich entscheidest, ich werde hinter dir stehen" - so eine Traumreaktion vom Partner!

Ich habe mich entschieden abzutreiben. Medikamentös, da ich bewusst Abschied nehmen will. Ich habe Angst davor, was kommt - zumal mein Freund doch kein Stück mehr hinter mir steht, obwohl diese "Traumreaktion" gerade einmal eine Woche her ist.

Medikamentös und so schnell wie möglich, ich achte penibel darauf, dass der Schwangerschaftsabbruch stattfindet, bevor sich die Organe herausbilden, bevor sich das ZNS bildet, bevor das Herz anfängt zu schlagen - kurzum, solange es ein "Zellhaufen" ist.

Natürlich habe ich es mir ab und an ausgemalt, wie wunderschön es wäre, eine Familie zu haben, zumal mein Freund außerordentlich gut mit Kindern umgehen kann... Es versetzt mir jedes Mal eine Art Stromschlag, wenn wir zusammen unterwegs sind und Bekannte mit Babys sehen. Er ist komplett in seiner Rolle. Ich hingegen bin meistens wie versteinert, will's mir nicht anmerken lassen, da er mich nicht versteht...

Morgen ist es nun so weit. Ich werde in einer Praxis einen ambulanten medikamentösen Schwangerschaftsabbruch machen. Ich weiß nicht, was an Schmerzen, psychisch wie physisch, kommt. Ich weiß nur, dass mein Freund dabei sein wird. Ob es eher eine Erleichterung sein wird oder nicht, weiß ich noch nicht.

Das Traurige an der Geschichte ist aber eigentlich, dass einer der Hauptgründe für die Abtreibung war, dass ich diese noch recht frische Beziehung nicht aufs Spiel setzen wollte. Allein erziehende Mutter hätte ich mir und einem Kind ebenfalls nicht antun können.

So wie es momentan aussieht, wird sich aber mein Freund dennoch von mir trennen - und ich werde morgen dafür ein potentielles Leben auf dem Gewissen gehabt haben.

 

Nie gesehen

Von Katrin

Nie gesehen,
doch wunderschön.

Nie gespürt,
doch gefühlt.

Nie berührt,
doch geliebt.

Nie gelebt.


12.03.2010 für Raphael

 

Ich habe dich schon geliebt
 
Von Jennifer
 
Ich weiß nicht und möchte auch eigentlich gar nicht wissen, ob du die Abtreibung auch gemerkt hast.
Wenn ich mir vorstelle, du hättest meine Tochter oder mein Sohn werden können, kommen mir immer noch die Tränen.
Ich werde, glaub' ich, nie damit klar kommen zu wissen, dass ich dich umgebracht habe.
Auch wenn du wirklich ein Unfall warst, weil die Pille versagt hat.
Aber dein Erzeuger hat mich vor eine große sehr schwere Wahl gestellt, mit der ich erst mal auch gar nicht zurechtkam.
Er sagte, entweder er oder du.
Ich war geschockt und brach in Tränen aus.
Ich fiel auf einmal in ein tiefes Loch, doch zum Glück hatte ich jemanden, mit dem ich reden konnte, auch wenn es leider nicht dein Erzeuger war.
Ich war in der fünften Woche schwanger von deinem Fast-Papa.
Aber ich konnte nicht riskieren, dass er mich verlässt.
Ich bin erst 17 und wir hätten dich nie so groß ziehen können, wie ich es mir für dich gewünscht hätte.
Und einen Vater, der auf Drogen ist, hättest du auch nicht verdient.
Trotzdem plagen mich die Schuldgefühle dich getötet zu haben und ich denke, dass ich mein Leben lang nicht damit klar kommen werde.
Aber ich hoffe, dort, wo du jetzt bist, geht es dir besser.
Trotzdem wirst du immer in meinem Herzen bleiben.
Du warst schon ein Teil von mir und mit dir ist auch ein großer Teil von mir gegangen .
Ich werde dich immer lieben, Leonie!!
In Liebe, deine Mama.

 

Ohne Titel

Von Nicole

Ich werde nie wissen,
ob du mal Fußballer geworden wärst
oder deinen Puppen ein Schleifchen in die Haare binden würdest.
Deine lockigen dunklen Haare
könnten auch blonde glatte gewesen sein.
Ich weiß nur,
dass dein Herz geschlagen hat
und der Arzt sagte
"Alles intakt"
trotz Blutungen.
Achte Woche, Gratulation!
Ich werde es nie wissen,
weil ich es nicht wissen will,
nicht wissen möchte,
weil ich verzweifelt bin
und einfach nur dankbar,
wenn ich mich ab übermorgen nicht mehr übergeben werde...

 


Für mein Baby

Von Nadine 

Soll ich weinen, soll ich lachen -
soll ich sterben, oder leben?
Baby, sag, was soll ich machen,
um Dir eine Chance zu geben?

Dieses Gefühl, Dich in mir zu haben,
es sticht in meinem Herzen.
Ich kann es einfach nicht ertragen,
ich leide mit Dir Todesschmerzen.

Ich hoffe, Du kannst mir jemals verzeihen,
dass ich wie Gott richte, über Leben und Tod.
Ich will mich von dieser Schuld befreien,
denn ich bin in tiefer Not.

Was es heißt, geliebt zu werden,
ich hoffe, Du kannst es schon spüren.
Es ist das Schönste, Größte hier auf Erden,
drum möcht ich Dich nur ein einziges Mal berühren.

Doch am schwersten fällt es mir zu sagen:
Ich werde Dich niemals auf Händen tragen!

 

Für Anna

Von Xuehui

Die Luft geht durch den Campus
Die Sonne geht auf
und lacht
Wie schön die Welt!

Mein Traum auch spannt
seine Flügel weit aus
Ich still geküsst bin
Wie schön das Leben!

 

Erleichtert, aber auch Schuldgefühle

Von Anna

Einerseits bin ich erleichtert, doch schon bei diesem Gedanken plagen
mich Schuldgefühle. Ich hätte es sicher geschafft, das Kind groß zu
ziehen. Oder nicht? Noch immer schwanken meine Gefühle von einer Seite
zur anderen. Sicher, so wie es jetzt ist, ist alles viel leichter,… eben
so wie vorher…, so, als wäre nichts geschehen….

Als ich bei meiner Frauenärztin saß, wusste ich schon vor der
Untersuchung, dass ich schwanger war. Und als sie es mir bestätigte,
freute ich mich. Es war ungewollt, aber doch, ich freute mich wirklich.
Draußen wartete meine Mutter. Und auch sie war sofort für das Kind. Auf
dem Weg nach Hause wurde meine Stimmung allerdings getrübt. Was wird
mein Freund nur davon halten?

Wir sind seit Jahren ein Paar. Seit wir 15 sind. Seit einem Monat
wohnen wir zusammen. In einer Wohnung mit 3 Zimmern. Platz wäre also da.
Er ist bei der Bundeswehr. Verpflichtet. Geldsorgen haben wir nicht. Und
eine Arbeit werde ich auch wieder finden, wenn das Kind erstmal da ist.
Oder?? Aber was ist mit meiner Ausbildung? Ich wollte, nachdem ich im
Dezember arbeitslos wurde, noch mal richtig durchstarten. Und jetzt?
Werde ich je wieder einen Fuß auf die Erde setzen können, wenn ich
erstmal Mutter bin?? Wie geht es dann finanziell weiter? Soll ich das
Kind etwa tagtäglich bei seiner Oma absetzen? Und ich habe dann keine
Zeit? Vernachlässige es womöglich.

Ich zeigte ihm das US-Bild. Und wie schon erwartet, brach er zusammen.
Ich kann das nicht! Nicht jetzt! Immer wieder. Er fing an zu weinen.
Und ich stand hilflos da. Ich liebe ihn. Ohne jede Frage! Aber was
sollte ich jetzt tun?

Nach einer Woche voller Überredung erzählte er es endlich seinen
Eltern. Ich wusste gleich, dass sie zu mir stehen würden und zu dem
Kind. Und ich erhoffte mir, dass er sich besinnte. Doch es blieb alles
unverändert. Auch sie konnten ihn nicht umstimmen.

Zu meinem nächsten Frauenarzttermin kam er mit. Ich schöpfte Hoffnung.
Doch auch diesmal stellte sich bei ihm keine Freude ein. Am Abend, als
wir schon im Bett lagen, sagte er mir: Ich würde mich so gern freuen!
Aber ich kann nicht. Ich will dir das nicht antun, aber ich hab Angst!
Ich wünschte ich könnte so sein, wie du es dir wünscht!

Wir machten einen Termin bei einer Beratungsstelle. Er kam wieder mit.
Aber wieder vertrat er seine Meinung und ich die meine. Und wir kamen zu
keinem gemeinsamen Entschluss. Sie stellten uns eine Bescheinigung aus
für den Fall eines Abbruchs und gaben uns Sachen mit, falls wir das Kind
behalten. Es war wirklich keine große Hilfe! Ich kam mir vor wie ein
Produkt, dass so schnell wie möglich abgestempelt und weitergeschoben
wurde.

In dieser Zeit haben mein Freund und ich uns nie gestritten. Wir waren
sehr rücksichtsvoll und konnten gut miteinander reden. Dann sagte ich
ihm, dass ich das Kind behalten werde. Eine Woche Funkstille. Doch dann
fand ich einen Brief von ihm vor: Ich werde versuchen dich bei deiner
Entscheidung zu unterstützen. Ich liebe dich! (in verkürzter Form)
Eigentlich hätte ich mich hier freuen können. Aber ich tat es nicht. Ich
bekam Panik.

Was ist, wenn er es nicht schafft und er mich verlässt? Was ist, wenn ich
mein Kind schlecht behandele? (Auch ich bin ein ungewolltes Kind und ich
habe erlebt, wie Eltern so was an ihrem Kind auslassen. Erst nach der
Pubertät verstand ich mich wirklich gut mit ihnen.) Wie geht es mit mir
weiter? Werde ich so eine Asi-Mutter wie aus dem Fernsehen? Die keine
Arbeit hat und faul auf dem Sofa liegt? Werde ich mein Kind so behandeln,
wie ich behandelt wurde? Was kann ich dem Kind schon bieten? Eine Mutter
ohne Ausbildung und Arbeit. Wie wird mein Freund damit umgehen?… Noch
viel mehr ging mir durch den Kopf.

Von da an hatte ich viele Gespräche mit der Mutter und der Schwester
meines Freundes. Sie standen ganz klar zu mir. Doch immer wieder fiel
der Satz: Das musst ganz allein du wissen. Da kann dir keiner helfen!
Ich verstand natürlich irgendwie ihren Standpunkt, aber der Satz hat mich
einfach überfordert! Wie soll ich eine solche Entscheidung treffen? Ich
kam mir vor, als wäre jede Entscheidung falsch. Ich stellte mir vor, ich
würde das Leben meines Freundes zerstören. Ich sagte immer wieder: Ich
will das nicht allein entscheiden. Was soll ich tun? Sagt es mir und ich
mache es. Ich weiß nicht, was das Richtige ist! Und immer wieder sagten
sie, das sei meine Sache, sie können da gar nichts machen. Ich glaube,
ich wollte nur ein bisschen Zuspruch, dass ich es behalten soll, dass
alles gut wird. Aber weil so etwas nie kam, fing ich immer mehr an zu
zweifeln. Es soll nicht sein. Es ist ungewollt und hat keinen Platz in
der Welt. Genauso wie auch ich lange keinen Platz darin hatte.

Ich wurde total aus der Bahn geworfen. Ich zweifelte zunehmend an
meiner Entscheidungsfähigkeit. Einerseits wollte ich meinen Freund auf
keinen Fall verlieren! Und ich wollte, dass wir beide weiterhin glücklich
sind. Andererseits war ich immer gegen Abtreibung! Fand es scheußlich,
abartig und befand die Frauen, die so etwas taten, als Mörder. Nun war
ich selbst in der Situation. Und dachte anders darüber.

Im Internet stieß ich immer wieder auf Seiten voller Hass und Abneigung
gegen Frauen, die so etwas vorhaben oder schon hinter sich hatten. Ich
erfuhr, wie viele verschiedene Frauen das gleiche Schicksal mit mir
teilten.

Irgendwann ein paar Tage später, entschloss ich mich zu diesem Schritt.
Ich weiß nicht, es fiel mir relativ leicht. Ich berichtete es meinem
Freund. Er fragte, ob ich wirklich sicher sei. Ja, ich war es. Mit der
Beratungsbescheinigung ging ich zu meiner Krankenkasse und erledigte
auch die anderen notwendigen Sachen. Es ging alles sehr schnell.
Zwischen meiner Entscheidung und dem Termin lagen 2 Tage.

Der Arzt war zum Glück sehr nett und erklärte mir alles, jeden Schritt.
Der Eingriff war trotzdem das Allerschlimmste, was ich je erlebt habe und
die Schmerzen waren nicht auszuhalten. Der Eingriff, der sonst nur ca. zehn
Minuten dauert, dauerte fünfzig Minuten.  Ich denke heute, dass es die Bestrafung für
meine späte Entscheidung war. Obwohl es bestimmt eine höhere Bestrafung
hätte sein müssen. Ich weiß, dass ich so etwas nie wieder tun werde.

Wie am Anfang schon beschrieben, fühle ich mich jetzt erleichtert. Doch
ich schäme mich bei diesem Gefühl und habe ein schlechtes Gewissen. Es
hätte sicher nicht sein müssen, aber ich habe erkannt, dass mein Leben
nur ohne Kind geregelt weiterläuft. Und dass es so das Beste ist. Mein
Freund ist kein schlechter Mensch und die Entscheidung habe ich nicht
ausschließlich seinetwegen so getroffen. Ich habe mich dazu entschieden.
Er hatte mit Sicherheit einen erheblichen Anteil daran, aber
letztendlich wusste ich, dass er mich nicht im Stich gelassen hätte.
Doch anhand meiner familiären Vorgeschichte und der seinen bin ich
sicher, dass es so das Beste ist. Wir werden in einigen Jahren sicher
noch ein Kind bekommen. Ein geplantes, auf das sich dann alle freuen
können.

Der Morgen danach

Von Susanne

 Es war ein schöner sonniger Morgen; musste ich noch zur Arbeit an diesem Tag? Ich weiß es nicht mehr! Alles, an was ich mich erinnere ist der Kreis im Schwangerschaftstest, der besagte, dass ich schwanger war. Übelkeit, ein Spannen in der Brust, eigentlich hatte ich es schon vorher gewusst!

Habe ich Antoine (Name geändert) angerufen? Auch das weiß ich nicht mehr: Es ist nun schon 17 Jahre her, 17 Jahre wäre Jenny nun alt. Heute kann ich sagen: Es wäre schön, sie jetzt um mich zu haben, aber damals habe ich nicht so gedacht. Ich habe nur an mich gedacht, an meine Beziehung, die ich retten wollte, indem ich Jennys Vater zu Willen war.

Damals war ich 27, aber ich war selbst noch ein Kind. Jahrelang hatte ich unter Essstörungen gelitten, aber keiner hatte es gewusst, oder wollte es wissen. Und ich, ich habe mich geschämt, jedes mal, wenn ich mich überfressen hatte, wenn ich mich erbrochen hatte, dann hab ich mich geschämt, und habe es doch immer wieder getan. Antoine war damals alles für mich gewesen, und ich wollte ihn unter allen Umständen behalten! Er studierte noch zu der Zeit und war ständig in psychiatrischer Betreuung. Warum, das weiß ich eigentlich nicht so genau. Wir waren Kinder, Menschen, die Leben spielten, aber keine Verantwortung übernehmen konnten. Wir hatten es nie gelernt! Dann war da meine neue Arbeitsstelle, ich hatte noch Probezeit! Ich war so froh gewesen nach zwei Ausbildungen endlich eine Arbeitsstelle gefunden zu haben, aber die Firma wurde bald geschlossen, und ich wurde von einer anderen Firma übernommen. Ausgerechnet da wurde ich schwanger! Und Antoine war noch Student. Meiner Mutter habe ich gar nichts davon erzählt, sie war nie der richtige Ansprechpartner für mich gewesen, wenn es Probleme gab; sie reagierte immer so mit Panik. Und dann war da Alexa (Name geändert), meine beste Freundin: Sie ermutigte uns zwar, das Kind zu behalten, aber da tönte ein Satz in meinen Ohren, den sie einmal gesagt hatte: "Wenn ich ein Kind bekommen würde, das ich nicht will, dann würde ich es abtreiben lassen." Sie war mein großes Vorbild gewesen. Ihre Meinung zählte für mich! Und Antoine? Ich weiß nicht, was er dachte, ich weiß nur, dass seine Mutter für ihn dachte. Und sie sagte: Susanne soll das Kind abtreiben lassen. Und ich dachte, ich muss tun, was sie erwartet, denn ich will Antoine behalten.

Über eine Arbeitskollegin erfuhr ich von einem Arzt, zu dem ich gehen konnte. Und es war alles ganz einfach: Der Arzt fragte mich lediglich: Ein Kind ohne Vater, das ist nicht gut!? Er meinte noch, dass er selbst auch Panik hatte als er Vater wurde, dass er mittlerweile aber froh sei über seine Kinder. Ich solle eine Beratung in Anspruch nehmen. Zu der Beratung ging Antoine mit: Ich wagte nicht irgendetwas zu sagen, auch Antoine sagte nichts. Ich erinnere mich nur, dass die Frau zu mir sagte, dass ich sowieso nicht sehr lebensbejahend auf sie wirke. Im Nachhinein kann ich nur sagen, dass sie absolut recht damit hatte: Damals litt ich an meinem Leben, in dem ich nicht wirklich einen Sinn sah, und alles, was mir wichtig war, war die Beziehung zu Antoine, einem Jugendfreund, den ich wieder getroffen hatte, nach mehreren zerbrochenen Beziehungen. Antoine war wie ein Bruder für mich gewesen all die Jahre, aber dann hatte ich mich in ihn verliebt, und ich hatte Angst, dass auch er wieder aus meinem Leben verschwinden würde.

Wir fuhren zusammen nach Karlsruhe. Was mich irritierte war das volle Wartezimmer: Sollte Abtreibung so eine alltägliche Sache sein? Das konnte doch nicht wahr sein! Wir mussten warten. Als ich an der Reihe war, bekam ich eine Spritze und war sofort weg: Das nächste an das ich mich erinnere ist, dass ich einen Zettel unterschrieb und wieder nach Hause ging. Ich war erleichtert und der Meinung, dass ich das Richtige getan hatte. Schuldgefühle hatte ich damals nicht! In ein Loch fiel ich erst als Antoine einige Wochen später die Beziehung beendete.

Zu der Zeit hatte ich schon Kontakte zu Christen: Ein Mann und eine Frau, die morgens zusammen mit mir auf den Zug warteten. Sie erzählten mir jeden Tag von Jesus. Ich fand die beiden ganz nett, aber etwas überspannt. Der Mann war durch Jesus vom Alkohol weggekommen, und ich dachte mir, dass die Sache mit dem Glauben nun so eine Art Ersatzdroge für ihn sei. Eines Abends aber ging es mir besonders schlecht; ich lag in meinem Bett und dachte an meinen Vater, der verstorben war als ich 17 Jahre alt war: Ich hatte nie eine Beziehung zu ihm gehabt, weil er sehr launisch und unberechenbar gewesen war, und ich deshalb immer Angst vor ihm gehabt hatte. Und ich hatte ihn verachtet, weil er oft viel und unkontrolliert gegessen hatte. Zum ersten Mal tat es mir leid, dass ich ihm nicht die Wertschätzung entgegengebracht hatte, die er als mein Vater verdient gehabt hätte.

Ich dachte mir: "Wenn ich noch einmal von vorn anfangen könnte, dann würde ich alles anders machen." Gab es Gott? Als Kind wollte ich IHM dienen, wollte für IHN nach Afrika gehen, aber irgendwann hatte sich mein kindlicher Glaube verloren, denn in meinem ganzen Umfeld schien niemand wirklich an Gott zu glauben. Nun waren da diese beiden Menschen am Bahnhof. "Gott, wenn es Dich wirklich gibt, dann zeig Dich mir", betete ich. Einige Tage später lag ich wieder abends im Bett und hatte Angstzustände. Da entschloss ich mich Silvia anzurufen, die Christin, die mir jeden Morgen von Jesus erzählte. Sie sagte nicht viel, nur, dass sie für mich beten würden. Dann war das Gespräch zu Ende, aber ich war total beruhigt. Aus meiner Schulzeit hatte ich noch ein Neues Testament mit Psalmen, darin fing ich an zu lesen: Ich las einen Psalm. Welcher es war, das weiß ich gar nicht mehr, aber plötzlich spürte ich Kraft, und da war plötzlich so ein Friede in mir! Ich machte die Augen zu und schlief ein. Als ich am Morgen danach erwachte, da wusste ich, dass ich geheilt war von meinen Essstörungen. Ich hatte nie mit irgendjemandem über meine Essstörungen gesprochen gehabt, nie an spontane Heilung gedacht, aber nun wusste ich, dass ich geheilt war als hätte man es mir schwarz auf weiß attestiert, und ich wusste: Nur Gott konnte das getan haben. Er hatte mich geheilt, um mir zu beweisen, dass es ihn wirklich gibt. Nach nun etwa 18 Jahren kann ich sagen, dass es bis heute so geblieben ist: Mein Essverhalten war von diesem Tag an schlagartig völlig normal. Ich war Gott so dankbar für diese Erlösung, dass ich ihm mein Leben neu zur Verfügung stellte, und bis auf den heutigen Tag lebe ich mit IHM in ständiger Verbindung!

