Was es ist
von Erich Fried
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Einladung
von Erich Fried
Ich denke nach
was ich dir zu geben habe
und warum es gut für dich ist
oder schlecht für dich
dass ich dich liebe
Ich denke nach
was ich dir alles sein kann
und ob ich ein Recht habe
mich zu sehnen nach dir
Ich denke nach
ob es Sinn hat
so nachzudenken
und wie ich wissen soll
was ich dir alles sein kann
und ob ich ein Recht haben will
dir etwas zu geben zu haben
und mich nach dir zu sehnen
Ich sehne mich nach dir
weil ich mich nach dir sehne
Ich will dir etwas sein
weil du mir mehr bist als etwas
und weil ich nicht ohne dich sein will
Ich liebe dich
nicht weil es gut oder schlecht ist
und nicht weil es recht oder unrecht ist
sondern weil ich dich liebe
Aber solange ich lebe
von Erich Fried
Auch was
auf der Hand liegt
muss ich
aus der Hand zu geben
bereit sein
und muss wissen
wenn ich liebe
dass es wirklich
die Liebe zu dir ist
und nicht nur
die Liebe zur Liebe zu dir
und dass ich nicht
eigentlich
etwas Uneigentliches will
Aber
solange ich atme
will ich
wenn ich den Atem
anhalte
deinen Atem
noch spüren
in mir
Freiraum
von Erich Fried
Jedes Mal
wenn ich jetzt an dich denke
entsteht in meinem Kopf
ein freier Raum
eine Art Vorraum zu dir
in dem sonst nichts ist
Ich stelle fest
am Ende jedes Tages
dass viel mehr freier Raum
in meinem Kopf
übrig gewesen sein muss
als ich sonst glaubte
Gedanken
von Erich Fried
Es gibt Gedanken
die haben Augen und Brüste
und haben ein Geschlecht
zum Küssen und Spielen und Lieben
Und es gibt auch Gedanken
aus denen sickert Blut
deines und meines
oder es ist schon versickert
und Gedanken
aus denen Bomben fallen
oder Anrufe
oder traurige Briefe
Aber aus einigen
kommen Lieder und Bilder
und wiederkehrende Träume
oder sogar eine Einsicht
Inschrift
von Erich Fried
Sag
in was
schneide ich
deinen Namen?
In den Himmel?
Der ist zu hoch
In die Wolken?
Die sind zu flüchtig
In den Baum
der gefällt und verbrannt wird?
Ins Wasser
das alles fortschwemmt?
In die Erde
die man zertritt
und in der nur
die Toten liegen?
Sag
in was
schneide ich
deinen Namen?
In mich
und in mich
und immer tiefer
in mich
Bevor ich sterbe
von Erich Fried
Noch einmal sprechen
von der Wärme des Lebens
damit noch einige wissen:
Es ist nicht warm
aber es könnte sein
Bevor ich sterbe
noch einmal sprechen
von Liebe
damit noch einige sagen:
Das gab es
das muss es geben
Noch einmal sprechen
vom Glück der Hoffnung auf Glück
damit noch einige fragen:
Was war das
wann kommt es wieder?
Versuch sich anzupassen
von Erich Fried
Ich soll mich drein fügen
und nicht fragen
warum ich das soll
und ich soll nicht fragen
warum ich nicht fragen soll
Enthüllung
von Erich Fried
Was sich
verkleidet
als Neugier
ist dann
nackt
nur
die alte Gier
Strauch mit herzförmigen Blättern
von Erich Fried
Sommerregen warm:
Wenn ein schwerer Tropfen fällt
bebt das ganze Blatt
So bebt jedes Mal mein Herz
wenn dein Name auf es fällt
Gedankenfreiheit
von Erich Fried
Wenn ich an deinen Mund denke
wie du mir etwas erzählst
dann denke ich
an deine Worte
and an deine Gedanken
und an den Ausdruck
deiner Augen
beim Sprechen
Aber wenn ich an deinen Mund denke
wie er an meinem Mund liegt
dann denke ich
an deinen Mund
und an deinen Mund
und an deinen Mund
und an deinen Schoß
und an deine Augen
In Gedanken
von Erich Fried
Dich denken
and an dich denken
und ganz an dich denken und
an das Dich-Trinken denken
und an das Dich-Lieben denken
und an das Hoffen denken
und hoffen und hoffen
und immer mehr hoffen
auf das Dich-immer-Wiedersehen
Dich nicht sehen
und in Gedanken
dich nicht nur denken
sondern dich auch schon trinken
und dich schon lieben
Und dann erst die Augen aufmachen
und in Gedanken
dann erst dich sehen
und dann dich denken
und dann wieder dich lieben
und wieder dich trinken
und dann
dich immer schöner und schöner sehen
und dann dich denken sehen
und denken
dass ich dich sehe
Und sehen dass ich dich denken kann
und dich spüren
auch wenn ich dich
noch lange nicht sehen kann
Eine Art Liebesgedicht
von Erich Fried
Wer sehnt sich nach dir
wenn ich mich nach dir sehne?
