"Je mehr Latinos, desto besser"

Miamis Diva Gloria Estefan über die Latino-Welle, Fidel Castro und den Flüchtlingsjungen Elián

 

Wenn sie singt, tanzt Miami, und wenn sie spricht, hört ganz Amerika zu. Latino-Diva Gloria Estefan hat unter den Kuba-Amerikanern in Südflorida dieser Tage beinahe den Rang einer Politikerin. Trotz des Engagements für ihre "Community" gehört das Herz der 43-Jährigen aber der Musik. In Miami sprach sie mit der Sonntags Zeitung auch über ihre dritte auf Spanisch gesungene Platte "Alma Caribena" – Karibische Seel.

Sonntags Zeitung: Gratulation, Frau Estefan, dass Sie gerade auf dem Höhepunkt der Latino-Welle ein spanisches Album bereit haben.

Gloria Estefan: Danke – aber das Timing ist reiner Zufall. Wir haben an dem Album viereinhalb Jahre gearbeitet.

Ist es für Sie befriedigender, auf Spanisch zu singen?

Estefan: Die neue Platte entspricht mir mehr, obwohl ich auch gern reine Tanz-alben mache. Mein Herz ist sehr kubanisch und sehr latino.

Wie sprechen Sie denn mit Ihrem Ehemann Emilio?

Estefan: Immer spanisch, denn Emilio kann nicht besonders gut Englisch. Ich lebe seit 1960 in den USA. Deshalb denke ich amerikanisch – nein, sagen wir besser: Ich denke auf Englisch. Aber bei Gefühlen ist das Spanische reicher, es hat mehr Nuancen. Ein spanischer Text voller Romantik klingt auf Englisch peinlich. Das Englische eignet sich besser für reifere, intellektuelle Liebeslieder.

Und für den Rock. Kommt jetzt auch El Rock Espanol?

Estefan: Den gibt es schon, aber die Sprache passt nicht so gut dazu. Rock stammt nicht aus Lateinamerika, von dort her kam tropische Musik.

Wie kam José Feliciano dazu, auf einem Lied des Albums mitzusingen?

Estefan: Wir hatten einmal so viel Spass bei einem Duett im Fernsehen, dass wir beschlossen, er solle bei meiner nächsten Platte dabei sein. Im Lied "Tengo que decirte algo" (Ich muss dir etwas sagen) singt José den Part des Mannes, der der untreuen Frau verzeiht. Dass ein Latino-Mann das tut, ist reine Fiktion. In Wirklichkeit gibt es so etwas nicht (lacht).

Welches ist das persönlichste Lied auf der Platte?

Estefan: "Tres gotas de agua bendita" (Drei Tropfen geweihtes Wasser) ist meiner toten Großmutter gewidmet. Sie war die wichtigste Person in meinem Leben. Sie hat mir Mut gemacht, sie war eine Freidenkerin. Und wenn es mir schlecht ging, hat sie mich immer mit heiligem Wasser behandelt.

Im Sommer gehen Sie in den USA auf Tour, nächstes Jahr in Europa. Mögen Ihre Fans eigentlich die spanischen Stücke?

Estefan: Sie lieben sie. Auf den letzten Tour gehörten die Songs des spanisch gesungenen Albums "Mi Tierra" zu den beliebtesten.

Wie erklären Sie sich die weltweite Popularität der kubanischen Musik heute?

Estefan: Sie meinen "Buena Vista Social Club"?

Ja – in Europa gehörte dieses Album zu den meistverkauften CDs des Jahres.

Estefan: Der Grund dafür ist, dass das Album starke Gefühle hervorruft. Worum sich die Texte drehen, spielt keine Rolle; die meisten sind dumm, es gut um ländliche Themen, und die Riffs sind repetitiv.

Hat der Erfolg mit einer Idealisierung Kubas zu tun?

Estefan: Welches Kuba wird denn verklärt? Das Kuba von vor 100 Jahren! Wo ist die neue kubanische Musik? Wo ist sie?

Die wird es doch auch geben.

Estefan: Ja, aber sie tönt anders. In Kuba haben sich bloss der Jazz und die Instrumentalmusik weiterentwickelt, denn die unterliegen nicht der Zensur. Kubaner können nicht Lieder über das schreiben, was sie wollen. Das wird völlig unterdrückt.