Von dem Moment an, als ich ein wirklicher Christ geworden war, wurde mir allerdings auch klar, dass Abtreibung Mord ist, egal in welchem Stadium, und dass ich es nie hätte tun dürfen. Oft denke ich daran, dass mich in der Zeit, in der meine Absicht noch nicht durchgeführt war, jeden Morgen als ich zur Arbeit ging ein Unbekannter angesprochen hatte und mich gefragt hatte, wie es mir geht. Ich hatte jedes Mal kurz mit "Gut" geantwortet und war weitergelaufen. Im Nachhinein denke ich, dass Gott mir diesen Mann geschickt hat, um diese Tat zu verhindern. Leider hatte ich nicht den Mut gehabt, zu reagieren und mich mich ihm zu öffnen.

Dennoch: Als ich mich ein halbes Jahr später taufen lies, erhielt ich den Bibelvers aus Jesaja 1, 18: "Wenn eure Sünde gleich blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden."

Versteht Ihr, unsere Ansichten ändern sich: Als ich nichts von Gott wusste, da gab es böse und gut nicht wirklich: Alles war relativ, eine Tatsache, die mich als ich 17 war schon einmal in eine tiefe Krise gestürzt hatte, denn wir sind nicht dafür gemacht, ohne Regeln zu leben. Später, als ich Gott kannte, da wusste ich, dass ich mich für das, was ich hier tue einmal verantworten muss, und dass es Dinge gibt, die in Gottes Augen böse sind. Hätte Gott selbst mir zusammen mit dieser Erkenntnis nicht gleich den Schulderlass in Jesus Christus entgegengehalten, so hätte ich verzweifeln müssen, so aber bin ich frei und lebe für den HERRN. Eine Abtreibung käme für mich nie wieder und unter keinen Umständen in Frage, und ich weiß auch, dass Gott den, der IHM vertraut, nicht im Stich lässt.


Angst...

Von Kati

Ich bin seit 7 Monaten offiziell mit meinem Freund zusammen, die ganze Sache läuft aber schon ca. 10 Monate. Er beim Bund, 21 Jahre, ich Auszubildende, gerade 18.
Die ganze Geschichte begann vorgestern, am 1.8.2006.
Ich warte seit 5 Tagen auf meine Regel, habe seit Wochen Bauchschmerzen und Kreislaufprobleme. Ich kann seit Dienstag an nichts anderes mehr denken, versuche mich abzulenken, aber es geht nicht.
Ich kann auch nicht darüber reden, habe Angst vor den Reaktionen. Angst, dass es meine Eltern oder meine Familie erfahren könnten. Noch nicht einmal mein Freund weiß es... Bevor ich keine Gewissheit habe, will ich ihn nicht auch noch damit belasten, denn die Beziehung läuft sowieso schon schlecht genug.
Nur zwei Freundinnen wissen es... Eine sagt ganz locker, ich soll mir nicht den Kopf darüber zerbrechen, aber was soll ich tun?!
Meine Gedanken drehen sich nur noch um die Angst schwanger zu sein.
Die andere war selbst mal schwanger, sie hat ihr Kind verloren.
Gerade rief mein Freund an. Als ich ihm sagte das ich Bauchschmerzen habe und mir schwindelig ist, meinte er nur, ob ich schwanger wäre. Ich weiß, dass er diese Frage nicht ernst meinte.
Wir ein Kind, das würde sowieso nicht klappen.
Ich traue mich noch nicht einmal, diesen bekloppten Schwangerschaftstest zu machen.
Ich habe Angst vor dem Ergebnis, und niemanden, der jetzt bei mir ist.
Mir fällt es auch nicht leicht, darüber zu reden. Sonst hätte ich schon längst jemanden angerufen, damit ich diesen dämlichen Test nicht alleine machen muss.
Schwanger? Nicht schwanger? Schwanger? Nicht schwanger? Als ob ich an einem Gänseblümchen die Blätter abreißen würde... Ich will nicht schwanger sein!!! Ich will kein Kind!!!
Wie kann man nur in solchen Situationen sagen, dass man nicht darüber nachdenken soll???
Wieso muss ausgerechnet mir sowas passieren???
Für ein Kind ist kein Platz in meinem Leben... Ich habe das Leben doch noch vor mir, ich bin doch gerade erst 18.
Ein Kind würde meiner ganzen Lebensplanung einen Strich durch die Rechnung machen.
Was sollte dieses Kind mit einem Vater anfangen, der 5 Tage die Woche nicht da ist und im Februar wahrscheinlich für 4 Monate ins Ausland geht???
Wir könnten dem Kind doch überhaupt keine Perspektive bieten...Was haben wir uns denn aufgebaut? Nichts, rein gar nichts!!!
Ich muss doch erst mal selber mein Leben leben, bevor ich ein Kind in die Welt setze...
Ich bin doch noch mitten in der Ausbildung...Und studieren wollte ich auch noch...Was ist, wenn all das in Frage gestellt wird?
Ich würde das Kind nicht wollen, aber abtreiben könnte ich es auch nicht...Und zur Adoption freigeben, das würde ich nicht übers Herz bringen...
Ich könnte es nicht...
Diese Ungewissheit macht mich verrückt... Morgen werde ich es tun...Wenn ich nicht mehr alleine bin...

 

Trauer

 Von Sabrina

Ich bemerkte meine Schwangerschaft ziemlich spät und das auch nur durch einen Zufall.
Ich war in einer glücklichen Beziehung, alles lief gut bis zu dem Tag, als ich einfach so beschloss einen Test zu machen, ich dachte wirklich nicht an eine Schwangerschaft!!
Doch der Test war positiv!
Ich ließ mir gleich einen Termin beim Arzt geben.
Er sagte: 21. Schwangerschaftswoche; Schock und doch gleichzeitig Freude!
Mein Freund und ich waren glücklich und er sprach sogar mit unserem Kleinen, es wäre ein Junge geworden!
Doch als wir die freudige Nachricht seiner Mutter erzählten, drehte die voll ab.
(Wir waren erst 18 Jahre alt und sie LIEBT IHREN Sohn ja sooo.)
Ich weiß bis heute nicht, wieso ich das getan habe.
Mein Freund wollte unser Baby auch auf einmal nicht mehr, ich hatte Angst.
Angst vor dem Tag und dem Danach.
Wir gingen ins Ausland, seine Mutter hat die Abtreibung bezahlt.
Heute, zwei Jahre später, bin ich 20 Jahre und frage mich, was mich dazu bewegt hat mein eigen Fleisch und Blut zu TÖTEN.
Ich habe mir tote Babys angeschaut in der 22. Woche, schrecklich.
ICH BIN EINE MÖRDERIN:
Ich bin heute noch immer mit diesem Mann zusammen der es geschafft hat mich zur Mörderin zu machen.
Unsere Beziehung stand einmal kurz vor dem Aus, da schrie ich ihn an: "Du kannst mich nicht verlassen, du hast unser Kind auf dem Gewissen!"
Mir geht's jetzt schon zwei Jahre so beschissen, sodass ich jedem rate: Verhütet richtig oder werdet Mutter.
Mit meiner Schwiegermutter habe ich keinen Kontakt mehr.
Ich war auch schon so weit mir das Leben zu nehmen, damit ich mich bei Gott um mein Baby kümmern kann.

Abtreibung ist MORD

 

Schwanger

 Von Nadia

Januar 2006. Am Freitag, den 13. hab ich ihn zum ersten Mal getroffen.
Liebe auf den ersten Blick. Ich, einen Pakistani lieben? Niemals. Dachte
ich. Falsch gedacht.
Meiner Mutter habe ich nichts erzählt, was sie nicht weiß, macht sie
nicht heiß. Ich bin nicht von vielen Worten. Doch eines Tages fand sie
es heraus. Ich habe unsere Beziehung abgebrochen, schließlich bin ich
17 und tue, was Mama sagt. Natürlich nicht, er ruft mich jede Nacht an,
etwa um 2 Uhr morgens. Es ging 4 Monate so, bis wir eines Tages
beschlossen uns heimlich zu treffen.
Wir waren uns sehr nahe, aber behielten unsere Hosen an, deshalb dachte
ich nicht im Traum an eine Schwangerschaft.
Seit drei Tagen warte ich auf meine Tage, drücke auf meinem Bauch herum
und versuche die Schwindelanfälle zu ignorieren. Mir ist schlecht, ich
höre mich nur schreien und schimpfen. Arme Familie, schlechtes Wetter,
eingesperrt mit mir. Drei kleine Geschwister, meine Mama, mein
Stiefvater. Die Katze, die Wellensittiche. In einer 80 m² Wohnung.
Pfingstferein gehen noch 2 Wochen.
Morgen kaufe ich den Schwangerschaftstest. Heute habe ich mich nicht
getraut, die Frau an der Kasse war nicht seriös genug. Morgen wird es
mir egal sein. Ich kaufe das Ding. Warum weiß ich nicht, ich weiß, dass
ich schwanger bin. Seit heute weiß ich es.
Mutter oder Mörder? Mord oder Vernunft? Verantwortung oder was?
Ich hab kein Geld. Mein Freund hat kein Geld. Meine Familie hat kein Geld.
Ich muss ausziehen. Ich habe keine deutsche Staatsbürgerschaft. Ich bin
in der 11. Klasse, Gymnasium. Ich gehe dreimal die Woche in die Kirche.
Ich bin doch Jungfrau. Ich bin trotzdem schwanger.Glaubt doch kein
Mensch. Ich kann keine Nebensätze mehr bilden. Das tut doch jetzt nichts
zur Sache. Noch mal von vorn: Ich erzähle meiner Mutter im Oktober an
meinem Geburtstag von meinem Freund und von dem Baby, ziehe aus, heirate den Pakistani, werde deutscher Staatsbürger, mache mein Abi in 20.000
Jahren nach, studiere wie geplant Jura, werde gut verdienende
Führungsperson und das Kind stecken wir in einen Kindergarten. Von
morgens um 6 bis abends um 18 Uhr.
Nein. Ich mache kein Abitur nach. Ich widme mich und mein Leben ganz dem Kind, wir gehen jeden Tag in die Kirche und der Papi in die Moschee. Ob
die uns überhaupt noch in die Kirche lassen? So eine Schande, von der
hatten wir's gar nicht gedacht: schwanger von einem Ungläubigen. Tja,
unglaublich, aber wahr, Sachen gibt's, die gibt's gar nicht.
In zwei Stunden ruft mich mein Freund an. Dann werde ich es ihm
erzählen. Heute hatte er Prüfung, da durfte er nicht abgelenkt sein.
Heute gibt es eigentlich keinen Grund. Obwohl...eigentlich kaufen wir
zuerst den Test. Ich weiß schon, was er sagt. Keine Abtreibung, wir
heiraten jetzt sofort und Punkt. Ich werde ihm sagen, dass ich ihn
liebe, dass ich schon immer ein Kind von ihm wollte. Aber nicht jetzt.
Niemandem habe ich es bisher gesagt. Zum Spaß, letzte Woche. Letzte
Woche war es Spaß. Niemand nimmt mich mehr ernst, wenn ich sage, dass
ich mich ein wenig schwanger fühle. Weil ich mich schon schwanger fühle,
wenn ich aus einer öffentlchen Toilette komme.
Durch die Hose, hätte ich nie gedacht. Und das mir. Strafe Gottes,
Schicksalsschlag? Ich war ungehorsam meiner Mutter gegenüber, ich habe
einen Andersgläubigen geliebt. Dabei ist der Sohn vom Hirten ja doch so
süß. Ist mir zwar noch nicht aufgefallen, aber wenn sie's sagt, wird's
schon stimmen. Meine Mutter hat immer Recht. Ach, hätte ich nur auf sie
gehört. Oder auch nicht. Ich werde abtreiben. Ich werde niemandem
 etwas
sagen. Meiner besten Freundin, die 'nen Freund hat, der mich zum Arzt
fahren soll. Mir ist schlecht. Ich bin allein und kann mit niemandem
reden. Ich rede eh nicht gerne. Handle lieber. Mein Freund ist da genauso.
Soll ich das Kind behalten? Ich kann ihm zwar null Komma null bieten,
weder Geld noch Haus, noch fürsorgliche Familie, Unterstützung. Aber
leben könnte es wenigstens, im Wasser planschen und hungern und mit
seinen Onkels und Tanten spielen. Nee. Armes Ding, ist ja auch erst 3
Wochen alt. Weniger als 'ne Mücke, die kann wenigstens stechen und
fliegen, wohin sie will.
Morgen kaufe ich den Test. Morgen wird die Sonne wieder aufgehen. Ich
muss einen Frauenarzt suchen. Einen, der mich versteht. Ich pack mich
ins Bett, sonst bekomme ich noch Mitleid mit mir selbst... Selbst schuld,
würde ich sagen. Zu viel Liebe, zu wenig Stoff dazwischen. Slip, Jeans,
Jeans, Slip. Ja, Slip, kein Tanga. Schließlich bin ich keine Schlampe.
Schwanger ja, Schlampe nein. Tanga nur zur weißen Stoffhose.

Pipi

 Von Erwin

 Um den Kindern eine Stimme zu geben und den Frauen eine Hoffnung schrieb ich dieses Lied....

E.P.Hilbert

"Mama!"
"Komm in meinen Garten. Ich hätte gern, dass meine Rosen dich sehen...!"
(Richard Brinsley Sheridan)


Ich wurde leider nie geboren und ein Grab das hab ich nicht...
Hab meine Mutter viel zu früh verloren und mein Gesicht, ja das kennt sie nicht...
Ich spürte niemals frisches Wasser. Hunger und vieles mehr blieb mir erspart.
Ich wär so gern einmal gelaufen durch duftend, frisches, grünes Gras....
Auch Vögel hätte ich gern gesehen und gehört... dumm gelaufen...
Ich wurd im Mutterleib zerstört.

 

Dein Herz das hörte ich schon schlagen ich war dir Mama ja so nah.
Dein Blut lief warm durch meine Adern.
Ich wuchs und wir beide wurden gerade ein Paar!
Wir waren eins. Ein neues Wunder wurde wahr...
Doch dann kam sie; die dunkle Hand. Ich spüre heut noch unsre Angst.
Ich konnte mich ja nicht wehren, sie stach mein Leben aus ...
Und ich kam tot aus dir heraus...
Ich seh Millionen Kinderhände. Sie klagen an und rufen leis
"Macht diesem Morden doch ein Ende und reicht dem Leben eure Hände!"
Ich seh ein tiefes Meer von Kindertränen.
Sie wurden nie geweint und gingen doch verloren.
Ich seh einen Mann voll Blut und Wunden.
Für unsere Schuld gekrönt mit einem Kranz aus Dornen

In einem blauen Müllsack auf Krankenschein entsorgt vielleicht ein neuer Albert Schweitzer?
Mein Rauch stieg leis in einem Klinikschornstein zum Himmel auf.
Millionen Ungeborener gehn so drauf!
Mama, mein Seelenvogel flog direkt in den Himmel! Hier bin ich in einer guten Hand...
Da werden wir uns endlich sehen. In einem Land dessen Liebe man nicht verstand.
Mama, ich hab dir längst vergeben, und ich freu mich so auf dich!
Ja, ich bin hier im ewigen Leben, von dem du denkst: "Das gibts doch nicht!"
Und wenn du willst geh zu einem Priester und sprich die Sache offen aus.
Und glaube fest an meinen "großen Bruder"!
Bei dem bin ich seit meinem "Stichtag" zuhaus!
ER der Schuld vergibt, nur weil er Menschen liebt, dem stach man auch das Leben aus...

Ich seh Millionen Kinderhände. Sie klagen an und rufen leis
"Macht diesem Morden doch ein Ende und reicht dem Leben eure Hände!"
Ich seh ein tiefes Meer von Tränen.
Sie wurden nie geweint und gingen doch verloren.
Ich seh den Mann voll Blut und Wunden.
Für unsere Schuld gekrönt mit einem Kranz aus Dornen

Ich habe hier soviele Freunde, millionen Kinder nie geboren,
Mama ich bin hier wirklich nicht allein. Hier sind soviele, denen es ging wie mir:
ungewollt und abgelehnt, abgetrieben, abgeschrieben und doch erwählt!
Kein Ziel verfehlt, ein ganzes Leben übersprungen. Direkt hinein in eine gute Hand.
Nichts ist aus es geht hier weiter. Hinterm Horizont in einem neuen Land!

Gebt dem Leben eure Hände und macht mit dem Abtreiben endlich ENDE!
Wollt ihr noch ein Meer mit Tränen füllen? Es wurde doch genug geweint.
Ich seh Millionen Kinderhände. Sie klagen an und rufen leis
"Macht diesem Morden doch ein Ende und reicht dem Leben eure Hände!"

Sie sagen zwar ich sei nur ein "kleiner Blubb!" Und solche blöden Sprüche wie: "Mein Bauch der gehört mir!"
Ja und meiner?
Vielleicht war ich ein süßer Bub?
Ach so und grüß bitte auch von mir meinen Papa!

"Komm doch in meinen Garten. Ich hätte gern, dass meine Rosen dich sehen...!"

-------------------------------------------------------------------------------

Text und Musik:
Erwin P. Hilbert aus seiner CD: "GEGENZEIT!"
Konzertanfragen und Vortäge: www.himmelscafe.de

 

Meine Schuld

Von Annette

Mein Name ist Annette, ich bin 26 Jahre und habe bereits die 2. Abtreibung hinter
mir. Ich finde es gut, endlich eine Möglichkeit zu haben, über diese Geschehnisse zu sprechen.
Zum ersten Mal abgetrieben habe ich vor 2 Jahren. Damals war ich mit meinem
jetzt Exfreund gerade mal  6 Monate zusammen. Als ich feststellte, dass ich schwanger bin, war das ein Riesenschock für mich. Meinen damaligen Freund kannte ich damals noch viel zu wenig, um ihn irgendwie einschätzen zu können. Nach einigen Tagen, er war damals auf Montage, sagte ich es ihm.
Die Reaktion war alles andere als das, was man in Filmen sieht. Er wollte das Baby nicht. In meiner maßlosen Panik bin ich zum nächstbesten Arzt, um eine Abtreibung mit Myfigene vornehmen zu lassen. Der Arzt war der absolute Stümper. Er gab mir alle Tabletten auf einmal. 2 Wochen hatte ich dann Blutungen, die nicht enden wollten. Nach 2 Wochen ging ich in eine Abtreibungsklinik. Die wollten keinen Eingriff mehr vornehmen, da die Gebärmutterwand bereits so durchgeweicht war, dass man mir ernsthafte Schäden zufügen konnte. Voller Angst, Zweifel bin ich wieder zu meinem behandelnden Arzt. Dieser
schickte mich zur Ausschabung. Gott sei Dank ging alles gut. Mit grossen
Schmerzen wurde ich von meinem Vater abgeholt. Mein Freund sollte eigentlich bei mir sein, irgendwann spät abends kam er dann mal. Saß neben mir ohne ein Wort des Trostes, ohne mit mir liebevoll umzugehen.

2 Wochen später, ich steckte in Schuldgefühlen, Hormonumschwung, Trauer und Angst
fest, verabschiedete sich mein Freund mit der Begründung, ich wäre irre.
Dazu muss man eines sagen, es mag manchen Frauen danach gut gehen, ich denke
den meisten geht es nicht gut. Depressionen, Schuldgefühle, Angst man könne nie wieder
schwanger werden, alles holt einen danach wie eine riesige Welle ein und schwappt über den Kopf. Jedes Baby, ob beim Einkaufen oder bei Freunden, ist wie ein ständiges Vorhalten: Da, das hättest du haben können.
Freunde können das eigene Leid nicht mehr einschätzen, ich durfte mir anhören, ich würde ja ständig darüber reden. Lasst euch nichts einreden, solltet ihr in einer ähnlichen Situation sein, es handelt sich um eure Trauer um einen Menschen, der vielleicht die gleiche
Augenfarbe, denselben Charakter gehabt hätte. Euer Fleisch und Blut.


Vor 2 Monaten, besagter Mann trat nach 1 Jahr wieder in mein Leben, trieb
ich noch mal ab. Allerdings nicht, weil ich davon überzeugt war, sondern weil
ich dachte, ich könnte dann mit ihm zusammenbleiben. Wegen ihm habe ich abgetrieben. Ich hätte das nie tun dürfen. Wieviel glücklicher wäre ich, würde ich mein Baby in einigen Monaten in meinen Armen halten. Nicht weil es sein Baby ist, sondern weil es mein Baby ist. Natürlich ist mein Freund wieder weg.
Diesmal bin ich paranoid. Wieder sitze ich mit noch größerer Schuld da. Wie konnte ich nur so dumm sein, nicht auf mein eigenes zu hören, sondern zu handeln um ihm zu gefallen.
Allen, die diese Geschichte lesen, möchte ich raten, euch immer selbst treu zu bleiben. Lasst euch nichts von diesen Männern einreden, lasst euch nicht unter Druck setzen. Es gibt immer Möglichkeiten ein Kind auch alleine durchzubringen. An Reichtümern wird man sich zwar eher nicht erfreuen können, aber ist das emotionale Glück nicht wichtiger?
Und ich möchte noch einen Appell loswerden: Kann man den allein erziehenden
Frauen denn nicht verbilligte Ganztageskindergärten anbieten? Kann man nicht allein erziehende Mütter besser unterstützen? Wie schön wäre es, wenn sich auch hier in der Regierung was tun würde, anstatt Spendenhilfen in Millionenhöhe irgendwo hinzuschicken, mal in die eigenen Kinder zu investieren.
Ich hoffe, ich werde diesmal damit fertig, immer wieder bin ich kurz davor, in Heulkrämpfe auszubrechen. Ich hoffe, ich werde irgendwann darüber hinweg kommen. Und hoffe das für alle anderen auch.

