Ich hasse diese Stadt

{UPDATED: 27.03.02}


-ZAPP-


SPKF
L I V E B E R I C H T
AUS ANGELS 8

-ÜBERTRAGUNGSBEGINN-

Ich kann nur in der Stadt schreiben. Hier und auf Sendung kann ich allem die Kniescheibe wegballern.

Es ist der Rhythmus des Dschungels, der dort unten pulsiert; der Klang von Schlagstöcken auf Schutzschilden, ein Ritual der Cops, wenn die Straße sich erhebt.

Ich bin in Angels 8 und Zeuge dessen, was bestimmt als Transientenaufstand in die Geschichte eingehen wird. Denn Geschichte wird immer von den Gewinnern geschrieben, und wenn die Cops es Transientenaufstand nennen wollen, dann wird es auch so heißen. Denn dieser Platz wird in Transientenblut ertrinken. Und wissen Sie was? Es ist nicht ihre Schuld.

Zu lahm. Zu soft. Die Schreibmaschine ist eine Kanone. Feuer sie ab!

Die Transienten hätten das hier nicht alleine fertiggebracht . Sie sind einfach große Kinder, die meinten es sei klasse, in einem Alien-Körper zu leben. Eine intakte Gesellschaft hätte sie als Hohlköpfe erkannt und ihnen einen großen Spielplatz gekauft. Aber keiner macht sich die Mühe zu prüfen, ob ihre verrückte Forderung nach Unabhängigkeit überhaupt machbar war. Das Civic-Center beschloss statt dessen einfach, auf ihnen herumzutrampeln.

Man hat ein paar Transienten bezahlt, um Ärger anzuzetteln, und so absichtlich eine friedliche Demonstration gestört. Spontane Gewalt, das war der einzig mögliche Vorwand für das Civic-Center, um die Cops reinzuschicken. Diese Leute da unten verrecken, weil sie betrogen wurden.

Es ist eine Machtdemonstration. Wie kann jemand die Autorität des Civic-Centers in Frage stellen? Wie kann es eine Gruppe von Ausgeflippten wagen, selbständig zu denken? Also gehen wir da raus und trampeln auf Kindern, Verrückten und Unfähigen herum, damit uns so richtig die Eier schwellen.

Ich sehe einen offensichtlich unbewaffneten Transienten, dem das halbe Gesicht zerfetzt wurde und den sich trotzdem noch drei Cops vornehmen. Einer von ihnen holt sich dabei einen runter.

Es tut mir leid. Ist Ihnen diese Beobachtung zu heftig? Klingt das zu sehr nach der Wahrheit? Fickt Euch. Wenn irgend jemand in dieser Kloake von Stadt mehr als einen Schiss auf die Wahrheit gäbe, würde all das nicht passieren.

Ich würde keine Transientin sehen, die sich mit blutigem Gesicht in den Eingang eines Pornokinos kauert und ihren Bauch umklammert. Ich würde nicht auf einen kaum 13 Jahre alten toten Jungen herunterstarren, der auf den Kühler eines Polizeiwagens drapiert wurde. Es würden keine Augen bluten, weil die Cops Betäubungssprays einsetzen und die Cranberry mit Nervengas bombardieren.

Ich wäre hier oben nicht umringt von Leuten, die hier leben und arbeiten müssen und die offen Tränen vergießen.

Gefällt Ihnen das? Mögen Sie die Art wie ich beschreibe, was für widerwärtige Scheiße Leuten passiert, die Ihnen letzte Woche vielleicht auf der Straße begegnet sind? Gut. Sie haben es verdient. Mit Ihrem Schweigen. Sehen Sie, genauso funktioniert es; Civic-Center und Cops machen allen Scheiß, den sie wollen, und Sie halten still... Ihr Chef macht was er will. Das Arschloch an der Mautstelle, der Rausschmeißer in Ihrer Stammkneipe, der Typ vom Sicherheitsdienst, der Sie in der Klinik filzt, die Zeitungen und Feedsites, die Ihnen das Blaue vom Himmel runterlügen. Sie machen, was sie wollen. Und was machen Sie? Sie bezahlen sie.

Dieser “Aufstand“ hier. Dieser furchtbare Scheißeregen, der auf eine Gruppe naiver und aufgeblasener Fetischisten heruntergeht: Sie haben dafür bezahlt. Mahlzeit! Es muss Ihnen wohl schmecken, wenn Sie von Leuten belogen werden, die ihren Posten nicht verdienen.

