Heinrich Krieg

 

Erinnerungen aus meiner Kindheit

 

Gaggenau - Bad Rotenfels, Winter 1992/93

 

Meine Familie aus Anlass der Silbernen Hochzeit meiner Eltern 1932. Ich bin rechts außen.
(Das Gebäude ganz rechts im Bild ist eine Ecke der heute noch stehenden Alten Wagnerei)

 

Am 10. September 1919 wurde ich als sechstes von sieben Kindern der Eheleute Heinrich und Rosa Krieg geboren, nachdem mein Vater verwundet aus dem 1. Weltkrieg heimkehrte. Ein Granatsplitter hatte ihm in der rechten Kniekehle die Schlagader verletzt. Durch die herrschende Kälte war das Blut sofort geronnen und verhinderte so, dass er verblutete. Dies weiß ich noch aus Erzählungen. Ich kann mich erinnern, dass er in einer Kniekehle auch einen großen Krampfaderknochen hatte, der ihn oft juckte und er deshalb dort kratzen musste.

Schade, dass man als Kind oder Jugendlicher noch nicht das Interesse aufbringt, näher nachzufragen. Heute – als 73-jähriger und nachdem mein Vater schon fast 48 Jahre tot ist, bedauere ich das sehr. Warum nur habe ich nicht gefragt, solange mir mein Vater noch hätte antworten können, was er sicher auch gerne getan hätte? Erst vor einigen Tagen sagte ich zu einem jungen Mann, als wir uns über vergangene Zeiten unterhielten: „Frage die Alten, solange sie Dir noch antworten können, morgen schon könnte es zu spät sein!“

 

 

Bei uns zuhause im Hof etwa 1925. Ich bin der Kleine links.
(Das Gebäude ganz rechts im Bild ist eine Ecke der heute noch stehenden Alten Wagnerei. Alles andere ist beim Angriff auf Gaggenau mit Daimler-Benz Werk am 10.09.1944 - meinem 25. Geburtstag - abgebrannt)

Meine Kindheit verlief unter der umsorgenden und beschützenden Liebe der Eltern zwischen Wohnung, Kuhstall, Werkstatt und Feld. Ich erinnere mich noch gut, wie ich als kleiner „Springer“ oft beim Vater zur Futterzeit im Stall war und mir die Mutter durch den Stallladen (eine Durchreiche mit Laden von der Küche in den Stall) eine Tasse reichte, die mir dann der Vater beim Melken mit Milch füllte. So hatte ich oft eine extra Portion Milch auf dem direktesten Weg. Als dann meine jüngste Schwester Sofie ihre Füßchen gebrauchen konnte, war auch sie mit dabei und nahm ihre extra Portion kuhwarme Milch in Empfang. Vater lehrte uns so schon sehr früh ein schönes Verhältnis zu den Tieren auf dem Hof: Kühe, Rinder, Kälbchen, Geißen (Ziegen), Hühner und Sauen.

Aber auch in der Werkstatt durften wir spielen. So haben wir, wenn die Maschinen außer Betrieb waren, an der Bandsäge mit Sägemehl Kuchen gebacken.

 

 

Anekdoten

 

Eines Tages hatte mein Vater eine neue Steigleiter fertig gemacht und stellte sie am Schopf (Scheune) an den Dachkanal. Ich war etwa 4 Jahre alt. Meine Eltern und Geschwister waren beim Vesper und ich auf Erkundung. Ich wollte wissen, wie die Welt von oben aussieht. Ich kletterte die Leiter hoch. In diesem Moment fiel es auf, dass ich mich davon gemacht hatte. Eine meiner Schwestern sah mich auf der 5 m hohen Leiter und sagte es Vater. Der meinte: „Nicht rufen!“, stieg langsam die Leiter hoch und sagte: „Heinrich, bleib schön oben, ich hol´ Dich“. Das war mein erster Ausflug in höhere Regionen.

 

Als ich noch kleiner war, bin ich eines Tages die Hausstaffel (Außentreppe zur Haustür) runter gefallen und lag schreiend im Hof. In diesem Moment kamen die Kühe aus dem Grasgarten, wo sie beim Weiden waren (wir hatten beim Anwesen mitten im Ort etwa 2000 m2 Obstwiese, die zur Versorgung von Menschen und Haustieren wichtig waren). Zuerst blieben sie stehen und betrachteten das schreiende Wesen am Boden, dann gingen sie mit großen Schritten über mich hinweg. Ich weiß bestimmt, dass ich für sie nicht nur ein Hindernis bedeutete, sondern dass sie mich kannten und wussten, dass ich dazu gehöre.

