Freitag, 6.7.2001

Tag 1

Deutschland/Polen

Route: Berlin-Bernau-Eberswalde-Sandkrug-Schwedt-Krajnik/Dolny(Polen)

Als um acht Uhr morgens die Haustüre hinter mir zufällt, stehe ich mit meinem bis über den Rand bepackten Fahrrad buchstäblich auf der Straße.

Meine Wohnung habe ich für die kommenden 4 Wochen untervermietet, die Schlüssel habe ich abgegeben.Das ist vielleicht ein komisches Gefühl.Nun werde ich also einen Monat lang mit dem Fahrrad unterwegs sein in Nordost-Europa, einmal um die Ostsee, so ist mein Plan.

Ich und mein Fahrrad, wir werden ein Team sein, aber auf den ersten Metern scheint es, als müssten wir uns erst noch etwas besser kennenlernen.Mein Drahtesel bockt noch ein wenig, der Lenker ist durch die Taschen die am Vorderrad angebracht sind, doch etwas schwerer zu kontrollieren als sonst.

Im Prenzlauer Berg steht ein Apothekenbesuch an.Ich brauche für meine Tour noch Mineralien, Vitamine, Mittel gegen Durchfall, Schmerztabletten,etc...Schon bald bin ich der Besitzer eines prall gefüllten Beutels bunter Pillen und habe ca. 50,-DM weniger in der Reisekasse.

Dermaßen gut versorgt verlasse ich Berlin bei strahlend blauem Himmel und fahre Richtung Nordosten auf der B2 über Bernau und Eberswalde bis nach Sandkrug.

Dort bin ich mit Gerald verabredet.Er ist Inhaber vom Imbiss am Wetterstein in der Angermünder Str.9.

Er ist auch ein begeisterter Radreisender und so führen wir natürlich erstmal ausgedehnte Fachgespräche.In seiner Gaststätte kann man unter anderem auch die Tour von Günther Clemens aus Berlin verfolgen, der vor ein paar Wochen auch schon dort vorbeigekommen ist und sich auf seiner Weltumradelung mittlerweile in Sibirien/Rußland befindet. (2001)

Gerald hat Fotos und Landkarten aufgehängt, und so ist man immer auf dem neuesten Stand.Schaut doch mal vorbei, wenn ihr eine größere Radtour macht, er und seine Frau freuen sich bestimmt!

Gerald und Christel

Vielen Dank an dieser Stelle nochmal für das tolle Mittagessen!

Satt bis über beide Ohren geht es dann gegen 14 Uhr weiter. Ich verlasse die B2, fahre weiter über kleinere Nebenstraßen und erreiche bald den Oder-Neiße Radweg. Diesem folge ich dann bis Schwedt an der deutsch-polnischen Grenze.Ein sehr schönes Stückchen Erde, das ich da befahre, ohne Autos.Links die Oder und rechts saftige Wiesen, viele Kühe und Schafe, die auch durchaus schonmal auf dem Radweg rumlaufen.Herrliche Stimmung.So viel Grün.Schön.

Oder-Neiße Radweg

Allerdings ist es heute sehr, sehr heiß und ich fühle mich ein wenig schlapp.Habe mich in der vergangenen Woche noch gegen verschiedene Sachen Impfen lassen, und ich hatte ein paar Tage mit leichten Impfreaktionen zu tun, die mir etwas zusetzten.

Ich komme den ganzen Tag irgendwie nicht wie gewohnt voran und beschließe, den heutigen ersten Tag als "Einrolltag" gelten zu lassen.Außerdem habe ich ja auch einiges mehr an Gepäck dabei als sonst, und daran muß man sich auch erstmal gewöhnen.Immer wieder mache ich halt, um Wasser zu organisieren.Ich habe heute insgesamt etwa 10 Liter Wasser getrunken.Kein Wunder, bei der Hitze, immer wieder muß ich Pausen einlegen.

Gegen 18.00 Uhr erreiche ich die Grenze zu Polen und der Beamte drückt mir seinen Einreisestempel in meinen bis dahin noch jungfräulichen Reisepass.In Polen war ich noch nie.

