Skeptiker.
Sie gehn den Flämmchen auf der Spur,
Und glaub'n sich nah dem Schatze.
Auf Teufel reimt der Zweifel nur;
Da bin ich recht am Platze.
Capellmeister.
Frosch im Laub und Grill' im Gras
Verfluchte Dilettanten!
Fliegenschnauz' und Mückennas'
Ihr seid doch Musikanten!
Die Gewandten.
Sanssouci so heißt das Heer
Von lustigen Geschöpfen,
Auf den Füßen geht's nicht mehr,
Drum gehn wir auf den Köpfen.
Die Unbehülflichen.
Sonst haben wir manchen Bissen erschranzt,
Nun aber Gott befohlen!
Unsere Schuhe sind durchgetanzt,
Wir laufen auf nackten Sohlen.
Irrlichter.
Von dem Sumpfe kommen wir,
Woraus wir erst entstanden;
Doch sind wir gleich im Reihen hier
file:///D|/!Transfer/Faust%201.htm (190 of 205) [03.08.2001 13:15:12]
Goethe: "Faust"
Die glänzenden Galanten.
Sternschnuppe.
Aus der Höhe schoß ich her
Im Stern- und Feuerscheine,
Liege nun im Grase quer,
Wer hilft mir auf die Beine?
Die Massiven.
Platz und Platz! und ringsherum!
So gehn die Gräschen nieder,
Geister kommen, Geister auch
Sie haben plumpe Glieder.
Puck.
Tretet nicht so mastig auf
Wie Elephantenkälber,
Und der plumpst' an diesem Tag
Sei Puck der derbe selber.
Ariel.
Gab die liebende Natur
Gab der Geist euch Flügel,
Folget meiner leichten Spur,
Auf zum Rosenhügel!
Orchester.
Pianissimo.
Wolkenzug und Nebelflor
Erhellen sich von oben.
Luft im Laub und Wind im Rohr
Und alles ist zerstoben.
file:///D|/!Transfer/Faust%201.htm (191 of 205) [03.08.2001 13:15:12]
Goethe: "Faust"
Trüber Tag.
Feld.
Faust. Mephistopheles.
Faust.
Im Elend! Verzweifelnd! Erbärmlich auf der Erde lange verirrt und nun gefangen! Als Missethäterin
im Kerker zu entsetzlichen Qualen eingesperrt das holde unselige Geschöpf! Bis dahin! dahin! ---
Verrätherischer nichtswürdiger Geist, und das hast du mir verheimlicht! --- Steh nur, steh! Wälze die
teuflischen Augen ingrimend im Kopf herum! Steh und trutze mir durch deine unerträgliche
Gegenwart! Gefangen! Im unwiederbringlichen Elend! Bösen Geistern übergeben und der richtenden
gefühllosen Menschheit! Und mich wiegst du indeß in abgeschmackten Zerstreuungen, verbirgst mir
ihren wachsenden Jammer und lässest sie hülflos verderben!
Mephistopheles.
Sie ist die Erste nicht.
Faust.
Hund! abscheuliches Unthier! --- Wandle ihn, du unendlicher Geist! wandle den Wurm wieder in
seine Hundsgestalt,
wie er sich oft nächtlicher Weile gefiel vor mir herzutrotten, dem harmlosen Wandrer vor die Füße zu
kollern und sich dem niederstürzenden auf die Schultern zu hängen. Wandl' ihn wieder in seine
Lieblingsbildung, daß er vor mir im Sand auf dem Bauch krieche, ich ihn mit Füßen trete, den
verworfnen! --- Die Erste nicht! --- Jammer! Jammer! von keiner Menschenseele zu fassen, daß mehr
als ein Geschöpf in die Tiefe dieses Elendes versank, daß nicht das erste genug that für die Schuld
aller übrigen in seiner windenden Todesnoth vor den Augen des ewig Verzeihenden! Mir wühlt es
Mark und Leben durch, das Elend dieser Einzigen; du grinsest gelassen über das Schicksal von
Tausenden hin!
Mephistopheles.
Nun sind wir schon wieder an der Gränze unsres Witzes, da wo euch Menschen der Sinn
überschnappt. Warum machst du Gemeinschaft mit uns, wenn du sie nicht durchführen kannst? Willst
file:///D|/!Transfer/Faust%201.htm (192 of 205) [03.08.2001 13:15:12]
Goethe: "Faust"
fliegen und bist vor'm Schwindel nicht sicher? Drangen wir uns dir auf, oder du dich uns?
Faust.
Fletsche deine gefräßigen Zähne mir nicht so entgegen! Mir ekelt's! --- Großer herrlicher Geist, der du
mir zu erscheinen würdigtest, der du mein Herz kennest und meine Seele, warum an den
Schandgesellen mich schmieden, der sich am Schaden weidet und am Verderben sich letzt?