Spider Jerusalem         

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Einführung von Spider Jerusalem

Es gibt nichts Beleidigenderes, als eine Einführung zu seinem eigenen Buch schreiben zu müssen.

Also, es geht bei diesen Dingern doch darum, dass einem jemand anders Honig um den Bart schmiert, das Publikum für einen einnimmt, es so klingen lässt, als wäre man es wert, gelesen zu werden.

Aber nein. Und hier sitzen wir nun, eine Stunde bevor das Buch durchs Netz in die Druckerei gejagt wird... und ich meine wir, denn während ich das hier schreibe, sitzen zwei Redakteure, drei Assistenten und ein Vize des Verlags hinter mir... und ich muss meine eigene beschissene Einführung für etwas schreiben, was im Wesentlichen ein Auszug aus zweieinhalb Jahren unaufhörlicher Leiden und Schrecken ist.

Wie bitte, Sie wollen was Nettes und Aufbauendes? Na, dann hätten Sie sich jemand Anderen kommen lassen müssen. Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen sich einen Schauspieler oder Sänger oder sonst einen mit psychischen Problemen suchen. Fickt euch alle. Seitdem ich wieder in dieser bodenlosen Scheißegrube bin, war jeder Tag so, als würde einem ständig mit einer Keule eins über den Schädel gezogen. Jeder einzelne Tag. Ich werde morgens wach und fühle, wie mein Hirn anschwillt, wie es sich gegen die dünnen Stellen meines Schädels wölbt. Wenn ich ganz genau in den Spiegel sehe, kann ich erkennen, wie meine Haut durch die kleinen Risse in meinem Schädel eingesogen wird. Eines Tages werden große Teile meines Kopfes abspringen. Blut und Gift werden aus meinem Schädel austreten, euch ins Gesicht spritzen, und ihr werdet alle an meiner Galle und meiner explodierenden Hirnmasse ersticken.

Bevor ich hier fertig bin, werdet ihr alle den Geschmack meiner Hirnmasse kennen.

Bleibt mir vom Leibe, ihr Hundeficker, ich fang' erst an, nein, lasst meinen Inhalator in Ruhe, ihr Schweine...


präsentiert


DIE EXKLUSIVE KOLUMNE
Ich hasse diese Stadt
Von Spider Jerusalem
Autor von "Das große Absaufen"

- Eintrag 01, Dateizeichen: 145_GH/09 -

Diese Stadt überrascht mich immer wieder.

Ein Ort ohne Erkennbare Grenzen, voll von Menschen, die nicht wissen, was für ein Jahr wir haben, mit Bürgersteigen, die von Medien-Pissern aufgerissen wurden, damit sie TV-Schirme darin einlassen konnten, eingekeilt von Reklame, die uns etwas verkaufen will, das wir nicht brauchen und von dem wir bis gestern nicht einmal wussten, dass es überhaupt existiert. Reklame, die oft von Werbe-Terroristen präpariert wurde, so dass sie nun Radio-Wellen abstrahlt, die kleine Muster in unsere Gehirne einschnitzen.

...aber ich bin es, der eine Anzeige wegen vorübergehender gewalttätiger Unzurechnungsfähigkeit an den Hals kriegt.

Das kam so: Ständig kommen Bettler an meine Tür. Kleine Kinder mit dem Strichcode der Pfadfinder auf ihren weißen, kleinen Ärschen, die versuchen, mir vergiftete Kekse zu verkaufen. Grinsende Schwachköpfe der Regierungspartei, die des Monsters, die erwarten, dass ich ein paar Dollar für die Wahlkampagne spende. Professionelle Mitleiderreger mit Tränen in den Augen, die versuchen, etwas Bares abzuziehen, damit den kryogenischen Revivals geholfen werden kann. Und heute hatte ich diesen Fanatiker von der Kreuzzughilfe an der Tür, der um eine Spende bat, damit religiöse Truppen ihre Massaker im heidnischen England fortsetzen können. Was soll ich sagen? Es war ein Bettler zuviel.