Mein Weg soll mich erstmal weiter über Pyrzyce zur B10 nach Suchan führen, und so folge ich einer Route, die mir Gerald aus Sandkrug empfohlen hat. Richtung Ognica soll es gehen.Krajnik/Dolny verlasse ich auf allerbestem Untergrund, nagelneue Sraße, spiegelglatter Asphalt.Wunderbar.8 Kilometer weiter stehe ich jedoch plötzlich mitten in der Sahara.Riesige Sandberge türmen sich vor mir auf.Großbaustelle, Bagger, Laster.Der tiefe Sand ist mit meinem schweren Rad nicht zu überwinden, ich kann nicht mal schieben. Hier komme ich nicht durch.Ich muß wieder zurück und ärgere mich sehr darüber.Das ist also im Prinzip mein erster Eindruck von Polen.Ich kann nichts dafür.

Diese schöne Straße sieht hinter der Kurve so aus:

...aber auf Sand spiele ich heute nicht...

Als ich wieder in Krajnik einrolle, ist es mittlerweile schon fast 19.00 Uhr und es ist langsam an der Zeit, einen Schlafplatz zu finden.Campingplätze sehe ich auf meiner Landkarte weit und breit nicht.Also, was tun?

Ich fahre so durch die Gegend und sehe ein hübsches Haus mit Garten, und daneben hat man eine Wechselstube in einer Garage eingerichtet.Ich gehe rein und frage mal ganz unschuldig mit der Landkarte in der Hand, wo man denn in der Gegend hier so campieren könne.Nach einigem hin und her darf ich dann mein Zelt im Garten des Hauses aufstellen.

So verbringe ich also die Nacht zwischen einem Rudel schnatternder Gänse, die aufgeregt im Garten hin und her wackeln, bellenden Hunden und dem Duft der Kamille, die hier reichlich gedeiht.Dieser erste Tag geht mit einem herrlichen Sonnenuntergang langsam zu Ende.Ich denke an mein Zuhause, das schon sehr, sehr weit weg ist für mich, vermisse meine Freunde, bin ein bißchen traurig, fühle mich ein wenig einsam, schlafe irgendwann ein.

Tageskilometer: 136,87

Zeit: 7:46

Ø: 17,5 km/h

Gesamtkilometer: 136

Gesamtzeit: 7:46

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Samstag, 7.7.2001

Tag 2

Polen

Route: Krajnik/Dolny-Pyrzyce-Suchan-Drawno

Um die Gastfreundschaft der freundlichen Leute, in deren Garten ich heute nacht zeltete nicht übermäßig zu strapazieren, brach ich heute morgen schon sehr früh auf.Bereits um 6.30 verliess ich das Anwesen und drückte der Dame des Hauses als Zeichen meiner Dankbarkeit einen 10-Zlotyschein in die Hand.

Nun galt es erstmal, eine neue Reiseroute zu finden.Wegen dieser blöden Baustelle vor Ognica muß ich jetzt einen Umweg in Kauf nehmen und einen großen Bogen weiter südlich fahren.

Kirche in Polen

Aber auf diesen kleinen Straßen komme ich irgendwie nicht recht voran.Manchmal muß ich nach Kompaß fahren, weil die Ortschaften nicht richtig ausgeschildert sind.

Es ist heute wieder sehr heiß, eigentlich viel zu heiß zum radfahren, und ich fühle mich immer noch recht schwach.Ich habe auch das Gefühl, daß es heute den ganzen Tag irgendwie ständig bergauf geht! Gibt`s sowas? Nein, bestimmt nicht.Das ist mehr ein Problem im Kopf.

Mein Hintern macht mir jetzt schon Probleme, trotz Radlerhosen mit Polsterung und des vorsorglichen Einreibens mit „Gesäßcreme", die aber leider wenig hilft.

Der Asphalt löst sich in der Hitze stellenweise auf.Wenn man darüber fährt, hört es sich an, als ob es gerade geregnet hätte.Wie auf einer nassen Fahrbahn.

In den kleinen Dörfern werde ich heute dreimal von bissigen, bellenden Hunden gejagt, denen der Sinn nach frischem Radfahrer vom Sattel steht. Mein Pfefferspray in der Lenkertasche habe ich immer im Blick.Man weiß ja nie.

