Glorreiche

Rückkehr

EINST VERZUCKERTE GLORIA ESTEFAN DIE MUSIK KUBAS MIT DISCO- UND POPELEMENTEN – JETZT IST DIE WELT BEREIT FÜR DEN ORIGINALSOUND, UND GLORIA HAT EIN SALSA-ALBUM GEMACHT

Es wird wieder Sommer! Alles riecht frisch und neu. Bloß in den deutschen Charts klebt noch ein Sommerhit vom letzten Jahr: das Platin-Album des Buena Vista Social Club. Nichts gegen die rüstigen Rentner und ihre hübsche Platte, südamerikanische Rhythmen dürfen gerne diesen Sommer wieder den Takt vorgeben. Auch Ricky Martin und Jennifer Lopez haben uns vergangenes Jahr oft zum Tanzen gebracht. Aber was wurde eigentlich aus der Frau, die als Erste Salsa und Pop zusammenbrachte?

Gloria Estefan ist inzwischen 43. Sie hat 70 Millionen CDs verkauft, da klingt man nicht mehr so jugendlich verrucht. "Alma Caribeña", ihr neues Album, hört sich eher an wie ein Ballsaalbesuch im Havanna der fünfziger Jahre. Und ihre Lebensgeschichte klingt, als hätten Gabriel Garcia Márquez und T. C. Boyle sie sich besoffen am Tresen ausgedacht:

Gloria Vater, José Manuel Fajardo, war einer der Leibwächter des 1959 von Fidel Castro gestürzten kubanischen Diktators Fulgencio Batista. Nach der Revolution flüchtete die Familie nach Miami, wo sie zunächst in Armut lebte – die damals zwei Jahre alte "nuestra Glorita" musste unter einer Decke aus Zeitungspapier schlafen. Doch die Fajardos sind nicht verhungert, im Gegenteil: Aus der kleinen Gloria Fajardo war 1975 ein übergewichtiger Teenager geworden. Der Musiker Emilio Estefan holte die talentierte Sängerin in seine Band The Miami Latin Boys. Drei Jahre später heirateten die beiden, und aus den Miami Latin Boys wurde die Miami Sound Machine.

"Conga", "Rhythm Is Gonna Get You", das Disco-Salsa-Stotter-Stück "Doc-doc-doc-doc-Doctor Beat": Die rasanten Strandfeten-Hits der Band kennt wahrscheinlich jeder, der in den Achtzigern jung war. Gloria, die schüchterne Teenager-Raupe, hatte sich in einen selbstbewussten Latin-Pop-Schmetterling verwandelt. Eine Jennifer Lopez der Achtziger. Oder umgekehrt: Schließlich hat Emilio Estefan auch Ricky Martin produziert, ebenso Marc Anthony und – Jennifer Lopez.

Nun wohnten die Estefans auf "Star Island", einer der besten Adressen von Miami Beach. Im Garten blühten 150 verschiedene Bäume, und im Ankleidezimmer kreisten die Designerkleider an einem Laufband vorbei. Doch 1990 kam die Katastrophe: Ein LKW krachte in Glorias Tourbus. Ihre Wirbelsäule war gebrochen, die Ärzte sagten, sie könne nie wieder gehen. Aber Gloria Estefan ist zäh: Nach einem Jahr und mit Hilfe unzähliger Metallklammern und Nägel konnte sie nicht nur wieder gehen – sie konnte sogar wieder tanzen. Ihr Lieblingswitz in dieser Zeit: Wie angelt man sich Gloria Estefan? Mit einem Magneten.

Trotzdem veränderte dieser Unfall Leben und Musik der Sängerin: Die Miami Sound Machine war nun Vergangenheit, eine Solokarriere begann. Auf dem Album "Mi Tierra" war von Disco nur noch wenig zu hören, stattdessen spielten alte Recken wie Tito Puente und Arturo Sandoval die traditionellen Weisen Kubas. Gloria wurde zur Diva der lateinamerikanischen Musik. Es folgten überflüssige Platten mit Weihnachtsliedern und Coverversionen. Dafür war das 1995 entstandene Album "Abriendo Puertas" eine gelungene Verbeugung vor der kubanischen Tanzmusik der dreißiger und vierziger Jahre – die Vorwegnahme des Buena Vista Social Club.

Während ihrer gesamten Karriere dachte Gloria Estefan immer wieder an einen Mann, von dem sie glaubt, er habe ihr Leben zerstört: Fidel Castro, der bärtige Comandante von Kuba. Seit ihrer Flucht vor über 40 Jahren hat die stramme Antikommunistin nur ein einziges Mal den Boden der Insel betreten – für ein Konzert auf einer amerikanischen Marinebasis. Selbst eine Einladung des Papstes, ihn 1998 nach Havanna zu begleiten, hat Gloria Estefan ausgeschlagen: "So sehr ich den Papst liebe, ich singe nicht auf Kuba solange Fidel dort regiert."

Der kommerzielle Erfolg von Kubas singenden Buena Vista-Rentern hat die unversöhnliche Diva wohl geärgert: Ihr neues Album "Alma Caribeña" scheint für alle Menschen gemacht, die in den Plattenläden nach den "Buena Vista" oder den "alten Kubanern" fragen. "Alma Caribeña" klingt wie deren Platten, vielleicht etwas moderner – als würde man die fünfziger Jahre durch den Filter der Achtziger betrachten. Aber ganz sicher ist dieses Album für viele ein guter Grund, vor den großen Sommerpartys noch schnell einen Tanzkurs zu besuchen.

 

© All rights reserved by the magazine PRINZ

 

zurück



Datenschutzerklärung
Kostenlose Homepage erstellen bei Beepworld
 
Verantwortlich für den Inhalt dieser Seite ist ausschließlich der
Autor dieser Homepage, kontaktierbar über dieses Formular!