Geburt und Abschied von Belinda

 

Die Geburt                                                

 

Freitag, den 09.11.2001

Als ich im Kreißsaal des Krankenhauses ankam, sollte ich gleich in den Ultraschallraum gehen. Ich sollte mich schon einmal auf die Liege legen und den Bauch freimachen. Noch war ich guter Hoffnung, daß sich die Hebamme vielleicht geirrt hat. Dann kam auch schon die Ärztin nebst einer Hebamme. Es war die gleiche Ärztin, die bei mir den Ultraschall bei der Vorstellung im Krankenhaus zwei Wochen zuvor gemacht hatte. Sie begrüßte mich und sagte sie würde sich das mal ganz genau anschauen und würde erst einmal noch nichts sagen. Als sie ganz genau geschaut hatte, nahm sie meine Hand und sagte: "Ihr Baby lebt leider nicht mehr!" Diesen Satz werde ich wohl niemals vergessen. Jedenfalls trösteten sie mich und die Ärztin meinte das ich bitte niemanden die Schuld für das Geschehene geben sollte, am wenigsten mir. Die Hebamme zeigte nochmal auf den US-Bildschirm, da sie da eine Bewegung gesehen hatte. Vielleicht doch noch ein kleiner Hoffnungsschimmer !? Aber nein, die Ärztin guckte nochmal hin und sagte nur, daß sich das Fruchtwasser schon etwas zurückgebildet hatte. Ich konnte den Schlag erst gar nicht fassen. War wie in Trance. Dennoch fragte ich die Ärztin wie es jetzt weitergehen sollte. Ich fragte ob jetzt ein Kaiserschnitt gemacht werden mußte. Sie verneinte und sagte es sei besser die Geburt auf normalem Wege einzuleiten. Schon alleine von körperlicher Hinsicht. In dem Moment dachte ich, wie soll ich das ertragen. Eine ganz normale Spontangeburt!? Im Nachhinein bin ich aber der Ärztin auch dankbar dafür. Ich habe jetzt das Gefühl das es besser war, das Baby mit eigener Kraft auf die Welt zu bringen und somit das Vertrauen in den eigenen Körper nicht zu zerstören. Außerdem habe ich jetzt keine Probleme mit der Verheilung von einer Kaiserschnittnarbe.Ich fragte nun die Ärztin, was geschehen sei. Vor zwei Wochen war doch noch alles in Ordnung beim Ultraschall bei ihr. Sie meinte das könne sie so nicht sagen. Vielleicht könne man etwas nach der Geburt sehen. Evtl. könnte man noch eine Obduktion machen. Außerdem sagte sie, wenn ich wollte, dann würde man noch heute die Geburt einleiten. Die meisten Frauen würden das gerne schnell hinter sich bringen. Ich hätte aber auch noch Zeit mir das zu überlegen. Die Ärztin rief noch meine Hebamme an um ihr mittzuteilen, was die Untersuchung ergeben hatte. Sie bestellte mir ganz liebe Grüße von ihr.

Sie schickten mich in den Raum, wo die Geburtswanne steht. Tja, eigentlich wollte ich ja da Belinda zur Welt bringen, aber das ging ja jetzt nicht mehr. Ich fragte die Hebamme, ob denn sowas wie mir häufiger passiert, da ich davon noch nie was gehört hatte, daß in einem so späten Schwangerschaftstadium noch was passieren könnte. Sie verneinte und sagte, daß ihr Beruf dann wohl fast unerträglich wäre, wenn dies der Fall wäre und sie hätte den Beruf dann bestimmt nicht gewählt. Ich konnte Gary nochmal anrufen, da er noch nicht da war. Er wußte ja auch noch nicht was passiert war und ich wollte es ihm erst unter vier Augen sagen. Meine Mutter rief ich auch noch an. Ich sagte ich wäre gerade im Krankenhaus und das Belinda nicht mehr lebt. Sie konnte es genauso wie ich gar nicht fassen. Ihr geliebtes Enkelkind war tot. Sie sagte sie komme sofort ins Krankenhaus gefahren.

