Die 80er Jahre:

Der Jazz geriet in den 70er Jahren in eine deutliche Krise. In den 60ern war die Musik in der oben skizzierten Entwicklung einer immer stärker werdenden Komplexität an einen Zielpunkt gelangt, nach dem eine weitere Entwicklung unmöglich schien. Mit der Fusion und einer akustisch-romantischen Spielhaltung in den 70er Jahren schien eine vollkommene Abkehr von jenen ästhetischen Idealen gegriffen zu haben, die zuvor die Avantgarde dieser Musik ausmachten. Daneben aber lebte auch die Avantgarde der 60er Jahre weiter fort.

Der Free Jazz wurde nicht mehr so sehr in Konzertsälen aufgeführt als vielmehr in kleinen Lokalen, oft in musikereigenen Örtlichkeiten, ja sogar in Musikerwohnungen, den sogenannten Lofts, die seit den 60er Jahren in New York als Künstlerateliers oder -wohnungen genutzt wurden. Die Loft Scene der 70er Jahre war das Gegenmodell zur Fusion oder zum erfolgreichen meditativ-romantischen Jazz derselben Zeit. Sie war zugleich der Nährboden jenes Eklektizismus, der Merkmal des Jazz in den 80er Jahren werden sollte. 

Die Musiker der New Yorker Loft-Scene sind dem Initiativen-Denken der 60er Jahre verpflichtet. Plattenfirmen wie India Navigation orientieren sich am Beispiel älterer Labels wie ESP und erlauben den Musikern selbst die Entscheidung über Repertoire und Bandzusammenstellung.

Die 5-LP-Ausgabe "The Wildflower Sessions" dokumentiert die New Yorker Loft-Scene von 1977 durch Konzertmitschnitte eines kleinen Festivals bzw. Studioaufnahmen aus dem Loft des Saxophonisten Sam Rivers (geb. 1930). Zu hören sind dabei Musiker wie Ken McIntyre (geb. 1931), Sunny Murray (geb. 1937), Henry Threadgill (geb. 1944), Anthony Braxton, Marion Brown (geb. 1935), Leo Smith (geb. 1941), Oliver Lake, Dave Burrell (geb. 1940), Hamiet Bluiett (geb. 1940), Julius Hemphill, Jimmy Lyons (1933-1986), David Murray (geb. 1955), Roscoe Mitchell (geb. 1940) – Musiker, die großteils auch in einigen recht erfolgreichen Ensembles tätig waren: dem World Saxophone Quartet beispielsweise oder der Gruppe Air, Prime Time, dem Art Ensemble of Chicago u.a. 

Die New Yorker Loft-Scene ist dem Free Jazz verbunden, vereinbart freie Improvisationspassagen aber durchaus mit funkigen Baßlinien, soul-vollen Themen oder einer mitreißenden Rhythmik. Dieses nicht mehr ganz so rigorose Konzept musikalischer Freiheit ist letztlich Grundlage für all die Entwicklungen, die im Avantgarde-Jazz bis in die 90er Jahre vorherrschen. Im Gegensatz zum Free Jazz der 60er Jahre machen harmonische und rhythmische Fixpunkte die zwar äußerst intensive und nach wie vor mit freien Passagen gespickte Musik der Loft Scene auch für nicht initiierte Hörer zu einem Hörerlebnis, bei dem Strukturen relativ deutlich nachvollziehbar sind. 

Im Laufe der 80er Jahre wurden viele der einst relativ preiswerten Wohn- und Künstlerlofts in schicke Apartments, Büros oder Geschäftsräume umgewandelt. Bereits Mitte der 80er Jahre gab es keinen nennenswerten Musikloft mehr in Manhattan. Die Avantgarde-Musiker fanden ihre hauptsächlichen Spielmöglichkeiten nun mehr als zuvor vor allem in Europa. Innerhalb Manhattans blieb eigentlich nur noch die Knitting Factory übrig, ein kleiner Club, in dem neben Avantgarde-Jazzern auch die Avantgarde-Rockszene, Folksänger oder Klezmer-Bands eine Heimstatt fanden. 

Nicht nur der erstarkende Markt für einen eher der Tradition zugewandten Jazz führte in den 80er Jahren dazu, daß sich mehr und mehr Musiker in ihrem Schaffen mit der Jazzgeschichte auseinandersetzten. Auch die vermehrte Behandlung der Jazzgeschichte im Schul- und Musikunterricht der Vereinigten Staaten, die vielen Departments for Black Studies an den Universitäten brachten ein erneutes Interesse an der Jazzgeschichte hervor. Seit Mitte der 80er Jahre gibt es etliche professionelle sogenannte Repertory Orchestras, die Originalarrangements oder gar Transkriptionen von Aufnahmen der Jazzgeschichte vor vollen Häusern aufführen. Ein Vorläufer solcher Repertory Orchestras war das in den 70er Jahren aktive New York Jazz Repertory Orchestra unter Leitung des Pianisten Dick Hyman (geb. 1927).

