Hilfe zur Selbsthilfe

zusammengestellt von Gunnhild Fenia, fenia@sternenkind.info


http://streitschriften.argudiss.de/  Armut und Reichtum 7:
 
Hartz IV:
Neue Lektionen über brauchbare und unbrauchbare Armut

Die Neusortierung der Arbeitslosen


Jetzt ist vieles anders und noch mehr wird von den zuständigen Sozialpolitikern anders gesehen: Da die Zahl der Arbeitslosen ständig wächst und als nationale Beschäftigungsreserve ohnehin höchstens noch ein Teil von ihnen gebraucht wird – die Arbeitslosen der ganzen Welt werden ja inzwischen von den Multis als Reserve einkalkuliert –, entfällt für die staatlich definierten „Langzeitarbeitslosen“ die Zugehörigkeit zur Arbeitsreserve. Sie werden als Nachschub für die große Industrie, mit der Deutschland die Standortkonkurrenz gewinnen will, nicht mehr gebraucht. Das einzige zugelassene Mittel, mit dem die Lohnabhängigen für sich und ihre Familien regelmäßigen Lebensunterhalt verdienen können, wird ihnen damit vom Sozialstaat aus der Hand geschlagen: Egal, was der Mensch gelernt hat und an Erfahrungen besitzt, egal wie kräftig er sich noch zur Arbeit fühlt – mit seiner staatlichen Einsortierung unter die Langzeitarbeitslosen gilt all dies nichts. Wer fürs Kapitalwachstum nicht mehr rentabel einsetzbar ist, der verfügt also nicht nur über kein regelmäßiges Einkommen, sondern der besitzt – so sieht es der Sozialstaat – auch keine taugliche Arbeitskraft als Einnahmequelle mehr. Die muss dann auch nicht mehr aus den Sozialkassen erhalten werden. Mit den sog. „Hilfen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt“, die ihm dann noch zugestanden werden, ist also gar nicht mehr beabsichtigt, seine Rückkehr in die normale kapitalistische Erwerbswelt – „reguläre Beschäftigung“ heißt das inzwischen – zu organisieren.

Damit ist sein Anspruch auf Leistungen aus den Sozialversicherungen von heute auf morgen erloschen – egal wie viel ihm dafür in seinem bisherigen Arbeitsleben vom Lohn abgeknöpft worden ist. Mit einem einzigen Federstrich wird so etwas abgeschafft. Dafür gibt es ja die staatliche Legislative, die ihre vom Wahlbürger – „Wir sind das Volk!“ – alle vier Jahre aufs Neue bestätigte Freiheit gründlich ausnutzt. Einem Heer von 3 Millionen Menschen wird nun mitgeteilt, dass es für die nationalen (Standort-)Anliegen nicht nur nicht mehr gebraucht wird, sondern deswegen sogar eine Last darstellt.
Deutlicher lässt sich nicht mehr klarstellen, dass es zur Karriere von Lohnbeziehern dazu gehört, sich auf ein Leben zwischen Fabrik und Arbeitsamt und zugleich auf den Abstieg in die untersten Armutsschichten einzurichten. Dies ist in dieser schönsten aller Wirtschaftsweisen für jene Menschen vorprogrammiert, die dazu verdonnert sind, sich um Geld in fremden Diensten zu bemühen und sich für fremde, wenig bekömmliche Zwecke krumm zu legen. Deswegen ist auch die Neubeurteilung der Sozialhilfe nur konsequent: War früher der Bezug von Sozialhilfe offiziell sozusagen zur Ausnahme erklärt worden – man legte Wert auf den immer schon verlogenen Befund, dass es hierzulande wirkliche Armut nur in äußersten Randbereichen der Gesellschaft, also eigentlich gar nicht gibt –, so ist er jetzt als Regelfall sozialstaatlich anerkannt. Ein paar Millionen Ausgemusterte lassen sich nicht mehr als Ausnahmen verbuchen. So gibt der moderne Sozialstaat heute jenen kommunistischen politischen „Störenfrieden“ recht, die schon immer darauf hingewiesen haben, dass der Menschenschlag, dessen Lebensperspektive voll und ganz an seinem Nutzen fürs kapitalistische Geschäft hängt, allein die Wahl hat zwischen brauchbarer und unbrauchbarer Armut – und sogar die Wahl kann er gar nicht selbst treffen. Es ist kein Zufall, dass die Karriere von Lohnabhängigen äußerst selten wie im Märchen vom Tellerwäscher verläuft.