In der Zwischenzeit sollte ich noch mal auf den Gynäkologischen Stuhl, wo die Ärztin meinen Muttermund abtastete. Er war schon sehr weich und leicht geöffnet. Dann sollte ich ein Papier durchlesen und unterschreiben, da ich eine PDA zur Schmerzlinderung bei der Geburt haben wollte. Als Gary in das Zimmer kam, wo ich mich gerade vor Erschöpfung durch den Schock hingelegt hatte, sagte ich ihm, daß Belinda tot sei. Er nahm mich sofort in den Arm und konnte es auch nicht glauben. ich erzählte ihm alles was bei der Untersuchung passiert war und daß sie evtl. heute schon die Geburt einleiten würden. Als meine Mutter kam und sie mich auch tröstete wollte ich mit ihnen noch etwas draußen an der frischen Luft spazieren gehen. Wir redeten darüber, ob ich Belinda nach der Geburt sehen sollte oder nicht. Meine Mutter meinte es wäre vielleicht besser nicht. Aber instinktiv wußte ich, daß ich es mir nie verzeihen könnte, wenn ich diesen einzigartigen Moment nicht genutzt hätte sie zu sehen. Wieder im Kreißsaal angelangt saßen wir noch eine Weile da. Ich bekam zwei Beruhigungstabletten zur Einahme. Später erfuhr ich das es Valium waren. Danach war ich noch mehr müde. Die Ärztin kam nun und fragte ob ich denn nun bereit sei ! Ich war mir sehr unsicher, wußte in dem Trancezustand gar nicht wie ich entscheiden sollte. Die Ärztin sagte, sie hätte das Gefühl, daß ich noch nicht soweit sei und sie gebe mir alle Zeit der Welt. Ich entschied mich so, daß ich noch eine Nacht im Krankenhaus verbringen wollte und konnte mich so noch in Ruhe von Belinda in meinem Bauch verabschieden. Sie stach zur Vorbereitung schon eine Kanüle in meinen linken Arm, direkt hinter der Hand. Oh, das tat vielleicht weh. Ich hasse sowas. Sie meinte vielleicht bräuchte ich in der Nacht Beruhigungsmittel über die Kanüle.

Meine  Mutter verabschiedete sich und sagte, sie käme morgen wieder vorbei. Gary durfte über Nacht bei mir bleiben. Ich hätte es alleine wohl nicht ertragen. Wir bekamen ein Einzelzimmer mit zwei Betten in der gynäkologischen Abteilung fernab, der Wöchnerinnenstation. Ich war so froh darüber, die glücklichen Mütter mit ihren Babys nicht sehen zu müssen. Ich hatte schon genug Schmerz in mir. Ich bekam ein Krankenhausnachthemd zum Überziehen. Ansonsten hatte meine Mutter schon meine fertige Tasche aus unserer geholt und mir gebracht, so konnte ich mich ein wenig frisch machen. Ich unterhielt mich noch ganz lange mit Gary und wir trösteten uns gegenseitig. Dann schliefen wir erschöpft ein. In der Nacht wachte ich ein paar mal wieder auf. Die Nachtschwester kam auch einmal und maß Fieber bei mir. Und einmal ging ich raus zu ihr und sie gab mir noch eine Valium zur Beruhigung. Sie redete ganz lieb mit mir und brachte mir ein Buch ins Zimmer. Es war das Buch "Gute Hoffnung - jähes Ende". Das Buch gefiel mir und ich laß eine ganze Weile darin. Man bekam auch Hinweise, wie man den Abschied von seinem Baby gestalten sollte und ich laß die Hinweise über Bestattung etc. Soviel Dinge mit denen man sich jetzt ganz plötzlich auseinandesetzten mußte. Wie sehr hätte ich gewünscht, daß es anders wäre.

                                                                  (C) Anne Geddes

                                  