Man hat mich mit dem Fanatiker in der Küche erwischt. Ich hatte ihn am Bauchnabel an der Deckenbeleuchtung aufgehängt und mit Holzlöffeln verprügelt, bis seine Nippel bluteten. Seine Schreie hatten meine Vermieter geweckt. (eine ziemliche Leistung übrigens, da sein Arzt ihm eine Therapie mit Trägheits-Genen verordnet hatte, um seine Hypernervosität in den Griff zu kriegen, und er sich seither nicht einen Millimeter bewegt hatte!) Der rief dann die Polizei.

Jetzt habe ich fünf Tage Hausarrest und sieben fette Ampullen No-Chance in meinem Bauch. Die kleinen Gehirne der Ampullen registrieren, wenn ich die Wohnung verlasse, und pumpen mich dann mit einer fiesen Polizei-Droge voll, ich sei in einem marsianischen Kolonie-Knast; mit einem fett eingeölten Sklavenarbeiter namens Pththth als Zellengenossen, der mich für sein Lieblingskarnickel hält. Eine wirklich einmalig interessante Erfahrung für jeden neugierigen Journalisten, aber nichts, was man öfter haben muss.

Ich hasse diese Stadt.


- Eintrag 02, Dateizeichen: 156_GH/10 -

Seit einer Woche bin ich wieder in der Stadt, und es läuft gar nicht gut.

Wissen Sie, alles hat sich verändert. Ich war nur fünf Jahre fort gewesen, und schon sind mir große Teile der aktuellen Kulturströmungen völlig fremd. Gestern zum Beispiel habe ich Kaugummi mit dem Namen ALTER gekauft. Eigentlich harmlos. Ein Versuch, den Zigarettenkonsum etwas zu begrenzen, wissen Sie... all die verdammten Zusätze in den Stadtzigaretten haben meinen Hals wund werden lassen, also dachte ich mir, ich lasse es einfach etwas ruhiger angehen, während ich mich eingewöhne.

Oben in den Bergen, da, wo ich die letzten Jahre gewesen bin, ist nichts als Tabak, Tierscheiße und gemahlener Koks in dem, was man raucht.

Natürlich kennen Sie alle diese Kaugummimarke und lachen sich schon tot. Sie wissen, was als Nächstes kommt. Kein Arsch hat mir gesagt, dass durch das Kaugummi ein leichter Fall von vorübergehender multipler Persönlichkeitsstörung ausgelöst wird, und ein Alter Ego ist gleich beigepackt.

Also habe ich geschlagene neunzig Minuten splitternackt mitten im Print District verbracht, den Verstand im Todesgriff von Einarr, dem syphilitischen nordischen Stammes-Richter aus dem Scando Ghetto nördlich von Lugh Bend. Nein, gehen wir doch ins Detail; ich habe neunzig Minuten damit verbracht, nackt uralte Weisheiten und primitive Gesetze den Print District rauf und runter zu predigen, und das alter Ego verabschiedete sich erst, nachdem ich auf brutale Art einen heftig gestörten zehn Jahre alten Jungen verprügelt hatte, weil er in den Kinderwagen seiner kleinen Schwester pisste, während Mami in die Seitenstraße abgehauen war, um sich ein wenig diskreten oralen Sex von einem arbeitslosen Synchronsprecher namens Giles zu kaufen. Diese arbeitslosen Schauspieler, die auf die schiefe Bahn geraten, sind die Schlimmsten. Wenn sie nicht gerade an Straßenecken rumhuren oder den Finsterling geben, während sie in den Dramenabteilungen der Buchläden rumlungern, bilden sie Gangs, die ohne Unterlass versuchen, sich an hochgestylte Homosexuelle anzuhängen, und brechen alle Lärm-Gesetze, wenn sie über hübsche Mädchen und talentierte Leute herziehen. Diese Wichser.

Die Wirkung des Kaugummis ließ gerade dann nach, als ich im Begriff war, Giles‘ Weichteilen mein hastig improvisiertes STAR-STRICHER-Brandzeichen aufzudrücken.

Ein schneller Blick auf das Kleingedruckte meines Kaugummipapiers, offenbarte mir, dass mich die Verspeisung des Kaugummis von der Verantwortung für meine Handlungen entband.

Also brandmarkte ich ihn und die Frau, kickte das Kind in den vorbeirauschenden Verkehr und übergab das Baby der Fürsorge.

Sie haben keine Vorstellung, wie sehr ich diese Stadt hasse.