Die Neuorganisation der Verelendung


Hartz IV legt Zeugnis davon ab, dass dies alles noch steigerungsfähig ist. Wo zu den Sozialhilfeempfängern noch Millionen von „Langzeitarbeitslosen“ geschlagen werden, die nicht Produkt eines vorübergehenden Konjunkturtiefs, sondern auch in des Wortes anderer Bedeutung Langzeitarbeitslosigkeit repräsentieren, da wird die staatliche Fürsorge neu durchdacht. Fürsorge ist ab sofort nicht mehr identisch mit der Ausgabe von Steueralmosen an Bedürftige, sondern Fürsorge ist ein Auftrag an ihre Empfänger, der unter strengster sozialstaatlicher Aufsicht abgewickelt wird – und zwar ein doppelter:
Zum ersten hat die Sozialpolitik beschlossen, dass es nicht sein kann, den Staatshaushalt ganz neu mit Ausgaben zu belasten, die für die Anliegen der Nation überflüssig sind. Wenigstens ihr Elend sollen die Hartz-IV-Figuren in eigener Regie abwickeln. Sie bekommen die Order, mit Billigstarbeiten und „Zuverdienst“ den Staat von Sozialkosten zu entlasten. Über die Regel, dass von jedem per Arbeitszwang verdientem Euro von der Arbeitsbehörde 85% kassiert werden, bekommen die „Zuverdienstler“ zudem mitgeteilt, dass der Sozialstaat keinen Gedanken mehr daran verschwendet, wie sie denn wohl mit den 345 bzw. 331€ Sozialgeld ihr Überleben organisieren sollen. Er hat ja andere Sorgen.

Diese Entlastung des Sozialhaushalts durch Arbeitsverpflichtung kommt nicht aus ohne eine aparte Definition von „Erwerbsfähigkeit“. An der verläuft die neue Scheidelinie zwischen Arbeitslosengeld II und Sozialgeld. Erwerbsfähig sind ab sofort Bedürftige, die fähig sind, „mindestens drei (!) Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen zu arbeiten“. Es ist staatliche Absicht, dass im Prinzip nur noch – so oder so – Schwerbehinderte diesem Kriterium nicht entsprechen. Der Brutalität dieser Definition entspricht die Festlegung von Zuverdienst-Quellen und -Entgelt: Annehmen muss der „Erwerbsfähige“ jede „nicht sittenwidrige Arbeit“, die er findet oder zugewiesen bekommt. Ablehnen darf er nichts. Das gilt natürlich nicht als „sittenwidrig“. Durchgesetzt wird das alles mit noch einmal verschärften „Zumutbarkeitsklauseln“ – wie die Zwangsregeln passenderweise heißen. Wer sich weigert, sich dieser neuen Sittlichkeit zu unterwerfen, bekommt postwendend keinen einzigen Cent mehr. Wer sich also seinem neuen, staatlich definierten Lebenszweck verweigert, sich selbst als völlig unproduktive Kost für den Sozialstaat zu betrachten und abzubauen, der hat jegliche Überlebensbeihilfe verwirkt. Eine unmissverständliche Auskunft!