Samstag, den 10.11.2001

Am frühen Morgen bekam ich immer mal wieder so ein Ziehen im Bauch und auf die Toilette mußte ich auch ständig. Die Schwester maß Fieber bei mir und ich bekam Frühstück. Gary konnte sich etwas an einem Büffet gegen Bezahlung holen. Die Schwester sagte, daß man mich bald zum Kreißsaal abholen würde. Nach einer Weile war es dann soweit. Man schob mein Bett in den Gang. Ich wollte aber neben her laufen und zog einen Bademantel über. Ich hatte jetzt immer mehr Ziehen im Bauch und es wurde länger und intensiver. Ich realisierte, daß es wohl schon meine eigenen Wehen waren. Im Kreißsaal angekommen sollten wir in ein Entbindungszimmer gehen. Dort legte ich mich dann auf das Bett. Die diensthabende Hebamme war total nett und fragte mich, ob ich etwas trinken wolle. Sie holte mir dann Wasser und sagte die Anästhesisten seien schon unterwegs. Die kamen dann nach ca. einer 1/4 Stunde. Gary sollte derweil rausgehen. Ich solte mich oben herum frei machen und einer überprüfte meinen Rücken und desinfizerte ihn. Der andere saget ich solle meinen Kopf nach vorne überbeugen, damit der andere die richtige Einstichstelle besser finden könne. Der Stich war wie bei einer Spritze und wesentlich angenehmer als die blöde Kanüle im Arm. Nun legte man eine Schlauchverbindung und befestigte sie am Oberarm mit Pflaster. Die beiden Anästhesisten wünschten mir alles Gute und verabschiedeten sich.

Dann konnte Gary wieder rein und die Hebamme sagte, sie würde jetzt mit der PDA-Infusion begingen und legte mich an einen Tropf. Langsam spürte ich, daß ich unterhalb des Wirbels, wo die PDA gelegt wurde eine gewisse Taubheit fühlte. Nach ca. einer halben Stunde kam dann die Hebamme wieder und legte mir den Wehentropf an die Kanüle im Arm an. Es war bereits Mittag, ca. um 12 Uhr. Sie sagte, daß es wohl noch bis zum Abend dauern würde. Ich rief darauf hin meine Mutter an, damit sie kommen könne. So daß Gary nochmal nach Hause fahren könnte um Sachen zu holen und mal wieder was richtiges Essen konnte. Während Gary mir die Hand hielt, döste ich nun ein wenig vor mir hin. Ich spürte kaum etwas und die Wehenschmerzen welche ich am Morgen so intensiv gespürt hatte, wurden immer erträglicher durch die Betäubung. Um ca. 14 Uhr kam dann meine Mutter und löste Gary ab. Ich döste weiter und mußte mal Wasser lassen. Meine Mutter holte die Hebamme und die gab mir eine Nachtpfanne und stellte den Wasserhahn im Zimmer an. Es half mir, da die Blase wohl etwas mitbetäubt war. Dann wechselte die Hebamme den Wehentropf und meinte, sie würde mir jetzt ein anderes Wehenmittel geben, damit die Geburt besser voran ginge. Dann verabschiedete sie sich von mir und drückte mir ganz lieb die Daumen. Es war Schichtwechsel, so daß mich sobald zwei andere Hebammen begrüßten die gerade ihren Dienst begannen. Sie waren auch sehr nett.

Ich spürte jetzt langsam doch immer mehr Schmerz, trotz der PDA. Eine der Hebammen kam und erhöhte die Dosis. Irgendwann, so gegen 15.30 Uhr wurde es aber wieder schlimmer und ich hatte plötzlich einen enormen Drang Stuhlgang zu machen. Meine Mutter teilte es den Hebammen mit, die gerade draußen waren. Die kamen dann auf einmal ziemlich eilig an und schoben mich samt Bett in das Nachbarzimmer. Ich wunderte mich, da ich doch eigentlich auf Toilette wollte bzw. den Nachttopf erwartete. Stattdessen sollte ich mich auf ein anderes Bett legen. Man rief die Assistenzärztin. Ich begriff langsam, daß jetzt wohl die Endphase der Geburt sein sollte und bekam immer heftigere Schmerzen. Die eine Hebamme meinte, daß sie jetzt die Dosis der PDA nicht mehr erhöhen würde, da ich mitarbeiten mußte und dazu müßte ich die Preßwehen spüren. Oje, und ich hatte gehofft, ich würde nicht so viel spüren müssen. Die Wehen wurden immer unerträglicher und in immer kürzeren Abständen. Die Hebamme zeigte mir wie ich atmen sollte und die Fruchtblase wurde angepiekst damit sie platzte. Auf einmal spürte ich das Fruchtwasser in einem enormen Schwall meine Beine runterfließen. Sie packten wohl Unmengen von Handtüchern drunter. Ich bat um ein anderes Schmerzmittel und sie gab mir eine Spritze in den Oberschenkel. Meine Mutter tröstete mich ganz doll und hielt ganz fest meine Hand. Nach ca. 5 starken Preßwehen wurde Belinda dann geboren. Es war 16 Uhr. Früher als erwartet und Gary war leider noch nicht da.

