"Arielle, die Jungfrau vom
Meer"
Vor langer
Zeit gab es ein großes Königreich am Meer. Dort herrschte ein
tyrannischer König, der die Macht gewaltsam von der früheren
Königin an sich gerissen hatte. Um seine Macht zu
untermauern, hatte er zusätzlich noch den Glauben an
einen männlichen Gott als alleinigen Schöpfer einführen
lassen. Denn wenn ein Mann alleine das Universum erschaffen hatte,
dann konnte es auch von einem Mann alleine regiert werden. Um
diesen Glauben zu ettablieren ließ er die Anbetung der
lebensspendenden Meeresgöttin, die bis dahin in diesem Reich
verehrt worden war, verbieten. Wer ihr immernoch huldigte wurde
verfolgt und hingerichted. Angst und Terror überkamen so das
Land, denn das Volk wollte auch weiterhin nicht von seinen
Traditionen , Bräuchen und seiner Göttin lassen.
Der König hatte mehrere Töchter und hatte sie bisher alle
schon zur Hochzeit gezwungen, einem Brauch, der in diesem Land
zuvor unbekannt gewesen war. Seine Jüngste, Arielle, aber war noch
zu jung zum Heiraten. So lebte sie noch im Palast ihres
Vaters ? wie eine Gefangene: Sie durfte das Schloss nicht
verlassen, nur mit einer geringen Anzahl von DienerInnen sprechen
und hatte gleichzeitig bestimmte Fähigkeiten auszubildet, wie
Spinnen und Sticken, welche sie für ihren zukünftigen Bräutigam
attraktiver machen sollten.. Nur wenn sie sang, mit ihrer
bezaubernden Stimme, fühlte sie sich etwas frei.
Sie hatte jedoch auch eine alte Kammerfrau, mit deren Hilfe es ihr
immer wieder gelang das Schloss zu verlassen und in die Dörfer zu
gehen. Sie beneidete die Freiheit und Fröhlichkeit der Bäuerinnen
und Bauern und wünschte sich nur zu sehr eine von Ihnen zu
sein. Bei ihrer Rückkehr ging sie immer so geschickt vor, dass sie
bisher nicht erwischt worden war.
Als sie nun wieder einmal aus dem Schloss geflohen war ging sie zu
einer Quelle und sah dort einen Jüngling liegen. Er war bewusstlos
und verletzt. Da sie durch die alte Kammerzofe ein wenig in
Heilkunde unterrichtet war, wusste sie was es zu tun galt. Und
so legte sie ihm Kräuterumschläge auf und sang alte
Heilungslieder, die der König zwar verboten hatte, doch die wegen
ihrer Kräfte auch noch bekannt waren. Der verletzte Jüngling war so
schön, dass sie sich sofort in ihn verliebte.
Der König war indessen verfrüht von einem Feldzug in das Schloss
zurückgekehrt und verlangte seine Tochter zu sehen. Da sie niergens
zu finden war, schickte er befaffnete Truppen aus, um ließ sie
überall zu suchen - auch bei der Quelle. Die Prinzessin hörte die
Wachen schon aus einiger Entfernung. Doch sie sang weiter, da sie
ihre letzte Strophe noch nicht vollendet hatte. Da began der
Jüngling zu blinzeln. Als Arielle dies bemerkte, ging sie schnell
den Wachen entgegen, um den verletzten nicht zu gefährden ? ihr
Vater hätte ihn hinrichten lassen, hätten die Waffenträger sie
zusammen gefunden. So entlud der König schließlich seinen Zorn über
ihre Flucht nur an ihr, indem er sie erst verprügelte und dann in
ihre Kammer einsperren ließ. Der Jüngling war inzwischen
vollends zu Bewusstsein gekommen und sein Herz war in Liebe
entbrannt, zu der Jungfrau mit der schönen.Stimme, die ihn
geheilt hatte.
Nach einigen Tagen erzählte Arielle ihrer Kammerfrau von dem jungen
Mann und das sie sterben würde, wenn sie ihn nicht bald wieder
sehen könnte, denn Liebe und Sehnsucht wuchsen in ihr mit jeder
Stunde. Der König hatte die Wachen der Prinzessin inzwischen
aber so verstärkt, dass es keinen Weg mehr gab, um aus dem Palast
zu entkommen. So weinte die Prinsessin drei Tage und drei Nächte.