Als mit den Sitten im modernen Sozialstaat vereinbar gelten ab sofort selbst „1-Euro-Jobs“. Das ist sozialpolitisch durchaus konsequent: Denn es wird bei all den ihm ab sofort zugewiesenen Arbeiten gar nicht mehr Maß genommen an dem, was ein Lohnarbeiter, der in der Welt der großen Industrie täglich seine 8-12 Stunden in der Fabrik abreißen muss, an Lebensnotwendigkeiten, also an Wohnung und Kleidung, an Essen und Trinken, an Hygiene und Gesundheit, an Freizeit und Urlaub braucht, wenn er den Job dauerhaft zur Zufriedenheit seines Betriebsherrn ausfüllen soll. „Zuverdienst“ in Hartz IV heißt in erster Linie Entlastung der Staatskassen und da ist jeder Euro recht!

Man könnte es da fast für eine Gnade halten, dass der „Verdienst“ aus den 1-Euro-Jobs nicht abgeführt, sondern behalten werden darf – wenn denn diese Jobs nicht allzu offensichtlich für die Lohn- und Gehaltseinsparung bei Kommunen und den berühmten „Gemeinnützigen Organisationen“ gedacht sind. Woher allerdings die „Zuverdienst“-Gelegenheiten und 1-Euro-Jobs für 2-3 Mio Leute kommen sollen, darüber ist gerade ein aparter Streit zwischen Caritasverbänden, Kirchen, Kommunen, Handwerkern und der Baugewerkschaft entbrannt. Ob Wirtschaftsminister Clement sein Versprechen halten kann, 600 000 1-2 Euro-Jobs aus dem Boden zu stampfen, ob es überhaupt soviel „gemeinnützigen Bedarf“ gibt, ob nicht mit drei 1-Euro-Jobs ein „regulärer Beschäftigter“ ersetzt werden kann – der sich dann nach einem Jahr selbst in die Schlange der „Zuverdienstler“ einfädeln kann –, all diese Fragen danach, ob das Konzept klappt, ob es nicht unschöne „Nebenwirkungen“ hat, wie man es am besten verkaufen kann usw., erregen größere öffentliche Aufmerksamkeit als der Skandal des Konzepts selbst. Eines belegt dieses Rätselraten über die Herkunft all der Billigst-Jobs aber mit aller Deutlichkeit: Weder für die Belange des hiesigen Staats und schon gar nicht für seine Volkswirtschaft werden diese Leute ernstlich gebraucht. Aber, wie es von der Bundesagentur für Arbeit verlautet, um ganz besonders die früh ausgemusterten Jugendlichen an „Pünktlichkeit“ und ans „Einfügen in eine Arbeitsorganisation“ zu gewöhnen, werden die Kommunen schon so Einiges in der Kinder-, Alten- und Friedhofspflege aus dem Boden stampfen. Und noch etwas liegt auf der Hand: So ausgegrenzt die Hartz-IV-Population vom regulären Arbeitsmarkt auch ist, niemand – weder die Geschäftswelt noch der Staat – wird etwas dagegen haben, wenn sich schnell eine trübe Grauzone bildet, in der sich Arbeitslosengeld-II-Bezieher als äußerst kostengünstiger und nicht einmal sozialbeitragspflichtiger Ersatz für „regulär“ Beschäftigte nützlich machen. Im Gegenteil.

