Augenblick(e)

Augenblick(e) - Erinnerungen und Gegenwart


 


 

Es gibt sie, diese Augenblicke. Die Momente des Lachens und des Weinens, der Fröhlichkeit und der Trauer, der Geselligkeit und der Einsamkeit. Es sind Momente der Erinnerungen und der Gegenwart. 

Die Erinnerungen machen mich stark für die Gegenwart. Sie geben mir Kraft. Sie stärken mich durch ihren Zauber. Sie lassen mich die Brile des Glücks, des Friedens und der Zufriedenheit aufsetzen. Es ist eine Brille, die nicht die dunklen Wolken zeigt und Schatten der Dunkelheit vertreibt. 

Ich geniesse ihn - diesen Augenblick, als ich Sonntagmorgen um fünf Uhr aufsteh. Langsam, ganz langsam verlasse ich das Hotel. Es ist ruhig auf den Strassen. Vereinzelte Kioske haben geöffnet und bieten Zeitungen und Zigaretten an. Keine Autos der Bewohner, kein Mietwagen, kein LKW, kein Touristenbus... 

Und so bewege ich mich in Richtung Busstation. Auch hier ist noch nicht viel los. Der erste Bus fährt vielleicht um sechs.  

Ganz sachte gehe ich zur Paralia. Die Strandpromenade ist leer. Die Tavernen und Boutiquen haben noch geschlossen. Mein Blick geht auf das Meer. Die Morgensonne glitzert im Meer. Ich geniesse diese Strahlen.  

Meine Hoffnung, heimkehrende Fischer zu erblicken, die hat sich leider nicht erfüllt. Sie sitzen schon in einer der beiden Tavernen am Hafen und trinken ihren Ouzo und Kaffee. Ich wollte es erleben, wie sie mit ihrem Fang nach Hause kommen. 

Bin ich nun enttäuscht? Nein. Ich habe die Ruhe und Stille an einem sonst lebhaften Ort genossen. Die Sonnenstrahlen spiegelten sich an diesem Morgen nur für mich im Meer wider. Es war ein Ort der Einsamkeit, wo man gewöhnlich nicht einsam ist.  

An diesem Sonntagmorgen durfte ich eine Stadt erleben, als ob sie keine Gäste hätte. Ich durfte erleben, zu welcher Zeit Gläubige in die Kirche gehen - zur Morgenmesse. Dieser Sonntagmorgen war ein schöner Augenblick... 

Ruhe - Stille - Einsamkeit.  

Ich besuche Chania. Eine schöne Stadt im Westen Kretas. Sehr zeitig bin ich aufgestanden, um von Ierapetra nach Agios Nikolaos zum vereinbarten Treffpunkt des lokalen Reiseveranstalters zu kommen. Ein Tag ist viel zu kurz, um den Westen zu besuchen. Es wird nur einen Augenblick, wo ich in den Genuss von Chania komme. Aber es ist ein intensiver Augenblick. 

Ich lasse mich bezaubern von der imposanten Markthalle. Schliesse ich meine Augen und denke mich dorthin, so steigen die Düfte der zahlreichen Gewürze in meine Nase. Und ich sehe, wie ich mich ganz langsam zu einem unscheinbaren Café in der Nähe des Hafens bewege. Es ist nicht besonders groß. Innen stehen zwei Tische, außen stehen zwei Tische.  

Ich war sehr erschöpft von dem anstrengenden Tag. Viele Eindrücke habe ich gesammelt. Ich freue mich, ein schattiges Plätzchen gefunden zu haben. Die Inhaberin, eine schon ältere Frau, nimmt meine Bestellung auf: Frappé und ein Stück Kuchen. Sie hat gemerkt, wie schwer mir mein Englisch fiel. Englisch ist nicht unbedingt meine Welt - aber für den Hausgebrauch reicht es. Und so sprach sie mich mit akzentfreiem Deutsch an... 

Oh, wie viel konnte ich von dieser Frau erfahren! Sie nahm sich einen Kaffee und einen Stuhl und erzählte mir aus ihrem Leben. Aus ihrer Zeit auf Kreta, bevor sie nach Deutschland ging. 25 Jahre lebte sie in Deutschland. Dann verlor sie den Mann, die Kinder waren erwachsen - und ihr Heimweh wuchs.  