- Eintrag 03, Dateizeichen: 167_GH/11 -

Mein Apartment hat Blick auf den Chase Square.

Ein sehr reicher Stadtteil, immer im Blickpunkt, sehr sicher. Und - natürlich - kaum zehn Minuten zu Fuß von der schlimmsten Kloake der Stadt entfernt.

Denn so ist es ja immer, stimmt’s?

Ich schreibe eine Kolumne für The Word , die “Ich hasse diese Stadt“ heißt. Die Freude darüber, wieder hier zu sein, ist aufgebraucht. Nebelhaft spüre ich, dass ich genauso am Ende bin wie alle anderen auch.

Neuerdings spüre ich alles nebelhaft.


- Eintrag 04, Dateizeichen: 178_GH/12 -

Gestern sah ich, wie sich mitten in der Stadt ein Wolf in einen russischen Ex-Athleten verwandelte und einem großen Mann, der dressierte Kriegs-Krebse in seinem Gesicht trug und statt Beinen 75 Komodowarane besaß, eine Visitenkarte mit folgender Aufschrift überreichte:

IHRE PERSÖNLICHE SECURITY-HURE!
STERILISIERTE EINGEWEIDE!
Alle Kreditkarten werden akzeptiert.

Und dann hatten sie Sex. Direkt vor mir. Und sechs der Komodowarane spukten Napalm auf meine neuen Schuhe.

Und jetzt hören Sie mal zu. Man sagt, ich sei ein berühmter Journalist. Man sagt, dass die fünf Jahre, die ich nicht in der Stadt war, verblasst sind wie der Name des Typen, den Sie letzte Nacht aufgegabelt haben. Es sei, als wäre ich nie fort gewesen. (Und um das kurz mal in Erinnerung zu bringen: Ich bin abgehauen, weil ich die Nase voll hatte von Dingen wie Krankheit, Hass und den Tod der Wahrheit.) Ich weiß, dass Sie mich noch viel mehr lieben, seit ich einem grauenhaften Mordanschlag entkommen bin und über den fürchterlichen Verlust schrieb, den ich erfuhr, als mich meine erste Assistentin verließ und ich es sechs Wochen später bemerkte.

Warum muss ich mich dann mit diesem ranzigen Müll vor meiner Haustür herumschlagen? Jetzt stinkt mein wunderschönes neues Apartment nach nassem Fell und stechender Waran-Spucke, und ich glaube, einer der Krebse hat meine Fußmatte besprungen. Sie verflucht mich fortwährend in einem fetten, mexikanischen Akzent. Vielleicht muss ich sie erschießen.

Falls Sie mich wirklich lieben würden, dann würden Sie sich alle heute noch umbringen.


- Eintrag 05, Dateizeichen: 189_GH/13 -

Wir leben in einer Monokultur.

Was bedeutet das? Nun, gehen Sie raus an die Ecke Ihrer Straße. Sie sehen wahrscheinlich einen Long-Pig-Stand, irgendwo auf einem Bildschirm SPKF, einen Angry Boy Dylan-Waffenladen. Gehen Sie in einen Plattenladen, und Sie sehen neue Aufnahmen von üblichen Verdächtigen, vielleicht ein bestimmtes Space-Culture-Display.

Gehen Sie an eine Straßenecke in London, und Sie sehen dasselbe. Dasselbe in Prag. In Sao Paulo. In Osaka und Grosny und Teheran und Jo’burg und Hobart.

Das ist Monokultur. Sie ist überall und überall dasselbe. Und sie nimmt fremde Kulturen in sich auf, verdaut sie und scheißt sie in einem wohlgeformten Block aus, der nahtlos in die nackte, blanke Wand der Monokultur passt.

Das ist die Zukunft. Das haben wir gebaut. Das haben wir gewollt. Muss doch wohl. Denn wir alle hatten doch die verdammte Wahl, oder? Es ist schließlich unser Geld, das es der Kommerzkultur möglich macht zu blühen. Wenn wir nicht so leben wollten, hätten wir es jederzeit ändern können, indem wir verdammt noch mal nicht dafür bezahlen.

Also lasst und feiern, indem wir alle rausgehen und dengleichen Burger kaufen.


- Eintrag 06, Dateizeichen: 190_GH/14 -

Das letzte Mal, als ich in dieser Stadt lebte, hielt man mich für eine gute Partie. Die Frauen flogen auf mich, ohne dass ich sie erst unter Drogen hätte setzen müssen.