Keine Entschuldigung

Von Dorit

Ich habe mich entschieden meine Geschichte hier aufzuschreiben, weil auch ich der Meinung bin, dass eine Frau selbst entscheiden muss, ob sie ein Kind will oder nicht.
Ich bin jetzt 32 und habe vor gut einem 1 1/2 Jahr abgetrieben. Bei meiner ersten Schwangerschaft war ich suesse 17 Jahre alt und habe nicht einen Moment daran gezweifelt, dass dieses Kind zu mir gehoert. Mein damaliger Freund und heutiger Mann stand 100% zu mir, da gab es keine Frage oder die Aussage: das musst Du selbst wissen.
Heute ist unser Sohn 15 Jahre und wir sind stolz auf ihn, die beiden Toechter sind 14 und 11, wir sind also eine grosse Familie. Die Juengste ist ein sogenanntes Pillenkind, einmal Magen-/Darmgrippe und es war passiert. Ok, damals noch kein Problem,wo 2 sind wird auch das 3. gross.
Und dann war ich 2004 ploetzlich wieder schwanger, ungewollt. Man koennte jetzt sagen, wo 3 sind wird auch das 4. gross, aber es war alles anders.
Von dem Moment an wo ich wusste, dass ich schwanger bin hatte ich nur noch Angst. Nicht Angst vor der Geburt sondern Existenzangst.
Wir haben uns in den letzten Jahren unser Leben aufgebaut, die Kinder waren immer da und sind mit hineingewachsen. Wir sind nicht reich und nicht arm, Mittelklasse eben. Beide haben wir gute Arbeit und ich verdiene als Frau eigentlich ganz gut.
Aber 3 Kinder sind bereits viel und das Leben will auch bezahlt sein, alles wird teurer aber der Geldbeutel nicht voller eher im Gegenteil. Ich selbst bin der Meinung, dass Geld nicht alles ist. Aber in diesem Moment brach alles zusammen. Wenn ich das Baby bekommen haette, haette ich nur 1 Jahre daheim bleiben, danach auf keinen Fall mehr voll arbeiten gehen koennen. Das heisst, das Geld wird weniger aber ein Kind mehr.
Viele sagen vielleicht, dass sind nur Ausreden, vielleicht stimmt das. Aber ich bin seit 9 Jahre allein, mein Mann ist auf Montage, ich hatte nur noch Angst. Ich schaffe das nicht, nochmal ein Kind, wer schafft es in die Kita, wer holt es wieder ab, Die Großen sind schulisch total gebunden, die konnte ich damit nicht auch noch belasten.
Woher soll das Geld kommen fuer Kita und all die anderen Dinge, die ein Kind braucht. Ich verdiene dann weniger, aber wir rechnen jetzt doch schon jeden Monat, was wird danach ?? Ich fange bei 0 an, habe alle kleinen Kindersachen an Beduerftige und Heime gegeben und nun ??
Es gab und gibt so viele Gruende, die dagegen sprachen und von Anfang an war da nur Angst, riesige Angst. Mein Mann sagte: stell dir vor, nochmal so einen kleinen Schatz, der im Garten hinter unserem Haus rennt und spielt, du bleibst zu Hause, irgendwie geht das. Ich fragte nur: wie soll es gehen, sag mir nur wie ? Gibt es dann den Garten noch?, koennen wir das Haus noch bezahlen? Kein neues, supermodernes Haus , ein altes Haus, in viel Liebe und Arbeit neu aufgebaut. Die Maedchen haben ein Zimmer zu zweit, das naechste Problem. Woll soll das Kind leben, die Zimmer sind alle belegt. Bis 3 Jahre bei uns und danach ? Fuers Anbauen haben wir dann erst recht kein Geld mehr.
Keine Antwort rechnen hin, rechnen her es geht nicht. Die Kosten schlagen ueber uns zusammen, dass schaffen wir nie. Schon das eine Jahr nur mit Erziehungs und Kindergeld wuerde uns an unsere Grenzen bringen.
Ich habe gebetet, gehofft und doch verloren. Ich war 1 Woche wie tot, kein Schlaf, kein Lachen, nur noch Traenen. Ich liebe meinen Mann, auch nach 17 Jahre immer noch. Da war ein Teil von ihm und ein Teil von mir in mir und auch wenn es unglaublich klingt ich habe das Kleine von Anfang an geliebt und doch hatte es nie eine wirkliche Chance.
Ja, ich habe abgetrieben, in der 8. SSW. Ja auch ich bin in den Augen vieler schuldig, habe mein Kind umgebracht. Ja, ich war egoistisch, habe an uns und unsere 3 Kinder gedacht. Was wuerden wir alles verlieren und keiner koennte und wuerde uns helfen. Und immer wenn ich auch nur an die Zukunft zu sechst dachte, hatte ich Angst unsagbare Angst.
Aber wer denkt an uns Muetter, wer hilft uns, alle die, die gegen Abtreibung sind und groß Hilfe anbieten, wenn man sie wirklich braucht bleibt diese aus.
Ich dachte oft an mein Kind, ich ging zu diesem Eingriff weinend und bin auch weinend aus der Narkose erwacht. Ich habe es nicht bereut aber lange gebraucht, um darueber hinwegzukommen. Irgendwann spaeter habe ich meinen Mann gefragt, wolltest du das Kind ? Oder hat dir nur der Gedanke gefallen ?- rede nicht drum herum, sag einfach ja oder nein. Seine Antwort war nein - ich will nicht sagen, dass es mir gutgetan hat aber es hat mir geholfen zu wissen, dass auch ihm klar war, dass wir es nicht schaffen.
Ich wuerde wahrscheinlich auch heute in der gleichen Situation wieder so entscheiden, es gibt Momente im Leben, da handelt man nach dem Verstand und nicht nach dem Herz genau das habe ich getan.
Ich habe mir eigentlich selbst den groessten Wunsch verwehrt, nochmals ein Kind in den Armen zu halten, denn eigentlich bin ich noch jung genug. Aber man kann nicht jeden Traum oder Wunsch verwirklichen, irgendwo gibt es eine Realitaet und die laesst ein 4. Kind einfach nicht zu.
Ein Baby ist niedlich und es ist wunderbar sein eigen Fleisch und Blut im Arm zu halten ich weiß das, habe ja bereits 3 Kinder. Aber ein Kind waechst und wird groeßer, es kommen Probleme, Kosten und vieles mehr. Niemand sollte sich ein Kind anschaffen nur weil er ein Baby im Arm haben moechte. Die Entscheidung fuer ein Kind ist eine Entscheidung fuers Leben, man übernimmt Verantwortung und nur wer dazu bereit ist der sollte es auch tun. Ich war es bei meiner 4.Schwangerschaft nicht mehr.
Ich wollte nicht, dass ich irgendwann meinem Kind den Vorwurf mache: wegen Dir ist alles anders, wegen Dir kann ich das und das nicht mehr tun, wegen Dir habe ich mein Leben total veraendert.
Ich wollte auch nicht, dass ich mein Kind staendig zu Oma und Opa abschieben muss, weil Mama und Papa Geld verdienen muessen. Oma und Opa wohnen zu weit weg, koennen es auch nicht von der Kita holen.
Ich wollte nicht, das mein Kind das letzte im Kita ist, die Erzieherin die Tuer schon abgeschlossen hat und nur darauf wartet, dass ich mein Kind endlich hole. Und ich komme wieder zu spaet, weil die Arbeit fertig werden muss und nicht liegenbleiben kann.
Heute geht es mir wieder gut, ich geniesse die Zeit mit unseren 3 Grossen und freue mich ueber ihre Entwicklung. Manchmal, das gebe ich ehrlich zu, denke ich an das 4., ich habe es nicht vergessen aber damit abgeschlossen.
Ich habe mich für den Abbruch entschieden, bin ich deshalb ein schlechter Mensch, eine schlechte Mutter ?

Der Weg des Leidens

Von Anna E.

Ich bin 19 Jahre und ich muss nun endlich über meine Abtreibung schreiben,
auch um das ganze Geschehen endlich zu verarbeiten – oder zumindest um es zu
versuchen.

Meine Abtreibung liegt noch nicht lange zurück, es war der 08.08.2005 als
ich meinem Baby die Chance auf ein Leben nahm.

Ich denke das der Anfang meines Leidens schon vor 3 Jahren begann, als ich
von zu Hause in eine andere Stadt zog weil ich mit meinen Eltern nicht mehr
klar kam und dort in der neuen Stadt meinen mittlerweile Ex-Freund kennen
lernte. Es war anfangs wunderschön mit ihm und ich erlebte Gefühle die ich
vorher noch nie zu spüren vermochte. Eine sehr intensive Zeit verband uns,
als wir noch glücklich waren.

Er verließ mich nach einem halben Jahr und für mich brach eine Welt
zusammen. Von nun an, war es ein ständiges Hin und Her zwischen uns. Er kam
nur noch wenn er etwas brauchte, sei es Geld, Sex oder Sonstiges und verließ
mich kurz darauf wieder. Ich ließ es jedes Mal über mich ergehen, obwohl ich
genau wusste, dass ich daran kaputt gehe. Von ihm weggekommen bin ich nie –
bis heute nicht. Auch wenn er mich in den letzen 2 Jahren nur betrogen,
belogen und ausgenutzt hat, konnte ich nicht von ihm loslassen. Der
einzigste Strohhalm an dem ich mich hielt war, das ich hoffte dass er mich
in irgendeiner Weise noch liebte. Er drohte mir was mir nicht alles blühe,
wenn ich ihn verlassen würde und ich bekam Angst. Nicht direkt vor ihm,
sondern davor was aus mir wird wenn er nicht bei mir ist – ich hatte Angst
das ich mein Leben nicht ohne ihn packe – schließlich brauchte ich ihn doch!
Als er anfing mich „aus Spaß“ zu schlagen – mir somit meinen Stolz und meine
Würde nahm, beschloss ich eine Therapie anzufangen, da ich merkte wie ich
seelisch und psychisch daran zerbrach.

Ich sah jedoch nach circa 1 1⁄2 Monaten immer noch keine Besserung
meiner
Situation und brach somit die Therapie ab. Sicher, eine Therapie ist erst
auf Dauer wirksam, aber ich wollte einfach so schnell wie möglich von diesen
Jungen wegkommen – schließlich war ich abhängig von ihm. Ja, und somit
begann der Alltag wieder mit ihm. Er kam und ging wann er wollte – und ich
musste/wollte damit einfach klar kommen.

Das ist auch der Grund, warum ich mich vor ein paar Monaten wieder einmal
auf ihn einließ. Obwohl ich wusste, das er sich nie mehr ändern würde, ging
ich wieder auf ein.

Als der Schwangerschaftstest positiv ausfiel, bin ich erst einmal aus meiner
Wohnung gestürmt und bin die Straßen lang gerannt. „Was mache ich bloß? Wie
erkläre ich es ihm? Ich liebe dich mein Baby!“ Das waren die ersten
Gedanken.

Mein Ex-Freund drohte mir mich zu verlassen, wenn ich nicht abtreiben würde
und redete mir ein dass ich es nie schaffen würde. Meine Mutter, die seit
Jahren eine Fremde für mich ist, war ebenfalls der festen Überzeugung dass
dies die einzigste Möglichkeit für mich ist – für sie gab es keine andere
Wahl. Mit meinen Vater hab ich seit Ewigkeiten nichts mehr zu tun und meine
Großeltern fanden ebenfalls das mein Baby  „weg“ musste. Ich kann gar nicht
sagen, wie sehr ich mir Unterstützung gewünscht hätte, ein paar nette Worte
oder wenigstens eine Umarmung. Ich war ganz alleine mit meinem Baby und mit
meinen Gedanken.

Also bin ich von meiner Mutter am 05.08.2005 ins Krankenhaus gefahren worden
und wurde auch prompt wieder heimgeschickt, weil ich total aufgelöst war und
nur noch geweint und gezittert habe. Die Ärzte meinten man könne mir so eine
psychische Belastung nicht zumuten und so fuhren wir wieder heim. Meine
Mutter war überhaupt nicht begeistert und redete kein Wort mehr mit mir,
während ich nur noch zu Hause im Zimmer rum gesprungen bin, weil ich so
unsagbar glücklich war, das ich es nicht gemacht hatte!
Nach stundenlangen, tagelangen Einreden meiner Mutter fuhr sie mich am
08.08.2005 noch einmal in die Klinik.

Wir saßen im Wartezimmer und ich wurde von einem sehr unfreundlichen Arzt in
ein Zimmer gerufen. Nach zehn Minuten bin aus diesen Zimmer gestürmt und ich
sagte zu meiner Mutter das ich mich unter keinen Umständen von diesem Arzt
mein Baby nehmen lassen würde. Meine Mutter organisierte eine Ärztin die
sehr nett war.

Von da an ging alles sehr schnell. Ich wurde von einer Narkoseärztin zu der
Narkose beraten, und ich wurde in einen Raum gebracht, in dem ich mich nackt
ausziehen musste. In diesen Raum lag ein Kittel den ich mir hinten am Hals
mit einem Bändchen zumachen konnte. Nur noch wegrennen wollte ich, obwohl
ich fast nackt war und nur einen Kittel anhatte. Ich schließ mich daraufhin
in die Toilette ein und habe mich dort erst einmal übergeben. Ich war so
verdammt traurig, ich fühlte mich als würde mir jetzt gleich mein Leben
genommen werden. Eine Betreuerin hat mich nach einiger Zeit aus der Toilette
geholt, weil es wohl auffiel das ich nicht mehr da war und ich auf die Rufe
der Betreuerinnen nicht reagierte. Ich wurde auf ein Bett gelegt und bekam
durch eine gelegte Kanüle im Arm Beruhigunsmittel eingespritzt. Nach kurzer
Zeit brachten mich 2 Schwestern in den Operationsraum – ich musste nur mit
diesen Kittel an durch einem extra Raum und Gang laufen.

Beine breit musste ich mich auf einen Gynäkologenstuhl setzen und mir wurden
sofort die Arme und Beine mit einen Gürtel festgeschnallt. Von diesem Moment
an war ich mir sicher, „Du kannst nicht mehr weg!“. Da lag ich nun also
festgegurtet, mit nur einen Kittel an auf diesen Gynäkologenstuhl und mir
liefen die ganze Zeit Tränen hinunter. Ich wartete nur noch darauf das mir
der Narkosearzt die Spritze gab, das ich endlich schlafen würde, da ich nun
nichts mehr machen oder sagen konnte, mir fehlte dazu einfach die Kraft. Als
ich mir das Narkosemittel gespritzt wurde, bekam ich kurze Zeit darauf noch
eine Spritze – ich denke weil ich mich gewehrt habe einzuschlafen.

Aufgewacht bin ich dann erst wieder in diesem Raum wo ich ganz am Anfang
schon lag, und merkte nur noch wie mir jemand eine Binde zwischen die Beine
legte. Ich lag in diesen Raum circa 2 Stunden, bekam Wasser und
Tee
eingeflößt und durch die vorhandene Kanüle Kreislaufmittel, das ich wieder
„auf die Beine komme“. Die Dame, die mich dort nun betreute, war eigentlich
sehr nett und sie tröstete mich.

Später brauchte sie mich auf die Toilette weil ich Urin ablassen sollte –
sie wartete draußen. Aber statt Urin, kam nur Blut heraus und ich fing
fürchterlich an zu schreien. Die Betreuerin kam hereingestürmt und meinte
nur das es „ganz normal“ sei.

Kurz darauf kam meine Ärztin um mir zu sagen, wie die Operation verlaufen
war und sie teilte mir mit das alles gut gegangen wäre. Am liebsten hätte
ich sie für diesen Satz erwürgt. Ich hatte inständig gehofft das sie mein
Baby in mir nicht finden – das es sich versteckt und bei mir bleibt.

Es tut mir so Leid mein Schatz! Ich liebe dich!

Ich kam mir in diesen Krankenhaus vor wie bei einem Schlachter und trotzdem
kann ich mir nicht im Entferntesten vorstellen wie schrecklich es für mein
Baby gewesen sein muss.

Als meine Mutter mich abholte, merkte ich wie froh sie war das mein Baby
„weg“ war und ich hasste sie dafür. Sie fuhr mich am nächsten Tag wieder
zurück in meine Wohnung.

Am Abend erhielt ich Besuch von meinen Ex-Freund. Ich wurde auch von ihm
nicht in den Arm genommen und merkte auch ihm seine Erleichterung an. Als er
schließlich wieder Geld und/oder Sex wollte und ich nichts dergleichen geben
wollte, verließ er mich, obwohl er mir versprochen hatte für mich da zu
sein. Ich hatte innerhalb von 2 Tagen nicht nur mein Kind sondern auch
meinen geliebten Ex-Freund verloren, und nun muss ich lernen damit klar zu
kommen.

Wie das geht fragen sich jetzt sicherlich alle? Ich habe den richtigen Weg
noch gefunden und weiß es noch nicht welchen ich einschlagen werde. Im
Moment befinde ich mich in einer Sackgasse, und ich versuche mit Alkohol den
Ausweg zu finden und die Sicht zu klären. Das dies unmöglich ist weiß ich
selbst. Seit kurzer Zeit bin ich zu dem Entschluss gekommen, das von hier
wegziehen muss um neu anzufangen, da ich es seelisch und körperlich nicht
mehr aushalte verlassen zu werden.

Die letzten Worte möchte ich gerne an meine kleinen Samira richten: Du lebst
in mir fort – nur diesmal an einem anderen Ort! In meinen Herzen.



Atlanta, USA, 9. Juli 2005

von Vanessa

An alle Frauen auf dieser Welt,

ich hoffe wirklich von ganzem Herzen dass dieser Brief gezeigt wird denn das
waere das einzig Positive was ich aus meiner Abtreibung heraus holen kann.