Wer streichelt dich
wenn meine Hand nach dir sucht?
Bin das ich oder sind das
die Reste meiner Jugend?
Bin das ich oder sind das
die Anfänge meines Alters?
Ist das mein Lebensmut oder
meine Angst vor dem Tod?
Und warum sollte
meine Sehnsucht dir etwas bedeuten?
Und was gibt dir meine Erfahrung
die mich nur traurig gemacht hat?
Und was geben dir meine Gedichte
in denen ich nur sage
wie schwer es geworden ist
zu geben oder zu sein?
Und doch scheint im Garten
im Wind vor dem Regen die Sonne
und es duftet das sterbende Gras
und der Liguster
und ich sehe dich an und
meine Hand tastet nach dir
Fester Vorsatz
von Erich Fried
Denn wir wollen uns
nicht nur herzen
sondern auch munden
und hauten und haaren
und armen und brüsten und bauchen
und geschlechten
und wieder handen und fußen
Wollen
von Erich Fried
Bei dir sein wollen
Mitten aus dem was man tut
weg sein wollen
bei dir verschwunden sein
Nichts als bei dir
näher als Hand an Hand
enger als Mund an Mund
bei dir sein wollen
In dir zärtlich zu sein
dich küssen von außen
und dich streicheln von innen
so und so und auch anders
Und dich einatmen wollen
immer nur einatmen wollen
tiefer tiefer
und ohne Ausatmen trinken
Aber zwischendurch Abstand suchen
um dich sehen zu können
aus ein zwei Handbreit Entfernung
und dann dich weiterküssen
Lust
von Erich Fried
Nähe
und Wärme
und Duft
von offene Schoß
und von Samen
Kein Tier
das jetzt traurig wäre
das heuchelte
oder
sich schämte
Nähe
von Erich Fried
Wenn ich weit weg bin von dir
und wenn ich die Augen zumache
und die Lippen öffnen
dann spüre ich wie du schmeckst
nicht nach Seife und antiseptischen Salben
nur nach dir
und immer näher nach dir
und immer süßer nach dir
je länger ich an dich denke
und manchmal nach uns
nach dir und nach mir und nach dir
Aber wenn ich bei dir bin
wenn ich dich küsse und trinke
und dich einatme
und ausatme und wieder einatme
wenn ich mit offenen Augen
fast nichts von dir sehe
ganz vergraben in dich
in deine Haut und in deine
Haare und Decken
die duften nach dir
dann denke ich an deine Gesicht
weit oben
wie es jetzt leuchtet
oder sich schöne verzieht in rascherem Atem
und denke an deine Worte
und an dein Weinen zuletzt
um Fenster des Zuges
Wenn ich bei dir bin
ist vieles voller Abschied
und wenn ich ohne dich bin
voller Nähe und Wärme von dir
Beschriebene unbeschriebene Liebe
von Erich Fried
Ich klage:
„Die Liebe hat oft
und oft den Tod beschrieben
aber der Tod nicht die Liebe
und das ist ungerecht“
Der Tod sagt:
„Ich habe die Liebe
immer wieder beschrieben
nur ihr könnt meine Schrift nicht lesen
Das ist nicht meine Schuld“
Sterbeleben
von Erich Fried
Ich sterbe immerzu
und immeroffen
Ich sterbe immerfort
und immer hier
Ich sterbe immer einmal
und immer ein Mal.
Ich sterbe immer wieder
Ich sterbe wie ich lebe
Ich lebe manchmal hinaus
und manchmal hinunter
Ich sterbe manchmal hinunter
und manchmal hinauf
Woran ich sterbe?
Am Haß
und an der Liebe
an der Gleichgültigkeit
an der Fülle
und an der Not
An der Leere einer Nacht
am Inhalt eines Tages
immer einmal an uns
und immer wieder an ihnen
Ich sterbe an dir
ich sterbe an mir
Ich sterbe an einigen Kreuzen
Ich sterbe in einer Falle
Ich sterbe an der Arbeit
Ich sterbe am Weg
Ich sterbe am Zuvieltun
und am Zuwenigtun
Ich sterbe so lange
bis ich gestorben bin
Wer sagt
dass ich sterbe?
Ich sterbe nie
sondern lebe