gartenlob


BaLo*s Beiträge für die Lesung am 9.7.2005

1. Rother Barockgartenlesung im Garten "Feuerlein"

 

 

Das Gartentor

 

Als ich das erste Mal den Garten betrat, fiel mir sofort der Spruch an seinem Eingangstor auf:

 

„Das Glück
bekränze deine Tage
mit Blumen ohne Zahl
Zufriedenheit
in jeder Lage
sei deines Herzens
stille Wahl“

 

Damit konnte ich sofort sehr viel anfangen, denn ich bin mit einem großen Garten aufgewachsen. In ihm wurde geackert, gesät, gejätet und geerntet.  Beeren, Gemüse, Salate, Kräuter, Obst – alles war fester Bestandteil der Ernährung, war eingeplant im Speiseplan rund ums Jahr. Und im Sommer und Herbst quackerten die Töpfe voll Marmelade, Einweckgläser füllten den Keller, Selleriegrün und Lauch trockneten auf den Horden. Es war ein wertvolles Gut, was aus dem Garten kam.

 

Auch die Blüten und Blätter in ihrer wechselnden Farbenpracht und Formenvielfalt! Sie waren der Schmuck für den Tisch und Vorlage für die Bilder, die meine Eltern malten, waren wie Freude, die direkt vom Freien in die Wohnung rankte. Verbunden mit dem Wissen, das man sie selber gepflanzt und gegossen hatte: Dankbarkeit für die Segnungen der Natur mischte sich mit dem Stolz eigener Leistung.

 

Das Kostbarste aber, was uns der Garten bescherte, war das Wissen um den Kreislauf des Werdens und Vergehens, der berechtigten Hoffnung auf einen neuen Frühling nach jedem Winter, der Notwendigkeit eigenen Schaffens in mitten der Schöpfung.  Daß man sich durch den aktiven Kontakt mit der Erde selber erdet, daß das stille Arbeiten im Garten meditativ ist.

 

Wer mit der Natur lebt, wächst und erntet, wer mit den Jahreszeiten wandert, wer Erde an den Händen hat und den Duft von Zwiebeln und Tomatengrün. Wer früh den Morgentau in der Wiese auf den Füßen spürt und die Hitze der Sonne unter den Sohlen am Mittag. Wer abends vor einem großen Korb Zwetschgen sitzt, müde aber befriedigt in sein Butterbrot mit Schnittlauch beißt,

der kann auch wieder vors Gartentor treten:

Auf den Asphalt, in die Neonwelt der Stadt, das ungeduldige Flackern der modernen Welt. - Gestärkt für was auch immer kommen mag.

 

                                             

Wunderwanderweg

 

Auf dem Wunderwanderweg

steht das Gebirge "Mount Schwitzeschwer".

Du mußt über die Kette der Gipfel steigen

und auf dem Weg zum Kirschblütenhain

den Durstozean, die Sehnsuchtswüste,

das Angsteismeer überqueren.

 

Durch den "Sturer-Blick-Tunnel"

und die Ebene "Werdeweit"

führt dein Weg zum Licht.

 

Im Finsterforst langen die Kummergeister,

nach deinem Leib aus zerbrechlichem Material,

und deine Seele schreit vor Pein

auf Dauer aber wirst du erlöst und findest neue Kraft.

 

Wenn du auf dem Liebeswolkenbett lagerst

und für ewige Augenblicke

glückselig verweilst

dann ist alles gut

ist alles rund

fließt das Sein durch dich

wie ein Strom aus flüssigem Gold.

 

Und, wenn du nach einem großen Wunder schreist,

merkst du, daß es dir schon längst widerfahren ist.

Wanderst weiter, singst ein wenig,

pfeifst dir die Sorgen vom Kopf.

 

Packst du Fröhlichkeit ins Herzgepäck,

hetzten dich die wilden Wölfe

nicht mehr gar so eifrig

In den Nächten der Existenz

kehrt Friede ein

 

und stille

blühn dir Blüten auf:

 

Wissemehr!

Lasselos!

Sei-so-frei!

 

Über dir Wolken,

aber auch Sterne.
Morgen weitergehen

oder angekommen sein:

einerlei.

 

Jeder Tag ein neues Wunder:

die erklommenen Klippen,

die überwundenen Verluste,

die Schätze im Morgentaukelch

der Lebenspfade...

 

Daß du lebst allein,

ist schon das größte von allen!