Ich bin 26 und befinde mich fuer 3 monate in Amerika um hier ein Praktikum
zu machen. Ich habe seit einem Jahr einen Freund der 30 ist und den ich so
liebe wie noch nie jemanden zuvor. 3 Wochen nachdem ich in Amerika ankam
stellte ich fest das ich schwanger war und zwar gerade am Anfang. Bis ich
den Test machte, hatte ich eigentlich schon die ganze Zeit das Gefuehl
schwanger zu sein. Ich habe es geahnt auch wenn es nicht geplant war.....und
ich habe es gefuehlt....nun stand ich da, in einer Stadt namens Atlanta, in
einem Haus, in dem ich ein Zimmer gemietet hatte -ganz allein- mit dem Test
der mir die Nachricht brachte..Ueber der Toilette hing ein Spiegel und ich
sah mein Gesicht...erst habe ich gelaechelt und dann habe ich geweint. Mein
Instinkt war es mich zu freuen denn ich sollte ein Baby bekommen von dem
Mann den ich ueber alles liebe aber dann habe ich geweint denn ich hatte
Angst vor der Reaktion der anderen. Und dies war berechtigt..denn was ich
mir anhoeren musste, war nicht das was ich mir wuenschte: "WAS, jetzt ein
Kind?? Ihr seit doch noch nicht lange zusammen...Ihr habt doch nicht genug
Geld...Ihr streitet doch so oft..Ihr wohnt ja noch nicht mal zusammen!!!!"
Mir war das alles egal. Ich bin ein Kaempfer und wusste es wird kein Problem
all das in den Griff zu bekommen. Doch leider wurde der Kaempfer zu einem
schwachen traurigen Kleinkind als die Reaktion meines Freundes kam.."Wir
sind doch noch nicht bereit fuer ein Kind..Wir kennen uns noch nicht gut
genug um diesen Schritt zu gehen" Um das alles kurz zu machen..alle sagten
mir mach es nicht!!! Und damit war klar dass ich abtreiben sollte..ich habe
mich so in all das Gerede reingesteigert dass ich, die Frau die immer gegen
Abtreibung war, vorm Computer sass um Abtreibungskliniken zu finden..Ich
dachte sie haben alle recht...hinterher sitze ich noch als allein erziehende
Mutter da und keiner will mich..ich wollte doch auch erst heiraten....naja,
ganz allein sass ich hier..keiner war da aber alle hatten sie
Ratschlaege..Koennt Ihr Euch das vorstellen? Dann ging es ganz schnell..am
Tag der Abtreibung kam mein freund fuer 3 Tage aus New York..ich holte ihn
am Bahnhof ab und 4 stunden spaeter sassen wir in der Klinik.Mein Blut wurde
getestet, ich musste 350 dollar bezahlen und man sagte mir ich sei in der 7.
Woche. Ich hatte keine Zeit meinen Freund noch mal zu umarmen. Ich wurde in
ein Zimmer gebracht und bekam Valium. Dann bekam ich eine Tablette unter die
Zunge gelegt und ich sollte mich ausziehen und auf einen Stuhl legen. "In 30
Minuten kommt der Arzt" sagte die Schwester und verliess das Zimmer und
schloss die Tuer. An der Tuer hing ein riesen grosser Spiegel in dem ich
sehen konnte wie ich auf diesem Stuhl lag. Ich habe so gezittert, mir war so
kalt und ich fuehlte mich so schlecht wie noch nie..Ich habe sooooo
geweint....und darauf gewartet dass das Valium wirkt aber nichts
passierte.Es lief das Radio und ich hoerte Liebeslieder. Wo war bitte die
Liebe in diesem Moment? Ich habe so geweint, ich war so traurig...und dann
kam ein Arzt rein.. "ok, es geht jetzt los" sagte er und zog sich
Gummihandschuhe an. Ich fragte ob er der Arzt sei denn er stellte sich nicht
mal vor. Dann hoerte ich sowas wie das Geraeusch eines Saugers....und
dann...:-( das koennt ihr euch ja sicherlich denken...ich hatte keine
nakose, ich war voll da, ich habe alles miterlebt und die
Schmerzen.......ich konnte es nicht aushalten...ich bin immer in meinem
Stuhl hoch gerutscht, die schwester hielt mich fest..dann wurde es
zuviel..ich schrie..mein Koerper hat sich so gewehrt aber man hat einfach
die Hand vor meinen Mund gehalten und gesagt "SSSHHHHHHH...."......:-( nach
einigen Minuten wurde es ruhig und der Arzt sagte es ist vorbei...dann kamen
die schlimmsten Schmerzen. Mein Bauch blaehte sich so auf...ich habe echt
gedacht ich sterbe.(Der Uterus blaehst sich danachauf und geht nach einigen
Minuten wieder zurueck) Ich habe so gezittert und geweint und gesagt BITTE
LASST MICH NICHT ALLEINE..Der Arzt den ich in diesem Moment so hasste, ich
bat ihn bei mir zu bleiben und meine Hand zu halten.Ich bat darum meinen
Freund zu sehen aber das durfte ich nicht. Man bat mich aufzustehen..Ich
konnte aber nicht aufstehen also haben die Schwestern mich aufgerichtet und
mir gesagt ich soll meine Hose anziehen...ich stand da und versuchte in
meine Hose zu kommen waehrend die Schwestern am anderen Ende standen und
sich Geschichten erzaehlten. Man bot mir einen Apfelsaft an. Einen Apfelsaft
und ich nahm dankend an, mit zitternden Haenden und einem Gesicht voller
Traenen..Danach hatte ich die Moeglichkeit alleine in einem zimmer zu ruhen
oder ins Wartezimmer zu gehen um meinen Freund zu sehen. Ich entschied mich
fuer meinen Freund. Als ich das zimmer betrat fing er an zu weinen. Ich muss
wohl so schlimm ausgesehen haben....ich bekam noch einige Medikamente mit
auf den Weg und dann wurden wir abgeholt...:-(

Frauen!!! Ich war nicht ich selbst. Ich habe das gemacht was andere wollten
aber es war nicht was ich wollte. Ich war zwar die Person die auf dem Stuhl
lag aber ich war so beeinflusst, dachte daran alleine mit einem Kind zu sein
und der ganze Mist. Dass es aber MEIN Kind sei, dass ich es ueber alles
lieben wuerde weil es ein Teil von mir ist, dass es mit keiner Liebe zu
einem anderen Menschen vergleichbar sein wuerde, daran habe ich nicht
gedacht. Diese grosse Liebe war schon da und zwar von Anfang an und ich habe
das Leben zu einem Teil von mir unterbrochen! Damit werde ich immer leben
muessen und ich bereue es so sehr.Alle um mich herum sagen sie bereuen es
aber was bringt mir das?? Mein Baby ist tot! Und ich muss immer daran denken
wie ich auf diesem Stuhl sass. Bis an mein Lebensende!!! Ich glaube an Gott
und daran dass alles einen Grund hat. Ich musste das alles so erleben damit
ich Euch sagen kann, EGAL WIE DIE UMSTAENDE SIND, MACHT ES NICHT! Es ist
unnatuerlich und abartig. Sicherlich bin ich an einen sehr unprofessionellen
Arzt geraten und war bei vollem Bewusstsein, was in Deutschland nicht
passiert. Aber der Ablauf ist immer derselbe, ach wenn ihr dabei unter
Narkose seit. Der Koerper stellt sich auf ein Baby ein und wir Menschen
reissen es wieder raus! DAS IST NICHT OK UND EINFACH NUR GRAUSAM! Denkt ihr
dass Ihr in dem Moment wo ihr das Baby seht noch daran denken werdet wie es
waere wenn ein mann euch nicht will wegen des Kindes? Es ist EUER Kind und
der instinkt einer Frau ist es, dieses zu schuetzen. Deswegen ist es absolut
unmenschlich sein eigenes Kind zu toeten. Ich hoffe das ich einigen Menschen
hier dies verstaendlich machen kann.Wenn von hundert frauen 99 jetzt den
Kopf schuetteln und eine davon mich versteht dann konnte ich wenigstens ein
Leben retten. Ein Leben, von dem wir heute noch nicht wissen, was Gott
grossartiges damit vorhat. Ich war uebrigens auch nicht geplant und nun
sitze ich hier und schreibe euch diese mail. Danke fuer Eure Aufmerksamkeit.

 

 

Brief an mein ungewolltes Kind

Von Jessica

Liebe/r Franz-Luise,

es fällt mir so sehr schwer dir das alles zu schreiben. Mein Brief an dich soll keine Rechtfertigung werden, die du verstehen oder begreifen sollst. So eine Tat ist immer unbegreiflich und vor allem unverständlich. Mein Brief ist wohl eher ein Bekenntnis an dich, denn ich könnte es nicht ertragen, wenn ich dich so ganz ohne eine Erklärung und ein Wort von mir gehen lassen würde. Wahrscheinlich hast du das alles schon längst in dir geahnt und gespürt. Denn so sehr ich auch mit mir gerungen, meine Qualen durchlebt und nach einer guten Lösung für dich gesucht habe, umso mehr hast du wahrscheinlich unter meiner Qual und meiner Selbstzermarterung gelitten. Es tut mir alles so Leid. Ich wollte nicht, dass es so wird. Aber ich sehe letztendlich keinen anderen Ausweg. Ich habe mir immer gewünscht eine gute Mutter für dich sein zu können. Ich wollte dir all meine Liebe schenken, dir ein Stück Sicherheit und Zuflucht, in dieser von Unsicherheit und Ängsten und Zweifeln zermürbten Welt, geben. Ich wollte dir Gute-Nacht-Geschichten von lieben und bösen Drachen erzählen, damit du für dich selber lernen kannst, was gut und richtig für dich ist. Ich wollte dich glücklich machen und dir helfen, ein guter, eigenständiger Mensch zu werden und vor allem wollte ich, dass du immer ganz du selber bleibst und du nicht so zerrissen wirst, wie deine komische Mutti. Ich wollte einfach, dass du deine Mutti auch in späterer Zukunft niemals vermissen müsstest und dass dir nie Mutterliebe und -wärme fehlen sollte.

Leider glaube ich oder bin mir sogar recht sicher, dass ich dir all das unter den jetzigen Voraussetzungen nicht geben kann. Sicher wäre ich nicht lieblos und kühl, aber deine Erziehung würde mich unendlich viel Kraft kosten und ich weiß nicht, ob ich imstande wäre, diese aufzubringen. Ich könnte dir jetzt all die ökonomischen, gesellschaftlichen und die Beziehung zwischen mir und deinem Vater betreffenden Gründe erklären, aber ich glaube, das wäre der Sache nicht dienlich. Solche idiotischen, aber leider unausweichlichen Gründe musst du nicht verstehen. Sie würden die Schuld, die auf mir lastet, nicht verringern. Unsere Welt ist so verrückt und macht uns das Kindergroßziehen, das Liebe-Geben und Glücklichsein so unendlich schwer und ich glaube, wenn ich dich in dieser schwierigen, grausamen und stumpfsinnigen Welt unter solch schwierigen Bedingungen großziehen würde, würde ich dich und mich eher unglücklich machen. Und das würde ich nicht ertragen, nicht weil ich unglücklich wäre, sondern weil es mir das Herz brechen würde, wenn ich dich unglücklich, verzweifelt und traurig sehen müsste. Vielleicht käme ja auch alles ganz anders, das kann keiner wissen, aber ich habe schon so viel Trauriges erlebt und bin schon so oft allein gelassen worden, dass ich mich auf so eine Hoffnung leider nicht verlassen kann.

Ach, Franz-Luise, alles, was ich versuche zu erklären, ist eigentlich so sinnlos und wiegt die Schuld nicht auf. Denn ich verwehre dir ja so unendlich viel. Ich verwehre dir das Leben, das Gott dir doch geschenkt hat. Ich verwehre dir den Duft von Rosen, das Gezwitscher eines Vogelschwarms, das weiche Fell einer Katze, wenn sie sich an dich kuschelt, das Schwimmen in einem See, wo alles nach Sommer, nach Natur und nach dir selbst duftet, das Beißen in eine große Wassermelone, in der dein kleines Gesicht fast unterzugehen droht und die so frisch duftet und so lustig klebt und zu guter Letzt verwehre ich dir die Liebe der Menschen. Es tut mir so Leid, ich weiß, du hättest ein Recht darauf, ein Recht darauf zu lernen, zu erfahren, zu begreifen, zu verstehen, zu lachen, zu weinen und zu verzweifeln. Bitte vergib mir irgendwann, wenn  du es kannst. Vielleicht ist es ein ganz kleiner Trost, wenn ich dir sage, dass ich dir auch einiges erspare. Was möchte ich jetzt nicht aufzählen – das gehört nicht hierher und es würde die ganze Sache ja auch nicht besser machen.

Ich hoffe, dass deine Seele zu Gott kommt und er dich sehr lieben wird, denn dass du ein unendlich liebenswerter Mensch bist, das spüre ich ganz stark. Wahrscheinlich wird er dich noch viel mehr lieben, als ich es jemals könnte. Du kannst ihn ja irgendwann einmal fragen, wie die Menschen so sind, dann weißt du, was ich meine, wenn ich dir sage, dass ich dir vielleicht auch einiges erspare. Naja, ich bin das beste Beispiel für die Schlechtigkeit der Menschen. Aber bitte glaube mir, ich wollte dir nie etwas Schlechtes tun, sondern immer nur Gutes. Ich glaube, dass es unter den jetzigen Umständen besser ist, wenn du nicht in diese verstrickte Welt hineingeboren wirst.

Ich kann immer noch nicht hinter meiner Entscheidung stehen und werde es wohl nie können. Aber du sollst wissen, dass ich dich sehr, sehr liebe, das sage ich nicht nur so blöd daher um dich zu trösten, nein, ich liebe dich ganz doll. Bitte verzeih mir, wenn du es kannst. Ich habe mir diese Entscheidung nicht leicht gemacht.
Ich küsse und umarme dich.
Deine dich ewig liebende Mutter
Jessica

 

 

Meine Geschichte

 

 

Von Brigitte

 

Ich bin 38 Jahre alt und lebe in Deutschland. Vor 5 Tagen war ich in einer Abtreibungsklinik in Holland, wo meine Schwangerschaft in der 13. Woche beendet wurde.
Mein Mann und ich hatten uns schon lange auseinandergelebt und es war schon ewig von endgültiger Trennung die Rede. Geliebt habe ich ihn wahrscheinlich noch nie, habe mich die letzten Jahre nur noch geekelt. Eines Nachts verlor ich den Kampf gegen die Zudringlichkeiten meines Mannes. Ich verdrängte alles, so wie ich es immer tue und dachte auch nicht weiter nach, als meine Periode ausblieb. Eines Tages hatte ich jedoch so ein komisches Gefühl und ich kaufte einen Test in der Apotheke. Er war positiv. Ich dachte, meine Welt bricht zusammmen. Am nächsten Tag kaufte ich einen weiteren Test (anderes Fabrikat), welcher wieder positiv war. Ich rannte sofort zu meiner Hausärztin, deren Mann Gynäkologe ist. Sie gab mir eine Überweisung für den nächsten Tag. Beim Ultraschall stellte sich heraus, dass es wohl schon die 12. Woche war. Er schickte mich weiter zu einem Kollegen, der Abtreibungen durchführt. Dieser wollte es nicht mehr machen, da er meinte, es sei bereits die 13. Woche. Dann überweis man mich in die Polyklinik, wo ich aber auch unverrichteter Dinge nach Hause geschickt wurde. Also blieb mir nur noch die Fahrt nach Holland als letzte Alternative. Es ist nicht weit dorthin.
Ich kam dort an mit hängender Zunge, fix und fertig, weil ich mich erst verfahren hatte und dann im Stau gelandet war. Aber alle dort waren nett, besonders nett!
Ich stellte mit Erleichterung fest, dass der Arzt keine Schönheit war, ansonsten hätte ich mich zu Tode geschämt. Er war aber super-freundlich und sehr mitfühlend. Der Eingriff war schmerzhaft, aber dauerte nicht lange. Danach bin ich im Ruheraum erschöpft eingeschlafen. Als ich später nach Hause fuhr, fühlte ich mich wahnsinnig befreit und unbeschreiblich erleichtert. Erst jetzt wurde mir bewusst, welche panische Angst mir diese Schwangerschaft eingeflößt hatte. Angst, auf einmal mit 38 mit Kind dazustehen, ganz alleine...ein Kind von diesem egomanischen Kerl, der mir Gewalt angetan und mich in den 5 Jahren unserer Ehe immer nur alleine gelassen hatte, der mich betrogen und belogen und nur ausgenutzt hat....NEIN! Ich hatte Angst, das Kind könnte aussehen wie er oder seinen Charakter haben. Mein Mann hat mir nie bei Problemen zur Seite gestanden, wenn Probleme da waren, ist immer weggerannt, wenn ich krank war und hat nie bemerkt, wenn ich traurig oder unglücklich war. Ich hatte Angst, blöde Fragen beantworten zu müssen und ein Kind heranzuziehen, welches ohne Liebe aufwachsen muss. Überhaupt hatte ich nie ein Kind gewollt, Kinder immer als nervig und lästig betrachtet und unserem Herrgott mindestens 10.000 Mal gedankt, dass mir das erspart geblieben ist. Und nun das... schwanger von diesem verhassten Menschen und mutterseelenallein. Ich musste etwas dagegen tun! Deshalb habe ich keine Sekunde gezögert, eine Abtreibung vornehmen zu lassen.
Nun, unmittelbar nach dem Eingriff war mir, als hätte der besagte Arzt mir das Leben gerettet. Ich musste mich beim Abschied beherrschen, um ihm nicht um den Hals zu fallen vor Dankbarkeit. Ich hätte ihn küssen können!
Einige Stunden später veränderte sich mein Zustand jedoch zusehends: Ich wurde traurig.
Mittlerweile bin ich so deprimiert und von tiefer Trauer zerrissen, dass ich es kaum noch aushalten kann. Ich würde mir am liebsten das Leben nehmen. Es tut so weh!
Ich plage mich mit Schuldvorwürfen, fühle mich schäbig und habe das Gefühl, mich in allergröbster Form versündigt zu haben. Das Paradoxe ist, dass ich es, wenn ich die Uhr zurückdrehen könnte, wieder tun würde.
Ich quäle mich mit dem Gedanken, dass dieses Kind (für mich ist es bereits ein richtiges Kind gewesen, immerhin fast 5 cm groß) zwar zu 50 % SEINE Gene geerbt hätte, aber auch zur Hälfte meine. Es war ein Teil von mir, und ich habe es getötet.
Nun merke ich auch, wie schön es war, schwanger zu sein. Ich hatte dicke Füße und Rückenschmerzen, aber mir war nie übel... Ich habe sogar - was ich nie für möglich gehalten hätte - nach 22 Jahren das Rauchen aufgehört... einfach so. Meinem Baby habe ich das zu verdanken... Es hat mich auf den richtigen Weg geleitet... Nicht rauchen, gesund ernähren... Was so eine Schwangerschaft, wenn auch erst einmal unbemerkt, doch alles ausrichten kann. Ich habe mich in diesen 3 Monaten von meinem Mann getrennt, der zu seiner 20-jährigen Freundin gezogen ist. Ich war so froh, ihn los zu sein und immer guter Laune, trotz vieler Probleme und Konflikte. Ich habe mich auch nie einsam gefühlt, aber jetzt, seit mein Baby tot ist, sterbe ich vor Einsamkeit. Ich halte es nicht mehr aus, es tut so unheimlich weh!
Ich hatte noch nie in meinem Leben so sehr das Verlangen danach, jemanden in meiner Nähe zu haben. Ich sehne mich so sehr nach einem lieben Menschen, der mich in den Arm nimmt und mir sagt, dass er mich TROTZDEM liebt, obwohl ich mein eigenes Baby getötet habe.
Leider bin ich alleine, meine Familie weiß nichts von alledem, nicht einmal von der Hochzeit mit meinem Mann. Ich habe mich 2 Freundinnen anvertraut, die eine hat als ganz junge Frau selbst einmal in Holland abgetrieben und dieses sehr gut verkraftet. Die andere hat wohl eine Abtreibung aus medizinischen Gründen hinter sich, aber nachdem sie bereits ein gesundes Kind hatte. Beide verstehen mich nicht, können sich nicht in meine Gefühlswelt hineinversetzen. Ich höre immer nur: Das geht vorbei...das sind die Hormone....warte mal ab, in ein paar Wochen macht dir das nichts mehr aus.
Wenn die wüssten....
Wie gesagt, ich würde wohl wieder so handeln, weil die Panik, in die ich geraten bin, als ich die Schwangerschaft bemerkte, so übergroß war, dass alle anderen Gedanken darin untergingen.
Als der Arzt nach dem Eingriff zu mir sagte: Sie sind jetzt nicht mehr schwanger!, empfand ich das als die schönsten Worte, die ich bisher gehört hatte. Im Nachhinein aber bekommen sie einen traurigen Beiklang.
Kurioserweise kommt mich auch seitdem keiner mehr besuchen und kaum jemand ruft an. Ich liege bis Mittag im Bett, wo ich abwechselnd weine und mich zwinge, mir vorzustellen, alles wäre auf einmal besser und anders.
Ich traue mich kaum noch heraus, und wenn ich draußen bin, fahre ich mit dem Auto ewig lange sinnlos herum, weil ich mich nicht mehr nach Hause traue... Dort warten die Einsamkeit, der Kummer, die Schuldgefühle.
Ich bin SO ALLEINE! Ich wünsche mir nichts mehr, als endlich, nach all den Jahren des Alleinseins und nach diesem finalen "emotionalen Supergau" einen Menschen zu finden, der zu mir steht, mit dem ich reden kann und dem ich zum ersten Mal in meinem Leben mein Herz ausschütten kann. Vielleicht würde es mir dann gelingen, mit diesem unermesslichen Schmerz fertig zu werden.
Ich hoffe und bete und gebe nicht auf...bis jetzt...

 

 

Der Letzte seines Geschlechts

Von Didier    

Ich bin der Letzte meines Geschlechts, des Geschlechts der Jingli. Jemand hat mir mal erzählt, dass es irgendwo eine Sprache geben soll, in der das Wort so viel bedeutet wie „Macher“ oder „Manager“. Ja, das sind – oder besser: waren – wir: Macher, Leute, die alles im Griff haben. Ich korrigiere: hatten. Aber vielleicht glaubten wir das auch nur und hatten in Wahrheit gar nichts im Griff. Doch ohne Zweifel waren wir ein blühendes Geschlecht und brachten es hier auf Lantou zu einer Hochkultur, die ihresgleichen sucht. Aber es war – wer hätte es gedacht damals, als wir uns im Ruhm unserer zivilisatorischen Errungenschaften sonnten –, es war bei uns wie bei allen hoch entwickelten Kulturen: Auf den Gipfel folgte der unaufhaltsame Niedergang. Und nun bin nur noch ich übrig. Die Jingli sind ausgestorben, denn ich werde mich töten. 

 

Auf dem Gipfel hatten wir einfach alles: Arbeit für alle (keine allzu schwere, versteht sich), Geld für alle, Unterhaltung für alle, Wohlleben für alle. Wir hatten einen Lebensstandard, der kaum Wünsche offen ließ. Viel verdankte unser Geschlecht, wie ich nach ausgiebigem Studium unserer Geschichte glaube sagen zu können, den Lehren des Alten, der auf Lantou der eigentlich stets unumstrittene Vertreter des Höchsten war. Der Höchste gilt der Überlieferung zufolge, deren Bürge der Alte ist, als Schöpfer unseres Geschlechts. Und ohne seine Lebensregeln und Anweisungen wären unser wirtschaftlicher Aufstieg und die kulturelle Blüte in der Form nicht denkbar gewesen.