Aber jetzt bin ich alt. Teile meines Körpers gehen auf Wanderschaft. Ich sehe nicht mehr gut aus. Die Schwerkraft zerrt an meinem Arsch, meinem Bauch und meinen schmerzhaft schweren Hoden. Ich hatte seit über drei Jahren keinen Sex. Wenn ich am Ende jemanden foltere, unter Drogen setze oder hypnotisiere, um es besorgt zu kriegen, dann wird die Polizei unsere Überreste von ballistischem Samen an die Wände gespritzt vorfinden.

Und ich bin gezwungen, das in einer Stadt durchzumachen, wo ich mich achtzig mal am Tag verlieben kann, indem ich nur auf die Straße gehe und die Augen aufmache.

Dafür werdet ihr alle bezahlen.


- Eintrag 07, Dateizeichen: 101_GH/15 -

Ich bin von einem Ort hier runter gekommen, wo der Schnee meilenweit liegt, vom Wintereinbruch bis zum Tauwetter, Schnee, der außer denen von Vögeln, Füchsen und Eichhörnchen keine Spuren trägt.

Zehn Meilen südlich von Lugh Bend wird ein Reservat errichtet. Es sind noch keine Menschen darin, aber die Wände stehen und erwecken die Illusion endloser Weite, und die Umwelt- und Wettersysteme funktionieren bereits. Ich habe dort Freunde, die mich von Zeit zu Zeit reinlassen.

Manchmal kann ich nicht anders, als im ewigen Winter zu verharren und darüber zu sinnieren, wie das Leben ohne euch alle ist.


- Eintrag 08, Dateizeichen: 112_GH/16 -

Die Ansicht ist weit verbreitet, dass ich ein schlechter Mensch bin.

Dass ich es nicht mag, wenn Leute sich amüsieren. Das ich Weihnachten oder Kwanzaa nicht liebe, oder wie auch immer wir es dieses Jahr nennen. Man hat das Gefühl, ich sei kein glückliches Kerlchen gewesen, als Heiligabend Schlag zwölf der Startschuss fiel und die öffentlichen Maker am Century Square die inzwischen legendäre Mistel-Ladung auf die Menge der Feiernden freiließ.

Ganz ehrlich. Es gibt den finsteren Verdacht, dass ich für die 1233 Fälle von spontaner Darmtätigkeit verantwortlich bin, die an diesem Heiligabend auf dem Century Square verzeichnet wurden.

Also bitte. Um so etwas zustande zu bringen, wäre die Benutzung eines DARM-DISRUPTORs nötig. Diese Apparatur ist bekanntermaßen illegal. Wollen Sie, die Schmutzjournaille und meine miesen Mittelsmänner, andeuten, dass ich einen Akt der Illegalität durchgeführt hätte? Meine Anwälte erwarten Ihre Antwort.

Es wären ein DARM-DISRUPTOR und eine kriminelle Energie nötig, die ans Psychotische grenzt. Also wirklich. Über tausend Leute innerhalb einer halben Stunde in den Kackschacht schießen?

Das würde nur jemand tun, der euch wirklich verdammt hasst.


- Eintrag 09, Dateizeichen: 123_GH/17 -

Allgemeine Notizen.

Zwei Tage im Wirbelsturm ließen mich schiffbrüchig und hilflos zurück. Selbst der Stoff, den ich mir Holmes-mäßig reindrücke, damit mein Interesse an der Welt nicht erlahmt, lässt mich im Stich. Ich habe wie eine gefügige Hure das Spiel gespielt, aufs Stichwort hin geknurrt und geflucht, die Arbeit getan und die Kolumnen rausgehauen. Bald werde ich mich in den Schlaf fallen lassen und hoffen, dass die Welt nicht ganz so kaputt wirkt, wenn ich wieder aufwache. Schön wäre auch, wenn die halbe Stadt mir zu Ehren Selbstmord begangen hätte...


- Eintrag 10, Dateizeichen: 134_GH/18 -

Haben Sie bemerkt, wie ruhig das Civic Center diese Woche war?

