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Ausarbeitung, 09. Dezember 1999:

Abschrift der Deutsch-Klausr (13. Klasse, 1. Halbjahr):

Thema: „Menschenbild im 'Faust'“



Das Drama „Faust“ gliedert sich in zwei Teile und stellt gleichzeitig Goethes Lebenswerk dar. Die Entstehung des Gesamtwerkes umfasst mehrere Jahrzehnte und lässt dadurch mehrere Literaturepochen mit einfliessen. Der vorliegende Textausschnitt entstammt dem „Prolog im Himmel“ (Verse 243 bis 353), einem von Goethe nachträglich eingefügten Teil zum „Faust“-Fragment.


Der Prolog hat eine zentrale Bedeutung für das Gesamtwerk, welches sich in eine Rahmenhandlung und zwei Binnenhandlungen gliedert. Er bildet den Auftakt zur Rahmenhandlung; er enthält also die Einführung – vom dramatischen Aufbau betrachtet.


Kernaussagen des Prologs sind die jeweiligen Auffassungen zum Menschenbild – aus der Sicht Mephistos und des Herrn gesehen – sowie die erste Wette des Dramas.


Der Dialog zwischen dem Herrn und Mephisto bringt unterschiedliche Meinungen über das Leben auf der Erde zum Ausdruck. „Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen. Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag, [...] Ein wenig besser würd er leben, ...“ (Vers 280 ff.)


Mephisto sieht das Leid der Menschen auf der Erde. Und ist es nicht das Leid, so ist es der Glaube an Gott, der die Menschen so still sein lässt. Die Religion hat insbesondere im „Faust I“ einen hohen Stellenwert. Die Menschen zu dieser Zeit nahmen ihr Schicksal „so hin“ und sahen es als ein Zeichen Gottes, in den jeweiligen Verhältnissen zu leben. Die Kirche stand an erster Stelle. Verhalten, das nicht in das gesellschaftliche Bild passte, wurde öffentlich angeprangert und Betroffene mußten mit öffentlicher Abstrafung rechnen.


Mephisto wirft es auch konkret dem Herrn vor, dass die Menschen besser leben würden, wenn ihnen mehr Freiheiten eingeräumt werden. Stattdessen sind sie gehalten, jeden Tag dem Herrn zu danken. „Ein wenig mehr Freude oder Spaß, aber der Herr hat sich ja das Lachen abgewöhnt“ (Vers 278) – und das hat sich auf den Menschen übertragen. Er lehnt sich nicht auf, er duldet es. Bis auf einen – Doktor Faust.


Er hat Theologie, Astronomie, Juristerei und Philosophie studiert (Vers 353 ff.). Dieser Gelehrte strebt nach immer Neuem. Aber sein wichtigstes Ziel ist es zu „erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält“ (Vers 382/83).


Dieses Streben ist dem Herrn ein „Dorn im Auge“. Er sieht Faust als seinen Knecht, seinen Untertan und seinen Diener. Die Wissenschaft sieht der Herr nicht so gern. Warum soll das, was er geschaffen hat, wofür ihn die Engel bereits gepriesen haben, untersucht und ergründet werden? Er sieht es deshalb bei Faust nur als einen vorübergehenden Spleen an, dem er aber bald Einheit gebieten will:


Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient,

so werd ihn bald die Klarheit führen,

weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt...“ (Vers 308 – 310)


Doch gerade am Beispiel Faust zeigt auch Mephisto auf, welchen Verzicht und welche Opfer dieser Mensch bringt. Faust verzichtet auf alle Freuden des Lebens, nur um in seinen Untersuchungen und Forschungen voranzukommen.


