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Der Wundervogel


Es begab sich vor geraumer Zeit, dass die Mondfrau sich in ihrer Nacht einsam zu fühlen begann. Der ehemals schöne und bewundernswerte Sonnenmann, für den sie einst in Liebe erglüht war, war ihr fremd geworden. In ihren jungen Tagen waren sie ein strahlendes Paar gewesen, dass Sterne und Kometen gebar und Vögeln ihre Lieder lehrte – doch das war lange her. Die Mondfrau war seitdem verblichen, denn der Sonnenmann zog sich immer mehr in den Tag und seine Welt zurück. Auch wenn die Mondfrau sich bemühte und ihren alten Liebhaber sogar am Tag besuchte, der Sonnenmann kam garnicht auf die Idee die Nächte mit ihr zu teilen. Wo er sich nachts rumtrieb, wollte sie sich lieber nicht ausmalen. So verbitterte und verblich die Mondfrau mehr und mehr, bis sie von der Erde aus kaum mehr zu sehen war.

Der Polarstern, das hellste Kind der ehemaligen Leidenschaft zwischen Mond und Sonne, wollte den Gram seiner Mutter nicht mehr länger ansehen und beschloss ihr zu helfen. So ließ er die Nordwinde, seine Liebhaber und Spielgefährten, Wolken über den Himmel verteilen. Denn er wollte zur Erde hinabsteigen, um etwas zu finden, das seine Mutter vielleicht heilen könnte. Und da sein Fehlen am Firmament weder seine Mutter, noch die ängstlichen Menschen erschrecken sollte, hüllte er seinen üblichen Aufenthaltsort in dichten Wolkennebel.

So stieg er durch den schmeichelnden Dunst der Wolken hinab auf die Erde, um zu suchen und zu finden, was auch immer die Mondfrau erfreuen möge. Was könnte ihr helfen ihren einstigen Glanz zu erneuern? Was ihre kalkweißen Tränen trocknen? Ein neuer Liebhaber vielleicht, ein Tänzer oder eine Sitarspielerin? Ein Stück Musik oder der Tau einer Lotosblüte?

Als er in das erste Dorf kam dämmerte es bereits und er stahl sich von einer Wäscheleine ein graues Gewand, damit ihn niemand erkennen würde. Als Gegenleistung ließ er ein wenig von seiner Strahlkraft zurück. Unter den goldenen Strahlen seines Vaters, der sich gerade im Osten erhob, würde sie bald zu Diamanten werden.

Nachdem er sich im Dorf eingehend umgeschaut hatte, stellte er fest, dass es hier nichts gab, dass seine Mutter erfreuen könnte. Nicht einmal die Menschen schienen geeignet, die sich grau und griesgrämig durch die Gassen schoben. Es schien, als hätten sie ihre einstige Strahlkraft, an die sich der Polarstern noch gut erinnerte, mit dem Glanz des Mondes gleichsam verloren.

So verließ er das Dorf wieder und begab sih in einen Wald. Dort würde er auch Schutz vor seinem Vater finden, der inzwischen im Zenit am Himmel stand und alles mit seiner Hitze überzog. Der Polarstern wollte bei seiner Arbeit nicht von ihm gestört werden. Vielleicht hätte der Sonnenmann sonst noch befohlen, dass der Stern sich wieder an seinen Platz am Himmel begeben solle! Nicht, dass der Polarstern ihm freiwillig gehorchen würde, doch es war weiser nicht den ungezügelten Zorn der Sonne zu erwecken, der alle und alles verbrennen und vernichten konnte.

Nachdem er ein Weilchen durch den Wald gegangen war und noch immer kein Heilmittel gefunden hatte, setzte sich der Polarstern schließlich am Rande einer Lichtung nieder und überlegte, wo er seine Suche fortsetzen sollte. Da trat aus dem Schatten ein Vogel auf die Lichtung, dessen blau-grünes Federkleid im Sonnenlicht auf ungeahnte Weise zu schimmern und zu leuchten begann. Ein königliches Tier stand da, mit einem strahlenden Fächer, der den Polarstern zu beobachten schien. Der Pfau stand da, wie eine Erscheinung und der Polarstern war ganz gebannt von dessen Schönheit und dessen Glanz. Da wusste der Stern plötzlich, welches Geschenk seine Mutter heilen könnte! Er warf den grauen Umhang von sich und zeigte sich dem Pfauen in all seiner Schönheit und Pracht, entflammt von himmlischem Begehren. Sie bewunderten einander ihre göttliche Schönheit und Augen versanken in Augen, Körper in Körper. Ihre Lust feierte das Leben, den Wald, die Erde unter ihnen und die Weiten des Alls, das alles umgibt!

Und aus dem Samen des Pfauen und der Essenz des Polarsterns gebar der Stern ein bisher unbekanntes Wesen. Einen Vogel, wie den Pfauen, doch von innen her strahlend. Und in was für Farben! Blau wie der Ozean, grün wie junge Blätter, rot wie glühendes Eisen, golden und silbern wie mond und Sonne in ihrer Jugend. Und er war strahlender als alle Gestirne zusammen! Seid Lied war wie süßer Honig, des Plätschern heiliger Quellen, wie Donnergrollen und das Zischen von Sternschnuppen! Ja, er selbst war wie eine Sternschnuppe, denn wenn er flog, dann zog er einen Schweif von Regenbogenfarben hinter sich her, die sich heilend und segnend über alles legten, was seines Weges kam.

Von dieser Herrlichkeit angezogen versammelten sich bald alle Gestirne, alle Vögel, Menschen und anderen Wesen in diesem Wald. Sie erlernten die Lieder des Wundervogels und versuchten ihm mit ihrem Federkleid, ihrer Kleidung oder ihrem Strahlen nachzuahmen. Und der Wundervogel lehrte sie gerne, so stolz war er auf sich und die individuelle Schönheit und Kraft, die er in allen Wesen wahrnahm und sich zu entfalten half.

Und der Polarstern war stolz auf sein Kind und über sein Werk! Denn auch seine Mutter, die Mondfrau, kam schließlich nach einigem Zögern am Abend, von ihrer Tochter Abendstern geführt. Sie erkannte ihren eigenen alten, schon vergessenen Glanz im Glanz des Wundervogels und erneuerte ihr Strahlen. Als der Sonnenmann sie in ihrer eigenen Kraft erstrahlen sah, entbrannte in ihm die alte Liebe neu. Denn dies war die starke, strahlende Schönheit in die er sich einst verliebt und seit dem heimlich vermisst hatte. So übte sich der Sonnenmann fortan nachts als Komet, der die Mondfrau mit seinem Schweif zu beeindrucken suchte. So nährten sich die beiden langsam wieder aneinander an und alle Wesen freuten sich über die Schönheit und Liebe, die nun endlich wieder über die Erde gekommen war. ENDE.



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