Rückblickend scheint mir im Umkehrschluss die Abkehr von den überlieferten Regeln die Wurzel allen Übels zu sein. Irgendwann gab es nur noch eine Minderheit von Leuten, die prinzipiell und wirklich treu zu den Überlieferungen standen. Die anderen sprachen zwar auch immer davon, dass man den Alten respektiere und an den Höchsten glaube, aber es war irgendwie keine Herzenssache mehr. Wir fühlten uns so stark, so unabhängig, so souverän. Ein anderer Souverän schien da – rein gefühlsmäßig – obsolet geworden zu sein. Über die Regeln des Höchsten wurde auch nicht mehr gesprochen und so ganz nebenbei, schleichend hatten sich Regeln etabliert, die eigentlich gar nichts mit denen der Überlieferung zu tun hatten, ihnen geradezu widersprachen, aber niemand regte sich darüber auf. Denn wenn die Regeln, die jetzt in Kraft waren, auch nicht dem offenbarten Willen des Höchsten entsprachen, so doch dafür um so mehr dem gesunden Jingli-Verstand und dem allgemeinen Empfinden. Die meisten nahmen daher auch überhaupt nicht wahr, dass es solche Widersprüche gab. Ich selbst habe davon auch nichts gewusst und bin erst im Rahmen meiner Recherchen in den letzten Equinoxen auf diese extremen und in der Summe schockierenden Divergenzen gestoßen. Was es besonders schwer machte, diese Fehlentwicklung zu erkennen und aufzuhalten, war sicher auch, dass nicht mal der Alte sich darüber aufregte. Dabei musste er es doch wissen. Und er war auch immer noch unser Oberhaupt, allseits anerkannt. Die Entscheidungsgewalt in allen politischen Fragen und Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens hatte er zwar der Zentralregierung überlassen, einer von allen mündigen Jingli gewählten Volksvertretung, aber er blieb doch so eine Art oberster Wächter über alles.

An dieser Stelle ist hinzuweisen auf die bereits kurz erwähnte Minderheit der „wahren Nachfolger des Alten und der Lehre des Höchsten“, eine Gruppe, deren Mitglieder an jedem Satz der Überlieferung geradezu sklavisch treu festhielten. Große Unsicherheit herrschte freilich darüber, welche Autorität den „wahren Nachfolgern“ zuzuerkennen war. Denn neben ihnen gab es noch eine andere religiöse Fraktion, die ihre Ansichten und Verlautbarungen auf die Mehrheitsmeinung abstimmte und entsprechend an den Überlieferungen herumdokterte. Man veröffentlichte so genannte Interpretationen, die die Überlieferungen als zeitbedingt und damit nicht in jedem Fall auf die gegenwärtigen Verhältnisse anwendbar relativierten. Die Interpretatoren hatten gegenüber den „wahren Nachfolgern“ einen entscheidenden Vorteil: Sie wurden mit Mitteln des Ministeriums für Kultur und Geist, also unmittelbar von der Zentralregierung, gefördert. Ihr unbestreitbarer Nachteil war, dass der Alte sie nicht offiziell anerkannte, aber das fiel kaum ins Gewicht, denn ungeachtet dessen gab man sich – ein wahrer Geniestreich! – einfach konsequent den Anschein den letztgültigen Willen des Alten zu repräsentieren. Und da dieser sich auch nicht die Mühe gab dem zu widersprechen – Öffentlichkeitsarbeit ist noch nie die Stärke des Alten gewesen – glaubte eigentlich jeder Jingli, dass die Interpretatoren faktisch das Sprachrohr des Alten seien, während man die „wahren Nachfolger“ nur als das wahrnahm, was sie ja auch waren: eine unbedeutende Randgruppe. Heute bewerte ich das natürlich etwas anders: Ich sehe in diesen Weichenstellungen vor allem eines: wie sehr sich alle führenden Jingli-Organe einig darin waren, dass man sich seine Entscheidungsautonomie nicht durch eine andere Instanz streitig machen lassen wollte, und man fand vielerlei Mittel und Wege dazu. Der wirksamste – ein genialer Coup im Grunde – war den Alten praktisch mundtot zu machen, ja ihn gewissermaßen zu entmündigen. Warum hat er nur nichts dagegen unternommen? Er hatte doch gewiss den weiteren Horizont und konnte absehen, welche fatalen Folgen es langfristig haben würde, wenn man sich von den Überlieferungen löste.

 

Wie kam es nun genau zu unserem Untergang? Ich will jetzt nicht auf die typischen Wohlstandskrankheiten wie Fettsucht oder Depression oder Gesundheitsschäden durch Rauschmittel-Konsum eingehen. Das sind Nebensächlichkeiten, die in jeder entwickelten Volksgemeinschaft vorkommen und durch die moderne Medizin wirksam bekämpft werden können. Das Hauptproblem, auf das die Jingli-Forscher Schunto und Tarkok in der 4555. Equinoxe unserer Zeitrechnung erstmals hinwiesen, war: Unsere Bevölkerung schrumpfte. Was damals noch eher achselzuckend zur Kenntnis genommen wurde, sollte sich bald zur nationalen Katastrophe auswachsen.

Ganz entscheidend für unsere verhängnisvolle demografische Entwicklung war zweifelsohne die gesetzliche Zulassung von Ableitungen durch die Zentralregierung in der 4427. Equinoxe. Dazu kam es folgendermaßen: Vielen Jingli galt auf dem Höhepunkt unserer Kultur das eigene Wohlleben und der auf das Selbst bezogene Sinnengenuss, der ja auch bei anderen Geschlechtern nirgends höher ist als beim Kopulationsakt, so viel, dass die so genannten Ableitungen üblich geworden waren. Bei Ableitungen geschieht folgendes: Die durch den Zeugungsakt entstehenden Jung-Jingli, die im Leib der Jingli-Weibchen heranreifen, werden auf Wunsch des Weibchens aus dessen Leib abgeleitet. Man muss fairerweise zugeben, dass der Terminus „Ableitung“ etwas beschönigend ist. Tatsächlich wurden die Jung-Jingli im Mutterleib zerstückelt und dann als totes Gewebe aus dem Mutterleib – naja, eben abgeleitet. Ich weiß, das hört sich jetzt so an, als wären wir verrückt geworden, denn wie kann man denn zulassen, dass ein Geschlecht seine eigene Nachkommenschaft vernichtet? Rückblickend zweifellos ein alarmierendes Untergangssymptom, aber es gab wirklich gute Gründe, es gab eigentlich immer einen guten Grund für eine Ableitung. Man muss wissen, dass neu zur Welt gekommene Jung-Jingli ein enormes Maß an Zeit und Geld, an Verantwortung und Fürsorge und noch jede Menge anderer Dinge in Anspruch nahmen, was die Lebensqualität des Individuums ganz erheblich verminderte. Auch die Gesetzgebung der Zentralregierung hatte immer mehr das Wohlleben der unabhängigen, aktiven, werktätigen und wirtschaftlich potenten Jingli-Individuen im Auge als das der Jingli-Familie. Mit anderen Worten, Jung-Jingli waren eine enorme Last und es war so leicht sich ihrer im Vorfeld der anstehenden Strapazen zu entledigen. So sicherte man sich eine hohe Lebensqualität ohne auf den Hochgenuss des Kopulationsaktes verzichten zu müssen.

Hinzu kam, dass abgeleitetes Jung-Jingli-Gewebe eine Fundgrube für die medizinische Forschung war und aus ihm neue Heil- und Therapiemittel für erkrankte Jingli gewonnen werden konnten. Forschung ohne dieses polypotente Gewebe war irgendwann gar nicht mehr vorstellbar. Trotzdem gab es natürlich Proteste, als das neue Gesetz eingeführt wurde, eben durch die, die sich als „wahre Nachfolger des Alten und der Lehre des Höchsten“ verstanden. In einem alten Ordner aus Archivbeständen der „wahren Nachfolger“ stieß ich auf Parolen einer damals gestarteten Kampagne. Eine davon lautete wie folgt:

 

Vom Höchsten gegeben

ist Jung-Jingli-Leben.

Und wird es genommen,

Verdammnis muss kommen!

 

Auf Flugblättern wurde gewarnt: „Wehe euch Mördern und Schlächtern! Wehe euch Jingli, die ihr den Weg des Höchsten verlassen habt! Wehe dir, du Jingli, wenn du nicht antworten kannst, wenn es heißt: Wo ist dein Bruder? Wo ist deine Schwester? Schreit nicht ihr Blut jeden Tag von der Erde zum Höchsten?“

Doch die „wahren Nachfolger“ konnten sich kein Gehör verschaffen. Die Mehrheit betrachtete sie als konservative, wenn nicht reaktionäre Splittergruppe, die unflexibel und erstarrt einem alten, überkommenen Verständnis der Überlieferung hörig war und die Zeichen der Zeit nicht erkannte.

 

Zu den zentralen Verfallssymptomen muss man sicher auch die Alternativ-Kopulation zählen, bei der sich Jingli-Männchen mit Jingli-Männchen sowie Jingli-Weibchen mit Jingli-Weibchen paarten – demografisch, gelinde gesagt, auch nicht gerade von Vorteil. Denn Jung-Jingli konnten so natürlich nicht gezeugt werden. Wieder standen die „wahren Nachfolger des Alten“ auf und warnten, diese Kopulations-Abart sei pervers und gegen die überlieferten Regeln, hierbei handle es sich um einen klaren Verstoß, mehr noch: Wegen ihrer „Sünden“ habe sie der Höchste „dahingegeben in schändliche Leidenschaften“, die sie zwängen ihre Leiber untereinander zu „schänden“, sie, die die Wahrheit des Höchsten in Lüge verwandelt hätten anstatt ihm die Ehre zu geben.

Aber man hatte sich an den bornierten Protest und die altertümelnde Diktion dieser religiösen Eiferer gewöhnt und ignorierte sie, ja sie waren sogar gesellschaftlich geächtet. Man sprach nicht von ihnen, schrieb nicht über sie, berichtete nicht von ihnen. Ihre Meinung drang gar nicht mehr durch. Ich selbst bin nur durch intensives Quellenstudium auf die hier kurz wiedergegebenen Zeugnisse gestoßen und weiß nur deshalb, dass es solchen Widerspruch zu jener Zeit überhaupt gab. Die Mehrheit folgte den Interpretatoren oder – das ist heute nicht mehr klar ermittelbar – die Interpretatoren der Mehrheit in der Auffassung, dass im Hinblick auf den Kopulationsakt die vom Höchsten großzügig gewährte Freiheit und Autonomie des Individuums in Fragen der Lebensgestaltung per Gesetz erhalten bleiben müsse.

 

Ein weiterer wichtiger Einschnitt war drei Equinox-Dekaden später die Zulassung der Jung-Jingli-Kopulation. Hierbei handelte es sich um eine weitere Sonderform des Kopulierens: Jingli-Männchen waren es zumeist, die es – gestachelt von dem unerklärlichen Verlangen nach einer neuen Variante des Sinnengenusses – auf Jung-Jingli abgesehen hatten, die soeben erst ins kopulierfähige Alter gekommen waren. Man fragt sich, was die Jung-Jingli bewog sich für so etwas herzugeben. Die Sachlage war ja etwas anders als bei der Alternativ-Kopulation, wo immerhin zwei Gleichgesinnte zusammengefunden hatten. Nun, die Antwort ist ganz einfach: Geld. Sie ließen sich ihre Dienste als Kopulationsobjekte bezahlen und Geld ist bekanntlich in einer hoch entwickelten Gesellschaft alles. Der Schlüssel zum absoluten Wohlleben sind immer die Geldmittel. Und in einer Glitzergesellschaft, in der an jeder Straßenecke die Angebote des Wohllebens locken und niemanden mehr locken als die Jung-Jingli, wo man ganz oben ist, wenn man sie sich nur leisten kann, da regiert Geld sprichwörtlich die Welt. Bald protestierten die noch nicht kopulierfähigen Jung-Jingli, weil sie sich aufgrund ihres Alters benachteiligt fühlten. Sie wollten dieselben Rechte und die gleiche finanzielle Unabhängigkeit wie die zeugungsfähigen Jung-Jingli. Die Nachfrage nach immer jüngeren Kopulationspartnern war außerdem riesengroß. Die Zentralregierung reagierte auf diese Ansprüche nur konsequent. Man konnte es mit dem Gesetz schlicht nicht vereinbaren, dass eine Gruppe in der Gesellschaft Rechte hatte, die anderen vorenthalten blieben. Man nannte das diskriminierend.

Die Proteste der „wahren Nachfolger“ waren so massiv, dass diesmal sogar allgemein Notiz davon genommen wurde. Denn obschon die Argumentationsweise der Befürworter in sich schlüssig war, hatten viele doch emotionale Zweifel an der Richtigkeit des neuen Gesetzes. Die „wahren Nachfolger“ wiesen darauf hin, dass gerade die Ablehnung solcher perversen Praktiken im Gegensatz zu benachbarten Stämmen einst den Aufstieg der Jingli als eines in puncto Vitalität und Produktivität überlegenen Geschlechts möglich gemacht hatte, dass andere Hochkulturen auf unserem Planeten untergegangen waren, weil sie genau diese Dinge zugelassen hatten, und dass gerade die Regeln des Höchsten und der Weg, den der Alte vorgab, die Überlegenheit der Jingli-Kultur ausgemacht hatten. Eine rege gesellschaftliche Diskussion setzte ein, in der sich am Ende die Interpretatoren mit der so genannten Non-Transfer-These durchsetzten. Sie konnten glaubhaft machen, dass eine Übertragbarkeit der damaligen Verhältnisse auf die Gegenwart nicht zulässig sei. Die „wahren Nachfolger“ forderten den Alten auf an diesem kritischen Punkt ein für allemal eindeutig Stellung zu beziehen. Doch der Alte lehnte ab mit den denkwürdigen, historisch verbürgten Worten: „Sie haben die Überlieferungen. Wenn sie die nicht hören wollen, werden sie mich auch nicht hören wollen!“

 

Sind Jung-Jingli denn gar nicht der elterlichen Obhut anbefohlen, mögen Sie einwenden. Ja, das war so eine Sache. Die Jung-Jingli wurden von früh auf zu größter Autonomie erzogen. Autonomie und Selbstverantwortung waren ja sozusagen das ungeschriebene Gesetz, nach dem unsere Gesellschaft funktionierte. Der Vorteil dieses Prinzips liegt auf der Hand: Autonome Jung-Jingli hörten automatisch auf für ihre Eltern eine Last zu sein. Allerdings trug diese Erziehungsweise mit zur Defamiliarisierung der Gesellschaft und folglich zur Abnahme der Bevölkerungszahl bei, denn autonom aufgewachsene Jung-Jingli erwiesen sich im zeugungsfähigen Alter als ausgesprochen unwillig ihrerseits Jung-Jingli in die Welt zu setzen. Sie hatten ganz andere Prioritäten.

Zu beachten ist auch der Umstand, dass der Begriff Eltern neu definiert werden musste, nachdem nicht wenige der Alternativ-Kopulations-Paare, die ja keine Kinder zeugen konnten, dennoch Kinder aufziehen wollten, weil sie meinten, sonst fehle ihnen etwas – ein zu den zunehmenden Ableitungen gegenläufiger Trend, der in der schrumpfenden Jingli-Gesellschaft mit beträchtlichem Wohlwollen registriert wurde, zumal große Übereinstimmung darin bestand, dass die Gesellschaft diese Paare ja nicht benachteiligen dürfe, nur weil sie aufgrund ihrer Entscheidung für die Alternativ-Kopulation nach biologischem Gesetz Jung-Jingli-los bleiben mussten. Viele empörten sich in diesem Zusammenhang übrigens gegen die Schöpfungsordnung des Höchsten und warfen dem Alten und seinen „wahren Nachfolgern“ vor, dass er bei der Festsetzung biologischer Regeln die Alternativ-Kopulation nicht angemessen berücksichtigt habe. Die meisten Interpretatoren gaben ihnen Recht. Auch der Höchste sei eben nicht perfekt, fügten sie entschuldigend hinzu.

Aber die moderne, zivilisierte Gesellschaft weiß an solchen Stellen natürlich korrigierend einzugreifen. Denn eine verblüffend einfache Lösung des Problems drängte sich förmlich auf: Gelegentlich kam es zu Vorfällen, dass Ableitungen nicht glückten und das abgeleitete Jung-Jingli den Eingriff überlebte. Das geschah vor allem häufig in Fällen, wo sich das Jingli-Weibchen erst relativ spät für den Eingriff entschieden hatte; die Jung-Jingli waren dann schon ziemlich robust und schwer zu erlegen, richtige kleine Biester sozusagen. Wenn dann das Jung-Jingli nach erfolgter Ableitung noch lebte, hatte man ein Problem: Das Gesetz sah Tötungen nur im Rahmen einer Ableitung, nicht aber im Anschluss an eine solche vor, so dass man das Jung-Jingli nach missglückter Ableitung nur noch durch Mord hätte beseitigen können und das stand natürlich nicht zur Diskussion. Klingt ein bisschen absurd, ich weiß, aber so waren die Gesetze. Und in dem Punkt gab es auch keinen Widerspruch zu den Überlieferungen des Höchsten und sogar Übereinstimmung mit den „wahren Nachfolgern“. Nun, wie gesagt, die Sache ließ sich bestens regeln: Solche Fehlableitungen wurden, wenn nicht der gar nicht so seltene Fall eintraf, dass das Jingli-Weibchen sein Junges nach missglückter Ableitung doch behalten wollte, zu Kandidaten für eines der zahlreichen Jung-Jingli-losen Paare, wobei streng auf eine gerechte Verteilung der Adoptiv-Jung-Jingli auf konventionelle und Alternativ-Kopulations-Paare geachtet wurde.

 

In diesem Zusammenhang muss leider auch der dramatische Zwischenfall erwähnt werden, der als „Blutnacht von Lantou Peak“ traurige Berümtheit erlangte und unser Gemeinwesen bis ins Mark traf.

Eines Tages wurden in einem Waldstück bei Lantou Peak die verkohlten Leichen von sieben Paaren – beider Kategorie – gefunden. Die Nachforschungen der Jingli-Aufklärungsmiliz ergaben rasch, dass sämtliche Paare eines verband: Sie waren alle eine kürzere oder längere Periode lang die Adoptiveltern eines fehlabgeleiteten Jungen namens Kremar gewesen, der als extrem schwer erziehbar galt. Seine Mutter, die sich als Jung-Jingli zur bezahlten Jung-Jingli-Kopulation bereit erklärt hatte, war völlig überraschend – sie wähnte sich noch im nicht zeugungsfähigen Alter – befruchtet worden und trug ein Jung-Jingli in sich, das sie natürlich sofort loswerden wollte. Die Ableitung hatte zunächst nach einer klaren Sache ausgesehen, Kremar schwamm bereits in mehreren blutigen Teilen in einer Schüssel, als er plötzlich die Augen aufschlug und Operateur und Mutter mit einem Blick ansah, der durch Mark und Bein ging. Sofort wurden – ich weiß, es hört sich wieder mal paradox an, aber so war das Gesetz – lebenserhaltende Maßnahmen eingeleitet und dank unserer überlegenen medizinischen Technik überlebte Kremar: mit einem Arm und einer Behinderung am rechten Bein, das nach einer mehrstündigen Operation gerettet werden konnte. Aber ein glücklicher Jung-Jingli ist Kremar trotzdem aus irgendeinem Grunde nie geworden. Das siebte Paar, ein Alternativ-Kopulationspaar, das sich an der Alternativ-Kopulation nicht mehr recht erfreuen konnte, hatte bei der Adoption des schwierigen Jungen einen Hintergedanken, den ihnen in Anbetracht der gesellschaftlichen Gepflogenheiten auf Lantou freilich niemand recht übel nehmen konnte: Sie wollten den inzwischen zwölfjährigen Jungen weniger aufziehen als vielmehr ihren abgelebten Sinnengenuss auffrischen, indem sie mit dem Jung-Jingli kopulierten. Dafür sollte er auch ein überdurchschnittliches Taschengeld bekommen – kein Einzelfall übrigens. Noch in der Nacht nach der Adoption richtete Kremar ein Blutbad unter seinen neuen Adoptiveltern an. Er erstach das Paar mit einer Schere. Doch das war erst der Auftakt zur berüchtigten „Blutnacht“. Kremar suchte sämtliche Paare auf, in deren Obhut er sich befunden hatte, und ermordete sie auf dieselbe Weise. Unter den unschuldigen Opfern befanden sich auch einige frühere Adoptivgeschwister von Kremar. Dann nahm Kremar einen Transporter, der sich im Besitz des letzten ermordeten Paares befand, sammelte die Leichen ein und verbrannte sie in dem besagten Waldstück bei Lantou Peak. Für einen Zwölfjährigen, der aufgrund der erlittenen Fehlableitung auch noch schwere Behinderungen davongetragen hatte, eine – bei allem Grauen – beachtliche Leistung. Die Jingli-Justiz sah dann auch keine Möglichkeit Kremar zu verurteilen. Natürlich war das, was er getan hatte, gesetzwidrig. In Anbetracht seiner schweren Kindheit und der besonderen sozialen Umstände, unter denen er aufgewachsen war und die als mildernde Umstände anerkannt wurden, konnte das Gericht ihm jedoch lediglich eine Therapie verordnen und ihn in eine Anstalt einweisen lassen, die ihn für die Dauer der seelsorgerlich-therapeutischen Behandlung betreute. Kremar konnte ausbrechen und erhängte sich später ganz in der Nähe des Ortes, an dem er seine Opfer verbrannt hatte.

 

Der Fall Kremar war für die Gesellschaft ein großer Schock. Plötzlich waren sich viele, den Beteuerungen der Zentralregierung zum Trotz, nicht mehr so sicher, ob sich unser Geschlecht noch auf einem guten Weg befand. So richtig bergab ging es mit den Jingli jedoch erst mit der ABAK-Pest.

