Von Dornen by BaLo*



 
Von Dornen - zwei Geschichten von Barbara BaLo* Lorenz
(ehemalig geplante Beiträge von BaLo* zur Barockgartenlesung 2007)

Dornen-Los & Dornen-Reich

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Dornen-Los 

von BaLo* (c)  Januar 2007

Margarita hat einen Traum. Sie hat ihn immer wieder: Es träumt ihr von einer Laube, umrankt von zarten Blüten. Es träumt ihr von der Rose ohne Dorn. Von der blauen Blume am Wiesensaum. Von Mohnblüten im Wind, von Blüten, die nicht verwelken. Sie träumt von einem Dasein ohne Arg und einem Leben ohne Not. Sie träumt…

… es ist Frühling, und sie betritt den Garten ihrer Großeltern. Die leben in Wahrheit zwar schon lange nicht mehr, und der Garten ist inzwischen seit Jahren verwildert. Aber in ihrem Traum ist er ganz wie früher; die sauber mit dem Rechen glatt gezogenen Wege sind gesäumt von blühenden Kissen. Steinbrech duftet mit Flieder um die Wette, Schlüsselblumen strahlen in sattem Gelb, und über allem lächelt ein gütiger Sonnengott.

In ihrem Traum ist Margarita munter wie eine Hummel. Lachend läuft sie über die Wege. Springt mit jungen Beinen durch die Welt, folgt der Weise des Tages in Heiterkeit. In ihrem Traum ist Margarita gerade mal sechs Jahre alt.

Wie fangen doch gleich Märchen an? Es war einmal…So könnte das fast beginnen.

Ja, es war einmal ein Mädchen namens Margarita. Es hatte goldblonde Zöpfe, lustige Sommersprossen und eine kleine Stupsnase. Fast alle Wochenenden mit schönem Wetter verbrachte es mit seiner Familie im Garten ihrer Großeltern.

In den Garten war ein Gartenhaus gebaut, auf dessen Veranda Margarita mit ihrem drei Jahre älteren Bruder Matthias besonders gern saß. Der Platz war genial: So weich eingekuschelt in das altersschwache Sofa, das unter dem Dach des Vorbaus stand, und mit einem Blick auf den Garten, als sähen sie auf einen fürstlichen Park, dessen Besitzer sie wären. Sie stellten sich immer vor, sie wären irgendwo in fernen Ländern, einer Art Traumland, das wie verwunschen war. Mit den Vögeln tanzten seltene Falter in glitzernden Farben umher, und Elfen naschten vom Wasser des kleinen Zierbrunnens in der Mitte des Gartens. In den Fliederhecken saßen wilde Tiere und mussten gebändigt werden. Nachbarskatze Minka kam da gerade recht mit ihren smaragdgrünen Augen und ihrem schwarzen Fell. Ein Panther! Matthias stellte sich vor, er wäre Großwildjäger und sprang Minka hinterher mit Gejohle.

In einer sonnigen Ecke des Gartens aber war das Pfingstrosenbeet. Die Paeonien darin blühten in vollstem Karmesinrot, unschuldigem Schneeweiß und zartem Rosa. Um sie war ein regelrecht edles Leuchten. Sogar Minka vermied es, durch die Blütenpracht zu räubern. Großpapa pflegte das Beet besonders, und Margaritas Mama Dorothea schnitt nur zum Pfingstsonntag ein paar Blüten für die Festtafel ab. Sie wurden dann in einer kostbaren Vase aus Kristall mit feinen Goldrand arrangiert und prangten vornehm auf einer damastenen Tischdecke.

Papa sagte immer einen Spruch von Eichendorff auf: „Kaiserkron und Päonien rot / Die müssen verzaubert sein,..“  Verzauberte Blumen! Margarita war begeistert. Und als ihr der Papa dann noch erzählte, dass sie auch „Rose ohne Dorn“ genannt werden, war sie ganz Feuer und Flamme. Das war Öl für die lodernde Vorstellungskraft des phantasiebegabten Mädchens. Eine Rose ohne Dorn. Eine Blume, die einfach schön war, duftete, aber nicht stach, wie die Rosen im Beet nebenan, an deren Stacheln sie und Matthias sich so oft schon gekratzt hatten.

„Kaiserkron und Päonien rot,

Die müssen verzaubert sein,

Denn Vater und Mutter sind lange tot,

Was blühn sie hier so allein?“

Ach, wie klang das so wunderbar traurig. Schaurig schöne Traurigkeit. Sie lag fast wie Brausepulver in der Luft. So ein „Maikäfer-flieg!“-Lied steckte darin. Eine ganz und gar melancholische Melodie. Aber nichts daran stach sie. Es war seltsam wonnig, für einen Tag der Spiele in dieser traurigen Stimmung zu bleiben. Dann war Margarita Prinzessin 'Tausendschön', die verlassene, einsame, arme Prinzessin in ihrem Zauberreich der Blüten, Falter und Elfen, nur beschützt von ihrem treu ergebenen und stolzen Recken Ritter Matthias, der ihr die gefährlichen Raubtiere vom Leib hielt.