                                   

Belindas Geburtsurkunde, die uns das Standesamt per Post zuschickte.

                                   

Die körperlichen Schmerzen waren fast vollständig weg. Ich fragte, ob der Damm in Ordnung sei. Die Ärztin sagte er sei in Ordung und nicht gerissen. Wenigsten das blieb mir erspart. Jetzt realisierte ich das mein Baby nicht schrie, obwohl ich noch insgeheim gehofft habe, die Ärtzin hätte sich gestern geirrt und sie lebte doch. Aber nein. Es war schrecklich. Die eine Hebamme sah sofort den Grund, warum Belinda nicht mehr lebte. Sie sagte mir es sei ein Mädchen und daß die Nabelschnur dreimal um ihren linken Fuß gewickelt sei und dann fest über Rücken und Schulter liege. Sie hatte sich selbst stranguliert, war ja auch immer so lebhaft in meinem Bauch. Die Hebamme sagte, daß die Nabelschnur sehr lang sei und das sie wahrscheinlich schon vorher rumgewickelt war und durch die Enge im Mutterleib, hat sie sich dann nicht mehr entheddern können. Man sah wohl das sie schon ein paar Tage tot gewesen sei. Also hatte mich mein komischen Gefühl doch nicht belogen. Diese Nabelschnur wurde durchschnitten. Man zog jetzt kurz an der Nabelschnur, damit die Plazenta raus käme. Nachdem sie draußen war, untersuchte man sie auf Vollständigkeit. Es war alles dran. Ich brauchte also keine Ausschabung.

Die Hebamme fragte mich, ob ich sie sehen wolle. Ich bejahte. Sie wollte den Namen wissen. Als ich sagte, sie heiße Belinda, sagte sie sie würde Belinda jetzt kurz waschen und ich bekäme sie dann in den Arm. Sie sagten sie machen noch ein Foto und wenn ich wolle könne ich es behalten, wenn nicht würden sie es in meine Krankenakte tun und ich könne es evtl. später noch holen. Dann bekam ich meinen kleinen Engel endlich in den Arm gelegt. Eingewickelt in ein rosa Handtuch. Sie sah so perfekt aus. Sie hatte kräftige Beinchen und alles war dran. Wie süß sah sie doch aus. Sie sah wie ein Baby aus, daß nur schlief. So friedlich war sie. Sie sagten mir, daß sie 3,8 kg schwer sei. Ein richtiger Wonneproppen. Ich betrachtete sie jetzt näher am ganzen Körper. Sie sah ihrem Papa wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich. Ihr Papa kam dann auch und sah mit trauriger Miene seine kleine Tochter an. Wir betrachteten sie alle drei genauer. Sie hatte schwarze, dicke Haare und eine etwas platte Nase, wie der Papa. Voll süß. Sie war noch ganz warm vom Fruchtwasser. Die Hebamme machte noch zwei weitere Polaroidfotos von ihr. Dann nahm sie Belinda mit meiner Einverständis kurz weg und zog ihr einen Strampler an. Sie wurde in ein Körbchen gelegt und uns wieder gegeben. So saßen wir noch eine ganze Weile da. Meine Mutter war total fertig und ging dann nach Hause. Sie sagte sie komme morgen zusammen mit meinem Vater und meiner Oma wieder.

Die Ärztin fragte ob wir jetzt immer noch eine Obduktion wollten. Wir verneinten. Wir wußten ja jetzt, daß der Grund diese feste Nabelschnurumschlingung war. Warum sollte man ihrem kleinen, zarten Körper noch soetwas antun. Nein, sie sollte ihren Frieden haben. Man hatte uns schon am Morgen gefragt, ob wir eine Pfarrerin sehen wollten. Die kam nun und stand uns tröstlich bei. Sie fragte gleich, ob unser Tochter denn einen Namen hätte und ob sie eine Aussegnung für Belinda vorbereiten solle, da ja eine Taufe im Fall einer Totgeburt nicht mehr ginge. Wir waren einverstanden. Die Ärztin teilte uns noch mit, daß wir die Möglichkeit hätten sie in einem Sammelgrab auf dem Krankenhausgelände beerdigen zu lassen. Das wollten wir aber nicht. Sie sollte ihr eigenes Grab bekommen.