Mephistopheles.
Endigst du?
Faust.
Rette sie! oder weh dir! Den gräßlichsten Fluch über dich auf Jahrtausende!
Mephistopheles.
Ich kann die Bande des Rächers nicht lösen, seine Riegel nicht öffnen. --- Rette sie! --- Wer war's, der
sie in's Verderben stürzte? Ich oder du?
Faust blickt wild umher.
Mephistopheles.
Greifst du nach dem Donner? Wohl, daß er euch elenden Sterblichen nicht gegeben ward! Den
unschuldig Entgegnenden zu zerschmettern, das ist so Tyrannen-Art sich in Verlegenheiten Luft zu
machen.
Faust.
Bringe mich hin! Sie soll frei sein!
Mephistopheles.
Und die Gefahr der du dich aussetzest? Wisse, noch liegt auf der Stadt Blutschuld von deiner Hand.
file:///D|/!Transfer/Faust%201.htm (193 of 205) [03.08.2001 13:15:12]
Goethe: "Faust"
Über des Erschlagenen Stätte schweben rächende Geister und lauern auf den wiederkehrenden
Mörder.
Faust.
Noch das von dir? Mord und Tod einer Welt über dich Ungeheuer! Führe mich hin, sag' ich, und
befrei' sie!
Mephistopheles.
Ich führe! dich und was ich thun kann, höre! Habe ich alle Macht im Himmel und auf Erden? Des
Thürners Sinne will ich umnebeln, bemächtige dich der Schlüssel und führe sie heraus mit
Menschenhand. Ich wache! die Zauberpferde sind bereit, ich entführe euch. Das vermag ich.
Faust.
Auf und davon!
Nacht.
Offen Feld.
Faust Mephistopheles, auf schwarzen Pferden daher brausend.
Faust.
Was weben die dort um den Rabenstein?
Mephistopheles.
Weiß nicht was sie kochen und schaffen.
Faust.
Schweben auf, schweben ab, neigen sich, beugen sich.
file:///D|/!Transfer/Faust%201.htm (194 of 205) [03.08.2001 13:15:12]
Goethe: "Faust"
Mephistopheles.
Eine Hexenzunft.
Faust.
Sie streuen und weihen.
Mephistopheles.
Vorbei! Vorbei!
Kerker.
Faust mit einem Bund Schlüssel und einer Lampe, vor einem eisernen Thürchen.
Faust.
Mich faßt ein längst entwohnter Schauer,
Der Menschheit ganzer Jammer Faßt mich an.
Hier wohnt sie hinter dieser feuchten Mauer,
Und ihr Verbrechen war ein guter Wahn!
Du zauderst zu ihr zu gehen!
Du fürchtest sie wieder zu sehen!
Fort! Dein Zagen zögert den Tod heran.
Er ergreift das Schloß. Es singt inwendig.
Meine Mutter, die Hur',
Die mich umgebracht hat!
Mein Vater, der Schelm,
Der mich gessen hat!
Mein Schwesterlein klein
Hub auf die Bein',
An einem kühlen Ort;
Da ward ich ein schönes Waldvögelein;
Fliege fort, fliege fort!
Faust
file:///D|/!Transfer/Faust%201.htm (195 of 205) [03.08.2001 13:15:12]
Goethe: "Faust"
aufschließend.
Sie ahnet nicht, daß der Geliebte lauscht,
Die Ketten klirren hört, das Stroh, das rauscht.
Er tritt ein.
Margarete
sich auf dem Lager verbergend.
Weh! Weh! Sie kommen. Bittrer Tod!
Faust
leise.
Still! Still! ich komme dich zu befreien.
Margarete
sich vor ihn hinwälzend.
Bist du ein Mensch, so fühle meine Noth.
Faust.
Du wirst die Wächter aus dem Schlafe schreien!
Er faßt die Ketten, sie aufzuschließen.
Margarete
auf den Knieen.
Wer hat dir Henker diese Macht
Über mich gegeben!
Du holst mich schon um Mitternacht.
Erbarme dich und laß mich leben!
Ist's morgen früh nicht zeitig genung?
Sie steht auf.
Bin ich doch noch so jung, so jung!
Und soll schon sterben!
file:///D|/!Transfer/Faust%201.htm (196 of 205) [03.08.2001 13:15:12]
Goethe: "Faust"
Schön war ich auch, und das war mein Verderben.
Nah war der Freund, nun ist er weit;
Zerrissen liegt der Kranz, die Blumen zerstreut.
Fasse mich nicht so gewaltsam an!
Schone mich! Was hab' ich dir gethan?
Laß mich nicht vergebens flehen,
Hab' ich dich doch mein' Tage nicht gesehen!
Faust.
Werd' ich den Jammer überstehen!
Margarete.