Zum zweiten hat der Sozialstaat für seinen neudefinierten menschlichen Ausschuss den Offenbarungseid vorgesehen. Den kennt man vom Gerichtsvollzieher, der bei säumigen Schuldnern alles abschleppt und zu Geld macht, was nicht niet- und nagelfest ist. In der Tat ist das die Stellung des Sozialstaats im Jahre 2005 zu den ausgemusterten Arbeitslosen: Mit jedem Euro Fürsorge sollen sie sich als in seiner Schuld stehend betrachten, sofort das selbst Gesparte rausrücken, das „unangemessene“ Eigenheim verscherbeln, die Familie in Haftung nehmen und alle für die unsichere Zukunft abgeschlossenen kärglichen Versicherungen in der sozialstaatlich unsicher gemachten Gegenwart verbrauchen. Das ist besonders heftig: Da haben die auf Lohn ein Leben lang angewiesenen Menschen in weiser Voraussicht, dass der erstens irgendwann ausbleibt und zweitens die Leistungen der Pflichtversicherung kaum fürs Nötigste reichen, immer noch zusätzlich vom Nettolohn dies und das zurückgelegt bzw. mit Krediten vorfinanziert. Und nun entdeckt der Sozialstaat an dem privat Angesparten nichts als ihm vorenthaltene Gelder. Die belegt er nach Festlegung gnädiger Freibeträge für seine Sozialleistungen mit Beschlag. Er ersetzt also die staatlichen Hilfen partiell durch die privaten Ansparungen, die doch gerade zur zusätzlichen Aufbesserung der armseligen staatlichen Hilfen dienen sollten. Und wehe, so ein Langzeitarbeitsloser unter der Hartz-IVKnute versucht, ihm dies oder das zu verheimlichen. Dann wird er mit dauerhaftem Entzug jeder staatlichen Fürsorge bestraft: Der Versuch, für sich vom Gesparten noch etwas unterm Kopfkissen zu verstecken, gilt wie ein Vergehen am Allgemeinwohl, das dann nicht nur mit Ausstoß aus der Welt des „1. Arbeitsmarktes“, sondern aus der Gesellschaft geahndet wird.
Das ist sozialstaatliche Fürsorge: Eine einzige Ansammlung von Zwangsregeln, die den aus der Welt der Arbeit Ausgemusterten nötigen, sich selbst als Unkostenquelle der Sozialhilfe zu betrachten und zu behandeln. Privates Kleineigentum und die Familie, diese vorgeblich heiligen Kühe der „sozialen Marktwirtschaft“, für die sich Leute ihr Leben lang krumm legen, werden als Beiträge zur Entlastung des staatlichen Sozialhaushalts definiert und veranschlagt. Selten ist so brutal offen und zutreffend festgehalten worden, dass das Lebensinteresse von lohnarbeitenden Menschen mit Kapitalwachstum und Standortpolitik unverträglich ist, wie mit den jüngsten Anschlägen des Sozialstaats.

„Weg mit Hartz IV – das Volk sind wir!“
Untertänige Beschwerden bei der Obrigkeit


Erstens dadurch, dass zusammen mit dem wirtschaftspolitischen Abschreiben des Aufbruchsprojekts für den deutschen Osten – Kohls „blühende Landschaften“ – auch sie ihre Wünsche auf Dauer beerdigen können, vielleicht doch irgendwann einmal auf halbwegs gesittetem Niveau in ihrem neuen Vaterland durchs Leben zu kommen; und zweitens dadurch, dass das Ersetzen von Rechten aus einer Arbeitslosenversicherung durch reduzierte Leistungen nach Maßgabe der sozialen Bedürftigkeit zwar überhaupt nicht speziell auf sie gezielt ist, speziell sie aber ganz besonders trifft.

Das enttäuschte „Volk“ protestiert untertänig ...


Dafür ist ihnen keine Entgleisung zu billig. Sie halten ihr fünfzigstes Bewerbungsschreiben für einen Arbeitsplatz hoch, den es nicht gibt, nur um zu zeigen, dass sie wirklich jedes Opfer auf sich zu nehmen bereit sind. Sogar auf ihre „Würde“ verweisen sie auf Plakaten, die sie gegen Hartz IV erbarmungslos zu verteidigen gedenken, und bringen da nur das Groteske ihres Protestierens auf den Begriff: Ausgerechnet den schäbigen Rest, der von einem aller seiner Mittel beraubten Menschen noch übrig bleibt, halten sie als ihren allerwichtigsten Besitzstand hoch! „Alles können sie mir nehmen, nur meine Würde nicht!“ Keine Sorge, auf die ist niemand scharf! Wie unbedingt sie auch weiterhin die willigen Untertanen ihrer Herren sein wollen, stellen sie mit der Drohung klar, sie würden dann, „wenn die da oben in Berlin Hartz IV nicht zurücknehmen,“ – so ein Demonstrant im Fernsehen – „den Herrschaften einen Denkzettel verpassen!“. Bei der nächsten Wahl ein anderes Personal zur Führung des Landes zu bestellen, eine andere Politikerriege zum Kommando über sich und zur Verfügung über die eigenen Interessen zu ermächtigen: das ist in der Tat die ultimative Waffe von Leuten, die einfach nur „Volk“ sein wollen.