Unsere schöne Stadt wird natürlich von der Partei des Monsters, regiert. Und wissen Sie wie? In Schulen wird nicht unterrichtet. Kinder in Not werden pädophilen Sozialarbeitern überlassen. Millionen werden für sinnlose interne Untersuchungen verschwendet. Obdachlose Familien wurden in asbestverseuchten Hochhäusern untergebracht, was von einer unabhängigen Menschenrechts-Organisation als “politisch Motiviert“ eingestuft wurde. Und gerade als man neue Wahlkreise festlegte, machte ein interner Bericht die Runde, in dem es hieß, dass “durch die Durchsetzung des Planungsrechts in den Haupt-Bezirken sichergestellt wird, dass sie richtige Art von Wohnungen für die richtige Art von Wählern bereitgestellt wird“...


- Eintrag 11, Dateizeichen: 145_GH/19 -

In einer Stadt kann man sich nicht aussuchen, wer dort zusammen mit einem lebt.

Ich meine, wir, die wir da rund um Chase Square leben, wir sind richtig vernünftig und professionell. Nicht viele von uns werden dabei erwischt, wie wir um drei Uhr morgens auf der Straße Haustiere ficken, und wenn doch, dann haben wir immer Gummis benutzt.

Das gilt nicht für die westlichen Randbezirke der Stadt, wo ich mich letzte Woche auf einer Erkundungstour befand. Oh nein. In dem Bezirk, der Gashed Cow genannt wird, läuft wirklich alles ziemlich anders.

Als erstes fallen einem in Gashed Cow die Gesichter auf. Sogar in einer Stadt wie unserer, die den Abschaum jeden Genpools der Erde enthält, bemerkt man, dass diese Leute anders sind. Dies sind die Menschen der urbanen Mythen. Die Menschen mit den zermatschten Chromosomen. Die, die Banjo spielen. Die Leute, die lieber den Intellekt-Unterdrücker aus der Wasserversorgung getrunken haben als das saubere Wasser, das von den Rettungsmannschaften rangekarrt wurde.

Typen in hellblauen Lederhosen wichsen gedankenverloren auf die Straße, mit einem gelangweilten Blick ins Frauenmagazin auf dem Gehweg-Monitor neben ihrem linken Fuß. Hunderte von gestörten, hyperaktiven Kindern mit Null-Aufmerksamkeitsspanne rennen herum und schreien, während ihre tollwütigen Mütter für ein paar Monate zärtlichen Babyglücks immer mehr von den kleinen Mistkäfern rauspumpen, bevor sie zu zappeln anfangen und nie wieder damit aufhören...

Ich will meine Mitmenschen nicht angreifen, wirklich nicht. Aber ich habe gesehen, wie diese Leute alles geglaubt haben, was im Fernsehen läuft. Alles. Sie glauben, dass der Smiler - der Präsidentschaftskandidat - ein guter Mensch ist. Sie glauben an Gott. Sie glauben an die Gerechtigkeit. Sie glauben an den Knight Rider.

Diese Leute sind der Feind. Holen Sie sich noch heute ein Update für Ihre Sexualorgane, damit wir sie vielleicht hinter uns lassen können.


- Eintrag 12, Dateizeichen: 156_GH/20 -

Ich würde gerne einen Schwan essen. Ist das falsch?

Ich finde niemanden, der mir einen Schwanenburger verkaufen würde. Ich hatte meine Assistentin für ein paar Monkeyburger zum Afrikaner geschickt. Ich hätte viel lieber koreanischen Hund gehabt, aber der hiesige Koreaner wurde von den Shark-Bar-Typen ausgezahlt, die die Expansion dieser winzigen Club Snack-Kioske, wo gekochte Robben-Augen verkauft werden, eindämmen wollen. Club Snack hat sowieso einen Haufen Probleme; sie werden von der Long-Pig-Kette verklagt, wo Club Snack früher konzessionierte Stände hatte. Long-Pig könnte die Entschädigungszahlungen gut gebrauchen, da schon bohrende Fragen gestellt werden, wo sich ihre Vorratslager befinden - zumal die Bevölkerungszahl Australiens seltsamer weise schon seit drei Jahren stagniert. Ich habe schon vor langer Zeit gelernt, niemals einen Inka zu verärgern. Und außerdem habe ich immer schon Karibu-Augen den Vorzug gegeben. Früher gab es hier in der Gegend eine Menge Fast-Food-Stände von Eskimos. Ich frage mich, wo die geblieben sind?


