Das Elternhaus

Das alte Haus hatte viele Jahrzente, ja schon fast 3 Jahrhunderte erlebt.
Es stand etwas gebückt und trutzig inmitten anderer alter Häuser, die sich rechteckig um den Neumarkt, den Marktplatz erhoben. Es kannte den Duft der Lindenblüten, der in zahllosen Frühlingsnächten durch die geöffneten Fenster eingedungen war, und es kannte das Plätschern der grauen Brunnens, der fast so alt war wie es selbst.

Das Haus hatte noch Pest und Cholera kennen gelernt. Es hatte Soldaten gesehen, die in Kriege gezogen und nicht mehr zurückgekehrt warern.
Es hatte schwere Panzer erlebt, die als sie abgezogen waren, plattgewalzte Pflastersteine auf dem Marktplatz zurück gelassen hatten. Und Kinder hatte es gesehen, die im Sommer lärmend spielten und im Winter mit roten Nasen und kaltgefrorenen Händen ihre Schlitten den Marktplatz hinauf zogen,um dann bäuchlings hinab zu rodeln. Es hatte als Gasthaus lärmender Jahre hinter sich mit rollenen Bierfässern und fröhlichen Zechern.

Dann wurde es ein Bäckerhaus und ein Elternhaus, ein Haus, in dem Mitglieder einer Familie wohnten, erst die Großeltern mit vier Kindern, die in ihm das Licht der Welt erblickt hatten, dann  die Eltern mit zwei Kindern und zuletzt ein erwachsenes Kind allein. Das Haus hatte alle geliebt, im Sommer vor Hitze, im Winter vor Kälte. Seine Eichenbalken hatten Anfang des 20. Jahrhunderts einem großen Feuer widerstanden, das vom Nachbarhaus übergreifen wollte. Es hatte Hagel und Blitze abgewehrt und manches Mal im Gebälk unter der Last der Jahre geächzt. Die Eichenbalken trugen das Haus sicher durch die Zeit, aber seine Fachwerkwände erforderten Aufmerksamkeit und Liebe.

Das Haus hatte, nachdem es in seiner langen Geschichte ein Elternhaus geworden war, gerne das Lachen und Toben der Kinder gehört, die in ihm groß geworden waren, und es war traurig gewesen mit ihren Tränen. Es war daran gewöhnt, dass die Kinder, wenn sie erwachsen waren fortzogen und nur Erinnerungen an sie in Kisten und Truhen auf dem Speicher ruhten. Es rechnete aber auch damit, dass eines der Kinder da blieb, heiratete, und neues Leben in die Stuben brachte. Die Namen Vieler, die in ihm gelebt hatten, waren längst vergessen. Auch die Großeltern schon lange gestorben, ihr Grab längst abgeräumt. Dann waren die Eltern an die Reihe gekommen, erst der Vater, dann die Mutter, immer in Sorge um das Haus. Jetzt lebte nur noch der Sohn im Elternhaus, der aber schon begann alt zu werden.

Er war noch immer allein. Kein Kinderlachen, keine Frau, die besorgt um das Haus war, seine Decken, Wände und Böden. Da begann das Haus sich zu ängstigen, mehr noch als in jenen schlimmen Jahren, als die Bomber über es hindröhnten und Tiefflieger darüber jagten. Es wusste tief in seinen alten Wänden, dass es nun vorbei war mit dem Elternhaus, und die Last der Jahre begann die Decken niederzudrücken, hier und da fiel der Putz ab, warf sich
der Boden auf, und niemand war da, um mit sorgender Hand und liebevollem Herzen auszubessern.

Es kam, wie es kommen musste. An einem Frühlingstag, als der Duft der Lindenblüten betörend aufstieg, kam ein Mann in das Elternhaus und machte
den Verkauf klar für viele blaue Scheine, aber nicht für eine neue Familie, sondern nur, weil er Geld hatte und der Sohn keines hatte.

Nun ist das Elternhaus nur noch ein altes Haus, das, in seinem Innern durch hässliche Umbauten geschändet, sich vor der Zukunft bangt, wie die alten
Linden und der graue Brunnen. Es scheint nur noch ein wenig gebeugter, als trage es schwer an seinen Erinnerungen und seiner Trauer.

 

                                                                   
 

 

 



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