   

Laubentage

 

Im Licht des späten Nachmittags leuchtet der Garten im vollen Rot der Mohnblüten und im kraftvollen Blau des Rittersporns. Weiß und rosa wiegt sich der Phlox in einer leichten Brise. Darüber tanzen Pfauenauge, Admiral und Zitronenfalter. Baldriandolden und Zierlauch scheinen über Blütenkissen zu schweben wie feine Kronen, und eine schwarze Katze räkelt sich zwischen Buchshecke und Sommerflieder. Die Jahreszeit ist hoch und heiß: Es ist ein Juli, wie er im Buch steht.

 

Marie schnuppert an ihren Händen. Sie liebt den Geruch frischer Erde, der an ihnen haftet. Kein Parfüm der Welt kann ihr einen sinnlicheren Duft vermitteln, als fruchtbarer Humus. Er erinnert sie an weit mehr, als nur an die Beete in ihrem Garten, in die sie Schalotten gesteckt und an die Rabatten, die sie mit Zinnien und Löwenmäulchen bepflanzt hat. Das Aroma der Erde erinnert sie an die warme Haut Eberhardts und daran, wie er sie in den Armen gehalten hat. Es erweckt etwas unvergleichlich Wohliges und zugleich Wehmütiges in ihr.

 

Sie erinnert sich an Samstage im Garten, wenn sie mit den Freunden in der Laube saßen. Eberhardts Freunde Gerhard und Heiner und sie beide. Immer ist sie es gewesen, die sie bewirtet und ihnen Zeit für einander gegeben hat. Sie hat es gern getan. Sie liebte den Anblick der drei Männer, wie sie mit hochgekrempelten Ärmeln zusammensaßen, redeten oder auch schwiegen. Wie ihr Lachen aus der Laube drang und sich mit den Vögelgesängen und dem Grillenzirpen mischte. Wie langsam das Taglicht der Abenddämmerung wich, die Pfeifen und Zigarren angezündet wurden, und Rauch in Kringeln aufstieg.

 

Und stets  ließ Marie sich etwas Gutes einfallen. Es gab feingeschnittene eingesalzne Rettiche,  Brote, einmal rund um den Laib dunklen Bauernbrots, gut bestrichen mit sahniger Butter, mit Kräuterquark oder belegt mit feinwürzigem Emmentaler, gebeiztem Lachs, Schwarz-geräuchertem, Knoblauchgrün und Peperonischeibchen. Manchmal bereitete sich auch exotische Genüsse zu, wie karibisch gewürzte Fischfilets, Rotbarbe mit Orangenzesten, Mango, Papaya, Zitronengras. Die Welt fand sich mit ihnen in der Laube ein, und wenn sie bei schäumendem Bier oder selbstgemachter Rosenbowle saßen, schien es einfach zu sein auf Reisen zu gehen. Fast wie im Traum ist: Ein Wort genügt, und der Zauber wirkt.

 

War es nicht an südfranzösischem Strand, in dem kleinen Freiluftrestaurant, in dem es nichts anders gab als Austern, Zitronenscheiben und Wein? Da waren die Matrosen mit den Ukulelen. Der kehlige Gesang der Fremden vermischte sich mit dem Salz, das in der Luft hing, und der Wind trug etwas von der See her. Etwas, was Weite versprach. So ein Ahnen, daß alles möglich sei, du müßtest es nur wagen.

 

Oder Italien: In der Küche mit der Arbeitsplatte aus kühlem Marmor standest du und rolltest den Nudelteig aus. Vom Fenster her das unvergleichliche Bukett von Rosmarin, Salbei und Thymian in der Mittagshitze. Im einen Glaskrug klares Wasser vom Hofbrunnen, im  anderen der Brunello. Oliven im tönernen Schälchen. Parmesan auf dem Holzbrett. Parmaschinken.

 

Dann Eberhardt und Heiner, die gern segelten: Wie sich die Segel blähten, wie sie Fahrt machten, und das Ufer langsam am Horizont versank. Glitzerndes Wasser unterm Kiel. Möwen über dem Boot. Sich stark fühlen, und es auch sein.