Ich bin nun ganz in deiner Macht.
Laß mich nur erst das Kind noch tränken.
Ich herzt' es diese ganze Nacht;
Sie nahmen mir's um mich zu kränken
Und sagen nun, ich hätt' es umgebracht.
Und niemals werd' ich wieder froh.
Sie singen Lieder auf mich! Es ist bös von den Leuten!
Ein altes Mährchen endigt so,
Wer heißt sie's deuten?
Faust
wirft sich nieder.
Ein Liebender liegt dir zu Füßen
Die Jammerknechtschaft aufzuschließen.
Margarete
wirft sich zu ihm.
O laß uns knien die Heil'gen anzurufen!
Sieh! unter diesen Stufen,
Unter der Schwelle
Siedet die Hölle!
Der Böse,
Mit furchtbarem Grimme,
Macht ein Getöse!
file:///D|/!Transfer/Faust%201.htm (197 of 205) [03.08.2001 13:15:12]
Goethe: "Faust"
Faust
laut.
Gretchen! Gretchen!
Margarete
aufmerksam.
Das war des Freundes Stimme!
Sie springt auf. Die Ketten fallen ab.
Wo ist er? Ich hab' ihn rufen hören.
Ich bin frei! Mir soll niemand wehren.
An seinen Hals will ich fliegen,
An seinem Busen liegen!
Er rief Gretchen! Er stand auf der Schwelle.
Mitten durch's Heulen und Klappen der Hölle,
Durch den grimmigen teuflischen Hohn,
Erkannt' ich den süßen, den liebenden Ton.
Faust.
Ich bin's!
Margarete.
Du bist's! O sag' es noch einmal!
Ihn fassend.
Er ist's! Er ist's! Wohin ist alle Qual?
Wohin die Angst des Kerkers? der Ketten?
Du bist's! Kommst mich zu retten!
Ich bin gerettet! ---
Schon ist die Straße wieder da,
Auf der ich dich zum erstenmale sah.
Und der heitere Garten,
Wo ich und Marthe deiner warten.
Faust
file:///D|/!Transfer/Faust%201.htm (198 of 205) [03.08.2001 13:15:12]
Goethe: "Faust"
fortstrebend.
Komm mit! Komm mit!
Margarete.
O weile!
Weil' ich doch so gern wo du weilest.
Liebkosend.
Faust.
Eile!
Wenn du nicht eilest,
Werden wir's theuer büßen müssen.
Margarete.
Wie? du kannst nicht mehr küssen?
Mein Freund, so kurz von mir entfernt,
Und hast's Küssen verlernt?
Warum wird mir an dienem Halse so bang?
Wenn sonst von deinen Worten, deinen Blicken
Ein ganzer Himmel mich überdrang,
Und du mich küßtest als wolltest du mich ersticken.
Küsse mich!
Sonst küss' ich dich!
Sie umfaßt ihn.
O weh! deine Lippen sind kalt,
Sind stumm.
Wo ist dein Lieben
Geblieben?
Wer brachte mich drum?
Sie wendet sich von ihm.
Faust.
file:///D|/!Transfer/Faust%201.htm (199 of 205) [03.08.2001 13:15:12]
Goethe: "Faust"
Komm! Folge mir! Liebchen, fasse Muth!
Ich herze dich mit tausendfacher Gluth;
Nur folge mir! Ich bitte dich nur dieß!
Margarete
zu ihm gewendet.
Und bist du's denn? Und bist du's auch gewiß?
Faust.
Ich bin's! Komm mit!
Margarete.
Du machst die Fesseln los,
Nimmst wieder mich in deinen Schoos.
Wie kommt es, daß du dich vor mir nicht scheust? ---
Und weißt du denn, mein Freund, wen du befreist?
Faust.
Komm! komm! Schon weicht die tiefe Nacht.
Margarete.
Meine Mutter hab' ich umgebracht,
Mein Kind hab' ich ertränkt.
War es nicht dir und mir geschenkt?
Dir auch. --- Du bist's! ich glaub' es kaum.
Gib deine Hand! Es ist kein Traum!
Deine liebe Hand! --- Ach aber sie ist feucht!
Wische sie ab! Wie mich däucht
Ist Blut dran.
Ach Gott! Was hast du gethan!
Stecke den Degen ein;
Ich bitte dich drum!
Faust.
Laß das Vergangne vergangen sein,
file:///D|/!Transfer/Faust%201.htm (200 of 205) [03.08.2001 13:15:12]
Goethe: "Faust"
Du bringst mich um.
Margarete.
Nein, du mußt übrig bleiben!
Ich will dir die Gräber beschreiben.
Für die mußt du sorgen
Gleich morgen;
Der Mutter den besten Platz geben,
Meinen Bruder sogleich darneben,
Mich ein wenig bei Seit',
Nur nicht gar zu weit!