Zusammenfassend kann man aber sagen, das die Menschen – mit Ausnahme von Faust – ehrfürchtig vor Gott sind und sich nicht unbedingt auf „Abwege“ leiten lassen. Diese Situation will Mephisto bei Faust aber ausnutzen. Er wettet mit dem Herrn, dass es ihm gelingen wird, Faust vom natürlichen Wege abzubringen. Dass der Herr sich darauf einlässt, hat zwei Gründe. Zunächst möchte er testen, ob Faust zu einem Pakt mit dem Übermächtlichen bereit ist: „Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange ist sich des rechten Weges wohl bewusst“ (Vers 328/29). Andererseits kennt er Fausts Arbeit und seine gegenwärtigen Depressionen. Aus dieser Sicht heraus soll Mephisto Faust einen neuen Impuls geben bzw. von seinen gegenwärtigen zerstreuen, bevor er seine Arbeit vollständig aufgibt. „Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen, er liebt sich bald die unbedingte Ruhe...“.


Die Schilderung der Menschen durch Mephisto stellt letztlich einen Zusammenhang zur Sturm-und-Drang-Epoche dar. Auf der einen Seite sind die Menschen, die alles über sich ergehen lassen – ihrem Stande entsprechend. Auf der anderen Seite steht Faust als Symbol dafür, dass man selber etwas bewegen muss, wenn man freier sein will. Der Mensch ist doch selbst schuld, wenn er sich nicht aus seiner Unmündigkeit befreit.


Wie bereits erwähnt, bildet das Gesamtwerk „Faus“ den literarischen Rahmen. Innerhalb dieser Rahmenhandlung sind noch zwei Binnenhandlungen („Gretchentragödie“, „Gelehrtentragödie“) enthalten. Durch die Wette zwischen Mephisto und dem Herrn wurde die Handlung eröffnet (Exposition). Mephisto wird mit Faust auf eine Welt- und Lebensreise gehen und ihm das Leben auf Erden zeigen sowie die Situation jenseits von Gut und Böse.


Gesteigert wird die Handlung beim Vergnügungsprozess in der Hexenküche, wo Faust das Bild Helenas im Spiegel sieht. Sowohl die zweite Wette des Dramas (Faust und Mephisto) als auch das Spiegelbild Helenas stellen erregende Momente dar. Der Höhepunkt der Gesamthandlung ist erreicht, als Faust mit Hilfe Mephistos Helena „erhält“ (II. Teil, 3. Akt, Innerer Burghof). Von diesem Moment an beginnt die fallende Handlung in Hinblick auf die Katastrophe. Eine Zuspitzung der Situation erfolgt beim Tode des gemeinsamen Sohnes, worauf sich Helena aus Trauer auflöst.


In der Endhandlung erblindet Faust. Dennoch will er ein angefangenes Dammprojekt fortsetzen. Aufgrund seines fehlenden Augenlichtes verkennt er aber die Situation. Statt der Arbeiter, die fleißig am Damm bauen, sind es vielmehr die Lemuren, die sein Grab schaufeln. Als Faust bei den Worten „Verweile doch, du bist so schön!“ (Vers 11582 ff.) tot zusammensackt, ist die Katastrophe erreicht.


Hier ist auch gleichzeitig die Entscheidung über die erste Wette – im Prolog – gefallen. Obwohl Mephisto Faust vom Wege abbringen konnte, hat er es nicht erreicht, dass Faust sein Streben aufgegeben hat. Dabei sei die Szene „Walpurgisnacht“ erwähnt. Faust hat nie seinen Wunsch aufgegeben, das Rätsel des Übermächtigen lösen zu wollen („Dort strömt die Menge zu dem Bösen; da muss ich manches Rätsel lösen“, Vers 4039/40).


Das Dammprojekt gehört auch zum Tätigkeitsfeld des Faust. Er ist nun einmal Wissenschaftler und Forscher, so dass er sich auch über die Einträglichkeit von Boden bzw. dessen Nutzung Gedanken macht.


Betrachtet man parallel zum Prolog den II. Akt, so ist festzustellen, dass Mephisto vom Grundgedanken her (die Wortwahl Fausts) der Gewinner der Wette zwei und auch der Gewinner der Wetter eins gewesen wäre. Doch durch den Umstand, dass Faust seine Worte unter Verlust seines Augenlichtes sagte – demzufolge noch im guten Glauben war, die Bauarbeiten zu überwachen – hat Faust gegenüber Mephisto die Wette gewonnen. Und Mephisto selbst konnte die Wette gegenüber dem Herrn nicht gewinnen, da Faust „zwei Seelen in seiner Brust“ hatte. Die eine Seele gehörte dem Irdischen und die andere dem Übernatürlichen. Somit gab es auch keine klare Entscheidung, die die Freigabe hin zu Mephisto begründet hätte.