 In den 80er Jahren arbeiteten das American Jazz Orchestra (Leitung: John Lewis) oder das Lincoln Center Jazz Orchestra (Leitung: Wynton Marsalis) mit ähnlichem Konzept. Die Idee hinter den Konzerten solcher Repertory Orchestras ist in erster Linie eine pädagogische: Die Hörer sollen Gelegenheit erhalten, historische Meisterwerke der Jazzgeschichte nicht nur mittels der Schallplatte, sondern live zu erleben. 

Zu den am kontroversesten diskutierten Musikern der 80er und 90er Jahre gehört der Trompeter Wynton Marsalis (geb. 1961). Marsalis stammt aus einer Musikerfamilie aus New Orleans, und die Musiktradition dieser Stadt spielt in seinem musikalischen Konzept eine wichtige Rolle. Nachdem er sich in der Band des Schlagzeugers Art Blakey einen Namen gemacht hatte, begann er eine eigene sehr erfolgreiche Karriere sowohl im Jazz- als auch im Klassik-Bereich. In seiner Musik bezieht er sich nicht nur als Trompeter, sondern auch als Komponist auf die Jazztradition. Seine Kompositionen spiegeln die New-Orleans-Tradition oder das kompositorische Konzept Duke Ellingtons wider, ohne ein Remake des Jazz vergangener Jahre zu sein. Sein ästhetisches Verständnis der Jazzgeschichte aber beleuchten auch seine Angriffe auf Free Jazz und Fusion, die er nicht der Jazzgeschichte zurechnet. 

Im Gefolge Marsalis' wandten sich viele junge Musiker der 80er Jahre dem Neo-Hardbop zu. Diese Musik, die sich am Spielideal der Art Blakey Jazz Messengers oder des Miles Davis Quintet der 50er und 60er Jahre orientiert, bestimmt das Bild des kommerziellen New Yorker Nightclub-Programms der 80er und frühen 90er Jahre. Neben reinen Hardbop-Nachschöpfungen – also einer Art Revival – gibt es allerdings auch sehr individuelle Auseinandersetzungen mit der Musik derselben Zeit – beispielsweise in Steve Lacys Arrangements von Thelonious-Monk-Kompositionen. 

Verweise auf Stilmomente aus Stride, New Orleans, Bebop, Hard Bop oder auf einzelne Persönlichkeiten der Jazzgeschichte sind in den eklektischen Stilrichtungen sowohl der Neo-Klassizisten als auch der Avantgardisten der 80er und 90er Jahre zu finden. Solch eine Auseinandersetzung mit der eigenen musikalischen Tradition ist nicht neu – schon Charles Mingus legte beispielsweise Wert darauf, daß seine Pianisten sämtliche Klavierstilistiken des Jazz beherrschten. Avantgardemusiker beziehen sich auf die Jazztradition allerdings meist mit einer ästhetischen Distanz, wie sie beispielsweise in den musikalischen Collagen des New Yorker Saxophonisten John Zorn (geb. 1953) oder in den Kompositionen des Saxophonisten Henry Threadgill festzustellen ist, der sowohl auf die New-Orleans-Marschtradition als auch auf die psychedelische Pop-Musik der 60er Jahre zurückgreift. 

Neben einem verstärkten Traditionsbezug einerseits und einer eklektischen Sammelästhetik andererseits bestimmt auch das kompositorische Moment den Jazz seit 1980. Erst mit der guten Ausbildung von Musikern sowohl im klassischen wie auch im Jazzbereich war eine Fortsetzung der Third-Stream-Idee der 50er Jahre möglich. Dementsprechend entstanden in diesen Jahren etliche ambitionierte Kompositionen, die sich am Third-Stream-Ideal Gunther Schullers orientierten. Komponisten wie Anthony Braxton, Franz Koglmann (geb. 1947), Klaus König (geb. 1959) oder Django Bates (geb. 1960) arbeiten allerdings vor allem in Europa, wo Orchester existieren, die ihre Kompositionen aufführen wollen und können, wo sich außerdem für diese Musik ein aufgeschlossenes Publikum findet und wo schließlich öffentlich-rechtliche Rundfunkstationen durch Kompositionsaufträge umfangreiche Werke ermöglichen.

Weitere wichtige Namen:

Dave Holland

Brecker Brothers

Simon Phillips

Trilok Gurtu

David Murray

Lester Bowie

James Newton

Jeff Tain Watts

Donald Harrison

Bobby Watson

Elvin Jones

Jamaaladeen Tacuma

John Zorn

David Moss

 

 

Datenschutzerklärung
Kostenlose Webseite erstellen bei Beepworld
 
Verantwortlich für den Inhalt dieser Seite ist ausschließlich der
Autor dieser Homepage, kontaktierbar über dieses Formular!