Und das Kleine mir an die rechte Brust.
Niemand wird sonst bei mir liegen! ---
Mich an deine Seite zu schmiegen
Das war ein süßes, ein holdes Glück!
Aber es will mir nicht mehr gelingen;
Mir ist's als müßt' ich mich zu dir zwingen,
Als stießest du mich von dir zurück;
Und doch bist du's und blickst so gut, so fromm.
Faust.
Fühlst du daß ich es bin, so komm!
Margarete.
Dahinaus?
Faust.
In's Freie.
Margarete.
Ist das Grab drauß',
Lauert der Tod, so komm!
Von hier in's ewige Ruhebett
Und weiter keinen Schritt ---
Du gehst nun fort? O Heinrich, könnt' ich mit!
file:///D|/!Transfer/Faust%201.htm (201 of 205) [03.08.2001 13:15:12]
Goethe: "Faust"
Faust.
Du kannst! So wolle nur! Die Thür steht offen.
Margarete.
Ich darf nicht fort; für mich ist nichts zu hoffen.
Was hilft es fliehn? Sie lauern doch mir auf.
Es ist so elend betteln zu müssen,
Und noch dazu mit bösem Gewissen!
Es ist so elend in der Fremde schweifen,
Und sie werden mich doch ergreifen!
Faust.
Ich bleibe bei dir.
Margarete.
Geschwind! Geschwind!
Rette dein armes Kind.
Fort! Immer den Weg
Am Bach hinauf,
Über den Steg,
In den Wald hinein,
Links wo die Planke steht,
Im Teich.
Faß es nur gleich!
Es will sich heben,
Es zappelt noch!
Rette! rette!
Faust.
Besinne dich doch!
Nur Einen Schritt, so bist du frei!
Margarete.
Wären wir nur den Berg vorbei!
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein,
file:///D|/!Transfer/Faust%201.htm (202 of 205) [03.08.2001 13:15:12]
Goethe: "Faust"
Es faßt mich kalt bei'm Schopfe!
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein
Und wackelt mit dem Kopfe;
Sie winkt nicht, sie nickt nicht, der Kopf ist ihr schwer,
Sie schlief so lange, sie wacht nicht mehr.
Sie schlief damit wir uns freuten.
Es waren glückliche Zeiten!
Faust.
Hilft hier kein Flehen, hilft kein Sagen;
So wag' ich's dich hinweg zu tragen.
Margarete.
Laß mich! Nein, ich leide keine Gewalt!
Fasse mich nicht so mörderisch an!
Sonst hab' ich dir ja alles zu Lieb' gethan.
Faust.
Der Tag graut! Liebchen! Liebchen!
Margarete.
Tag! Ja es wird Tag! der letzte Tag dringt herein;
Mein Hochzeittag sollt' es sein!
Sag' niemand daß du schon bei Gretchen warst.
Weh meinem Kranze!
Es ist eben geschehn!
Wir werden uns wiedersehn;
Aber nicht bei'm Tanze.
Die Menge drängt sich, man hört sie nicht.
Der Platz, die Gassen
Können sie nicht fassen.
Die Glocke ruft, das Stäbchen bricht.
Wie sie mich binden und packen!
Zum Blutstuhl bin ich schon entrückt.
Schon zuckt nach jedem Nacken
Die Schärfe die nach meinem zückt.
Stumm liegt die Welt wie das Grab!
file:///D|/!Transfer/Faust%201.htm (203 of 205) [03.08.2001 13:15:12]
Goethe: "Faust"
Faust.
O wär' ich nie geboren!
Mephistopheles erscheint draußen.
Mephistopheles.
Auf! oder ihr seid verloren.
Unnützes Zagen! Zaudern und Plaudern!
Meine Pferde schaudern,
Der Morgen dämmert auf.
Margarete.
Was steigt aus dem Boden herauf?
Der! der! Schick' ihn fort!
Was will der an dem heiligen Ort?
Er will mich!
Faust.
Du sollst leben!
Margarete.
Gericht Gottes! Dir hab' ich mich übergeben!
Mephistopheles
zu Faust.
Komm! komm! Ich lasse dich mit ihr im Stich.
Margarete.
Dein bin ich, Vater! Rette mich!
Ihr Engel! Ihr heiligen Schaaren,
Lagert euch umher, mich zu bewahren!
Heinrich! Mir graut's vor dir.
Mephistopheles.
file:///D|/!Transfer/Faust%201.htm (204 of 205) [03.08.2001 13:15:12]
Goethe: "Faust"
Sie ist gerichtet!
Stimme
von oben.
Ist gerettet!
Mephistopheles
zu Faust.
Her zu mir!
Verschwindet mit Faust.
Stimme
von innen, verhallend.
Heinrich! Heinrich!