Erich Fried
Triptychon
(Frankfurt - Neckargemüd - Dilsberg)
1
Deutlich die Bilder
der Erinnerung
und der Sehnsucht
Deine wartende Hand
der Ausdruck deiner Augen
und die Haarlocke
die dein linkes Auge verschattet
Oder Bäume
die Bäume zu beiden Seiten
unserer Mainbrücke
als stünden sie mitten im Wasser
(aber stehen auf einer Insel auf festem Grund)
2
Und ich mitten
in dieser Ferne von dir
denke in die Ferne
denke an deine Nähe
denke an deinen Atem
an mein Leben mitten im Wasser
(auf meiner Insel die nicht meine und nicht im Main ist)
Zu viele Linien waren in meiner Hand
Zu viele Menschen waren auf dieser Messe
zuviel Gesoll und Gehabe
zuviel Zeit ohne dich
3
Im Neckar gespielt
Herbstsonne ohne dich
Glänzende Flecken
Wandern von Stunde zu Stunde
Fluß auf und beleuchten
die Hinterburg rechts am Hang
Langsam erkaltendes Licht
auf dem Balkon ohne dich
und im Zimmer die Bücher
in der Küche die Teemaschine
ohne dich
Und das rötliche Buntsandsteinflaster
auf dem ich noch einmal hinauf
zur "Sonne" und wieder
hinunter
in das Haus ohne dich
Nun Nachdenken
nun Ausruhen
ohne dich
Kummer lernen
er wird nicht der einzige sein
Herbst lernen
Frösteln lernen
Ins tal schauen
ohne dich
Grenze der Verzweiflung
Ich habe dich so lieb
daß ich nicht mehr weiß
ob ich dich so lieb habe
oder ob ich mich fürchte
Ob ich mich fürchte zu sehen
was ich ohne dich
von meinem Leben
noch am Leben bliebe.
Wozu mich noch waschen
Wozu noch gesund werden wollen
Wozu noch neugierig sein
Wozu noch schreiben
Wozu noch helfen wollen
Wozu noch aus den von Lügen
und Greulen noch die Wahrheit ausstrahlen
ohne dich
Vielleicht doch weil es dich gibt
und weil es noch Menschen
wie dich geben wird
und das auch ohne mich
Wintergarten
Deinen Briefumschlag
mit den zwei gelben und roten Marken
habe ich eingepflanzt
in den Blumentopf
Ich will ihn
täglich gießen
dann wachsen mir
deine Briefe
Schöne
und traurige Briefe
und Briefe
die nach dir riechen
Ich hätte das
früher tun sollen
nicht erst
so spät im Jahr
Weltfremd
(für Helmut Gollwitzer)
Wer denkt
daß die Feindesliebe
unpraktisch ist
der bedenkt nicht
die praktischen Folgen
der Folgen
des Feindeshasses
"Auf welches Instrument sind wir gespannt"
Unglück
gebettet
zwischen ein
und ein anderes
Glück
Und Glück
gelegt
zum Spiel
zwischen Unglück
und Unglück
Endlos
nach beiden Seiten
die Schwarzen
und Weißen
Tasten
aber
kein Tastsinn
Kein
Sinn
Kein Spieler
kein süßes Lied
Nichts von dem was mir gehört gehört mir
Nichts gehört mir
nich die Bücher die mich beschweren
nicht die Papiere in allen Laden und Fächern
nicht die traurigen Andenken
nicht der elende Kram der mein Haus füllt
nicht die Mutter die glaubt daß ich ihr gehöre
auch nicht dem Zanken der Frau
über den elenden Kram
auch nicht die Frau
auch nicht die Kinder
auch nicht das Haus
Und ich gehöre nicht ihnen
nicht meinen Kindern
nicht meinem Haus
nicht dem Zanken der Mutter über die Frau
auch nicht dem Zanken der Frau
über den Kram der das Haus füllt
Aber vielleicht
den Büchern die mich beschweren
und den Papieren in allen Laden und Fächern
und den traurigen Andenken
und dem eldenden Kram.
Kleine Frage
Glaubst du
du bist noch
zu klein
um große
Fragen zu stellen?
Dann kriegen
die Großen
dich klein
noch bevor du
groß genug bist.
Wie du solltest geküsst sein
Wenn ich dich küsse
ist es nicht nur dein Mund
nicht nur dein Nabel
nicht nur dein Schoß
den ich küsse
Ich küsse auch deine Fragen
und deine Wünsche
ich küsse dein Nachdenken
deine Zweifel
und deinen Mut.
Deine Liebe zu mir
und deine Freiheit von mir
dein Fuß
der hergekommen ist
und der wieder fortgeht
ich küsse dich
wie du bist
und wie du sein wirst
Morgen und später.
Das Unmögliche
Ich muß
mein Kissen küssen
auf dem du gelegen hast
Ich muß
meine Finger küssen
die dich liebkost haben
Ich muß
meine Zunge küssen
aber das kann ich nicht
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