ABAK ist eine Abkürzung für „ansteckend bei Alternativ-Kopulation“. Der Name rührt daher, dass dieser neuartige Virus anfangs nachweislich nur durch Alternativ-Kopulationen übertragen wurde, also offenbar hier seinen Ursprung hatte, ehe er sich durch Jingli, die sich parallel in beiden Kopulationsarten betätigten, auch auf den Bereich der konventionellen Kopulation ausdehnte. Natürlich rief der mutmaßliche Ursprung der Pest sogleich die Apostel der „wahren Nachfolger” auf den Plan, die zu wissen glaubten, dass die vom Weg des Höchsten Abgewichenen nun den gebührenden Lohn ihrer „Verirrung“ an sich selbst empfingen. Der Höchste selbst habe als äußerstes Mittel, wie er es laut Überlieferung auch zu früheren Zeiten getan habe um sein Volk zur Buße zu leiten, diese Seuche als Heimsuchung über die Jingli verhängt um sie von ihrem verirrten und falschen Treiben abzubringen.

Das war der Gipfel! Eine Welle der Empörung ging im Anschluss an diese „Entgleisung“ durch die Gesellschaft. Und auch die Zentralregierung war nun nicht länger bereit sich die skandalösen, anmaßenden und besserwisserischen Reden der ewig-gestrigen Mahner – so sah die Mehrheit sie – anzuhören. Neue Gesetze wurden erlassen, die es untersagten auf diese Weise öffentliches Ärgernis zu erregen. Doch der Volkszorn war noch nicht beruhigt. Ja, es gab sogar einen Protestmarsch zum Heiligtum des Höchsten, in dem der Alte residierte. Im Rahmen der Ausschreitungen wäre der Alte wahrscheinlich ergriffen und das Opfer der gewaltbereiten Massen geworden, wenn nicht Truppen der Zentralregierung dies in letzter Minute verhindert hätten. Viele forderten, der Alte müsse sich entschieden von den Äußerungen seiner „wahren Nachfolger“ distanzieren oder – noch besser – endlich abdanken. Die Interpretatoren versicherten, der Alte sei nicht mit den skandalösen Lehren seiner „wahren Nachfolger“ gleichzusetzen. Die Stimmung war auf dem Siedepunkt. Das gesamte Gemeinwesen war erschüttert.

 

Leider erwies sich bald, dass selbst die hoch entwickelte Wissenschaft und Forschung der Jingli kein Mittel gegen den ABAK-Erreger finden konnte. „Der Erreger, das sind die verkommenen Sitten der Jingli“, skandierten die „wahren Anhänger des Alten“ unbeeindruckt von den erlittenen Repressalien auf den Straßen und heizten die Stimmung weiter an.

Seltsamerweise erlahmte der Widerstand der Bevölkerung gegen die Unruhestifter schlagartig. Es schien so, als hätte die Sorge um das eigene Überleben die Dynamik und Widerstandskraft der Jingli gelähmt. Denn inzwischen fielen täglich Tausende der Seuche zum Opfer. In einigen Bezirken schaffte man die Leichen schubkarrenweise aus den Wohnblocks, weil die Entsorgungskräfte beim Abholen der vielen Toten in Verzug gerieten. Plätze und Straßenkreuzungen wurden zu wahren Leichenhallen. Natürlich ließ die Mehrheit sich deswegen noch lange nicht herab auf die überkommenen Lehren der „wahren Nachfolger” zu hören, aber man hatte auch nicht die leiseste Idee, was man ihnen antworten sollte. Es war zwar unmöglich, dass sie im Recht waren, aber was statt dessen Recht und Wahrheit war, das wusste niemand. Auch die Interpretatoren waren ungewohnt kleinlaut geworden. Vielen wurde klar, dass sie zwar immer sehr gut darin gewesen waren zu erklären, was nicht mehr gültig sei, aber wenig darüber zu sagen wussten, was statt dessen jetzt gültigen Wert besaß und warum.

Das gewaltige Tempo, mit dem die ABAK-Pest die Jingli dezimierte, machte sprach-, machte fassungslos. Die Jingli mussten tatenlos zusehen, wie sie ausstarben, wie binnen kurzem mehr als die Hälfte der Bevölkerung an dem Virus litt – und starb. „Das einzige Heilmittel gegen ABAK ist Enthaltsamkeit und eine strenge Sinnengenuß-Moral!“, lehrten die „wahren Nachfolger” und es stellte sich heraus, dass es in der Tat mit der partnerschaftlichen Treue innerhalb der Gesellschaft nicht zum Besten bestellt sein konnte. Der Virus hatte sich nur so massiv ausbreiten können, weil fast jeder Jingli, insbesondere unter den Jung-Jingli, mit ständig wechselnden Partnern kopuliert hatte. Dabei hatte der Gesetzgeber auf den statistisch ermittelten Befund, dass ein Kopulationspartner den meisten Jingli nicht genügte, längst angemessen reagiert. Da selbstverständlich für ein hoch entwickeltes Kulturvolk wie das unsere Polygamie eine indiskutable und vor allem unwürdige Lebensform war, hatte die gesetzgebende Jingli-Versammlung beschlossen das so genannte Konkubinat einzuführen. Hierbei stand es männlichen und weiblichen Jingli gleichberechtigt frei neben ihren etatmäßigen Lebenspartnern in unbeschränkter Zahl weitere hinzuzunehmen, sofern die Finanzierung gesichert war. Doch genau diese Klausel hinderte viele ein formelles Konkubinat einzugehen und so grassierte unter der Oberfläche der Gesellschaft ein unvernünftiger Wildwuchs: die so genannten „wilden“ Konkubinate. Mit unabsehbaren Folgen, unabsehbar zumindest für die Mehrheit. Die „wahren Nachfolger“ hingegen hatten diese Entwicklung von vornherein als „unglückselig“ bezeichnet und wiesen nun mit Nachdruck darauf hin.

Dass sie so offensichtlich Recht behalten hatten, brachte viele Jingli wieder gegen die „wahren Nachfolger” auf. Sie fanden es unerhört selbstgerecht und verletzend, dass sich Gesunde – denn unter den „wahren Nachfolgern“ gab es in der Tat so gut wie keine Infektionen – in einer so herablassenden Weise an die Leidenden und Kranken wandten und ihnen eine überhebliche Moral predigten anstatt sich milde und barmherzig zu zeigen, wie es doch der Alte immer gefordert hatte. „Dass wir euch nicht belügen, das ist unsere Barmherzigkeit!“, erwiderten die „wahren Nachfolger“. Viele wurden wegen solcher Aussagen festgenommen und vor Gericht gestellt.

Gleichwohl: Jetzt auf einmal begann die Gruppe der „wahren Nachfolger” zu wachsen, wahrscheinlich aus schierer Verzweiflung der Jingli. Da man keine besseren Antworten auf die drängenden existentiellen Fragen fand, war man plötzlich bereit wieder auf den Alten zu hören, der auf Versammlungen der „wahren Nachfolger” regelmäßig Ansprachen hielt und tatsächlich ihre Lehre bestätigte, lediglich einen liebevolleren Umgang mit denjenigen Jingli anmahnte, die noch nicht zu den „wahren Nachfolgern“ gehörten. Die Interpretatoren waren in der Bedeutungslosigkeit versunken. Eine Zeitlang wuchs die Gruppe der „wahren Nachfolger“ sprunghaft an, dann schrumpfte sie wieder. Das hing mit den wieder zunehmenden Übergriffen der übrigen Jingli-Bevölkerung gegen sie zusammen, die in ihnen überhebliche Heuchler und intolerante Moralapostel sah. Die Gesellschaft war polarisiert. Man war für oder gegen die Lehre der „wahren Nachfolger“. Vielerorts fand man ihre Anhänger erschlagen auf den Straßen. Die Miliz ging den Fällen nur halbherzig nach. Es seien einfach zu viele, hieß es auf eine dokumentierte Anfrage des Sprechers der „wahren Nachfolger“ an die Zentralregierung. Auch fanden sich weiterhin viele unversehens vor Gericht wieder und mussten sich wegen Beleidigung, Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung und Aufrührerei verantworten, ja sogar Terrorismus wurde ihnen in einer späteren Phase, als nur noch ein Zehntel der ursprünglichen Bevölkerung am Leben war, zur Last gelegt. Und dann geschah das Unglaubliche: Von einem Tag auf den anderen waren sie verschwunden, alle, auch die, die sich erst kurz zuvor der Lehre der „wahren Nachfolger” angeschlossen hatten. Und auch von dem Alten fehlte jede Spur. Sein Thron war verwaist.

 

Seither ist es einsam geworden auf Lantou, furchtbar einsam. Unsicherheit und Depression grassierten. Als zusätzlich verheerend erwies sich die Erfindung der Selbstmordpille Thanox, die ein schmerzloses Hinübergleiten in den Tod ermöglichen soll. Zwar gehören Krämpfe und Alptraumvisionen zu den Risiken und möglichen Nebenwirkungen, was einigen einen nicht ganz so reibungslosen Abschied bescherte, aber alles in allem war Thanox in den letzten Equinoxen der Renner! War die demografische Entwicklung schon ohne ABAK und Thanox bedenklich gewesen, ging es nun wahrlich rapide bergab. Jung-Jingli kamen fast gar nicht mehr auf die Welt. Die Zahl der Fehlableitungen überstieg seit langem die Zahl der regulären Geburten.

Vor hundert Equinoxen gab es noch rund 80.000 Jingli, vor fünfzig waren es noch 20.000, vor zehn noch knapp tausend, dann gerade mal hundert, fünfzig, zwanzig, zehn. Vorgestern starben die beiden letzten außer mir verbliebenen Jingli. Es war ein Alternativ-Kopulations-Paar. Beide hatten den ABAK-Erreger. Der eine erlag der Krankheit, der andere nahm daraufhin Thanox.

Ich bin gesund. Ich habe kein ABAK. Ich könnte noch ganze Equinox-Dekaden leben. Aber mal ganz im Ernst, würden Sie unter solchen Umständen am Leben bleiben wollen? Ich bin der letzte meines Geschlechts. Ich werde eine Thanox einwerfen und das Schicksal der Jingli besiegeln!

 

Diese Aufzeichnungen sind mein Vermächtnis. Vielleicht werden Sie, der Leser dieser Zeilen, der sie meiner toten, vielleicht schon skelettierten Hand entnommen haben mag oder dem der Wind sie zugetragen hat, – vielleicht wird irgendwer irgendwo in irgendeiner Weise davon profitieren, eine Lehre daraus ziehen können. Dann hätte dieses gottverfluchte Leben am Ende doch noch einen gewissen Sinn gehabt.

 

Nachdem er zu Ende gelesen hatte, legte der Alte die Aufzeichnungen beiseite und sagte leise: „Wozu?“ Dann steckte er das Papier zusammen mit dem Körper des bereits stark verwesten Jingli in Brand und begab sich zurück auf den Thron des Höchsten. Von dort sah er hinab auf sein entvölkertes Reich, in dem ihn zuletzt kein Einziger mehr hatte herrschen lassen wollen, und seufzte.

 

 

 

NACHWORT

 

Bei fast jeder dritten nach der 20. Schwangerschaftswoche vorgenommenen Abtreibung misslingt nach Angaben des Gynäkologen Christian Albring die Tötung des Fötus. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Prof. Dr. Dietrich Berg, spricht sogar von 100 Kindern jährlich, die eine Abtreibung überleben (Stuttgarter Zeitung vom 7.1.1998). Für Aufsehen sorgte im Juli 1997 der Fall des Oldenburger Babys Tim, das nach der Diagnose Down-Syndrom in der 25. Schwangerschaftswoche abgetrieben werden sollte, den Eingriff jedoch überlebte. Der 690 Gramm schwere Fötus wurde rund zehn Stunden unversorgt gelassen, ehe sich die Mediziner zur Einleitung lebenserhaltender Maßnahmen entschließen konnten (Focus, Heft 52/1997).

 

Einer schriftlichen Stellungnahme der Medizinerin Christl R. Vonholdt (Leiterin des Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft sowie Sachverständige in Sachen Adoptionsrecht für homosexuell lebende Paare vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages) zufolge gibt es keine einzige zuverlässige wissenschaftliche Untersuchung, „die die Ebenbürtigkeit homosexueller Elternschaft gegenüber heterosexueller Elternschaft nachweisen könnte.“ Statt dessen liefere die Forschung eine Vielzahl Hinweise dafür, „dass Vaterentbehrung und Mutterentbehrung mit einer wesentlich höheren Rate an psychischen Störungen bei den Kindern verknüpft“ sei. Diese Störungen äußerten sich u.a. in der Neigung zu Drogenmissbrauch oder Selbstmord; ferner sei eine höhere Anzahl von Unfällen bei Jungen zu verzeichnen gewesen (cf. Ringbäck Weitoft, Gunilla et al. Mortality, severe morbidity, and injury in children living with single parents [...]. The Lancet, Vol. 361, Januar 2003. Vonholdt, Christl R.: Nicht zum Wohl des Kindes. In: Salzkorn Nr. 213 (Nov./Dez.). Reichelsheim: OJC 2004. S. 248f.).

 

 

Die KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE der katholischen Kirche unter Vorsitz des damaligen Kardinalpräfekten Joseph Ratzinger kommt in einer von Papst Johannes-Paul II. am 28. März 2003 approbierten Erklärung mit dem Titel ERWÄGUNGEN ZU DEN ENTWÜRFEN EINER RECHTLICHEN ANERKENNUNG DER LEBENSGEMEINSCHAFTEN ZWISCHEN HOMOSEXUELLEN PERSONEN zu folgenden Schlussfolgerungen: Die rechtliche Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften oder deren Gleichsetzung mit der Ehe würde bedeuten, nicht nur ein abwegiges Verhalten zu billigen und zu einem Modell in der gegenwärtigen Gesellschaft zu machen, sondern auch grundlegende Werte zu verdunkeln, die zum gemeinsamen Erbe der Menschheit gehören. Die Kirche kann nicht anders, als diese Werte zu verteidigen, für das Wohl der Menschen und der ganzen Gesellschaft.”

 

 

Eine Befreiung

Von Anne-Marie Rey (
arey@svss-uspda.ch)

Es sind jetzt über 40 Jahre vergangen, seit ich einen Schwangerschafts­abbruch machen ließ. Für mich war das eine Befreiung, nichts als Befreiung.

Ich war damals seit zwei Jahren mit dem Mann, den ich liebte, verheiratet und hatte eine Zweitausbildung begonnen mit dem Ziel, Tanzpädagogin zu werden. Seit meiner Kindheit war Tanzen mein Traum. Jetzt konnte ich ihn verwirklichen! Etwa in einem Jahr wollte ich die Abschlussprüfung in modernem Ausdruckstanz und Ballett machen, und in zwei Monaten hatte ich vor, einen dreiwöchigen Sommerkurs bei internationalen Größen der Tanzkunst zu besuchen. Das hieß täglich acht Stunden körperliche Schwerarbeit - eine große physische und geistige Herausforderung. Ich freute mich riesig auf dieses Erlebnis.

Ausgerechnet da ist es passiert... Ich verhütete damals mit dem Scheidendiaphragma - die Pille war eben erst auf den Markt gekommen und Skepsis ihr gegenüber bei Ärzten wie Frauen noch weit verbreitet. Meine Periode blieb aus. Die Spritze, die mir mein Arzt verabreichte, brachte sie nicht wieder. Der Test war positiv. Ich war definitiv schwanger. Eine Verhütungspanne. Wie konnte das nur geschehen - ausgerechnet mir? Ich dachte immer, das passiert nur andern, nachlässigen, verantwortungslosen "Weibern"... Ich war total verzweifelt. Eine Schwangerschaft und ein Kind in diesem Zeitpunkt würde meine Träume zunichte machen, mein Leben zerstören - mein Leben zerstören, so empfand ich das, leben hieß tanzen. Und tanzen war nun einfach unmöglich mit einer Schwangerschaft zu vereinbaren. Für ein Kind würde es vielleicht später in meinem Leben Platz geben - nicht jetzt, NICHT JETZT!

Ich fühlte, wie dieses Ding in meinem Körper von mir Besitz ergreifen wollte, wie ein wucherndes Geschwür. Ich hasste es. Ich glaubte ersticken zu müssen, fühlte mich im wahrsten Sinne des Wortes zur Leibeigenen werden. Alles in mir rebellierte. Ich wollte nur eines: Dieses Etwas, das sich ungefragt in mir eingenistet hatte, aus meinem Körper wieder raus haben, die Schwangerschaft sofort wieder los werden, von dieser Fessel befreit sein. Ich heulte, schrie, fluchte. Ich empfand eine ohnmächtige Wut: Gegen das Ding - gegen das Schicksal, die Natur - gegen das Diaphragma, das versagt hatte und gegen mich selbst, weil ich es vielleicht nicht richtig eingesetzt hatte - gegen den Staat, der mir eine Abtreibung verbieten wollte. Damals war in der Schweiz ein Schwangerschaftsabbruch nur bei medizinischer bzw. psychiatrischer Indikation zulässig. Als gesunde Frau, die in guten sozialen Verhältnissen lebte, hätte ich das notwendige Gutachten eines Psychiaters kaum bekommen können.

Ich dachte laut darüber nach, was passieren würde, wenn die körperliche Anstrengung vor oder während dem geplanten Sommerkurs (dieser fand dazu noch im Ausland statt) eine Fehlgeburt auslösen würde. Schließlich erbarmte sich mein Arzt und erklärte sich bereit, den Abbruch (illegal), ohne ein Gutachten vorzunehmen und zwar in seinem gynäkologischen Behandlungsraum, der für die Durchführung kleinerer Operationen eingerichtet war. Am vereinbarten Termin fand ich mich in der Praxis ein. Ich legte mich auf den Gynäkologenstuhl. Natürlich hatte ich Angst vor dem, was nun kommen würde. Der Eingriff erfolgte unter Lokalanästhesie. Der Arzt machte den Muttermund mit ein paar wenigen Einstichen unempfindlich, das fühlte sich etwa an wie beim Zahnarzt... dann spürte ich nur noch ganz schwach, wie das Instrument sich in meinem Bauch bewegte, ohne jegliche Schmerzen. Nach kurzer Zeit war alles vorbei. Erleichtert stieg ich vom Stuhl hinab, und nachdem ich mich auf einer Couch einen Moment ausgeruht hatte, konnte ich nach Hause. Obwohl alles problemlos verlaufen war, empfand ich den Eingriff als äußerst unangenehm. So dazuliegen, völlig ausgeliefert und abhängig vom Wohlwollen des Arztes - es war grauenhaft.

Körperlich war ich rasch wieder fit und seelisch fühlte ich mich wie neu geboren. Mein Albtraum war zu Ende, mein vorheriger Zustand wieder hergestellt. Ich gehörte wieder mir selbst! Ich war dem Arzt für sein verständnisvolles Mitfühlen und sein Entgegenkommen unendlich dankbar - und bin es noch heute. Mein Mann ist mir während der ganzen Zeit liebevoll zur Seite gestanden. Er wusste, was mir der Tanz und der Abschluss der Ausbildung bedeuteten und respektierte meine Entscheidung. Er ist auch heute noch mein Lebensgefährte.

Der Sommerkurs war großartig und gehört in meiner Erinnerung zu den absoluten Höhepunkten in meinem Leben, ebenso wie die Zeit der Vorbereitung auf meine Tanzprüfung.

Nachdem ich diese Phase meines Lebens erfolgreich abgeschlossen hatte, war Platz für Neues. Mein Mann und ich waren uns einig, die Zeit sei jetzt reif, eine Familie zu gründen. In den folgenden Jahren habe ich drei Wunschkinder geboren. Bei diesen drei Schwangerschaften hatte ich jeweils vom ersten Moment an, als die Periode ausblieb, ein Gefühl der freudig erregten Erwartung, in völligem Gegensatz zu dem, was ich beim ersten Mal empfunden hatte.


Ich habe den Abbruch meiner ersten Schwangerschaft in keinem Moment bereut und hatte deswegen auch nie Schuldgefühle. Dabei spielt sicher eine Rolle, dass ich in einem nicht kirchlich gebundenen Milieu aufgewachsen und zu einem freien Menschen erzogen worden bin. Ich habe auch nie den Sinn meines Lebens im Kinderhaben gesehen. Zu meinen Kindern habe ich immer ein gutes Verhältnis gehabt, ich bin aber nicht der Typ Frau, die im Muttersein ihre alleinige und höchste Erfüllung erfährt.

Aufgrund meiner Erfahrung möchte ich das Tabu aufbrechen helfen, ein Schwangerschaftsabbruch müsse in jedem Fall ein traumatisierendes Erlebnis sein. Eine Abtreibung kann ganz einfach zu einem normalen Frauenleben gehören und frau braucht sich dafür nicht zu entschuldigen. Natürlich weiß ich, dass aus einer befruchteten Eizelle innert neun Monaten ein Kind heranwachsen kann - Abtreibungsgegner tun, als ob man das den Frauen erst erklären müsste. Für mich bedeutet ein Embryo aber noch lange nicht gleich Kind. Ich bin aber froh, dass ich meine Schwangerschaft damals in einem sehr frühen Stadium beenden konnte. Je länger eine ungewollte Schwangerschaft andauert, umso belastender ist diese Zeit und umso schwieriger wird wohl auch der Entscheid.

 Nach der dritten Geburt habe ich dann während mehreren Jahren die Pille geschluckt und mich schließlich sterilisieren lassen. Als ich etwa 50 war und die Periode zum ersten Mal nicht regelmäßig eintrat, verspürte ich trotzdem wieder diese beklemmende Angst, ich könnte schwanger geworden sein - man weiß ja nie, keine Verhütungsmethode ist hundert Prozent sicher... Für mich war klar, dass ich eine Schwangerschaft keinesfalls austragen würde. Ich machte mir Gedanken, wie ich irgendwo in Frankreich an die damals neu eingeführte Abtreibungspille herankommen könnte... Es hat sich dann zum Glück erübrigt.