... und wird von der Obrigkeit beschimpft


Das Fazit dieses demokratischen Sozialkundeunterrichts: Bei Kritik an den herrschenden Verhältnissen hat man sich immer zuerst zu fragen, ob sie auch legitim und von konstruktivem Geist geprägt ist. Nur das zeugt vom rechter demokratischer Gesinnung. Bei „Extremisten“, egal ob vom rechten oder vom linken Rand, ist davon auszugehen, dass solche Kritik nicht erlaubt ist. Jede grundsätzliche Beschwerde ist „altes Denken“, muss deswegen gar nicht erst geprüft, sondern kann gleich als abartig verworfen werden. Denn die „Extremisten“ sind ja immer nur unterwegs, um auf allem und jedem ihr Süppchen zu kochen – was die regierenden und opponierenden Demokraten mit ihren Lektionen bekanntlich überhaupt nicht vorhaben.
Doch selbst das kommt den Regierenden der deutschen Demokratie wie eine ungeheure Amtsanmaßung ihrer Untertanen vor. Für Schröder, Clement und Co. beweisen die Montagsdemonstrationen nur eines: Denen wurde die Sache mit der Demokratie immer noch nicht richtig erklärt. Hier ist Nachhilfeunterricht nötig – und zwar im Schnelldurchgang: Erstens ist jeder Vergleich mit den Montagsdemonstrationen von 1989 eine „Beleidigung“ (Clement) der damaligen ostdeutschen Freiheitskämpfer. Denn die haben ihren Stammplatz in der nationalen Ruhmeshalle gefunden; die Erinnerung an sie darf keinesfalls für so profane irdische Zwecke wie die Sicherung des Lebensunterhalts missbraucht werden. Zweitens richtete sich der Protest damals gegen eine „unmenschliche Gewaltherrschaft“, die prompt gekniffen und resigniert hat; heute dagegen trifft er auf eine frei gewählte demokratische Obrigkeit, die sich dem „Druck der Straße“ auf keinen Fall beugen darf. Insoweit hat ein demonstratives Aufbegehren also zu unterbleiben, weil sonst der fundamentale Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie eingeebnet wird. Wer es trotzdem tut, beweist damit, dass er noch immer nicht in der Demokratie angekommen ist. Drittens ging es den Demonstranten damals doch nicht um Wohlstand, sondern um Freiheit. „Freiheit statt Sozialismus“, dafür war man doch wohl damals angetreten. Wer trotzdem protestiert, missbraucht glatt die Demonstrationsfreiheit und hängt einem „rückwärtsgewandten“ Denken an. Deshalb ist es viertens kein Wunder, dass lauter populistische Rattenfänger die Proteste für ihre finsteren Zwecke benutzen. Was fünftens deswegen umso schlimmer ist, weil ausgerechnet jetzt und ausgerechnet im einstigen Heimatland der glorreichen Montagsdemonstrationen Wahlen anstehen, bei denen Trittbrettfahrer wie die PDS und die Rechten Stimmen abzusahnen drohen. Das darf schon deshalb nicht sein, weil die PDS – daran kann gar nicht oft genug erinnert werden – doch früher die SED war und deswegen bis heute dafür verantwortlich ist, dass westdeutsche Politiker die „verdeckten Arbeitslosen“ des Realen Sozialismus, nämlich die Masse der „Werktätigen“ der alten DDR, in ehrliche kapitalistische Arbeitslose transformieren müssen – und damit, wie man ja wohl sehen kann, bis heute noch nicht ans Ende gekommen sind. Und das darf auf der anderen Seite des politischen Spektrums deswegen erst recht nicht sein, weil bekanntlich rechts von der CDU in der demokratischen Parteienlandschaft einfach kein Platz ist.