                                       

                                                                     

                                                                  An angel in the book of life

                                                                  wrote down an infants birth

                                                                  and mentioned as he closed the book:

                                                                  Too beautiful for earth !

                                    

 

                 

                                        Belinda direkt nach der Geburt.     

 

              

 

                                                

                                        Belinda am Tag der Geburt in der Obhut ihrer Eltern.

 

           

 

                    

                                        Belinda in Mamas Arm.

 

           

 

Der Abschied                                                                                       

Samstag, den 10.11.2001

Nach einer Stunde kam die Pfarrerin wieder. Sie stellte ein paar Blumen auf einen kleinen Tisch und zündete die Kerze einer Duftlampe an. Sie sagte es sei Lavendelduft, der beruhige. Dann kamen noch die Ärztin und die zwei Hebammen. Es war nicht soviel zu tun, so daß sie alle viel Zeit für mich hatten. Sie hielt eine kleine Andacht für Belinda. Dann beteten wir alle gemeinsam. Jetzt gab sie Belinda ihren letzten und ersten Segen. Ich und Gary sollten unsere Hand auf ihre Stirn legen um sie als unsere Tochter zu segnen. Ich mußte sehr viel weinen während der Andacht. Eine Hebamme brach auch in Tränen aus. Ich war gerührt über soviel Anteilnahme. Und auch Gary bekam später noch Tränen in den Augen, als wir wieder alleine waren. Ich hatte ihn nie zuvor weinen sehen. Ich war irgendwie froh, das er soviel für seine Tochter empfand, daß er weinte. Die Pfarrerin kam dann nochmal wieder und überreichte mir eine Segenskarte für Belinda. Da stand ein Segensspruch für sie und ein Hand- und Fußabdruck wurde von ihr gemacht. Sie verabschiedete sich von uns und wünschte uns viel Kraft für die kommenden Wochen.

                                              

                                     

    

Belindas Segenskarte mit Hand- und Fußabdruck, sowie Wiegekarte.                                                          Außerdem habe ich noch ihre Haare rangeklebt.

                                         

Ich war müde und hatte Hunger und die Ärztin meinte, daß das ja ein gutes Zeichen sei. So verabschiedeten wir uns von Belinda. Wir wollten sie ja morgen nochmal wiedersehen. Die Ärztin sagte wir können morgen jederzeit in den Kreißsaal kommen und sie sehen. Sie würde über nacht im Kreißsaal bleiben. man würde sie nur etwas kühl stellen. Dann ging ich noch schnell auf Toilette. Das Blut floß in Strömen. Oje, und das sollte ich jetzt mind. 4 Wochen ertragen. Am liebsten hätte ich gar nicht mehr spüren wollen von den ganzen Schwangerschaftssymptomen. Man entfernte mir noch die lästige Kanüle aus dem Arm und ein Pfleger kam und schob mich in unser Zimmer. Ich wollte zwar laufen, war aber wegen der PDA doch etwas schwach auf den Rippen. Die Krankenschwester auf Station hatte noch etwas Essen für mich übrig gelassen. Ich teilte mir das Essen mir Gary. Dann bekam ich Tabletten zum Abstillen. Leider bekam ich trotzdem 10 Tage später eine Milcheinschuß, was sich seelisch als sehr schmerzlich erwies.

Ich wollte noch duschen. Gary sollte aber auf mich aufpassen, da ich noch so wackelig auf den Beinen war. Ich redete wieder lange mit Gary und weinte sehr viel. Dies war die erste Nacht ohne Belinda. Ich fühlte mich zwar körperlich erleichtert und war froh, daß die Geburt doch so gut verlaufen war, aber es war auf einmal so eine Leere in mir. Belinda fehlte mir so sehr. Ich war fix und fertig und mußte in der Nacht wieder eine Valium nehmen zur Beruhigung. Fieber wurde auch wieder gemessen. Die Temperatur war aber normal und körperlich fühlte ich mich wie gesagt schon wieder ganz gut. Ich wollte ja am liebsten schon herumlaufen. Ich war nur sehr müde und schlapp und der Seelenschmerz tat sein Übriges.

