Kubas schöne Stimme

Die "Miami Sound Maschine" ist wieder da: Auf ihrer neuen Platte beschwört Gloria Estefan die verlorene Heimat. MAX hat die Sängerin besucht.

"musikalisch bin ich am Ende." Beruflicher Offenbarungseid oder Kokettieren mit der eigenen Legendenbildung? Gloria Estefan lehnt sich entspannt zurück. Und lächelt. Schließlich ist die künstlerische Bankrotterklärung gut zwei Jahre alt. Entstanden, als sie ihr Album "Gloria!" vorstellte. Das musikalische Ende konnte abgewendet werden. Jetzt überraschte die kleine Sängerin ihre Fans mit ihrer neuesten Platte. Eine Überraschung auch inhaltlich. "Alma Caribeña" (karibische Seele) ist – wie schon "Mi Tierra" – eine Hommage an ihre Heimat. "Das Fundament ist kubanisch", sagt sie. "Aber eingeflochten in jeden der 13 Songs sind die unterschiedlichsten karibischen Einflüsse – Bolero, Salsa, Bachata..." Entstanden sind die Songs in zahllosen nächtlichen Sessions in den eigenen Crescent Moon Studios. Einige im Duett mit José Feliciano. "Gesanglich meine mit Abstand reifste Leistung", sagt sie. Glaubt sie, dass die Platte ein Verkaufshit wie ihre Vorgänger wird? "Ich schaue nicht auf Verkaufszahlen. Für mich ist ein Album dann erfolgreich, wenn wir mit ihm zufrieden sind und die Fans es mögen." So etwas sagt sich leicht, wenn man mehr als 80 Millionen Tonträger verkauft hat. Davon den einen oder anderen an Ex-Präsident George Bush, Papst Johannes Paul II. und – so geht die Mär – Kubas Fidel Castro. Unzählige Auszeichnungen und ein Vermögen von mehr als 250 Millionen Dollar hat sie inzwischen eingeheimst. Die Erfolgsstory der Gloria E. ist eine Mixtur aus Trivialroman und angewandter Betriebswirtschaftslehre. Eine Melange aus unglaublichen Zufällen und zufälligen Unglaublichkeiten. Kuba 1957. Das Batista-Regime liegt in den letzten Zügen, Fidel Castro auf der Lauer und Gloria Fajardo in der Wiege. Zwei Jahre später flüchtet die Familie nach Miami. Zu einer Zeit, als im "land of the free" Wohnungen noch mit dem Vermerk "keine Kinder, keine Haustiere und keine Kubaner" vermietet werden. Dankbar für so viel Gastfreundschaft zieht Glorias Vater gleich zweimal für seine Wahlheimat in den Krieg – erst zur Invasion in die kubanische Schweinebucht, später nach Vietnam. Dieser Einsatz bringt diverse Auszeichnungen und als Nachwirkung des flächendeckend eingesetzten Entlaubungsmittels Agent Orange den Kämpfer in den Rollstuhl. Tochter Gloria verbringt Jahre damit, den Gelähmten zu pflegen. Sie zieht ihre jüngere Schwester Rebecca groß und beginnt an der Universität Miami ein Psychologiestudium. Und so ganz nebenbei fängt sie an zu singen. Emilio Estefan und Gloria treffen sich 1975 auf einer Hochzeit. Der Bandleader der Miami Latin Boys zeigt sich beeindruckt. "Sie hatte eine unerhört warme Stimme. Und sie sang mit einer unglaublichen Aufrichtigkeit." Drei Jahre später sind die beiden verheiratet. Aus den Miami Latin Boys wird die Miami Sound Machine, und Hits wie "Dr. Beat", "Conga" oder "Turn the Beat Around" machen Gloria Estefan zum gefeierten Star. Ihre Mischung aus karibischem Temperament und perfekt inszeniertem US-Entertainment kommt ungeheuer gut an. Dem Glücksrausch folgt die Pechsträhne. Acht Jahre später sitzt sie selbst im Rollstuhl – Verdacht auf Querschnittlähmung. Bei einem Unfall hat sie sich die Wirbelsäule gebrochen. Mit zäher Energie, unbändigem Willen und zwei zwanzig Zentimeter langen Titannägeln im Rücken kämpft sie sich zurück ins Rampenlicht. Mit "Coming out of the Dark" feiert sie ein grandioses Comeback. Als sie 1995 – entgegen jedem ärztlichen Rat – ihr zweites Kind, Tochter Emily, zur Welt bringt, scheint alles Leid vergessen zu sein. Aber noch im selben Jahr kollidiert ein Jetskier mit ihrer Yacht und stirbt.

ist das nicht ein bisschen viel Tragödie für eine Person? "Das Schicksal lässt keinen aus", antwortet sie. "Nur in meinem Fall wird alles öffentlich gemacht. Ich hätte auch enden können wie Christopher Reeve. Ich hatte Glück und bekam die Chance, von vorn anzufangen. Und damit auch die Chance, einzusehen, dass vieles eben nicht selbstverständlich ist." Gloria Estefan, "die gute Fee des Pop", ist der kubanischen Immigrantengemeinde Galionsfigur und Sprachrohr gegen Castro. Doch der Gesangsstar lässt sich keineswegs vor jeden politischen Karren spannen. Die 43-Jährige ist sehr gut informiert und hat eine fundierte Meinung zu den meisten Fragen des öffentlichen Lebens. Ihre Ansicht ist heute vor allem in den exilkubanischen Hochburgen im Süden Floridas gefragt, wo das Gerangel um Miamis "First Child" Elian Gonzalez immer heftiger tobte. Was sagt Miamis "First Lady" dazu? "Ich bin eigentlich sehr still – für kubanische Verhältnisse", erklärt die Diva lachend. Es ist diese Mischung aus Temperament und Zurückhaltung, die zum Zuhören zwingt. Während der "Camp Elian Krise" stand sie in Verbindung mit Justizministerin Janet Reno, besprach sich mit Außenministerin Madeleine Albright und trat bei Larry King auf CNN auf. Vor zwei Jahren, als der Papstbesuch in Kuba anstand, ließ sie den katholischen Oberhirten wissen, dass sie von ihm Druck auf Fidel Castro erwarte.

