"Überall eine Fremde"

Die kubanisch-amerikanische Popsängerin Gloria Estefan über lateinamerikanische Musik, ihren Erfolg als Unternehmerin und den Fall Elián

Spiegel: Ms. Estefan, der puertoricanische Sänger Ricky Martin war im vergangenen Jahr der Superstar des weltweiten Latin-Booms. Spekulieren Sie mit Ihrem neuen Album "Alma Caribena" auf einen karibisch-kubanischen Sommer?

Estefan: Mit der Produktion dafür habe ich schon vor vier Jahren angefangen, von Spekulation auf irgend etwas kann also keine Rede sein.

Spiegel: Haben Sie eine Erklärung für den plötzlichen Latin-Boom?

Estefan: Das ist ja in Wahrheit kein Latin-Boom. Ricky Martin und Jennifer Lopez sind hispanischer Abstammung, und sie flechten in ihre Songs ein paar spanische Wörter. Aber erfolgreich sind sie, weil sie hervorragende Popsänger und Entertainer sind. Vielleicht sollte man deshalb eher von einem Latino-Boom sprechen. Aber über den freue ich mich auch.

Spiegel: Wenn allerdings kubanische Musiker, zum Beispiel vom Buena Vista Social Club, in Miami auftreten, protestieren die Exilkubaner.

Estefan: Man kann niemanden daran hindern, seine Meinung zu sagen, das ist doch gerade das Wunderbare an Amerika im Vergleich zu Kuba. Die Musiker vom Buena Vista Social Club sind eng verbunden mit der kubanischen Regierung, deshalb halten viele hier in Miami deren Auftritt für so etwas wie Castro-Werbung. Ich denke, das Traurige an der Sache ist. dass Kuba nur Musik exportiert, die schon hundert Jahre alt ist. Wenn man junge Kubaner fragt, wer der Buena-Vista-Gitarrist Compay Segundo ist, dann wissen die das nicht. Das Regime hindert innovative Musiker daran, in ihrem eigenen Land das zu spielen, was sie gerne spielen würden.

Spiegel: Also versuchen sie, nach Amerika zu fliehen?

Estefan: Internationalen Erfolg kann man nur haben, wenn man auch international präsent ist. Das heißt aber nicht, dass alle kubanischen Talente die Insel gleich für immer verlassen. Viele geben hier fast jedes Wochenende ein Konzert und fahren dann zurück. Allerdings machen die hiesigen Gesetze ihnen das schwer: Sie drüfen bei keiner Veranstaltung auftreten, die mit US-Steuergeldern finanziert wird. Dass ich gegen diese Regelung protestiert habe, hat mir im vergangenen Jahr viel Ärger mit den Kubanern in Miami eingebracht.

Spiegel: Nun haben Sie sich öffentlich dafür eingesetzt, dass der kubanische Junge Elián, dessen Mutter auf der Flucht nach Amerika ums Leben kam, bei seinen Verwandten in Miami bleibt, anstatt mit seinem Vater nach Kuba zurückzukehren. Warum?

Estefan: Ich wollte vor allem erreichen, dass Elián nicht weiter traumitisiert wird. Elián hat erst seine leibliche Mutter verloren, dann hat man ihn seiner Ersatzmutter in Miami weggenommen, und schließlich soll er sich an eine Stiefmutter gewöhnen. Und ich frage mich: Warum hat sein Vater vier Monate gebraucht, um nach Amerika zu kommen? Wenn mich jemand daran hindern würde, mein Kind zu sehen, hätte ich sofort einige Baumstämme zu einem Floß zusammengebunden. Aber dies ist sowieso keine Sache zwischen Vater und Sohn. Fidel Castro orchestriert das Ganze, und deshalb wird Elián nach einer Rückkehr auch dem Staat gehören.

Spiegel: Das klingt, als verstünden Sie sich als Kubanerin, obwohl Sie praktisch Ihr ganzes Leben in den USA verbracht haben.

Estefan: Eigentlich fühle ich mich weder als richtige Kubanerin noch als Amerikanerin: Ich bin eine Fremde eigentlich überall. Kuba ist mir fern, weil ich es im Grunde nur aus Erzählungen kenne, und es ist mir nah, eben weil mir zu Hause dauernd davon berichtet wurde. Die Generation meiner Eltern, die zur Emigration gezwungen wurde, ist vermutlich konservativer und kubanischer, als die Mensche, die dort geblieben sind. Wir mussten zu Hause Spanisch sprechen, es gab karibische Küche, und mit Jungs durfte ich nur ausgehen, wenn meine Mutter mich begleitete, also ging ich überhaupt nicht aus.

Spiegel: Diese beiden Welten spiegeln sich bereits zu Beginn Ihrer Karriere, Mitte der siebziger Jahre, in der Musik Ihrer Band "Miami Sound Machine".

Estefan: Richtig, schon auf meinen ersten drei Platten habe ich zum Teil auf Spanisch, zum Teil auf Englisch gesungen. Meine Musik war immer ein Mix: Pop mit hispanischen Elementen wie in "Conga", aber ich habe auch Disco gesungen. Das erste afro-kubanische Album war 1993 "Mi Tierra". Und das ist ganz auf der Linie der kubanischen Tradition, auch textlich. Da geht es vor allem um unglückliche Liebe.