Daraus lässt sich schließen, dass Faust durch die gesamte Handlung hinweg der Knecht des Herrn geblieben war. Auch wenn er zeitweise seine Abenteuer mit Mephisto vollzog, so stand er zu Beginn des Dramas im Schatten des Herrn; im Verlaufe des Dramas zeigten sich ähnliche Situationen im Rahmen der Gretchentragödie (es wurden „echte“ Gefühle für Gretchen wach – aber durch Mephisto zerstört) und zum Ende das Verhältnis zu den umliegenden Bewohnern. Sie hätten aus dem Dammprojekt auch Nutzen gezogen.


Dass die Anschauung des Herrn bezüglich des Fausts zutrifft, lässt sich gar zu leicht belegen:


Des Menschen Tätigkeit kann allzuleicht erschlaffen,

Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;

Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu,

Der reizt und wirkt, und muss als Teufel schaffen.“ (Vers 304 – 344)


Faust war doch zu Beginn des Dramas tatsächlich dem Selbstmord nahe – doch die Osterklänge hielten ihn noch einmal zurück. Es war seine Depression, „auf der Stele zu treten“ und nicht weiter zu kommen. Ihm fehlten neue Impulse und Motivationen. Er brauchte Erfolgserlebnisse. Man kann die „unbedingte Ruh“ des Herrn auch dahingehend interpretieren, dass er die Zeichen für die Selbstmordgefährdung des Faust schon gesehen hat. Andererseits kennt er aber auch die Neugier Fausts und setzt Mephisto ein. Es ist also kein „zufälliges Ereignis“, dass Faust auf Abwege gerät, sondern vom Herrn so gewollt. Man kann auch dahingehend die Deutung führen, dass der Herr bereits jetzt Faust wieder in die Klarheit führen will. Mephisto ist nur Mittel zum Zweck.


Anhand Mephistos wird die Doppelmoral der Gesellschaft deutlich. Auf der einen Seite werden ledige Mütter von der Gesellschaft angeprangert und auf der anderen Seite lässt doch die Gesellschaft nur eine Seite richten.


Faust ist intelligent und Gretchen weitaus überlegen. Er ist von ihrer einfachen, sensiblen Art beeindruckt. Obwohl er weiß, wie die Gesellschaft mit Gretchen einmal umgehen wird, geht er zunächst mit ihr die Beziehung ein und lässt sie später im Stich. Sowohl Faust als auch Gretchen wissen, dass Gretchen nicht die Alleinschuld trägt:


Deine liebe Hand! - Ach aber ist sie feucht!

Wische sie ab! Wie mich deucht,

Ist Blut dran.

Ach Gott! Was hast du getan!“ (Vers 4511 – 4515)


Es ist die Doppelmoral der Menschen, die jeder kennt und dennoch keiner etwas dagegen unternimmt. Der Herr schränkt vom Prinzip sein Menschenbild dahingehend ein, dass jeder die Natur so akzeptiert wie sie ist, bescheiden und arbeitsam sein Leben verbringt. Eine Einhaltung der Gebote wäre schon Erfüllung genug.


Man kann den Herrn als Hüter der konventionellen Schranken sehen und Mephisto als aufbegehrenden Ketzer, der diese Schranken durchbricht.


Insgesamt hat Goethe sein Werk kombiniert aus der offenen Form des Dramas und aus der geschlossenen Form des Dramas. So ist zu beobachten gewesen, das der I. Teil sich in Szenen gliedert, während der II. Teil in Akten aufgeteilt war. Beide Teile enthielten lyrische Elemente (Chorgesang der Engel, Lied vom „König in Thule“).

 

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