Am Abend aber wurden Margarita und Matthias wieder aus ihrem Traumland geholt. Es gab Wurstsalat und Bratkartoffel. Opa und Papa ließen die Bügelverschlüsse ihrer Bierflaschen knallen, was immer sehr witzig war. Und nach dem Essen gab es die Sportschau im Fernsehen für die Großen und das Betthupferl im Radio für Margarita und Matthias. Tausendschöns Königreich lag weit fort. Und mit ihm die zartbittere Schwermut, Rosen, Dornen und Raubtiere.

Im Lauf der Jahre lernte Margarita die Welt von der Seite der Rosen und von der Seite der Dornen her kennen. Manchmal, während sie weiter aufwuchs und ins Land der Erwachsenen eintrat, waren es ganze Wasserfälle von Rosen, die es für sie regnete. Tausend und eine liebesrote Rose, in Liebesschwüre eingebunden und mit vielen Küssen beregnet. Aber im Laufe der Zeit welkten ihr die Blüten auf dem Weg, eher, als dass sie sich an ihrem Wohlgeruch erfreuen hätte können. Die Dornen wuchsen schneller, die Stachel setzten sich im Herzen fest, und sie wurde weiter und weiter weg geführt von jenem Zauberreich kindlichem Fürstentums.

Das Pfingstrosenbeet verkrautete, und alsbald verschwanden auch die Paeonien aus ihm. Quecken und Knöterich eroberten das Terrain, wie der Schmerz und die Ärgernisse sich Margaritas Leben bemächtigten.

Nun ist der Garten Brachland und mit stachligen Ranken umwachsen wie Dornröschchens Schloss. Aber er blüht wieder auf in Margaritas Träumen. Wie leicht sie sich über die Barrieren der Realität hinwegsetzen kann. Wie einfach es ist, die Tür zu öffnen, die in dieses Paradies kindlicher Erinnerungen führt. Je mehr Silber sich in ihre Haarfarbe mengt, umso leichter fällt es ihr, zurückzureisen. Sie hört sogar die Amseln singen, sieht die Schmetterlinge auf einer leichten Sommerbrise schaukeln und steht nun wieder vor dem Beet mit den Pfingstrosen. Rosen ohne Dorn.

Die wachsen in ihrem Inneren. Sie wachsen unter einem Himmel, weit und göttlich wie ein Dom. Diese Traumblumen verblühen nicht. Sie tragen keine Dornen. Sie leuchten in einem ewigen Licht.

Eichendorfs Gedicht ist ganz lebendig in Margarita:

„Kaiserkron und Päonien rot,

Die müssen verzaubert sein,

Denn Vater und Mutter sind lange tot,

Was blühn sie hier so allein?“

Und es ist kein Schmerz mehr darin. Kristallvasen brechen, Damasttischdecken verschleißen, ganz Königreiche fallen, Gärten verwildern und Menschen sterben.

Aber, was Du in Dir am Leben erhältst, das bleibt Dir

dornenlos.

 
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Dornen-Reich

von BaLo* (c)  Januar 2007

Am Ufer des Bondongo Rivers hat Matthias Dorn kürzlich ein Fischrestaurant aufgemacht. Er brät Viktoriaseebarsch in mediterranen Kräutern, serviert ihn safranduftend im Bananenblatt gedämpft oder mit Ingwerstiften gespickt und gegrillt an Wildreis und scharfer Sauce. In seiner Bar serviert er Tiger Lily Cooler, Jim Slink Drink und andere bunte Cocktails mit Schirmchen. Der absolute Brüller in seiner Dschungel-Event-Gastronomie aber ist das von ihm selber konzipierte Dessert: Der Barockgartenteller.

In einer smaragdgrünen Glasschale kredenzt er roséfarbenes Eis von der Heckenrosenblüte an zartlila Veilchenparfait auf einem Spiegel von sahniger Vanillesauce, getoppt von dunkler Schokolade und überglitzert von Flocken aus echtem Blattgold. Gewagt! Freilich gewagt. Matthias ist ein wagemutiger Kerl. Ein Weitgereister, ein Innovator, ein Geniestreich für sich. So was hat die Welt noch nicht gesehen. Aber er hat sie gesehen. Die Welt.

Dorn auf Reisen. So war das schon immer.

Dorn an den Küsten der Kontinente.

Dorn am Puls der Zeit.

Dorn am Puls der Frauen.