Spiegel: Nach 25 Jahren im Musikgeschäft besitzen Sie und Ihr Ehemann Emilio ein Latin-Imperium mit 700 Angestellten: Sie haben die Produktionsfirma "Crescent Moon" gegründet, sind Entdecker der Erfolgssänger Jon Secada und Carlos Ponce. Und Ihr Unternehmen arbeitet für Latin-Starts wie Ricky Martin und Jennifer Lopez. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Estefan: Zum einen ist Emilio ein sehr guter Produzent, der sich auf den persönlichen Stil jedes Künstlers einstellen kann. Zum anderen haben wir einen Musikverlag gegründet und talentierte Komponisten unter Vertrag genommen. Die können Songs schreiben, die genau auf die Sänger zugeschnitten sind. Emilio überschreitet das Budget nie, und er liefert pünktlich. Auf so etwas kommt es an. Und natürlich kennt er sich im kubanischen wie im anglo-amerikanischen Musikgeschäft bestens aus.

Spiegel: Nicht nur in diesem Geschäft: Ihnen gehören auch ein Art-déco-Hotel in Miami Beach und drei Restaurants.

Estefan: Wir wollten Touristen unsere kubanische Kultur zeigen. Es gab in Miami Beach kein kubanisches Restaurant, in dem man gemütlich einen Abend verbringen konnte, mit Essen, Trinken, Musikhören. Und, um ehrlich zu sein, lag mir selbst daran, ein Lokal mit traditioneller Küche in der Nähe meines Hauses zu haben.

Spiegel: Vermutlich hat es auch jemanden von Disney gut geschmeckt. Sie haben vor einigen Jahren ein Restaurant in Orlandos Disney World eröffnet.

Estefan: Das war ein Angebot, das man nicht abschlagen konnte: "Bongos" in Orlando läuft ziemlich gut.

Spiegel: Emilio Estefan ist der kreative Kopf des Unternehmens, Sie sind zuständig fürs Geld. Ist das nicht eine seltsame Rolle für eine Sängerin?

Estefan: Emilio hasst alles, was mit Geld zu tun hat, mir macht das dagegen sehr viel Spaß. Er hat Millionen von Plänen, ich kümmere mich um die Details. Deshalb sind wir ein so gutes Team. Außerdem schreibe ich ab und zu noch Songs.

Spiegel: Bei diesen profitablen Investitionen. Warum müssen Sie überhaupt noch ein neues Album machen?

Estefan: Soll das ein Witz sein? Die Angestellten wollen doch alle bezahlt werden. Es kostet viel Geld, gute Geschäfte zu machen.

Spiegel: Hatten Sie diesen Sinn fürs Geldverdienen von Anfang an?

Estefan: Nein, mit unseren ersten Songs waren wir bei einer kleinen Plattenfirma in Miami unter Vertrag, und wir hatten ein Mini-Honorar von vier Prozent des Verkaufserlöses vereinbart, das uns allerdings nie bezahlt wurde. Als die Firma später Pleite ging, haben wir die Originalaufnahmen günstig zurückgekauft. Seitdem behalten wir grundsätzlich die Rechte an unseren Stücken: Das richtige Geld verdient man mit dem Musikverlag. Uns gehören auch die Rechte an den Songs, die unsere Angestellten für Crescent Moon komponieren.

Spiegel: Auf "Alma Caribena" klingt Ihre Stimme dunkler als auf Ihren früheren Popalben. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Estefan: Stimmen werden mit zunehmendem Alter tiefer, und meine ist sowieso eher tief. Früher habe ich aber versucht, so hoch wie möglich zu singen.

Spiegel: Weshalb?

Estefan: Weil es so etwas wie eine sportliche Herausforderung war obwohl es kaum jemand merkt, wenn ich das hohe G schaffe. Das war einfach dumm. Heute bin ich viel vorsichtiger mit meiner Stimme. Das Gute am Älterwerden ist, dass man klüger wird. Und dass man sich selbst weniger unter Druck setzt.

Spiegel: Tatsächlich? Sie stehen heute als Sängerin und Unternehmerin weniger unter Druck als in der Zeit, als Sie nur Popstar waren?

Estefan: Richtig, weil sich nach meinem schweren Autounfall im Jahre 1990 für mich alles verändert hat. Ein Rückenwirbel war gebrochen, und ich musste alles von Neuem lernen. Ich war in einem Körper gefangen, der mir plötzlich völlig fremd war. Da lernt man, wie unwichtig vieles ist und wie schön andere Kleinigkeiten sein können, sich ein Glas Wasser zu holen, zum Beispiel. Als ich nach vier Monaten wieder in der Lage war, alleine meine Unterwäsche anzuziehen, wollte ich eine große Party feiern.

Spiegel: Und diese Erfahrung bestimmt noch heute Ihr Leben?

Estefan: Ich habe Metallstangen in meinem Rücken, die mich für den Rest meines Lebens jede Nacht daran erinnern. Im Vergleich dazu ist alles andere wie Sahneschlecken.

Spiegel: Sie meinen: Ihr ganzes übriges Leben?

Estefan: Das nun auch wieder nicht. Meine Kindheit war schwierig, da mein Vater in Vietnam mit Agent Orange vergiftet worden war und geistig wie körperlich sehr schnell abbaute. Er saß im Rollstuhl, und meine Schwester und ich mussten uns praktisch dauernd um ihn kümmern. Ich bewundere, dass er sein Leben für seine Überzeugung aufs Spiel gesetzt hat, dass der Kommunismus ein Irrweg ist. Er war ein Idealist.

Spiegel: Ist es eine Art Fortsetzung seiner Mission, wenn Sie mit Ihrem neuen Album die Welt an Kubas Leiden erinnern?

Estefan: Zumindest gibt mir diese Vorstellung ein gutes Gefühl.

 

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