                                        

Sonntag, den 11.11.2001

Richtig schlafen konnte ich erst am Morgen. Da kam dann schon die Ärztin vom Freitag, die Belindas Tod festgestellt hatte. Sie tröstete mich nochmal, tastete meinen Bauch ab und sagte, daß sich die Gebärmutter schon schön zurückgebildet hätte. Sie sagte, daß bei mir alles in Ordnung sei und ich könne ohne Bedenken noch weitere Kinder bekommen. Klar sie wollte mir Mut machen, aber eigentlich wollte ich nur Belinda haben. Sie ist einzigartig und nicht ersetzbar. Sie fragte die Krankenschwester nach dem Rhesusfaktor. Da er positiv war mußte man keine weiteren Maßnahmen ergreifen. Bei neg. Rhesusfaktor hätte ich noch etwas nehmen müssen, weil sonst ein zukünftiger Embryo vom Körper abgestoßen werden würde. Und das muß wohl innerhalb von 48 Stunden nach der Geburt geschehen. Etwas später kam noch eine Ordensschwester (das St.Jospeh-Krankenhaus ist ein katholisches Khs. geleitet von Ordensschwestern). Sie entschuldigte sich, daß sie in einer schwarzen Kutte gekleidet sei. Da aber Sonntag sei und sie in der Kapelle nachfolgend einen Gottesdienst hätte, müßte sie das anziehen. Sie tröstete uns und sagte, daß sie uns heute mit in ihr Gebet einschließt.

Nun gab es endlich Frühstück. Gary bekam diesmal auch gleich eins. Wir gingen dann an die frische Luft spazieren, was mir sehr gut tat. Er rief seinen Chef an, daß er eine Woche Urlaub bräuchte, der sagte dann auch sofort zu. Dann rief Gary noch seine Eltern an und erzählte die Hiobsbotschaft. Sie waren natürlich auch entsetzt und würden dann zur Beerdigung kommen. Nach einem kurzen Spaziergang gingen wir wieder aufs Zimmer. Ich machte mich frisch und dann gingen wir wieder zum Kreißsaal um unseren Engel zu besuchen. Es war heute sehr hektisch im Kreißsaal. Wir sollten in das Entbindungszimmer gehen, wo ich gestern zuerst gewesen bin. Sie machten draußen ein "Bitte nicht stören"-Schild an und brachten uns unseren kleinen Schatz. Man ließ uns allein. Wir betrachteten sie wieder ganz genau. Sie hatte schön geformte Fingernägel und sahen aus als ob sie braunrot lackiert waren. Ihre Lippen waren im Gegenteil zu gestern dunkler, fast kirschrot geworden und sie war jetzt kühl, nicht mehr so warm wie nach der Geburt. Ihre Hautfarbe war hellbraun, so wie ihr Papa. Sie hatte dichte, fast schwarze Haare überall auf dem Kopf. Ich hielt sie fast die ganze in meinen Armen. Ihre Knochen waren schon weicher und nachgiebiger geworden. Ich streichelte ihre weiche Babyhaut. Vor allem die Wangen und die Nase waren total zart. Sie hatte eine ziemlich hohe Stirn. Auch wieder der Papa und seine platte Nase. Ihre Augen sahen chinesisch aus. Gary hat schließlich auch chinesisches  Blut in den Adern. Ich war auch vor allem über ihre kräftigen Beinchen und großen Füßchen erstaunt, wobei die Fußnägel genauso rotbraun, wie die Fingernägel aussahen. Allerdings hatt sie am linken Fuß einen Abdruck von der Nabelschnurumschlingung. Einziger Hinweis auf das Geschehene. Wir haben versucht sie in unser Gedächtnis einzuprägen.