Um ihr kleines Geld aufzubessern, betreibt sie in den Sommermonaten dieses kleine Café. In der Hoffnung, dass Urlaubsgäste - etwas abseits vom hochfrequentierten Hafen - bei ihr einkehren.  

Sie erzählt mir von Freud und auch von Leid. Ihre Erfahrungen imponierten mir. Aber das Leid in ihrem kretischen Dasein wollte ich in diesem Augenblick nicht sehen. Ich habe mich gerade erst in die Insel verliebt. Dennoch denke ich auch heute noch oft an diese Frau. Wie möge es ihr gehen? Und ich denke an ihre Worte. 

Das sind Augenblicke, die mich auch heute noch berühren. In Momenten, wo ich mich zwischen zwei offenen Türen befinde. Es sind Augenblicke des Träumens und des Erwachens.  

Freude - Schönheit - Zauberei - Erwachen  

Aus diesen Augenblicken schöpfe ich Kraft für die Gegenwart. Ich seh mir die Fotos an, wo ich weisse Wolken und blaues Meer sehe. Die Kapellen, die Ruhe ausstrahlen. Es sind Bilder, die die Erinnerungen lebendig machen.  

Und wenn ich die Augen wieder öffne, dann sehe ich vor mir ein Grau. Aber ich sehe das Grau mit anderen Augen. Ich kann diesem Grau standhalten. Und muss nicht nach unten blicken. 

Ich schliesse meine Augen, um von den Erinnerungen auf Kreta zehren. Von der Gastfreundlichkeit, von der Schönheit, von der Stille. In diesen Augenblicken habe ich Sehnsucht. Sehnsucht nach einer Insel, die mir gut tut.  

Ich sehe in diesen Augenblicken nicht, dass es auch schwer sein kann, dort zu existieren. Ich sehe in diesen Augenblicken nicht, welche Vielzahl von Problemen es dort gibt. Für mich zählt nur der Genuss. Der Genuss von Sonne, Wasser, Luft und Menschen, die immer strahlen und mir Ruhe und Geborgenheit geben. 

Ich verstehe in diesen Augenblicken nicht, warum Bewohner dieser Insel von meiner Heimat träumen. Ich schätze und achte ihre Lebensweise. Aber ich sehe nicht ihren Alltag in diesem Moment.  

Yianni träumt von einem neuen Motorrad und von einem größeren Auto. Er hat ursprünglich Agrarwissenschaften studiert - musste sich aber beruflich neu orientieren. Das Geld reichte nicht für eine eigene Existenz. Und so arbeitete er sich Stück für Stück in der Hotelrie empor. Eleni, eine Sportlehrerin. Auch sie übt nicht ihren Beruf aus. Sie betreibt ein kleines Café. Und Katerina? Von was träumt Katerina? Sie möchte gern in Deutschland bleiben, wo sie studiert. Sie möchte hier arbeiten und leben.  

Auch diese Bewohner schliessen ihre Augen für einen Augenblick und träumen. Sie haben die gleichen Träume. Sie möchten sich selbst verwirklichen. Und das nicht selten dort, woher ihre Gäste kommen.  

In diesen Träumen denkt keiner daran, was er aufgibt, was er verliert. In diesen Augenblicken steht die Waage still, die das Verhältnis von Traum und Wirklichkeit in Relation bringt. Und schliesse ich meine Augen, so sehe ich die Sonne in der Ferne. Ich sehe die Freude, Wärme, die Herzlichkeit, den Genuss. Und dann erst die Sorgen.  

Ein Spruch in meinem Poesiealbum besagt: 'Die Freude am Kleinen ist die schönste Freude, denn es gehört ein großes Herz dazu'. Und so bleibt es bei den vielen kleinen Augenblicken, die ich genoss. Und so bleibt es bei der Erinnerung.

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"Der/die Esel auf Kreta"  

"Wo sich Herz und Seele die Hand geben, da ist Kreta"

"Der mediterrane Tick"

"Eine Reise mit Hindernissen"

"Die Kraft des Meeres"     

"Lebensbaum/-traum""Tsampika oder Tsampikos?"

 

 "Warum? - Der Weg nach vorn." Das Gedicht gehört zur Rubrik "(Ge)Wissen".

 "Für einen lieben Menschen"  Das Gedicht gehört zur Rubrik "(Ge)Wissen".

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