Ich denke, Frauen haben das Recht, zu einem gegebenen Zeitpunkt in ihrem Leben, unter den gegebenen Umständen die Verantwortung für ein Kind abzulehnen oder ganz einfach nein zu sagen zu einer Mutterschaft. Frauen haben ein Recht auf ihren Körper, ihr Leben. Sie dürfen auch mal an sich selbst denken. Sie sind keine Opferlämmer. Egoismus? Man mag es nennen wie man will. Für mich war es Freiheitsdurst, das Verlangen, meine eigenen Lebensperspektiven verfolgen zu können. Mutterschaft ist eine große Verpflichtung, sie darf nicht wie eine Naturkatastrophe über einen hereinbrechen, nur weil das Verhütungsmittel einen Streich gespielt hat. Eine solche Verpflichtung darf nicht aufgezwungen werden, sondern soll bewusst und mit Freude eingegangen werden können.

Die Wut, die ich damals vor 40 Jahren empfand, kommt mir heute noch regelmäßig hoch, wenn ich die Fundamentalisten mit den unglaublichsten Argumenten nach einem Abtreibungsverbot rufen höre. Ich spüre diese Wut richtig physisch, mein Magen krampft sich zusammen und ich habe wieder das Erstickungsgefühl von damals, als wollten sie mir die Luft abstellen. Ich ärgere mich maßlos über die Unwahrheiten, die sie verbreiten, über die Ängste und Schuldgefühle, die sie Frauen einjagen. Und ich bin sehr zornig und unendlich traurig, wenn ich an die vielen Frauen denke, die noch heute in zahlreichen Ländern - häufig unter den grauenhaftesten Umständen, mit den fürchterlichsten Methoden und unter Lebensgefahr - im Untergrund abtreiben müssen.

 

Unwissenschaftliche Wortanalyse

Von Didier

Abtreibung - wie erklärt man dieses Wort? Jemand wird abgetrieben. Das erinnert an ein Boot, das auf einem See oder in den Weiten des Ozeans verloren geht. Und man meint einen Schrei zu hören. Jemand sitzt in dem Boot und schreit verzweifelt: "Lasst mich nicht abtreiben! Lasst mich nicht verloren gehen!"

Ja, dieser Schrei erklärt alles: Da ist einer, ein Mensch, der will leben. Der braucht Hilfe. Und er schreit: "Lasst mich nicht abtreiben! Lasst mich nicht verloren gehen!" Ist denn keiner da, der hilft? Will sich denn wirklich niemand seiner annehmen? Hört niemand den Schrei?

 

 

Brief an einen Gut-Menschen

anonym (eingereicht von Helena)


Lieber Gut-Mensch,
heute habe ich eine Bitte an dich, doch höre dir zuerst diese Geschichte an: 

Es war einmal eine Wüstenrennmäusin, Daisy war ihr Name. Daisy lebte allein in einem alten Aquarium, das ihr sehr gemütlich eingerichtet worden war. Sie hatte weiches Streu, in das sie Höhlen und Gänge bauen konnte, ein Laufrad, wenn sie mal Lust auf Bewegung verspürte, Steine und Äste, die als Klettermöglichkeiten dienten, einige Kokosnussschalen und Blumentöpfe, in denen sie schlafen und sich wunderbar verstecken konnte, wenn sich eine Gefahr näherte. Daisy wusste nicht, dass ihr nichts gefährlich werden konnte, da sie ja hinter Glas lebte. Aber das Glas konnte Daisy nicht davor bewahren, trotzdem ihren angeborenen Instinkten zu folgen. Also versteckte sie sich weiterhin, wenn sie eine Gefahr wahrnahm, die sie in der Freiheit bedroht hätte - eine schnelle Bewegung oder ein lautes Geräusch. Daisy bekam regelmäßig ihr Futter und ihr Wasser, das aus dem Himmel fiel. Himmel nannte sie das Loch, das der einzige und unerreichbare Ausgang aus dem Glaskasten war. Daisy wusste nicht, wo sie sich Futter suchen sollte, denn hier war alles anders als es ihre Instinkte es ihr sagten. Hier war ja auch nicht die Wüste, aus der sie eigentlich stammte. Doch es mangelte ihr augenscheinlich an nichts. Sie überlebte ja. Im Grunde genommen war es ihr schon Recht, wenn sie ihre Ruhe hatte, denn sie hatte schlimme Zeiten hinter sich: Ihr Vater war ein verrückter Mäuserich gewesen, der sie ständig gebissen hatte. Ihr taten jetzt noch manchmal alle Fasern weh, wenn sie daran dachte und ihre Mutter hatte, um nicht selber gebissen zu werden, ihre Kinder vorgeschickt. Der einzige Ausweg war die Hoffnung gewesen und eines Tages war es Daisy gelungen, zu entkommen. Nun war sie hier und war gerettet.

An einem Morgen – es war ein Freitag – bekam Daisy Besuch von einem jungen Mäuserich. Er fiel einfach aus dem Himmel, denn durch die Glasscheibe konnte er ja nicht kommen. Noch nicht einmal sie selbst hatte es in ihrem Hinterglasleben geschafft, hier einen Aus- oder Eingang zu entdecken, und ihr Leben dauerte immerhin schon eine ganze Weile. Nun, dieser Mäuserich war eine Aufregung, aber nach 3 turbulenten Tagen verschwand er wieder auf demselben Wege, wie er gekommen war. Daisy fand es gar nicht so dramatisch, denn nach einer ersten Faszination war es inzwischen recht anstrengend mit dem jungen Mäuserich, da er ihr nie eine Ruhepause gönnte. Ständig lauerte er ihr irgendwo auf. Wohin sie auch ging, er war immer hinter ihr. Noch nicht einmal in Ruhe fressen konnte sie!

Außerdem hatte Daisy nun eine ganz andere Beschäftigung: sie baute sich ein Nest, denn sie erwartete Nachwuchs. Der Nestbau war gar nicht so einfach, da sie nicht ahnen konnte, wo geeignetes Material war. Sie musste einfach immer darauf warten, bis etwas Passendes aus dem Himmel fiel. Es war nicht immer das, was sie sich wünschte, aber sie war eine kluge Mäusin und so schaffte sie es, auch aus dem für sie recht merkwürdigen Material ein kuscheliges Nest zu bauen.

An einem schönen Montagmorgen war es dann so weit: Sie hatte in der Nacht 4 junge kleine Mäuse geboren. Daisy gab ihnen alles, was sie brauchten und liebte sie auf ihre Mäuseart und so wurden sie schnell größer. Bald wurden sie nicht mehr gesäugt und das Futter, das täglich aus dem Himmel fiel, war immer schneller weg als man gucken konnte. Es wurde auch sehr eng in dem Glaskasten. Überall, in jeder Ecke flitzten kleine Mäuse herum. Daisy war sehr gestresst, aber sie erfreute sich an den Kleinen, die sie Winnie, Minnie, Linnie und Ulf genannt hatte. 

An einem Mittwoch kam der Mäuserich noch einmal zu Besuch. Er schaute sich seinen Nachwuchs jedoch noch nicht einmal an. Alles was ihn interessierte, war, wie er Daisy nachstellen konnte. Sie konnte sich vor seinen Verfolgungen nicht mehr retten. Wohin sollte sie auch gehen??? Kurz darauf wurde der Mäuserich wieder durch das Loch, den Himmel, entfernt.

Wie man es vorausgeahnt hatte, es war wieder Nestbau angesagt und Daisy machte sich schon Sorgen, wie es wohl weiter gehen sollte. Wohin mit all den Mäusen? Es war schon jetzt zu eng für sie selbst und Winnie, Minnie, Linnie und Ulf! Würden noch weitere Mäuse hinzukommen, würden sie alle sterben müssen, denn der Lebensraum reichte nicht aus. Doch weil Mäusinnen – anders als die Menschen - nicht zu einem Arzt gehen können, wenn sie in einem Glaskasten leben, bekam Daisy also die Jungen. Es waren 5. Sie waren alle gesund, bis auf eines. Es war nicht stark genug, sich seinen Anteil an Milch zu holen, also starb es schon am 3. Tag. Und Daisy hatte keine Kraft für all die vielen kleinen Mäuse. Sie war gestresst, es gab keine Zukunft mehr für sie alle, denn der Lebensraum war zu eng. Und so tötete Daisy aus Verzweiflung und Ausweglosigkeit das schwächste ihrer Kinder, um das Überleben ihrer Nachkommen zu sichern.

Lieber Gut-Mensch, jetzt bitte ich dich: Ab ans Kreuz mit Daisy! Ich weiß, du kannst es! Sei so gut!

PS: Daisys Kinder starben alle schon bald an einer Infektion.

 

 

Abtreibung - Tagesablauf und Gefühle der Tage davor sowie danach

Von Franziska

Ich wache auf und freue mich, dass ich meinen ersten Ferientag habe -
Samstag, der 26.06.2004 -  und somit die 10. Klasse des Gymnasiums
gleichwertig dem Realabschluss verlassen habe. Aber da kommt mir wieder der
vorige Abend in den Kopf: mein Freund, hat mit mir Schluss gemacht.

Allerdings rappel ich mich doch auf und bin gerade auf dem Weg zum
Badezimmer, als mir wieder schlecht wird – wie schon die ganzen letzten Tage
-. Irgendwann kommt meine Stiefmutter – ich lebe mit meinem Papa und meiner Stiefmutter zusammen – und sie fragt mich - diese schon seit Tagen verhasste Frage: „Kann es nicht doch sein, dass du schwanger bist?“ Wie immer die letzten Tage verneine ich diese Frage, aber auch wie jedes mal mit dem schlechten Gedanken, dass ich meine Mutter anlüge. Weil ich sage ihr, dass ich nicht mit meinem Freund geschlafen habe. Das Problem was ich habe ist,  dass meine Eltern es mir „verboten“ haben. Auch wenn ich schon 16 Jahre alt bin haben sie etwas dagegen, weil sie es ja wie immer „gut mit mir meinen“.
Doch dann merke ich endlich, dass das ganze gar nicht mehr lustig ist und es
mir jetzt ja sowieso irgendwie egal sein kann, weil mein Freund gestern mit
mir wegen eines anderen Mädchen Schluss gemacht hat. Und ich muss endlich
kapieren, dass diese Wahrscheinlichkeit besteht. Schließlich kann ich nicht
für immer diesen Gedanken verdrängen und im Ungewissen schweben, bis es
irgendwann zu spät ist.

Ich denke also nach. Sage ich es meinen Eltern und riskiere somit einen sehr
großen Ärger, oder beharre ich weiterhin darauf, dass ich nie mit meinem
Freund geschlafen habe und riskiere somit einen noch größeren Ärger, weil
ich mich in noch mehr Widersprüche verhasple. Ich weiß einfach nicht, was
ich machen soll. Ich habe eine riesen Panik vor der Wahrheit und habe
niemanden, mit dem ich darüber sprechen kann. Es würde mich sowieso niemand verstehen. Diese Gedanken schwirren mir innerhalb weniger Sekunden durch den Kopf und meine Mama sitzt immer noch neben mir. Ich bin gefangen in einen Wirbelsturm, aus dem man nicht mehr heraus kommt. Plötzlich höre ich mich sagen: „Ja, es kann sein, dass ich schwanger bin… aber ich weiß es nicht. Es tut mir so leid, dass ich die ganze Zeit gelogen habe! Ja, ich habe mit ihm geschlafen“ Ich bin richtig erschrocken über diese Worte. Wie das Sprichwort halt sagt: „Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich nicht gehört habe, was ich sage?!“ Und dazu füllen sich meine Augen auch noch mit Tränen. Ich bin total am Boden zerstört. Was hab ich da nur getan, schwirrt  es mir im Kopf herum.

Und meine Mutter trägt auch nicht gerade dazu bei, dass es mir besser geht,
denn sie geht zu meinen Papa und sagt ihm in dem abwertensten Ton, den man sich nur vorstellen kann, dass „seine Tochter“ doch schwanger sein könnte und sie es schon die ganze Zeit vermutet hat und dass sie schon immer wusste wie gerissen ich doch bin. Dass sie so etwas gar nicht verdient hätte und warum SIE so bestraft würde, nachdem sie sich doch immer so um mich
gekümmert hätte. Nur merke ich im Moment gar nichts von der Liebe oder
Fürsorge, auf der sie immer so beharrt.

Es kommt mir vor, als wenn die Minuten in Tage verstreichen und auf einmal
bringt mir meine Mutter einen Schwangerschaftstest von der Apotheke, den ich
machen soll. Ich kann keine klaren Gedanken fassen. Mir scheint fast der
Kopf zu platzen – das kann doch nicht die Wirklichkeit sein?! Ich möchte
endlich aus diesem Albtraum aufwachen!! Ich werde allerdings von niemandem
wachgerüttelt. Ich merke nur noch ganz weit entfernt, wie ich mir zitternd
die „Gebrauchsanweisung“ durchlese und krampfhaft versuche zu verstehen, was ich machen muss. Das ist alles so komisch. Meine Gefühle fahren Achterbahn. Immer wieder fange ich an zu weinen und habe niemanden, den ich in den Arm nehmen kann. Ich kann nicht mehr. Ich will das alles nicht. „Bitte lass keine zwei roten Punkte auf diesem gottverdammten Test erscheinen.“ Wie hypnotisiert gucke ich auf meine Uhr und auf den Test, der nach und nach die Felder durchläuft. Langsam wird der erste Strich rosa… rot…, dann der zweite… einen Moment lang passiert gar nichts… und dann…NEIN! Das kann nicht sein! Bin ich Farbenblind? Es bildet sich ein zweiter knallroter Punkt. Ich lese mir noch einmal die Anweisungen durch. Aber dort steht nur das, was ich nicht sehen will: „Wenn die zwei Felder einen roten Punkt aufweisen, ist der Test positiv.“ Ich sitze da und starre in die Leere. Dann höre ich Schritte die Treppe hochkommen. Ich hab Angst. Panische Angst. Ich möchte sterben. Ich will das der rote Punkt da weg geht! Dann sehe ich meine Mutter vor mir stehen. Sie nimmt den Test in die Hand, guckt ihn an, guckt mich an und fängt an zu schreien: „ Wie kannst du uns das nur antun? Warum hast du das gemacht? Du bist ein Teufelskind! Was hast du dir dabei gedacht? Wahrscheinlich gar nichts, so wie immer, stimmts? Du denkst nie nach, bei dem was du tust! Ich will dich nie wieder sehen. Klär das mit deinem Vater, ich will nichts damit zu tun haben!“ … Ich sitze einfach nur da und bringe kein Wort heraus. Ich bin wie gelähmt, zittere am ganzen Körper. Fühle mich wie ein Stück Dreck. Ich werde gefragt, was ich dazu zu sagen habe. Aber ich kann nichts dazu sagen, ich kann einfach nicht. Ich fühle mich so schlecht wie noch nie. Ich stammele nur immer wieder vor mir hin: „Nein! Nein! Es tut mir leid!“ Aber das will niemand hören. Mein Papa kommt auch hoch und ich sehe, dass er ziemlich fertig aussieht. Aber das geht alles nur wie in Zeitlupe an mir vorüber. Und dann kommt die Frage: „ Und jetzt? Wie hast du dir das alles vorgestellt? Was willst du jetzt machen? Willst du deine
Ausbildung in den Wind blasen? Wir werden dir nicht helfen. Wir haben dich
gleich gewarnt!“ PAENG. Und wieder fange ich an zu weinen, oder hab ich die
ganze Zeit durchgeweint? Ich weiß es nicht, ich weiß gar nichts mehr.

Ich sitze nur auf einmal auf meinem Bett und denke: „ Ich kann das Kind
nicht bekommen. Ich kann nicht. Ich bin noch so jung. Ich bin selber noch
ein Kind. Wer soll mir helfen? Ich habe eine Ausbildung ab 1.Oktober. Ich
kann nicht glauben, dass ich ein kleines Baby in mir habe. Irgendwie liebe
ich es doch. Ich will es auch nicht hergeben. Es ist meins. Es ist durch
Liebe entstanden. Aber es wird mir niemand helfen. Ich werde ganz alleine da
stehen und nichts haben.“ Ich kämpfe mit meinen Gefühlen. Einerseits will
ich es behalten, es mit Liebe versorgen, so wie ich es vielleicht nicht
immer bekommen habe und immer für es da sein. Ich könnte es auch zur
Adoption frei geben nach der Geburt, aber dann hätte ich genau das Gegenteil
erreicht, was ich mir immer vorgenommen hatte. Ich möchte mich selbst um
meine Kinder kümmern können, Kinder haben, die stolz auf einen sind, aber
das wären sie nicht. Und meine Eltern oder Verwandten würden sich nicht um
mein Kind kümmern. Das ist alles so schwer. Und ich bin so allein in dieser
Leere. Die Gedanken tun so weh und fallen verdammt schwer. Ich werde
nächsten Monat 17. Ich habe einfach viel zu viel Angst ein Kind zu bekommen. Ich werde ihm nie das geben können, was ich will. Außerdem habe ich noch eine so lange Lebenszeit vor mir. Ich habe Angst, das egal für welchen Weg ich mich entscheide, ich etwas falsch mache. Mir ist unklar wie ich auf den Entschluss komme, aber ich entscheide mich – ob mit vollem Herzen ist mir schleierhaft - gegen das Kind. Ich weiß aber ganz genau, dass, egal ob ich mich für oder gegen das Kind entscheide, beide Entscheidungen falsch sind.

Irgendwie sage ich meinen Eltern, dass ich mich für eine Abtreibung
entschieden habe aber ich weiß auch nicht, ob sie das mitbekommen. Denn sie
sind selber mit ihren Gedanken wo anders und scheinen nicht gerade
interessiert an meiner Entscheidung und mir. Mir ist auch sehr schnell klar,
dass sie mir keine andere Wahl gelassen hätten, denn ich erinnere mich
plötzlich daran, dass meine Mutter vorhin irgendetwas von Heim oder so
gesagt hat, wenn ich das Kind behalten wolle. Und da fange ich schon wieder
an zu weinen. Meine Gedanken mischen sich mit meinen Gefühlen und wenn ich nicht schon auf meinem Bett liegen würde, dann wäre ich wahrscheinlich
irgendwo gegen gefallen, weil mir total schwarz vor Augen und schwindelig
wird.
Ich weiß nicht genau wo drin meine nächsten Tage bestanden. Einen Sinn
schien es jedoch nicht für mich zu geben.
Gleich am Montag bin ich zu meinem Frauenarzt gegangen, der mir dann noch
mal die Schwangerschaft bestätigte. Er schätze mich in die achte bis neunte
Schwangerschaftswoche (SSW) ein. Was schon ziemlich fortgeschritten
bedeutete. Denn man darf nur bis 12. SSW abtreiben. Bis dahin ist es
zumindest nicht strafbar. Danach darf nur abgetrieben werden, wenn die
Mutter oder das Kind in Gefahr scheint. Also war es klar – auch mir -, dass
wenn ich abtreiben will es ziemlich schnell passieren müsste. Was mich ja
nicht gerade erfreute, auch wenn ich mittlerweile eigentlich Zeit hatte das
ganze ein bisschen zu verstehen. Denn ich war fast den ganzen Sonntag lang
im Internet und hatte versucht mir Informationen zu sammeln. Aber dort
konkrete, unparteiische und diskrete Informationen zu finden war nicht
gerade einfach. Die ersten paar Seiten waren ein ziemlicher Schock für mich.
Dort wurde immer wieder dargestellt, wie schrecklich es doch wäre, man
eiskalt und ein Menschentöter ist, wenn man abtreibt. Außerdem sah man
Bilder von Babys, die viel weiter fortgeschritten waren, als es angegeben
war. Zum Glück kratzte ich dann aber doch noch die Kurve und sah erst die
Realität, als ich auf die Seite „abtreibungsseite.de.vu“ kam. Dort
berichtete ein Mädchen über ihre Abtreibung und hatte eine neutrale
Internetseite über Abtreibung zusammengestellt. Ich hatte mich dort in das
Gästebuch eingetragen und konnte das erste Mal meine Gefühle mit jemandem
teilen. Dort konnte ich sehr genaue Infos zu den verschiedenen Methoden
lesen und ich hatte gleich ein anderes Gefühl in mir, als ich gesehen hatte,
dass es nicht nur mir so geht, ich mit jemanden reden kann, der die Gefühle
kennt und vorallendingen keine Vorwürfe zu hören bekam. Montagnachmittags
war ich dann bei PRO FAMILIA. Dort hatte ich ein „Beratungsgespräch“, das
man haben muss, damit eine Abtreibung überhaupt Rechtmäßig nicht strafbar
ist. Aber begeistert war ich nicht gerade davon, denn wie der Name schon
sagt „PRO FAMILIA“ sprich also: für die Familie. Und ich war ja im Endeffekt gegen eine „Familie“. Und genau das hat mir die Frau dort auch zu spüren gegeben, dass sie gegen die Abtreibung ist und ich war sehr erleichtert, als ich draußen war und einfach nur die Unterschrift hatte, dass die Abtreibung
nach drei ganz verstrichenen Tagen durchgeführt werden dürfe. Ich persönlich
finde diese Regelung hat ihre gute und ihre schlechte Seite. Zuerst die
Gute. Man hat natürlich die Möglichkeit drei Tage lang noch zu überlegen, ob
man wirklich abtreiben will oder nicht. Aber das war meiner Meinung auch die
einzige, denn wenn man zum Beispiel in der 11. SSW ist, können diese drei
Tage schon zu lange sein und ich bin immer noch der Meinung, dass man
innerhalb dieser drei Tage, auch wenn man schon vorher darüber nachgedacht
hat, nicht wirklich die endgültige Entscheidung fällen kann. Ich konnte
nämlich gar nicht anders als abzutreiben und irgendwie habe ich auch eher
mechanisch gehandelt. Was ich wollte, dachte und fühlte, war für andere
unwichtig. Und das haben auch alle ganz deutlich gezeigt. Was mich sehr
traurig machte und immer noch macht. Egal bei welchem Arzt, Krankenhaus oder sonstigen per Gesetz festgelegten Einrichtungen man war; überall kam indirekt im Gespräch rüber, dass man ein Menschentöter ist, wenn man abtreibt und ich habe nirgendwo Verständnis bekommen. Außer bei meinen Freundinnen. Aber die konnten mir ja auch schlecht beim Abtreiben helfen. Naja, als ich dann aber zu meiner Operationsbesprechung war, bekam ich doch einen Lichtblick. Die Frau, die mich aufklärte war sehr nett und hatte mir die Angst genommen. Das war eine sehr aufbauende Kraft zusätzlich zu der „abtreibungsseite.de“.