Später kam dann meine Eltern und meine Oma zu Besuch. Die Hebamme fragte sie ob sie reinkommen wollten und daraufhin kamen sie zu uns dreien. Meine Oma regte sich sehr auf und atmete hechelnd. Sie mußte sich hinsetzten und ich räumte den Stuhl neben mir schnell frei. Nicht das ihr auch noch was passiert. Sie hat nämlich Probleme mit dem Herzen. Sie beruhigte sich Gott sei Dank aber schnell. Meine Mutter hatte Belinda ja schon gesehen. Sie war ja bei der Geburt schließlich dabei und hatte auch gesehen, wie die Nabelschnur um sie herumlag, was ich nicht gesehen habe. War wohl besser so. Sie sah ja so perfekt aus. Mein Vater streichelte ihr Gesicht und hatte Tränen in den Augen. Ich war erstaunt, da er ja als er von meiner Schwangerschaft erfuhr, gar nicht so begeistert davon war. Das kostet doch Geld. Na ja, beeindruckte mich damals aber überhaupt nicht. Und jetzt sitzt er da und weint. Welch Wandel. Nach einer Weile sind sie dann wieder gegangen und wir drei waren wieder allein.

Nachdem wir den ganzen Nachmittag mit ihr verbracht hatten, kam dann die Hebamme rein, die auch gestern bei der Geburt dabei gewesen war. Sie wollte uns begleiten Abschied zu nehmen. Wir baten aber darum sie morgen nochmal sehen zu können, um von ihr endgültig Abschied zu nehmen. Sie nickte. Dann schrie im Nachbarraum ein gerade neugeborenes Baby. In diesem Moment wollte ich gehen. Es war unerträglich. Wir verabschiedeten uns aber noch von unserer süßen Tochter. Wir würden sie ja morgen nochmal wiedersehen.

                                                                                    (C) Anne Geddes

                                                                         

 

Montag, den 12.11.2001

Die ganze Nacht bin ich immer wieder wach geworden.Die Nachtschwester gab mir aber nur noch Baldriankapseln zur Beruhigung. Besser sei was Natürliches. Sie meinte ich solte langsam aufhören mich zu betäuben. Man muß irgendwann anfangen zu trauern. Sie hatte wohl recht. Zu Hause habe ich dann noch ca. 2 Wochen Baldriantabletten für die Nacht genommen. Dann wollte ich ohne Hilfsmittel zurechtkommen. Die ersten Nächte hatte ich unheimlich Probleme mit dem Hormonumschwung. Ich zitterte ständig. Ich weiß nicht ob das die Hormone oder die Trauer waren. Wahrscheinlich beides. Morgens kam dann die Ärztin von der Geburt mich besuchen. Sie fragte ob wir nun Belinda nochmal sehen wollten. Wir bejahten und baten aber darum, daß uns die Pfarrerin begleitete Abschied zu nehmen. Alleine hätten wir das wohl kaum geschafft. Sie wollte sie anrufen für uns.

Nach dem Frühstück wollten wir wieder spazieren gehen. Die Schwester meinte aber, daß ich jetzt noch warten solle, da noch Chefarztvisite sei. Der kam dann auch recht bald samt einer Gefolgschaft von Assistenzärzten und sagte nur kurz angebunden, daß das ja zwar ein schlimmer Schlag sei und daß das auch selten vorkäme, aber ich könne ja ohne Bedenken noch weitere Kinder bekommen. Er war mich doch eher unsymphatisch. Eigentlich der Einzige dort. Ansonsten war das Personal ganz lieb und einfühlsam. Na ja, ist wohl etwas von der schroffen, älteren Sorte. Ist wahrscheinlich schon zu sehr abgehärtet. Na ja, jedenfalls war er nach drei Minuten wieder draußen. War auch froh darüber.