Doch scheint das nicht hinzureichen, ein wenig an dem grundsätzlichen Vertrauen irre zu werden, das sie in ihre Herrschaft und deren Wirken setzen. Vielmehr stellen sie sich unter der Parole zu Demonstrationen auf, mit der sie in Deutschland bei ihren Herren schon einmal großen Eindruck gemacht haben. Das tun sie diesmal aber nicht, um den Regierenden des Staates den Gehorsam aufzukündigen und zu einem anderen Staat überzulaufen, der sie gerne bei sich aufnimmt. Sie erinnern nur an den Dienst, den sie seinerzeit für Deutschland getan haben und für den sie noch heute bei jedem nationalen Jubiläumstag unendliche – und kostengünstige – Anerkennung genießen. Daraus leiten sie für sich das Recht ab, von ihrer Obrigkeit auch weiterhin in entsprechender Weise gewürdigt zu werden. „Wir sind das Volk!“, lassen sie sich vernehmen, um erstens ihre besondere Betroffenheit durch die Berliner Politik zum Ausdruck zu bringen, und um zweitens wegen dieser Betroffenheit auch besonderen Respekt einzufordern. Leute stellen sich da auf, die auf ihre politische Herrschaft ausgerechnet mit dem Argument Eindruck machen wollen, dass sie wirklich nur die Manövriermasse sind‚ die „Volk“ heißt und die ein Staatsvolk auch nur ist. Ausgerechnet von der Instanz, die sie zu Opfern macht, möchten sie bitteschön nicht auch noch offiziell als solche abgeschrieben werden. Sie möchten partout gegen jede Erfahrung und gegen die ziemlich anders liegenden Absichten von Hartz I-IV noch weiter an die Arbeitsplätze glauben können, die man ihnen mal versprochen hat.
Seit Wochen finden sich, vornehmlich im deutschen Osten jeden Montag nach Beendigung ihres Tagewerks Menschen massenhaft auf großen Plätzen ein, um ihrer Enttäuschung über eine Politik Ausdruck zu geben, von der sie sich seit der „Wende“ anderes erwartet haben. Das ist schon enttäuschend. Dass die Beschlussfassung über ihre Lebenslage im Prinzip bei der jeweils gewählten politischen Obrigkeit am besten aufgehoben ist, diesen Grundsatz wollen sie nicht in Frage stellen. Den unterstreichen sie lautstark mit ihrer Lieblingsparole: „Wir sind das Volk!“ Dabei hätten sie ganz besonders gute Gründe, auf die Berliner Politik zu pfeifen. Wie absolut unverträglich Schröders Reformen zur Sanierung des deutschen Standorts mit ihren eigenen materiellen Interessen sind, erfahren sie nämlich ganz besonders:
„Ausgemustert“ heißt jedoch noch lange nicht, dass die Betroffenen ihre Fürsorge abholen, sie mit Gelegenheitsjobs schwarz aufbessern und sich ansonsten praktisch daran gewöhnen, dass der Reichtum der Gesellschaft eine andere Funktion hat, als allen Bedürftigen das Leben zu erleichtern. Das hieß es auch früher nicht – wovon die drangsalierten Sozialhilfebezieher immer schon ein Lied singen konnten. Immer schon hat der Sozialstaat auch da noch Regie geführt, wo der Kapitalismus einen Bodensatz von definitiv nicht mehr gebrauchten Leuten produziert. Permanent musste der Nachweis der Bedürftigkeit gegen den Dauerverdacht der Behörden erbracht werden, da wolle sich einer vor dem Erwerbsleben drücken. Immer schon hat der Sozialstaat sein Armutswesen als abschreckende Alternative zum Broterwerb per Lohnarbeit organisiert.