was macht ein Superstar, wenn er gerade einmal nicht politisch aktiv ist oder eine neue Platte aufnimmt? Auf keinen Fall stillsitzen! In Glorias Orbit kreist eine Vielzahl von Projekten. Das Wichtigste in ihrem Leben sind aber ihre Kinder. Sohn Nayib, inzwischen 20 Jahre alt und hoffnungsvolles Regietalent für Videoclips, studiert an einer Filmhochschule. Die beiden telefonieren täglich. Die fünfjährige Tochter Emily hält ihre Mutter genauso auf Trab wie ihr persönlicher Trainer. Parallel zum allmorgendlichen Workout verdaut sie Bilanzen der Estefan Enterprises. Denn die Sängerin managt nebenbei Immobilien, besitzt ein Hotel und ein Restaurant, ist beteiligt an Film-, Fernsehen- und natürlich Musikrechten. 700 Angestellte arbeiten für sie. Zurzeit werkelt sie mit N’Sync und Marc Anthony an einem großen TV-Spezial. Hollywood lässt auch nicht locker. Nach ihrem erfolgreichen Debüt an der Seite von Meryl Streep in "Music of the Heart" steht sie erneut vor der Kamera. "Es ist ein Film über den großen kubanischen Trompeter Sandoval und dessen Flucht aus Castros Reich. Ein sehr politisches Stück, das in den 70er Jahren spielt." Kuba, ihre Wurzeln, lassen Gloria Estefan nie los. Weder musikalisch noch politisch.


Karriere

1959: Die einjährige Gloria Fajardo flüchtet mit ihrer Familie vor dem Batista-Regime aus Kuba nach Miami.

1975: - Gloria schreibt sich an der Universität Miami für Psychologie ein. Zuvor mußte sie jahrelang ihren Vater, ein Vietnam-Veteran, pflegen und ihre Schwester großziehen. Die Mutter verdiente den Lebensunterhalt der Familie.

- Auf einer Hochzeit in Miami lernt sie Emilio Estefan kennen. Der ist Bandleader der "Miami Latin Boys". Der Musiker ist von Glorias Stimme begeistert. Sie will zunächst das Studium beenden, bevor sie als Sängerin voll einsteigt.

1976: Gloria singt ab und zu für Emilio. Die vierköpfige Band heißt von nun an "Miami Sound Maschine".

1978: - Emilio und Gloria heiraten, sie schließt ihr Studium ab.

  • Als aktives Bandmitglied bringt sie ihre eigenen Songs mit ein.
  • Die ersten Werke werden bei einem lokalen Label aufgenommen.

1981 bis 1983: Die Miami Sound Machine veröffentlicht vier spanische Alben (Renacer, Otra Vez, Rio und Toda Máquina) bei CBS International Records.
-Charterfolge in Zentral- und Südamerika

1984: - Der englische Dance-Titel "Dr. Beat" schafft es auf Platz 10 in den US-Charts.

  • Daraufhin wechselt Miami Sound Maschine zu Epic Records.
  • Das erste Epic-Album heißt "Eyes of Innocence".

1985: - Der internationale Durchbruch kommt mit dem ersten englischsprachigen Album "Primitive Love".

- Die Singles "Conga", "Bad Boy" und "Words Get in the Way" erreichen Top Ten-Plazierungen.

1987: Von nun an heißt die Band "Gloria Estefan and the Miami Sound Maschine".

1989: Gloria Estefan veröffentlicht ihr erstes Soloalbum "Cuts Both Ways". Die Singles "Anything for You" und "Don´t Wanna Lose You" sind Nummer-Eins-Hits.

1990: Bei einem Unfall im Tourbus bricht Gloria sich die Wirbelsäule, Verdacht auf Querschnittslähmung.

1991: Trotz der schweren Verletzung schafft die Sängerin mit dem Album "Into the Light" das Come Back.

1992: Platinauszeichnung für das "Greatest Hits"-Album

1993: Für das Album "Mi Tierra" wird Gloria Estefan mit dem Grammy ausgezeichnet.

1996: Das Lied "Reach" aus dem Album "Destiny" dient als offizielle Hymne der Olymischen Spiele 1996 in Atlanta.

1998: - Das Album "Gloria" erreicht Goldstatus.

- Als Papst Johannes Paul II Kuba besucht, weigert sie sich dort aufzutreten. "Ich werde nicht hier singen, so lange Fidel Castro an der Macht ist."

1999: In "Music of the Heart" gibt Gloria an der Seite von Meryl Streep ihr Film-Debüt.

2000: - Obwohl sie sich eigentlich aus der Musik zurückziehen wollte, bringt sie eine weitere Platte ,"Alma Caribena", auf den Markt.

  • Grammy für das Duett mit Santana "Smooth"
  • Grammy-Nominierung für das Soundtrack-Duett mit N´Sync "Music of the Heart"
  • Weitere Kinoprojekte sind in Planung.

 

© All Rights reserved by Max – Starmagazin, August 2000

 

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