Nachdem wir uns fertig gemacht hatten, gingen wir dann endlich spazieren. Wir kauften ein paar Blumen und brachten sie in den Kreißsaal. Wir gaben sie einer Hebamme und bedankten uns für die Fürsorge und Freundlichkeit die sie uns alle entgegengebracht hatten. Die Schwestern auf unserer Station erhielten auch einen Blumenstrauß. Man sagte uns, daß die Pfarrerin gegen Mittag kommen würde und uns begleiten würde. Als sie dann kam, besuchte sie uns auf dem Zimmer. Sie sagte das Belinda schon in die Pathologie käme. Dort gibt es einen Andachtsraum, wo die Pfarrerin alles vorbereiteten wollte. Nach einer halben Stunde kam sie dann wieder. Ich bat sie doch nochmal in den Kreißsaal zu gehen um die Polaroidkamera zu holen. Ich wollte noch ein Foto von Belinda. Leider hatten wir in der ganzen Aufregung nicht daran gedacht einen eigenen Fotoapparat mitzunehmen. Sie erfüllte uns den Wunsch und wir gingen dann gemeinsam zur Pathologie. Dort wurden wir gleich in den Andachtsraum geführt. Dort lag sie in ihrem Körbchen, der auf einem Tisch stand. Daneben standen rote Blumen und eine Kerze brannte. Die Pfarrerin machte noch ein Foto. Man ließ uns allein. Ich nahm Belinda wieder auf den Arm. Sie hatte sich schon wieder etwas verändert. Ich merkte das ich jetzt Abschied nehmen mußte. Ich küsste ihr Gesicht und weinte. Dann kam die Pfarrerin wieder und sagte, daß wir jetzt gehen müssten, da der Pathologe Feierabend machen würde. Ich bat noch um 5 Minuten, die man uns gewährte. Es war so schwer. Ich küsste und streichelte immer wieder ihr zartes Gesichtchen. Ich hätte ihr sogerne meine Liebe geschenkt. Schade. Dann gingen wir und ich blickte noch einmal zurück zu ihr. Sie war so friedlich da in ihrem Körbchen. Es tat so weh. Dieser Anblick war der letzte, den ich von Belinda machen konnte. Ich prägte mir ihren Anblcik ganz fest ein und habe ihn immer noch in meinem Gedächtnis.

Wir sprachen noch kurz mit der Pfarrerin, bedankten und verabschiedeten uns. Bevor wir nach Hause fuhren, packten wir unsere Sachen im Zimmer zusammen und gingen noch zum Verwaltungsbüro des Krankenhauses. Wir mussten noch meine Geburtsurkunde und die Vaterschaftsanerkennung abgeben, damit Belindas Geburt an das Standesamt gemeldet werden konnte. Leider saß da noch ein anderes Elternpaar mit ihrem Neugeborenen im Arm. Es war unerträglich, aber leider schloß das Büro gleich. Wir setzten uns ganz weit weg von ihnen. Dann kamen wir auch schon dran, holten unsere Sachen aus dem Zimmer und fuhren nach Hause. Draußen war es schon dunkel und es regenete. So die Stimmung, auch das Wetter dachte ich mir. Puh. Wieder zu Hause zu sein, mit leeren Armen war schrecklich. Die ganzen Babysachen standen da. Wir gingen ins Kino um uns abzulenken. Ich konnte mich den ganzen Film über aber gar nicht richtig konzentrieren. Jetzt ging das Trauern richtig los und wir mußten uns mit der Beerdigung befassen.

 

Nachtrag:

Eine Obduktion der Plazenta hat ergeben, daß die Nabelschnur Belinda das Leben genommen hatte, da eine Plazentainsuffizienz festgestellt wurde. Normalerweise hätte wohl auch die Nabelschnur alleine keinen Schaden anrichten können und nur durch die verminderte Funktion der Plazenta wurde die Nabelschnur ünerhaupt zur tödlichen Gefahr. Da haben wir wohl großes Pech gehabt.

 

 

                                      

                            

                        Belinda zwei Tage nach der Geburt. Unsere letzte Begegnung. Ein trauriger Abschied.

                                       

                                                                       ES SCHREIT IN MIR

                                                                       Es schreit in mir.

                                                                       Unvernehmbar,

                                                                       außer in der Tiefe meiner Seele.

 

                                                                       Von Augenblick zu Augenblick

                                                                       halte ich fester,

                                                                       und ich weiß,

                                                                       wenn ich dich noch länger halte,

                                                                       kann ich dich nie mehr gehen lassen.

 

                                                                       Ungläubig habe ich innerlich geschrien,

                                                                       als sie dich von mir nahmen.

                                                                       Meine letzte Chance, dich zu berühren,

                                                                       dich zu halten

                                                                       und bei dir zu sein,

                                                                       du ach so besondere Liebe,

                                                                       die ich für all zu kurze Zeit kannte.

 

                                                                       Und doch kenne ich dich für immer.

                                        (Aus dem Buch "Unendlich ist der Schmerz" von Julie Fritsch/ Ilse Sherokee)

                                        

                    

                                                                                    (C) Anne Geddes

 

                                                                                      

 

    Beerdigung

 

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