Auf einmal ist es Freitag, der 2. Juli. Ich gehe zum Krankenhaus und fühle
ganz genau wie die letzten Tage auf mich wirken. Ich bin total durcheinander
und kann an nichts anderes mehr denken als an die bevorstehende „Operation“.
Als ich dann aber endlich auf der ambulanten Station angelangt bin,
empfangen die Stationsschwestern mich sehr freundlich. Irgendwie habe ich
ein richtig schlechtes Gewissen, dass ich mich freuen kann und ich nicht
mehr ganz so verkrampft bin. Ich komme auf mein Zimmer und endlich vergeht die Zeit mal wieder schnell. Kaum liege ich in meinem Bett bekomme ich schon eine Beruhigungstablette und noch ein Zäpfchen. Ich weiß überhaupt nicht, wofür das Ding gut sein soll. Ich versteh das nicht. Also denke ich mir,
mehr als falsch machen kannst du doch schon gar nicht mehr und frage. Und
was sagt mir die Schwester? Dass das nur zur Gewebeerweiterung ist, weil ich
noch nie eine Geburt hatte und somit die Verletzung anliegender Organe
ausgeschlossen werden kann. Ja, was ich soll ich davon halten. Gut, ich
wurde vorher in meinem Operationsgespräch aufgeklärt, dass das Ganze nicht
risikofrei ist, aber wenn man kurz vor der Operation ist, ist das schon was
anderes. Und wie das natürlich so ist bekomme ich ein ganz mulmiges Gefühl.
Aber, wie heißt es so schön, denke ich mir: „Der Brei wird nicht so heiß
gegessen, wie er gekocht wird…“ Ich bin dann eingeschlafen, denn wirklich
viel hab ich auch nicht geschlafen die Nacht. Und kurz bevor ich dann zur OP
nach unten gefahren werde, denke ich mir: „Hättest mal doch bescheid sagen
sollen, dass du voll die Unterleibschmerzen hast.“ Die kamen nämlich von
diesem klasse Zäpfchen. Ja, mir wurde gesagt, ich soll mich melden, wenn was
ist. Aber woher soll ich denn wissen, dass ich da noch stundenlang in dem
Warteraum liegen muss. Ich liege also da, kann mich nicht krümmen vor
Schmerz, weil ich schon auf dieser komischen Trage liege und andauernd gehen irgendwelche Ärzte an mir vorbei. Rein… raus… rein… raus. Irgendwann komm ich endlich in den Operationssaal und bin total erleichtert. Ich denke die ganze Zeit: „Gleich schläfst du ein und wenn du aufwachst ist alles wie früher.“ Kaum wird mir die Narkose gegeben, merke ich es wie es in meinem Arm anfängt zu kribbeln und in meinem Brustkorb anfängt zu ziehen. Ich schließe meine Augen mit dem Gedanken: „Gleich ist alles vorbei.“ … Und weg bin ich.

30 Minuten später… ich öffne meine Augen und weiß nicht wo ich bin. Was ist
passiert? Warum ist das alles so weiß hier. Plötzlich ein stechender Schmerz
im Bauch und da geht mir endlich das Licht auf. Ich habe gerade eine
„Operation“ hinter mir. Aber bevor ich diesen Gedanken zu Ende denken kann, könnte ich fast sterben vor Schmerzen. Warum tut das denn verdammt noch mal so weh?! Ah, gut, ich bekomme ein Schmerzmittel und nach ein paar Minuten werde ich wieder von meinen netten Stationsschwestern abgeholt. Ich liege wieder in meinem Zimmer und habe keine Gedanken. Das ist alles total leer.
Und ich kann irgendwie im Moment gar nicht verstehen, was eigentlich
passiert ist. Also denke ich mir: „Hm, ein bisschen schlafen wäre ja ganz
angenehm.“ Und da schlaf ich auch schon wieder. Aber kaum bin ich wach,
erwische ich mich schon wieder beim betteln nach einer Schmerztablette. Die
ist mir aber irgendwie gar nicht gegönnt. Denn kaum hab ich die genommen,
kann die Schwester schon wieder kommen und mir die Haare zurückhalten, weil ich mich übergeben muss. Das find ich irgendwie gar nicht nett. Aber was
ganz angenehm ist: es ist circa eine Stunde vergangen seitdem und ich fühle
mich viel, viel besser. Und da ich ja auch mal aufstehen muss, mach ich das
und als Belohnung kann ich endlich mal was trinken. „Hmmm… das tut gut,
etwas warmes im Bauch!“ Ich liege hier und denke nach. Ich weiß nicht warum, aber ich habe das Gefühl, als wenn mir ein dicker, großer Sack voller Steine vom Herzen fällt. Ich fühle mich erleichtert. Als wenn nichts gewesen wäre.
Ich habe mir das alles so schlimm vorgestellt und auch wenn es ein bisschen
schmerzhaft war, geht es mir doch irgendwie besser. Ich habe dieses „freie“
Gefühl. Ich habe vorher so große Angst gehabt. Ich war am Boden zerstört,
wusste einfach nicht, was ich machen soll und jetzt brauch ich keine Angst
zu haben, meinem Kind keine gute Zukunft geben zu können. Ich weiß nicht
warum ich so fühle, aber ich weiß, dass das Gefühl gut ist und mich wieder
ein bisschen aufbaut. Und wenn ich ehrlich zu mir selber bin, habe ich keine
richtigen Gefühle für dieses kleine Ding in mir drin gehabt. Ich konnte mir
einfach nicht vorstellen, dass ein kleines Lebewesen in mir drin sein soll.
Das geht doch gar nicht! Ich habe mich nicht zu ihm hingezogen gefühlt. Und
ich habe mir immer vorgenommen ein Wunschkind zu haben, nicht so wie ich,
das von der Vaterseite gewollt ist, aber von der Hauptperson, der Mutter,
nicht gewollt ist. Vielleicht denke ich da naiv. Das mag sein, aber ich habe
mir Ziele gesetzt und die möchte ich auch gern durchziehen. Dieser Gedanke,
dass ich das Richtige getan habe für mich und das Kind, erfreut mich und ich
gucke mit einem kleinen Lächeln in den blauen Himmel. Dort sehe ich, oder
vermute ich eher, mein kleines Kind. Ich denke mir, dass es auf mich
aufpassen und meine Oma dort oben sich darum kümmern wird. Sie wäre bestimmt die einzige Person gewesen, die mir geholfen hätte. Da bin ich mir sicher, denn sie war auch immer für MICH da. Egal ob in guten oder schlechten Zeiten, aber diese Zeit ist leider vorbei. Und vielleicht schickt sie das Kind ja doch irgendwann mal zu mir auf die Erde, wenn ich reif genug bin,
ich meine Ziele auch erreichen kann, und meine Oma mir zutraut, dass ich dem
Kind das geben kann, was es braucht. Nämlich Liebe! Da bin ich mir sicher.

Das Ganze ist jetzt schon wieder ein paar Monate her. Ich werde es wohl nie
vergessen. Wahrscheinlich wird sich auch nie rausstellen, ob es die richtige
Entscheidung war, aber im Moment denke ich immer noch, dass es das Beste
war. Ich habe meine Ausbildung angefangen, nette Leute kennen gelernt und
versucht das Beste draus zu machen. Und manchmal denke ich mir: „Sehen wir es positiv und wissen, daraus gelernt zu haben. Und ich meine, dass das das Wichtigste ist!“

Ich denke oft an die Zeit zurück, gucke in den Himmel oder lese mir einfach
meine Texte, Gedichte oder Gedanken durch, die ich damals aufgeschrieben
habe. Das hilft mir sehr. Und auch meine Freundinnen helfen mir dabei, die
ganze Sache zu verarbeiten. Außerdem bin ich ganz fest der Meinung, dass die
Frauen, die ungewollt schwanger sind oder sich einfach noch nicht reif genug
fühlen, weiterhin die Chance haben sollten, selber zu entscheiden, was mit
ihrem Körper passiert. Wir, nicht die anderen, müssen diese Sache an unserer
eigenen Haut spüren und wir sollten uns nicht von jemanden beeinflussen
lassen, wenn es darum geht, eine wichtige Frage für die Zukunft zu
entscheiden. Das muss uns ganz alleine überlassen werden. Man darf auf
keinen Fall unter Druck gesetzt werden. Denn wir haben die Schmerzen und
nicht die, die denken es nur gut mit uns meinen zu müssen! Ich hoffe daher,
dass alle, die betroffen sind, ihre eigene Entscheidung fällen können und
sich im Klaren darüber sind, was sie machen. Es ist kein Verbrechen, es soll
auch nicht schön geredet werden, aber man hat wenigstens einen kleinen
„Fluchtweg“. Der aber nur minimal genutzt werden sollte, wenn es gar keinen
anderen Ausweg mehr gibt. Nur dann ist es auch die richtige Entscheidung!!


 

Raumkapsel Genesis

Von Didier

Dunkel umgibt mich

und hüllt mich ganz ein.

Das Morgenrot zeigt: Ich

bin hier nicht allein;

zeigt: Leben durchpulst mich

erwachendes Sein.

Die Kapsel: zwar friedlich,

doch letztlich nicht mein.

Horch! Stimmen von außen!

Ich poch’ an die Tür.

Es drängt mich nach draußen.

Wer, Wesen, seid ihr?

 

Die Stunde wird kommen:

Ich werd’ mich befrein.

Doch angstvoll-beklommen

frag' ich: Kann es sein?

Kann ich auf dir leben,

du fremder Planet?

Wird’s Sauerstoff geben,

wenn ich dich betret’?

Und wer wird mich nähren,

verlass’ ich die Zelle?

Werd’ nichts ich entbehren

danach auf der Stelle?

 

Geräusche – Gefahren,

gesichtslos, verkannt,

drohn nicht sie in Scharen

in dir, fremdes Land?

All das, diese Welt

von dunklem Verlocken,

von Licht dumpf erhellt,

es lässt mein Herz stocken. –

Sie nahn, ich muss gehn!

Kein Zaudern jetzt mehr!

 

Dort! Licht ist zu sehn:

 

Komm, Leben, komm her!

 

 

 

Meine Barbara

 

 

Von Fenia

 

 

 

Meine Barbara verstarb Juni 1976. Zu diesem Zeitpunkt war ich Ende der 16. Woche schwanger. Ich wollte - selbst 16 jährig - meiner Tochter das Leben schenken. Wir haben nicht das Recht zu töten, war schon damals mein Denken. Damals war ich Deutsche Staatsbürgerin. Wir lebten in T., einem bäuerlich
geprägten Ort in Tirol. Ich sagte allen, meinem Lehrherrn, Nachbarn, früheren Klassenkameraden und dem Kindesvater, das ich schwanger sei und das ich mich riesig auf meine Tochter freue. Mein Vater sagte: entweder ihr zukünftigen Eltern heiratet und dann darf euer Kind leben. Wir beide stehen zu unserer Auffassung: Kind ist kein Heiratsgrund. Und das bekannten wir auch vor meinem Vater.
S. sagte anschließend: er habe mit seiner Mutter schon gesprochen, unser Kind könne bei Ihr aufwachsen. Ich habe bis heute diese Frau nicht kennengelernt, von der S. sprach, das Sie bereit wäre, unser Kind aufzuziehen. Meinem Vater, dem angesehenen Professor, war ohnehin dieser Weg überhaupt nicht recht. Und die Dörfler sagten mir: dein Vater ist doch der angesehene Herr Professor? Ich antwortete: ja! Und?...Die Dörfler sagten weiter: Deine Eltern haben ein Haus gekauft hier im Dorf = wir müssen noch länger mit ihnen auskommen. Ich lief von zu Hause fort, nachdem ich merkte, das niemand mir und meinter Tochter die Hand reichte. Und die Polizei brachte mich zurück zu meinen Eltern. Ausdrücklich gegen meinen Willen. Was diesen Erwachsenen jedoch wurst war, war ich doch nur eine ausgerissene Zugereiste, eine Ausländerin.
Ich hatte damals oft zu Gott gefleht, das er mir und Barbara raushelfe aus dieser unmenschlichen Scheiße. Aber Gott war nicht da. Als ich mit Barbara unterm Herzen nach Linz, OÖ gebracht wurde...in die Frauenklinik...priv. Belegebetten, gab der Arzt mir zu Antwort - nachdem ich ihn darauf hingewiesen habe, das ich Ende 16 SSW bin und das ich möchte das mein Kind leben darf - es gibt keine Zeugen dafür, das Sie mir diese Information haben zukommen lassen...und überhaupt, vielleicht lügen Sie ja oder Irren Sie sich ja! 16.6.76 zwischen 14.45 und 15 Uhr verstarb Barbara. Kurze Zeit später - ich war gerade dabei, aus der Narkose zu erwachen, kam der Arzt auf mich zu und sagte mir: Du hast recht gehabt! Dein Kind war für die Absaugung zu groß. Ich mußte es Köpfen und die Rumpfteile abtrennen und alles einzeln heraus holen.
Männer achten Frauen und Ihre Leistungen und Bedürfnisse bis heute nicht. Frauenarbeit hat lebenslänglich und kostenfrei zu geschehen...z.B. Hausarbeit, Kinder aufziehen, Kranke und Pflegebedürftige versorgen. Wenn Frau schon mal arbeitet - und nur geldeinbringende Arbeit wird gesellschaftlich als Arbeit wahrgenommen - so verdienen Frauen gut 30-40% weniger als Männer. Zudem wird Ihre Arbeit niedriger gewertet, z.B. ihre Managementfähigkeiten, welche Frau als Mutter, Versorger der Junioren- und Seniorengeneration, Hausfrau, Geldeinbringend berufstätig usw sich aneignet.
Rückblick: vor hundert Jahren war es selbstverständlich, das die Kinder die abgewetzte Kleidung der Erwachsenen trugen: die Hosenbeine der väterlichen Hose gekürzt, mit einer Paketschnur statt einem Gürtel...und schon war das Kind gekleidet.
Die Väter bzw Ehemänner bestimmten über die berufliche Ausbildung der Frauen/Töchter.
Und schon damals wachten Männer nicht schützend und Geborgenheit gebend über den ihnen anvertrauten Menschen (Frauen, Kindern, Knechten und Mägden).
Ich gehe davon aus, das eines Tages der Tag kommen wird, das Männer in ihren eigenen Reihen aufräumen werden.
Ich selbst bin dabei, etwas anderes umzusetzen: Selbstbestimmte Arbeitsplätzformen für Frauen und gesundheitlich oder sonstwie eingeschränkte Menschen bekannter zu machen.
Es wird Zeit, das wir geknechteten aufstehen und uns wehren.

 

 

Von Petra

Auch ich möchte meine Geschichte niederschreiben. Ich bin 31 Jahre alt, mit meinem Freund schon eine halbe Ewigkeit glücklich zusammen, finanziell geht es uns gut und wir haben Freunde und Familie. Man könnte also denken: sind
doch die besten Voraussetzungen für die Gründung einer Familie. Trotzdem haben wir uns gegen das Kind entschieden:

Die ganze Geschichte begann am 20.02.2006. An diesem Tag kaufte ich mir einen Schwangerschaftstest, da meine Regel seit 1 Woche ausgeblieben war. Ich hatte aber nicht ernsthaft damit gerechnet, schwanger zu sein, da wir verhütet haben (mit Kondomen, was über Jahre gut gegangen ist) und ich
keinerlei Veränderungen an mir oder meinem Körper festgestellt habe. Nachdem ich festgestellt habe, dass der Test positiv war, bin ich fast durchgedreht.
Mein Freund hat dann gleich einen neuen Test gekauft, weil wir beide nicht glauben konnten, dass ich schwanger war. Leider war der zweite Test auch positiv. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen und nur geweint. Ich habe
mich nachts sofort im Internet über Abtreibungen informiert. Für mich stand zu diesem Zeitpunkt fest, dass ich das Kind nicht haben wollte.
Am nächsten Tag bestätigte mir mein Frauenarzt, dass ich in der 5. Schwangerschaftswoche war.  Ich hab dem Arzt gleich signalisiert, dass ich das Kind nicht haben möchte. Er hat mich darüber informiert, was im Falle einer Abtreibung zu tun ist, ich es mir aber noch gut überlegen sollte. Die
darauf folgenden Wochen waren ein einziger Albtraum. Ich war froh, zur Arbeit gehen zu können, weil ich mich dort ablenken konnte und nicht die ganze Zeit an die Schwangerschaft denken musste. Nur abends war es dann ganz schlimm: Mein Freund und ich habe uns sehr viel darüber unterhalten, ob wir das Kind haben wollen oder nicht. Ich habe nur geweint und fast überhaupt nicht geschlafen. Irgendwie stand für mich schon fest, dass ich das Kind nicht
haben wollte, aber ich hatte und habe nach wie vor ein schlechtes Gewissen.
Mein Freund hat sich relativ schnell gegen das Kind entschieden, obwohl ich damit nicht gerechnet hatte. Ich habe früher schon gesagt, dass wenn ich mal schwanger bin, es abtreiben werde. Er war ziemlich entsetzt, als ich dies
damals sagte, aber wenn man selbst in einer solchen Situation ist, ist doch immer alles anders.
Letztendlich habe ich mich mit der Entscheidung sehr, sehr schwer getan. Irgendwie konnte und kann es auch heute nicht vor mir verantworten, dass Kind abzutreiben bzw. abgetrieben zu haben. Aber dann habe ich mir wiederum gedacht. Du kannst doch das Kind nicht nur deshalb kriegen, weil Du ein
schlechtes Gewissen hast. Denn das war wirklich der einzige Grund, warum ich es hätte kriegen wollen. Bei mir ist es so, dass ich es mir trotz meines Alters nicht vorstellen kann, Kinder zu haben. Mir fällt es schwer, darin etwas Positives zu sehen. Immer wenn ich meine Freundinnen sehe oder sie von
Ihren Kindern erzählen, denke ich: meine Güte, die tun mir so Leid, die können nicht mehr tun und lassen, was sie wollen und müssen immer für ihre Kinder da sein. Ich weiß, dass meine Freundinnen dies so natürlich nicht sehen und dass Kinder was Wunderbares sind, nur (leider) zur Zeit nicht für
mich. (Ich hoffe, dass ich meine Sichtweise im Laufe der Zeit ändern werde…)

Nun ja, am 08.03.2006 bin ich dann mit meinem Freund in die Klinik gefahren, in der mich mein Frauenarzt operiert hat. Ich war vor dem Eingriff sehr, sehr aufgeregt. Ich hatte solche Angst davor, dass ich nach der Abtreibung
nur noch depressiv sein werde und nie mehr lachen könnte. Und dass ich mich unglaublich schuldig fühlen würde. Aber das war nicht so: Als ich aus der
Narkose aufgewacht bin, war ich sehr erleichtert. Mein Freund war die ganze Zeit bei mir und hat mich unterstützt. Auch die Krankenschwestern und die Narkoseärztin waren sehr nett zu mir.
Inzwischen sind fünf Tage vergangen und mir geht es soweit gut. Ich hatte so gut wie keine Blutungen und auch wenig Schmerzen. Physisch geht es mir soweit auch gut. Die Erleichterung überwiegt immer noch. Ich bin zwar auch
traurig darüber, dass ich einem Kind die Möglichkeit auf ein Leben genommen habe, aber bereuen tue ich es nicht. Auch wenn wir das Kind sicherlich aus egoistischen Gründen abgetrieben habe, ist es für uns nach wie vor die „richtige“ Entscheidung gewesen. Ich weiss zwar nicht, wie ich in einigen Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren darüber denke und fühle, aber im Moment ist es okay.

Ich wünsche allen Frauen, die (leider) vor der Entscheidung stehen, ein Kind zu bekommen und nicht, viel Kraft und Mut. Wichtig ist, den Partner an seiner Seite zu wissen!!

Mama!


Kostenlose Homepage von Beepworld
 
Verantwortlich für den Inhalt dieser Seite ist ausschließlich der
Autor dieser Homepage, kontaktierbar über dieses Formular!