Die in Deutschland regierenden RotGrünen korrigieren damit – unter dem Beifall der opponierenden SchwarzGelben – wieder einmal überkommene sozialpolitische Standards und dies gleich doppelt: Die alte Sortierung des Heeres der Arbeitslosen nach Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfebeziehern wird abgeschafft. Ein Grund zu Traurigkeit wäre das nicht. Denn Jahrzehnte lang hat sie mit den immer wieder abgesenkten Leistungen, verschärften Bezugsbedingungen und ihrer Staffelung die Arbeitslosen nur daran erinnert, dass sie schief gewickelt sind, wenn sie auf die Nothilfe als dauerhaftes Lebensmittel spekulieren. Mit der Verminderung der Sozialleistungen hat der Sozialstaat immer schon deutlich gemacht, dass er die fortdauernde Arbeitslosigkeit nicht hinzunehmen gewillt war, sondern mit der Zumutung von schlechterer Arbeit und abgesenktem Einkommen zu bestrafen gedachte. Immer war neben dem Interesse, Sozialkosten zu senken, auch der Verdacht präsent, da könnten sich glatt Leute mit dem Beruf des Lohnarbeiters auf Dauer im Arbeitslosengeld einrichten. Wer schließlich auch noch aus der Hilfe herausfiel, durfte zusehen, wie er mit „Stütze“ über die Runden kam. Der Auftrag des Arbeitslosen bestand schon immer darin, zum einen schnellstmöglich den Sozialstaat zu entlasten, d.h. sich um Arbeit zu kümmern, und sich zum anderen fürs Lohndrücken gegenüber den Beschäftigten einsetzen zu lassen.
Mit „Hartz IV“, der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe offenbart der Sozialstaat wieder einmal, wie er zu seiner auf Arbeit angewiesenen Bürgermehrheit steht. Die immer schon gültige Sortierung der lohnabhängigen Menschheit in jenen Teil, der sich über einen Arbeitsplatz freuen soll, in Unbeschäftigte, die als Reserve bereit zu stehen haben, und in jenen Rest, den die berühmten „Wechselfälle des Lebens“ gänzlich aus der Erwerbsarbeit ausscheiden, wird nämlich mit Hartz IV neu aufgemischt. Das sieht dann so aus:
1. Die dauerhafte Beschäftigungslosigkeit, die die feine und auf höchstem Produktivitätsniveau arbeitende Marktwirtschaft einigen Millionen Arbeit suchender Menschen beschert, gilt der zuständigen Sozialpolitik ab sofort als ein ökonomisch nicht mehr korrigierbarer Zustand. Mit dem Ziel der „Schaffung von Arbeitsplätzen“ wird zwar nach wie vor viel hantiert, daß es diese Arbeitsplätze auch geben wird, damit wird nicht gerechnet.
2. Hartz IV schreibt diesen Zustand politisch fest und mustert damit die sogenannten Langzeitarbeitslosen endgültig aus dem sog. „ersten“ Arbeitsmarkt aus. Dieser Menschenschlag ist damit für die Anliegen der nationalen Führung, aus Deutschland einen weltweit möglichst unschlagbaren Kapitalstandort zu machen, vollständig überflüssig.
3. Deswegen fällt er ab 2005 unter die neue Sozialhilfe, das „Arbeitslosengeld II“, ist also ein Fall für staatliche „Fürsorge“. Vom Zweck der Wiedereingliederung in den „ersten Arbeitsmarkt“ hat sich der Sozialstaat bei ihnen verabschiedet. Diese Fürsorge macht ernst mit der alten Maxime, dass jeder, dessen Arbeit nicht mehr fürs Kapitalwachstum gebraucht wird, für diese Gesellschaft nur noch Kosten darstellt und er deswegen alles tun muss, um den Staat zu entlasten. Dabei wird ihm einiges zugemutet.
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