- Eintrag 13, Dateizeichen: 167_GH/21 -

Von hier oben betrachtet sieht alles anders aus.

In dieser Stadt sieht keiner nach oben, weil niemand wie ein Tourist wirken will. Nur Touristen sehen nach oben. Also behalten wir alle Bodenhaftung, die Augen auf den Bordstein gerichtet, auf unserem Weg von Robotjobs zu Robotwohnungen und Robotabendessen und kurzem grauen Robotsex vor obligatorischen sieben Stunden Robotschlaf.

Eine Änderung der Perspektive ändert die geistige Einstellung. Es gibt überall Orte - fast an jeder Straße - wo man etwas Höhe gewinnen kann und somit eine neue Perspektive.

Sehen Sie den Ort mit anderen Augen. Wenn man lange und intensiv genug hinsieht, aus ausreichender Höhe... kann man sehen, was getan werden muss.


- Eintrag 14, Dateizeichen: 178_GH/22 -

Wieder auf der Straße.

Da, wo ich geboren wurde, wo ein Teil von mir immer sein wird. Der Teil, der abgehackt und mit Kardamom-Schoten garniert begraben wurde von jenem seltsamen, katzenäugigen Mädchen aus Ashmolean Point. Eine weitere Lektion in Medienaktivismus und Monokultur-Surfen; man muss das Beste daraus machen.

In den letzten vierundzwanzig Stunden bin ich zu Tode plakatiert und in Zehn-Sekunden-Spots verheizt worden. Ganz abgesehen von dem Fernseh- und Feedsite-Kram, den ich für Geld gemacht habe, und dem zusätzlichen Rummel um die Kolumne.

Viele Leute kennen mein Gesicht. Auf dem Weg zu meinem Ziel gehe ich bewusst durch Redchurch. Red Church ist das, was Gary Callahan meinen natürlichen Wahlbezirk nennen würde.

Huren, Drücker, Filmemacher, Musiker, Tänzer, Außenseiter, polysexuelle Transformierte, Alkies, Junkies, Redakteure, der neue Abschaum, Wähler... und - noch wichtiger - Feedsite-Hörer.

Der Feedsite-Hörer schließt sich mir an und fragt mit seiner geschmeidigen Fernsehstimme: “Was geht ab, Spider?“ Und ich sage nur: “Hier geht’s lang.“ Und schon hab’ ich ihn am Haken.

Ich nehme einen Journalisten Vom The Thunderer wahr, der mich abcheckt und mit kommt, und einen Kamera-Seher vom Tavanier Spezial-News-Kanal, der aus einer Spielhölle an der Ecke stolpert, alle schwitzig aufgegeilt.

Man kann es ihnen ansehen: “Spider Jerusalem ist ein Spinner, und jeder weiß das. Er ist ein Verrückter, also lasst uns sehen, was ein Verrückter so tut.“ Das ist das herkömmliche Spider-Image. Vertraut dem Arschgesicht. Ekelhafte, leblose, ferngesteuerte kleine Scheißer. Folgt dem Geld, folgt der Berühmtheit.

Schmieren-Schreiber, Schaulustige, gelangweilte Huren und Kinder mit Matschbirnen, deren Mami während der Schwangerschaft soff und ihnen mit Klunker-Pfoten zu oft eine gelangt hat... an Tagen wie diesen wird mir klar, warum der Präsidentschaftskandidat Smiler und das Monster euch hassen...

Folgt mir auf dem Weg in die Hölle, Ihr Wichser. Na los. Folgt jedem, der das richtige Lächeln, die richtige Verpackung, das richtige Image hat. Folgt jedem, der sagt: “Ich werde mich um euch kümmern, ich nehme euch die großen Entscheidungen ab, damit ihr euch in Ruhe gegenseitig anscheißen und in glückseliger Dumpfheit selbst verarschen könnt.“

Der Oval-Office-Teppich trieft vor Präsidentensperma. Sie sehen aus dem Fenster, denken “Ihr alle gehört mir“, und dann geht ihnen einer ab wie hässlichen Affen bei der Brunft. Dafür leben sie. Man darf niemandem trauen, der für so etwas lebt. Warum könnt ihr das nicht endlich kapieren?


- Eintrag 15, Dateizeichen: 189_GH/23 -

Ich bin wieder berühmt.