 

Laubentage mit den Gefährten waren wie Meilensteine auf der Lebensreise. Als Eberhardt, Gerhard und Heiner noch ganz jung waren, hatten sie gemeinsam eine Radtour nach Paris unternommen. Ihr erstes Treffen im Garten fand statt, um miteinander alles zu planen, das zweite, um ihre Reise nach der Rückkehr noch einmal Revue passieren zu lassen: Die Nächte im Heu in der Scheune eines Bauern im Elsaß. Die Brotzeiten an Ackerreinen mit knusprigem Baguette und Landwein. Café au lait aus dicken Tassen im Bistro einer kleinen Stadt. Die Blasen an den Zehen und Fersen, die bronzen gebräunte Haut im Fahrtwind und das Bild lockend schimmernder Mädchenaugen.  Wie sie dann endlich auf dem Eifelturm standen und ihre Blicke weit schweifen ließen: Die Metropole zu ihren Füßen.

 

Von da an trafen sie sich regelmäßig. Sie begleiteten einander im Studium, als sie ihre beruflichen Laufbahnen begannen und immer weiter über die Jahrzehnte des erwachsen Werdens und Seins hindurch. Das Zusammensein in der Laube war für sie die Feier ihrer  Verbundenheit, die mit den Jahren noch wuchs. Das Leben brachte seine Höhen und Tiefen mit sich und schweißte sie zusammen. Im Kreis der Freunde wurde alles ausgetauscht: alles Leid und alle Freuden, alle Ängste und alle Visionen, alle Ziele und alle Abwege. Gott und die Welt waren Thema, aber auch das ganz Eigene an Gedanken und Gefühlen. Wenn sie unter dem Holztisch in der Laube die Füße ausstreckten und sich daheim fühlten, entwickelten sich die Gespräche und verwebten sich zu neuen Gedankenmustern und Erkenntnissen. Erfahrungen kamen zusammen und machten sie reifer, während die Zeit ihnen Silberfäden in die Haare wirkte. Sie spannen an ihren Träumen, bestärkten sich in  ihren Hoffnungen und trösteten sich über Enttäuschungen und Verluste hinweg.

 

Laubentage waren Tage, die mit Sonnenschein, der Üppigkeit blühender Staudenbeete begannen und  dem Summen von Bienen und Hummeln. Das Brünnlein in der Mitte des Gartens plätscherte fröhlich unter blauem Himmel und gemächlich ziehenden Wolkenschiffen. Dann wurden die Schatten länger, und die Gesichter der  steinernen Figuren, die Eberhardt und Marie von Englandreisen mitgebracht hatten, bekamen einen milderen Ausdruck, nahezu, als würde ein Lächeln in ihre Züge kommen. Der westliche Himmel kleidete sich in warmes Orange und glitt in die keimende Dunkelheit. Rauchblauer Lichtschein legte sich auf Kieselwege und Moose. Die Härten schwanden, und eine samtige Stimmung faßte Raum.

 

Wie oft guckten die Freunde und Marie dann in den offenen Himmel, erfreuten sich an Mondschein, funkelnden Sternbildern oder den Sternschnuppen-schwärmen im August. Dazusitzen mit treuen Kameraden, der Wein golden und rubinrot im Glas, rundum wohlig gesättigte Zufriedenheit. Für eine kostbare Weile waren sie geborgen in einer scheinbar unantastbaren Sphäre, einem Bannkreis aus Zuneigung und Verständnis.

 

Marie sah das alles und schätzte es über die Maßen, ganz ohne Arg oder Eifersucht. Sie wußte, daß echte Freundschaft eine Art von Liebe ist und ein gutes Stück Heimat, das einen Mensch erden und erheben kann. Sie liebte Eberhardt und sie liebte gerade auch seine Verbindlichkeit, sein Ja zu ihr - und zu jenem eingeschworenen Kreis. Die Beständigkeit, die von diesem Trio ausging, war auch ihr heilig in einer Welt sich wandelnder Werte und wechselnden Schicksals.