Die Kammerfrau jeoch wusste Rat: "Prinzessin, wenn du diesen
Bauernjungen wiedersehen willst, dann kenne ich vielleicht die
Mittel um dir zu helfen. Bald ist Vollmond und mit seiner Magie und
der Macht der Meeresgöttin könnte es dir gelingen zu fliehen. Es
gibt einen Zauber, der dir einen zweiten Leib gibt. Während dein
jetziger Körper hier liegt, als ob er krank ist, wirst du in einem
Körper, der wie dein Spiegelbild ist, draußen wandeln können. Der
Zauber wirkt jedoch nur drei Tage: den vor, den während und den
nach Vollmond. Wenn der Jüngling dich in dieser Zeit voller Liebe
küsst, dann wird der Körper der hier gefangen ist sterben, aber
dein anderer Körper wird dann frei sein. Es gibt nur einen Hacken:
Wenn du in deinem anderen Körper ein Wort sprichst bevor er dich
geküsst hat löst sich der Zauber auf und du wirst wieder hier
gefangen sein." Mit entschlossenem Blick schaute Arielle sie an:
"Für meine Liebe werde ich es versuchen und die Opfer bringen, die
gefordert sind!"
Als nun die Zeit gekommen war vollzogen die Prinzessin und die
Kammerfrau das Ritual und der Leib Arielles brach zusammen.
Die Kammerfrau ließ verlauten, dass die Prinzessin krank sei und
niemand sie sehen dürfte.
Arielles Ebenbild hingegen lag erschöpft und bewusstlos in
einen einfachen weißen Umhang gehüllt vor der Tür eines
Bauernhauses. Als sie schließlich wach wurde ruhte sie in
einem Bett und der Jüngling, den sie gepflegt hatte, saß neben ihr.
Er fragte sie, wie sie hieße, doch sie schüttelte nur den Kopf. Wie
gern hätte sie ihm ihren Namen gasagt, wie gern ihre Liebe
gestanden. Doch sie hatte sich entschlossen dieses Opfer zu
bringen.
Am ersten Tag war sie noch schwach und der Bauernsohn pflegte sie
und half ihr beim essen. Am zweiten Tag jedoch war sie schon
stark genug um aufzustehen und ging abends mit dem jungen
Mann, der Jaques hieß, spazieren. An der Quelle setzten sie sich.
Der volle Mond hatte sie verzaubert. Ihre klaren Augen zogen ihn
unwiederstehlich an. Vergessen war das Mädchen mit der schönen
Stimme. Er liebte nur noch sie. Er neigte sich vor um sie zu
küssen. Doch plötzlich began den Körper von Arielle sich in
Mondlicht aufzulösen. Der König hatte sich nicht länger von der
alten Kammerfrau hinhalten lassen und hatte seine Tochter so
geschüttelt und geschlagen, dass der Körper im Schloss ihre Seele
nun wieder in sich zog. Und da der Zauber nun verging sprach die
Prinzessin: "Ich heiße Arielle. Durch die Hilfe der Meeresgöttin
konnte ich aus dem Palast meines Vaters fliehen. Ich musste dich
sehen, weil... ich dich liebe." Der Jüngling, der ihre Stimme
erkannt hatte, blickte in ihr sich auflösendes Gesicht und
erwierte: "Ich liebe dich auch. Seit dem Tag an der Quelle kann ich
nur an dich denken. Bleib hier!" Doch die Prinzessin löste sich vor
seinen Augen auf.
Darauf hin ging der Jüngling zum Schloss und verlangte Arielle zu
sehen - doch man wies ihn ab. Er versuchte es abermals, aber
wurde wieder weggeschickt. Als er es zum dritten Mal versuchte,
wurde er wegen Unruhestiffterei in den Kerker geworfen. Dort betete
er, als der Mond durch sein Fenster schien, zu der Meeresgöttin,
weil sie die Einzige war die ihm helfen konnte: "Große Mutter des
Meeres und des Mondes. Du halfst Arielle bei ihrer Flucht aus dem
Palast, damit sie zu mir konnte. So helfe nun mir aus diesem Kerker
und bring mich zu ihr. Bitte hilf uns !!! Sei gesegnet." Daraufhin
flog eine Taube durch das Kerkerfenster, die sanft wie der Mond
strahlte und sprach: "Ich habe dich gehört und werde dir helfen.
Liebe ist mein Geschenk an die Menschen. Was aus wahrer Liebe
geschieht fürt zum Frieden. Und dieser soll in diesem
Land wieder erstehen! Schließe die Augen." Der Bauernsohn tat, wie
sie ihm geheißen und als er die Augen wieder öffnete, war er im
Gemach von Arielle. Diese erschrak zunächst, doch war
überglücklich als sie ihn wiedererkannte.
In der gleichen Nacht wurde der König vergiftet. Die alte
Kammerfrau war danach verschwunden und nur die Tauben, die auf den
Dächern des Palastes wohnen, wissen wohl wohin. Arielle wurde nun
Königin, da das einfache Volk sie so sehr liebte, wie sie es auch.
Sie führte den alten Glauben offiziell wieder ein und
herrschte sie mit ihrem Gefährten wieder über ein friedliches,
wohlhabenes Reich am Meer.Und wenn sie nicht gestorben sind, dann
kann das noch garnicht so lange her sein ;)