Und so schleppe ich mich fast neun Stunden lang im Schneckentempo bis zum Campingplatz in Drawno.

Kaum habe ich an der Rezepzion bezahlt, traf ich auch schon zwei nette Berliner, die hier in der Gegend auf Paddeltour gehen wollen.Sie bauten ihr Zelt neben meinem auf und später kochten wir gemeinsam.Danach gingen wir noch auf ein Dorffest in Drawno, tranken ein paar Bierchen, lauschten den Klängen einer Folklore-Band, quatschten, und es wurde ein recht schöner Abend.

Leider fand Nachts ein paar Meter von unseren Zelten entfernt auf dem Campingplatz eine kleine Party statt, die mich eine ganze Weile lang nervenderweise erheblich beim einschlafen störte.

Tageskilometer: 140,68

Zeit: 8:48

Ø: 15,9 km/h

Gesamtkilometer: 276

Gesamtzeit: 16:36

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Sonntag,8.7.2001

Tag 3

Polen

Route:Drawno-Kalisz Pomporski-Walcz-Jastrowie-Czluchow

Endlich ist der Knoten geplatzt!Heute kam ich mit gutem Tempo voran, hatte auch leichten Rückenwind.Der Himmel war bedeckt und es war auch nicht mehr so furchtbar heiß.

Herrlich, dieses Surren der Reifen!Wenn es ganz still ist und man beschleunigt, gibt das ein Geräusch, das fast so klingt wie eine anfahrende U-Bahn.Das find ich toll.

Mein Arsch ist mittlerweile schon total wund.Ich habe die Sitzposition geändert, sitze etwas aufrechter auf dem Rad und komme dadurch besser zurecht.

Unterwegs treffe ich drei polnische Reiseradler auf dem Weg nach Gdansk.Als Gepäcktaschen dienen ihnen irgendwelche Müllbeutel und als Lowrider (Taschen am Vorderrad) haben sie ein paar Eimer an der Gabel montiert.Ich versuche, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, einer von ihnen kann auch englisch, aber die drei sind etwas verschlossen, fast unfreundlich und außerdem ziemlich langsam.Also beschleunige ich meine „U-Bahn" wieder und die drei verschwinden alsbald sehr schnell in meinem Rückspiegel.

An der Straße durch den Wald steht alle paar hundert Meter ein kleiner Tisch.Darauf steht ein Glas mit Beeren und ein Glas mit Pilzen.Das versuchen die Leute hier zu verkaufen, nachdem sie es aus dem Wald geholt haben.Ich sehe heute ungefähr 42 dieser kleinen Tische.Immer nur 1x Beeren und 1x Pilze.Was anderes gibt der Wald eben nicht her.

Heute wurde mein Handy fürs Ausland freigeschaltet.Das ist schon ein gutes Gefühl, daß man im Notfall ein Telefon bei sich hat.Schon zu Hause habe ich sämtliche Notrufnummern aller Staaten, die ich durchfahre, auf einem Zettel notiert und in meine Kartentasche geschoben.Außerdem ist ein moralisch aufbauendes Gespräch oder eine sms mit guten Freunden ja manchmal auch sehr wichtig.Für mich jedenfalls.

Polnischer Wald...

Ich habe das Gefühl, daß ich hier ein Blickfang bin mit meinem vollbepackten Fahrrad.Die Leute gucken ganz schön, vor allem immer wieder auf die Lowrider.So etwas kennt man hier wohl nicht.

Der Campingplatz in Czluchow ist toll, herrlich am See gelegen und die Duschen und Toiletten sind schön sauber.Außerdem ist er mit 7 Zloty (ca.3,70 DM) incl. Duschen sehr preiswert.So sitze ich also am Abend noch mit 2 Zywiek, polnischem Bier, das übriges sehr gut schmeckt, am See, schreibe in mein Roadbook und schaue eine Weile aufs Wasser.Zum quatschen habe ich heute leider niemanden, und ich habe auch das Gefühl, daß die Menschen hier immer verschlossener und knorriger werden.

Aber es ist schön hier.Jetzt geht die Tour richtig los!