Bedeutet der Erfolg von "Buena Vista", dass Latino-Music in den USA und Europa eine neue Akzeptanz erreicht hat?

Estefan: Ich hoffe es. Aber auch dieses Album wurde in den USA nicht im Radio gespielt. Meinem Album wird es gleich ergehen: Es hat keine Chance, ausser bei Latino-Sendern. Ich hoffe jedoch, dass "Alma Caribena" dasselbe warme Gefühl vermittelt. Schliesslich bin ich ein Inselmädchen, und karibische Musik tut dir wohl, du hörst den Ozean und du spürst die Leidenschaft.

Sie scheinen daran zu zweifeln, dass die "Latin Explosion" Bestand haben wird, trotz der riesigen Popularität von Ricky Martin und Jennifer Lopez.

Estefan: Ich glaube, es waren Ricky Martins Hüften. Die schwarzen Lederhosen machten es aus (lacht).

Dann haben wir also Einzelfälle, aber kein völlig neues Phänomen?

Estefan: Es ist fantastisch, dass viele Latino-Künstler populär werden. Das war früher nicht so. Wenn man sich als Latino outete, konnte man es vergessen. Deshalb haben Stars englische Namen angenommen. Rita Hayworth etwa ...

... ist eine Latina?

Estefan: Ja! Aber auch Raquel Welch und Anthony Quinn. Sie mussten ihre Namen ändern, um Jobs zu bekommen.

Das ist heute anders?

Estefan: Klar. Ricky Martin hat an der Grammy-Verleihung letztes Jahr mit seiner sexy Vorstellung einen Nerv getroffen und wurde berühmt. Auch Jennifer Lopez ist sehr sexy, und sogar das Urtalent Marc Anthony. Alle drei sind junge Talente und sehr sichtbare Latinos. Ich finde das grossartig. Je mehr, desto besser.

Obwohl sie, um Erfolg zu haben, englische Pop-Songs singen?

Estefan: Das stimmt. Es ist mehr ein Boom von Latino-Personen als von Latino-Musik. Aber Ricky Martin blieb sich treu. Er hat immer Pop gesungen und im Laufe seiner Karriere mehr Latino-Elemente hineingebracht.

Sie sind befreundet mit Ricky Martin – waren Sie wichtig für seinen Erfolg?

Estefan: Mein Mann Emilio war wichtig. Er hat Ricky bei der Plattenfirma gepriesen und einige seiner Songs produziert. Emilio macht das immer, wenn er von einem Musiker überzeugt ist.

Sind Sie in Miami eigentlich Sprecherin der Kuba-Amerikaner?

Estefan: Nein, das nicht. Aber man fragt mich immer wieder, und dann rede ich eben. Man hat mich seit 15 Jahren immer zu Kuba oder Fidel Castro befragt.

Haben die Kuba-Amerikaner Recht in ihrer Haltung zum Flüchtlingsjungen Elián Gonzáles?

Estefan: Ich bin damit einverstanden, dass sie protestieren, aber nicht, dass sie Gewalt anwenden. Als Kuba-Amerikaner wissen wir viel über Kuba, wovon die amerikanische Öffentlichkeit keine Ahnung hat.

Ihrer Meinung nach gehört Elián zu seinen Verwandten in Miami?

Estefan: Nein, aber man sollte ihn nicht einfach in ein Land zurückzuschicken, das wie ein Konzentrationslager funktioniert. Kubaner leben in einem totalitären Staat.

Wie viele Jahre geben Sie Fidel Castro noch?

Estefan: E ist zwar durchgedreht, sieht aber noch ziemlich rüstig aus.

Wird das System ihn überleben?

Estefan: Nein. Aber man wird den Kubanern nicht einfach die Demokratie in den Hals stopfen können. Sie müssen zuerst zur Welt aufschliessen. Und dann muss jemand da sein, dem es um die Menschen in Kuba geht und nicht darum, das Land leer zu stehlen. Dann kann Kuba es schaffen. Aber es wird seine Zeit dauern.

 

© All Rights reserved by SonntagsZeitung, 30. April 2000

 

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