 

Mein Vater betrieb auch eine Schnapsbrennerei und brannte für Kunden 2 bis 4 mal im Jahr Schnaps: Kirschen, Zwetschgen, Birnen oder was auch sonst so anfiel und üblich war. Im Spätjahr ging das neben der anderen Arbeit her vier bis sechs Wochen lang am Stück, manchmal mit Sondergenehmigung von 6 Uhr bis 22 Uhr, auch in Ausnahmefällen bis 24 Uhr. Die ausgekochte Schlempe (Maischerückstände) wollte er nicht immer im Senkloch (Jauchegrube) oder auf dem Misthaufen haben und so hat er diese ab und zu mit einem eigens dafür angefertigten Kastenschubkarren, der genau unter den Auslauf der Brennblase passte, in den Grasgarten gefahren. Und – wie Kinder so sind – sind sie überall dort, wo man sie am wenigsten erwartet und brauchen kann. Bei meinem Herumspringen im Garten merkte ich wohl gleich, aber zu spät, dass ich mit einem Fuß in die noch heiße „Brennich“ getreten war. Auf einem Fuß hopsend und schreiend: „Heiße Hennich `dapt, heiße Hennich `dapt!“ eilte ich dem Haus zu, wo meine Mutter Schuh und Strumpf auszog und dem Brandschmerz abhalf. Noch heute ist am rechten Fuß hinter den Zehen die Stelle erkennbar, wo damals die taubeneigroße Brandblase war.

 

 

Kühe

 

Größer geworden und schulpflichtig, war es meine Aufgabe, beim Stalldienst mitzuhelfen. Es waren Arbeiten, die ich meinem Alter entsprechend tun konnte. Zuerst bekamen die Kühe von der Scheuer aus Futter in die Raufe. Diese war die leiterähnliche Konstruktion, die – schräg an der Wand angebracht – das Langfutter aufnahm (Heu). Darunter war die Kripf, der durchgehende Trog, in den die Reste aus der Raufe fielen und in den das sogenannte Kurzfutter kam. Im Spätjahr und Winter, wenn es kein Grünfutter mehr gab, wurden auf der Rübenmühle die Dickrüben gemahlen, mit gehäckseltem Stroh vermischt und manchmal mit Kleie angereichert (Kleie ist das, was beim Mahlen von Mehl als Abfall übrig bleibt). Das Vermischen mit Stroh hat den Effekt, dass die kalten Rüben nicht zu schnell gefressen werden, was Magen- und Darmschwierigkeiten vorbeugt.

Die Kühe standen ja nicht nur im Stall, sondern waren auch Arbeitstiere. Damit in arbeitsreichen Zeiten der Milchertrag nicht zu sehr schrumpfte, wurde in Eimern Schrot oder Leinsamenkuchen angebrüht und den schwer arbeitenden und frischmelkigen Kühen verabreicht. Man musste ja auch den Eigenbedarf der Familie an Milch, Käse und Butter im Auge haben und war darüber hinaus auf den Ertrag aus dem Milchverkauf angewiesen.

Nach dem ersten Füttern wurde der Stall ausgemistet. Die Kühe, die sich mit dem Hinterteil in den Kuhmist gelegt hatten, bekamen die Arschbacken mit einer alten Sense abgeschabt. Wenn erforderlich, wurden sie mit Wasser abgewaschen. Auch die Schwänze wurden in einem Eimer abgewaschen, wenn sie voller Kuhdreck waren. Wenn es zeitlich möglich war, hat man auch die Schwanzquaste zu Zöpfen geflochten, besonders gern dann, wenn man im Herbst mit dem Vieh auf die Weide ging.

Aber zurück zum Futterdienst: Inzwischen war die erste Raufe voll Futter leergefressen und es wurde zum zweiten Mal aufgesteckt. Zwischendurch wurde jedem Tier mit einem Eimer Wasser gegeben.

Nun war das Melken an der Reihe. Zuerst wurden die Euter gewaschen, damit kein Dreck in die Melkeimer gelangen konnte. Das Waschen war zugleich Eutermassage, was die Milchergiebigkeit förderte. Ich war noch in der Schule, als mir der Vater das Melken beibrachte. Darauf war ich stolz.

Nach dem Kurzfutter kommt nochmals Futter in die Raufe und es wird nochmals Wasser angeboten. Danach wird Stroh geschnitten und neu eingestreut. Zum Schluss werden die Tiere geputzt (gebürstet). Das war oft schön, wenn die Tiere zeigten, wo es sie juckte, indem sie den Kopf hochhielten, damit man sie am Hals bürsten konnte, oder den Kopf herunter nahmen, damit man ihnen hinter den Hörnern kraulen konnte. Wenn man sie auf dem Rücken bürstete, konnte es vorkommen, dass sie das Hinterteil ganz herum bogen, um zu zeigen, wo ihnen das Bürsten gut tat.

Es sind zwar nur Tiere, aber sie merken, wenn man sie gut behandelt und danken es auf ihre Art. Ich durfte schon als Schulbub junge Rinder in den Hof oder in den Grasgarten nehmen. Dort konnte ich sie frei laufen lassen und wenn ich ihnen rief, kamen sie wie Hündchen. Auch auf der Straße ließ ich sie frei laufen, sie rannten dann ein Stück weg und kamen wieder zurück. Dies ist natürlich nur möglich, wenn Vertrauen, ich möchte fast sagen, Liebe, im Spiel ist. Dieses Verhältnis lehrte uns der Vater durch sein Beispiel.

 

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