 

Sie dachte oft lächelnd daran, daß Eberhardt im Grunde einen zweiten Hochzeitstag im Jahr feierte – den mit Gerhard und Heiner. Und sie war so etwas wie die Zeremonienmeisterin, die gute Fee, die weibliche Seele, die sich mit liebevoller Hand mit eingab. Es machte sie froh und rührte sie an, und das ganz besonders, wenn die Männer zu singen begannen. Meistens war es Gerhard, der ein Lied anstimmte. Er hatte eine volle Stimme, mit der er sehr gut umzugehen wußte. Es waren ihre altvertrauten Lieder, die sie sangen. Trinklieder auch mit dabei, freche Lieder, frivole Lieder, aber auch solche, die die Seele mit trauriger Schönheit berührten. ‚House of The Rising Sun’, ‚Lili Marleen’, ‚Sag mir wo die Blumen sind’…

 

Ja, gerade  damals hatten sie besonders schön gesungen. Eine linde Nachtluft umschmeichelte die Glieder mit seidigem Wohlgefühl, ein so gut wie voller Mond lugte zwischen den Ästen der Akazie hervor. Und sie hört noch heute, wie Eberhardt und seine Freunde sangen. „Sag mir wo die Blumen sind… über Gräbern weht der Wind…“ - Marie legte ihre Wange an Eberhardts Schulter und fühlte sich ganz. Das Leben war rund und gut.

 

Langsam stieg während des Singens ein reiner, schon morgendlicher Dunst herauf. Die Kerze war bald herabgebrannt und die letzte Flasche Merlot geleert. Marie sieht noch vor sich, wie sich die Freunde verabschieden, hört sie schon auf dem Weg zu ihren Fahrräder „Bis zum nächsten Mal“ rufen.  Wie sie dann mit Eberhardt noch da steht und ihnen nachschaut. Wie er zärtlich den Arm um sie legt.

                              

Wo sind die Blumen?

 

Der Garten blüht damals wie heute. Und einmal im Jahr sind sie wieder da, die Freunde von Eberhardt. Nur Eberhardt wird fehlen. Eines Tages war er von der Arbeit nicht mehr nach Hause gekommen. Als sie bereits den Picknickkorb für einen Abend im Garten zusammenpackt hatte, läutete der Chef an der Haustür. Schon als sie in dessen Gesicht sah, wußte sie, daß etwas geschehen war. Der Picknickkorb stand noch drei Tage auf dem Tisch, wie sie ihn vor der Nachricht hingestellt hatte. Dann packte sie wortlos alles aus und warf es weg.

 

An Eberhardts Grab standen seine besten Freunde neben ihr. Es war wie das letzte Aufgebot, Musketiere bis in den Tod verbunden. Etwas was rar und edel ist. Sie waren auch für sie da, als es galt, alles zu regeln. Irgendeiner von ihnen war immer zur Stelle, wenn sie Rat oder hilfreiche Tat benötigte. Aber keiner war wie Eberhardt. Eberhardt ist unersetzlich. Sie alle vermissen ihn so sehr, und eines Tages wurde beschlossen, ihm zu Gedenken jedes Jahr auch weiterhin den Laubentag abzuhalten, beinahe so, als wäre er noch da.

Marie pflückt seither einmal im Jahr wieder Rosenblüten für die Bowle, sie sammelt die Kräuter für den Quark, beizt den Lachs und räuchert Forellen. Sie deckt den Tisch für vier und setzt sich auf Eberhardts Sitzplatz. Die Holzbohlen unter ihr sind warm von der Sonne, als hätten sie Körperwärme gespeichert, und es kommt ihr so vor, als wäre Eberhardt eben von seinem Sitz aufgestanden, um ihr Platz zu machen.

 

Gerhard, Heiner und Marie sitzen in der Laube bis lange nach Mitternacht. Das Windlicht am Tisch leuchtet honiggelb ins Blauschwarz der Umgebung. Glühwürmchen tragen ihre Laternen durch die Finsternis. Und bis weit erklingen die Lieder, zwei Männerstimmen und Maries Sopran. Sie verbinden sich mit den Geräuschen der Nacht und der Sehnsucht, die über allem liegt:

 

Irgendwo blüht Eberhardts Seele, rankt sich wie Efeu stark durch die Zeit, wärmt Maries Herz durch das Holz der Bank, duftet an ihren Händen und macht sie reich.

 

 

   

Die Nacht hat Nischen:

 

Ich liege auf Samt und Seide

und lausche dem Puls der Seelen,

Herzen die lauter schlagen

als der Kanonendonner der Welt

 

Der Mond auf den Hügeln

singt sanfte Lieder

vom Sommer

 

Und was auch kommen mag:

Wer einmal Freundschaft fand

Wer einmal Liebe trank

von glänzenden Augen

Wer einmal sah

hinter den Vorhang des Seins

 

Weiß,

er ist nicht allein,

birgt sich in den Nischen der Nacht:

                      hat ein geheimes Daheim.

 

  

 

 

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