Diese Entwicklung kommt mir nicht gelegen. Aber sie ist zumindest nützlich. Ich habe eine Reihe unterschiedlichster Spots aufgenommen, die die wichtigen Dinge des Lebens beleuchten. Wahlen, Wahrheit, Grauen, Verlust. Mit Messern gefickt zu werden.

Und jetzt werde ich verehrt. Ich habe offensichtlich die Diskussion angefacht und Politik wieder greifbar gemacht. Auf der Straße stürzen Kinder auf mich zu, lachen mich an, möchten Trost, singen meinen Namen. Alte Leute umklammern meine Hand, weil es Glück bringen soll und um dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, und ich werde von Huren und alten Leuten verehrt, die mir für meine Unterstützung alles bieten, was sie haben, ihren billigen Sex und die Produkte ihres Blutes.

Ich bin wieder da. Eine Lumpen-Armee klebt an jedem Wort, das ich sage. Und ich bin angepisst.


- Eintrag 16, Dateizeichen: 190_GH/24 -

Und dann sinkt die Sonne und die Nacht bricht an und mir wird wieder klar, warum ich hier schon so lange lebe.

Ich wurde in dieser Stadt geboren, draußen bei den Docks, und als Kind sah ich, wie der Lichtdom über der City bei Dämmerung zu leuchten begann, und ich habe stundenlang da gesessen, glückstrunken von  der Lichtverschmutzung, beseelt von dem Wunsch, dort sein zu können, am Träumen, was ich alles tun würde... Ich erschuf tausend Phantasien von der Nacht in der Stadt, während ich dort saß und mir die Strahler und Laser und Lichtflocken ansah und der geisterhaften Mischung der Millionen verschiedener Musikfetzen lauschte, die herüberklangen...

Ich hatte Tausende Phantasien davon, wie es dort sein würde. In drei Monaten habe ich sie alle ausgelebt und Jahre dafür gebraucht mir neue einfallen zu lassen. Es ist diese Art von Stadt. Die Nacht lockt diese Art von Menschen.

Ich hasse diese Stadt, weil ich nicht von ihr lassen kann. Aber, wenn Sie mich zitieren, werde ich Sie einen Lügner nennen.


- Eintrag 17, Dateizeichen: 101_GH/26 -

Ich habe eine neue Assistentin aufgebaut.

Was sie betrifft, heißt das nichts Gutes. Sie hat mich vom ersten Moment an gehasst. Sie ist intelligent und kommt aus einem faszinierenden Umfeld. Sie hat eine hohe Auffassungsgabe mit steigender Tendenz, wenn ihre studentischen Windungen mehr Richtung bekommen haben. Ehrlich gesagt, ist sie weit intelligenter als ich und im Besitz eines genetischen Erbes, das meins wie Dreck aussehen lässt. Und wenn ich so darüber nachdenke, dann hat mein Daddy ja gewöhnlich Dreck geknallt.

Und sie verabscheut mich. Keine halben Sachen. Sie glaubt, ich hätte die tödliche Falle, die sie vor meiner Tür aufgestellt hat, nicht bemerkt, auch nicht, das Gift in meinem Kaffee.

Ihr Name ist Yelena Rossini, und sie ist vielleicht die beste Assistentin, die ich je hatte. Ich werde Sie auf dem Laufenden halten, wie sie sich macht. Wenn Sie sie treffen, erzählen Sie ihr nichts hiervon. Wissen Sie, sie weigert sich, die Kolumne zu lesen...


- Eintrag 18, Dateizeichen: 112_GH/27 -

Die Leute sagen immer, du machst gute Arbeit, Spider, du bewegst wirklich etwas, Spider. Und das ist alles Bullshit. Ich bewege einen Scheißdreck. Ich bin ein Autor. Ein Journalist. Ich kann einen Dreck bewegen.

Ich gebe lediglich Ihnen die Werkzeuge, damit Sie die Welt verstehen und etwas bewegen können.

Und ich sitze hier fest und hoffe nur, dass Sie es tun.

 

 

© SJ 2002. do not copy in any form, but feel free to link to this page. linked pages do in no way represent the opinion of the author nor can the author be held responsible for content of linked pages. some graphics blatantly ripped from www.transmetropolitan.com and some contents ripped from speedlinecomics (www.speedline.de). don't sue me, buy the books.



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