In der Nacht ist mal wieder Partyalarm auf dem Camp.Ich bin schon um 22.00 Uhr in meinen Schlafsack gekrochen, kann aber um 2.30 Uhr immer noch nicht schlafen.Langsam reicht es mir. Ich rufe einfach mal "Ruhe!" und "so eine Scheiße hier" und ähnliche Sachen.Auf deutsch, wohlgemerkt.Auf wundersame Weise wird es plötzlich mucksmäuschenstill, obwohl man mich 50 Meter entfernt bei der lauten Musik eigentlich kaum hören konnte.Aber egal, mir soll es recht sein und kaum eine halbe Stunde später schlafe ich auch schon ein.Mit dem heimlichen Gefühl, gut gebrüllt zu haben, als Löwe...

Tageskilometer: 141,30

Zeit: 6:41

Ø: 21,1 km/h

Gesamtkilometer: 417

Gesamtzeit: 23:17

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Montag, 9.7.2001

Tag 4

Polen

Route: Czluchow-Chojnice-Czersk-Lag

Nach zweieinhalb Stunden Fahrt in heftigstem Dauerregen, Spritzwasser, Dreck und Schlamm, und nachdem alles was wichtig war, also Brieftasche, Reisepass, Fotoapparat, naß geworden ist, gönne ich mir heute mal den Luxus eines schnuckeligen Motels.

Und nun sitze ich hier, draußen prasselt der Regen und bin sehr froh, im trockenen zu sitzen.Es ist sowieso mal eine kleine Pause angesagt, wenigstens einen halben Tag, denn mein Arsch hängt mittlerweile in Fetzen und es gilt, eine Menge Schlaf nachzuholen, von dem ich in den vergangenen Tagen wahrlich nicht allzuviel genossen habe.

Motelzimmer in Lag

Nachdem ich meine Klamotten und mein Zelt im Zimmer zum trocknen aufgehängt hatte, verbrachte ich 2 Stunden damit, alles narrensicher in Tüten zu verpacken.Nun bin ich der Herr über 38 Beutel mit Clipverschluß.Die Lenkertasche muß nach der Tour unbedingt durch eine wasserdichte ersetzt werden.Meine Tasche hat zwar eine Regenhülle, aber das scheint den Regen nur geringfügig zu interressieren.

Ich mache den Fernseher an.Es gibt 4 Programme.Auf dem einen Kanal läuft eine Quizsendung.Sieht ein bißchen aus wie die "Quizshow" auf SAT 1.Auf dem anderen Kanal gibt es einen Film.In Polen macht man sich nicht die Mühe, beim synchronisieren von Spielfilmen jedem Schauspieler/in seine/ihre eigene Stimme zu verleihen.Nein, ein einziger, charismatischer Sprecher übersetzt alle Dialoge.Und der Tonfall ist immer gleich.Wie auf einer Meditations- oder Hypnose-CD.

Unten an der Rezeption des Motels frage ich, ob jemand den Wetterbericht gesehen hat für die nächsten Tage, und man prophezeit mir für die nächsten fünf Tage Dauerregen.Schönen Dank.Mein Budget ließ zwar die Anschaffung einer sehr guten Goretex-Regenjacke zu, aber zu einer Regenhose, Regen-Gamaschen für die Schuhe oder etwas angemessenes für den Kopf hat es leider nicht mehr gereicht.Außerdem habe ich nur ein einziges paar Schuhe dabei.Das wird bestimmt lustig! Soll er doch kommen, der Regen!Mir doch egal.Wenn es regnet, setze ich eine Mütze auf und fahre in kurzen Hosen weiter.

Am Abend esse ich eine Kleinigkeit im Restaurant und lese ein paar Reiseinfos über das Baltikum.

Draußen ist es trübe, und die Tage können manchmal ganz schön einsam sein.Aber man hat es sich ja so ausgesucht.

Ich liege auf dem Bett, glotze mit müden, halb geöffneten Augen in den Fernseher, verstehe kein einziges Wort und schlafe sehr bald ein.

Tageskilometer: 50,09

Zeit: 2:32

Ø: 20,1 km/h

Gesamtkilometer: 468

Gesamtzeit: 25:55

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