Seine neue Frau heißt Edelgunde und kommt aus Milz. Das liegt in Thüringen. Edelgunde und Matthias. Er der schöne Matthias mit den kreativen Ideen, Edelgunde, die blonde Rose aus dem warm pochenden kleinen Städtchen in grünem Umland. Rund ist sie, diese Rose, eine Hagebutte am Strauch der Welt. Rund an allen möglichen Teilen und sehr üppig. So üppig wie Crème Chantilly und mindestens ebenso sahnig. Matthias ist eher der Dorn. Nomen ist Omen. Er rührt die Speisen und shakert die Drinks. Edelgunde aber kümmert sich um die Gäste mit warmer Hand und lächelnder Herzlichkeit.

Eines Tages sitzen Edelgunde und Matthias zusammen an ihrer Bar. Die letzten Gäste sind gegangen, und Jim Bob und Melissa klappern noch mit den letzten Topfdeckeln des Tages in der Küche herum. Die Balimbalim-Bäume rauschen in der urwaldigen Einsamkeit, irgendwo raschelt ein Tier im Dickicht. Zikaden singen.

„Du, Matthias“, fragt Edelgunde. „Sag mal, woher hast Du denn eigentlich den Namen Barockgarten-Teller für Dein Dessert mit dem Blattgold?“ Da kommt Matthias ins Schwärmen. Er legt seinen muckibuden-starken Arm um Edelgundchens mollige Weichheit und fängt zu erzählen an.

„Als ich noch ein Kind war,“ beginnt er, „da hatten meine Großeltern so einen Garten. Der war einfach eine Schau. Meine kleine Schwester Margarita und ich haben da immer gespielt.

Weiß Du, er erschien uns immer wie unser ganz eigenes Traumland. Sie war die Prinzessin und ich war der Ritter. Ich jagte für sie die Untiere aus den Gebüschen. Also, hm, Minka, die schwarze Katze des Nachbarn, zum Beispiel. Es war ein herrliches Abenteuer“.

Edelgunde sieht ihren Dorn an. „Und was ist mit dem Barock?“ – „Tja, Gundelchen. Das war ja das Besondere. Opa hatte eine echte Liebe zu dem Garten. So wie ich mich in der Küche und an der Theke austobe mit meinen  Ideen, so gab er sich ganz in seinen Garten ein. Er hatte so ein Faible für barocke Gartengestaltung. Das machte das Ganze auch so traumhaft, so fürstlich, so besonders. Deswegen auch das Gold auf meinem Teller. Die Einfassungen der Beete mit den Buchsbüschen, die in den Himmel gedrehten Bäumchen, jedes Blümchen hatte seinen Platz und seine Pflege. Wenn ich nur an die Pfingstrosen denke, die so herrlich geblüht haben…“.

Edelgunde hat auch schon Barockgärten auf Bildern gesehen. Sie bleibt eine Weile still und kramt in ihrer Erinnerung. Sie stellt sich Matthias vor in dem Garten und seinen Opa beim Buchs schneiden und Blumen gießen. Schließlich sagt sie leise:

„Eigentlich schade.“ – „Was meinst Du, was ist schade?“ – „Na, dass der Garten so weit weg ist.“ – „Oh, er ist nicht nur weit weg, sondern vollkommen verwildert. Keiner kümmert sich mehr um ihn.“

Edelgunde schweigt wieder für eine ganze Zeit.

„Umso schöner, dass Du ihm einen so leckeren Nachtisch gewidmet hast.“

„Ja“, murmelt Matthias, der oftmals so wortgewandte Springinsfeld, und wirkt sehr nachdenklich dabei.
Wenn ich so daran denke, finde ich es schon ein wenig armselig von uns ist, dass wir diesen schönen Garten so haben verkommen lassen. Im Barockgarten überwuchern nun die dornigen Ranken alles, und ich, der „Oberdorn“ sitze hier Tausende von Kilometern weg und stelle billige Schirmchen in irgendwelche Drinks.“

Matthias legt den Arm um Edelgunde und blickt in die Nacht. Im Bondongo River springen die Barsche und ein großer Kugelmond hängt am Himmel über Dorn’s Fishy Fingers Restaurant. Die Luft  fühlt sich an wie Seide.

Ist er nun reich der Dorn - oder arm?

Irgendwo zwischen Großvaters wild verwachsenem Garten und dem Ufer jenes afrikanischen Flusses erstreckt sich ein Band. Es blüht in der Erinnerung und gestaltet mit an einem köstlichen Teller – mit Rosen, Veilchen und barockem Gold. Und an allem hängt er und in allem steckt er im Grunde sehr,

der Dorn.
 

----------- Für beide Geschichten gilt: Copyright by Barbara BaLo* Lorenz, Schwabach, Januar 2007 -----------